Die Afghaninnen (eBook)

Spielball der Politik
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
224 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45236-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Afghaninnen -  Shikiba Babori
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Das Schicksal der afghanischen Frauen ist schon immer eng mit den politischen Interessen der jeweiligen Machthaber im Land verknüpft. Sie müssen als Eigentum, Druckmittel oder Alibi herhalten, um Politik zu rechtfertigen. Afghanistanexpertin Shikiba Babori zeigt, welche Rolle Frauen in der afghanischen Gesellschaft zugewiesen wird. Sie blickt in Geschichte und Gegenwart, hat in weiten Teilen des Landes Gespräche geführt und präsentiert nun ein hochaktuelles, erschütterndes Bild. Ihr Buch ist ein Appell, weiter hinzusehen und zu handeln. »Shikiba Babori gehört zu den klarsten Stimmen gegen die Frauenunterdrückung im Taliban-Kalifat.« Emma

Shikiba Babori wurde in Kabul geboren und kam Ende der 70er Jahre mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach Afghanistan kehrte sie zum ersten Mal im Jahr 2003 zurück. Seitdem reiste die Journalistin und Ethnologin regelmäßig in die Heimat ihrer Vorfahren und berichtete in zahlreichen Reportagen von den Entwicklungen dort. Seit dem Abzug der Nato im August 2021 wurde sie zur Stimme der afghanischen Frauen in den deutschen Medien. Sie bildete Journalist_innen in Afghanistan aus und hat das afghanisch-deutsche Reporter_innen-Netzwerk Kalima-News gegründet.

Shikiba Babori wurde in Kabul geboren und kam Ende der 70er Jahre mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach Afghanistan kehrte sie zum ersten Mal im Jahr 2003 zurück. Seitdem reiste die Journalistin und Ethnologin regelmäßig in die Heimat ihrer Vorfahren und berichtete in zahlreichen Reportagen von den Entwicklungen dort. Seit dem Abzug der Nato im August 2021 wurde sie zur Stimme der afghanischen Frauen in den deutschen Medien. Sie bildete Journalist_innen in Afghanistan aus und hat das afghanisch-deutsche Reporter_innen-Netzwerk Kalima-News gegründet.

1.WIR HABEN VERSAGT!


Wenige Wochen nach dem Abzug der NATO-Truppen im August 2021 genügten, und die Taliban nahmen den Frauen alle Erfolge, die sie in den vergangenen Jahren erlangt hatten, Stück für Stück wieder ab. Die Zugeständnisse, die man den Taliban während der ersten sogenannten Friedensgespräche zwischen 2013 und 2014 abgerungen hatte, erwiesen sich als das, was sie von Anfang an waren: Lippenbekenntnisse. Die Taliban waren nur vermeintlich auf die Besorgnisse der Verhandlungspartner eingegangen und erwarteten stattdessen sehnlichst den Tag, an dem sie erneut die Kontrolle über das ganze Land haben würden.

Für jene, die die früheren Appelle der internationalen und lokalen Menschen- und Frauenrechtsorganisationen verfolgt haben, war dies keine wirkliche Überraschung. Denn sie machten schon lange darauf aufmerksam, was in den Provinzen geschah, die die Taliban lange vor Kabul eingenommen oder nie aufgegeben hatten.

In über der Hälfte der 34 Provinzen Afghanistans hatte sich die prekäre Lage der Frauen ohnehin nie verändert. Und so gehört auch dies zur Wahrheit: Wenn man das Schicksal der afghanischen Frauen anschaut, die außerhalb der Großstädte leben, wird deutlich, wie gering die Zahl der Frauen war, die tatsächlich von den wenigen Chancen profitieren konnten, die sich in den letzten 20 Jahren boten. Auch unter den Augen des Westens konnte sich weder das ambitionierte Ziel, afghanische Frauen zur Gleichberechtigung zu verhelfen, noch die Idee, dass Menschenrechte auch für Frauen gelten, landesweit etablieren. Milliarden von Hilfsgeldern wurden jahrelang im Namen der Förderung von Frauen bedingungslos an die afghanische Regierung ausgezahlt und befeuerten eher die Korruption, als dass sie den Frauen tatsächlich genutzt hätten. Nicht nur in dieser Hinsicht hat die internationale Gemeinschaft komplett versagt.

Einmal mehr sind es nun vor allem die Afghaninnen, die die Folgen dieser gedankenlosen internationalen Politik ausbaden müssen. Die wenigen von ihnen, die von der Phase des Aufschwungs während des internationalen militärischen Einsatzes profitiert haben, werden erneut Opfer der frauenfeindlichen Taliban und sind schutzlos der Willkür der patriarchalen afghanischen Gesellschaftsordnung ausgeliefert. Auf der internationalen Ebene wird das vollmundig bedauert, aber niemand fühlt sich zuständig und übernimmt dafür die Verantwortung. Zwar wurde im Zuge der Evakuierungen neben lokalen MitarbeiterInnen der internationalen Organisationen auch Personen die Ausreise ermöglicht, die in der Zivilgesellschaft, den Medien, der Kultur oder der Wissenschaft tätig waren, aber die Mehrzahl der Afghaninnen hat dieses Privileg nicht.

Zum großen Teil ist die den Mädchen und Frauen zugewiesene Rolle in den extrem frauenfeindlichen Traditionen der afghanischen Gesellschaft verankert. Die Schwierigkeiten und Herausforderungen, denen die sogenannte nassl-e nau, die »neue Generation«, gegenüberstand, sind keinesfalls neu. Nicht selten zwingt dieser große Spagat zwischen traditionellen Regeln und moderner Lebensweise Mädchen und Frauen dazu, resigniert aufzugeben und oft genug den einzigen Ausweg aus ihrer Situation in der Selbsttötung zu sehen. Wer sich organisiert und gegen die Traditionen auflehnt, geht ein hohes Risiko ein. So selbstverständlich der Wunsch nach Veränderung für jede gebildete moderne Frau auch scheint, bleibt doch vor dem Hintergrund der afghanischen Realität jeder Schritt in diese Richtung erwähnenswert, denn wer sich hier nicht an die zugewiesenen Regeln hält, läuft schnell Gefahr, umgebracht zu werden.

Erschwert wurde und wird die Situation der Frauen durch den mehr als vier Jahrzehnte herrschenden Krieg. Diese Tatsache hat auch dazu beigetragen, dass viele Männer nichts anderes gelernt haben, als sich und ihre Ziele mit Waffengewalt durchzusetzen, statt mit Argumenten zu überzeugen. Da viele Ehemänner keinerlei Interesse daran haben, dass ihre Frauen irgendein traditionelles Gesetz in Frage stellen, geschweige denn demokratische Rechte in Anspruch nehmen, wird von ihnen jeder Versuch des Ausbruchs mit Gewalt unterbunden. So werden die Frauen, die ihre Stimme erheben, eingeschüchtert, bedroht und getötet. Die Konsequenzen aus ihrer auflehnenden Haltung bekommen oft nicht nur sie, sondern unter Umständen ihre ganze Familie zu spüren.

Es steht zu befürchten, dass sich daran nichts ändern wird. Ende März traf sich der chinesische Außenminister Wang Yi mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, um multilaterale Beratungen über die Lage in Afghanistan zu führen und um ihre »strategische Partnerschaft« sowie ihre außenpolitische Kooperation zu festigen. Russische Medien zitierten Lawrow, dass für Russland »die Präsenz jeglicher US- und NATO-Infrastruktur in Afghanistans Nachbarländern inakzeptabel« sei.1 Die Bemühungen Chinas in Afghanistan machen sichtbar, dass sie in der Region immer mehr die Rolle der USA übernehmen wollen. Das sollte uns aufhorchen lassen.

Vor allem kommt den Taliban diese Annäherung sehr entgegen. Denn ihren beiden mächtigen Partnern ist der Umgang der Islamisten bezüglich der Rechte der Frauen und Minderheiten im Land nicht wichtig. Sie müssen sich daher auch den moralischen Ansprüchen des Westens nicht verpflichtet fühlen und können die ohnehin viel zu leisen Forderungen, unverzüglich ihre neue Direktive zu revidieren, dass Mädchen ab der siebten Klasse bis auf Weiteres der Schulbesuch untersagt wird, ignorieren. Zudem hat der Ukrainekrieg die Frage nach der Aufarbeitung des militärischen Scheiterns in Afghanistan aus den westlichen Medien verdrängt, was den an der Macht Interessierten am Hindukusch ebenfalls sehr gelegen kommt.

Allerdings gibt es auch Hoffnung: Die Außenministerin Annalena Baerbock hat am Beginn ihrer Amtszeit versprochen, die Außenpolitik Deutschlands weiblicher zu machen. Vor dem Deutschen Bundestag sagte sie im Zusammenhang mit Vergewaltigungen als Kriegswaffe: »Deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns, sondern auf der Höhe dieser Zeit.«2 Denn Kriege und Konflikte gibt es genug, die einer Lösung harren – neben der Ukraine, wo aktuell mit großer Brutalität und Rücksichtslosigkeit Städte bombardiert, Zivilisten umgebracht und Familien auseinandergerissen werden, darf man auch den Jemen, Syrien, Äthiopien und Mali nicht vergessen. Und natürlich Afghanistan. Gemeinsam ist all diesen Ländern, dass die männliche Gier nach Macht und Respektlosigkeit die Basis der Zerstörungswut bilden, Machtbesessenheit anstatt Moral und Menschlichkeit herrschen. Dem steht eine feministische Außenpolitik entgegen.

Die Basis der aus Schweden stammenden Idee, mehr Frauen in Schlüsselpositionen zu verhelfen, ist der Mensch – egal, ob Frau oder Mann –, der Mensch, der ungerecht behandelt wird. Feministische Außenpolitik vollzieht daher grob gesagt einen Paradigmenwechsel bei Sicherheitsfragen »weg vom rein militärischen Denken hin zu einem erweiterten Fokus, der – neben dem Kriegsgeschehen – die Zivilbevölkerung berücksichtigt: Frauen, Kinder, Alte, Kranke.«3 In Zeiten von Kriegen und Krisen sind es vor allem Frauen und Kinder, die benachteiligt werden und leiden. Terroristische und militärische Gruppierungen bestehen ausschließlich aus Männern. Mehr Feminismus in der Politik zu wagen würde bedeuten, männliche Aggressivität einzudämmen und Strukturen von Gewalt aufzubrechen.

Eine feministische Außenpolitik hätte in der Vergangenheit sicherlich sehr viel stärker die Partizipation von Afghaninnen an Friedensgesprächen eingefordert. Eine Forderung, die in Afghanistan leider nie ernsthaft gestellt wurde. Selbst die Teams der an den Verhandlungen beteiligten westlichen Staaten bestanden, bis auf Ausnahmen, ausschließlich aus Männern. Eine Frau an der Spitze der deutschen Vertretung in Kabul würde sich dagegen viel überzeugender dafür einsetzen können, dass Afghaninnen mehr in die Gesellschaft integriert und in politischen und wirtschaftlichen Bereichen berücksichtigt werden. Frauen in Entscheidungspositionen könnten dazu beitragen, tiefgreifende Veränderungen in der patriarchalen afghanischen Gesellschaft zu verankern und somit die Entwicklung der Nation langfristig unterstützen. Aber dafür ist natürlich die schulische Bildung für alle eine grundlegende Basis und von...

Erscheint lt. Verlag 20.7.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Afghanistan • Außenpolitik • Berichte • Frauenrechte • Geschichte Afghanistans • Interessenpolitik • Taliban • Überlebenswille • Unterdrückung • Verfolgung
ISBN-10 3-593-45236-7 / 3593452367
ISBN-13 978-3-593-45236-4 / 9783593452364
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