Akkumulation - Überausbeutung - Migration (eBook)

Arbeit im malaysischen Palmöl-Industriellen-Komplex

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
347 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45182-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Akkumulation - Überausbeutung - Migration -  Janina Puder
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Palmöl ist nicht nur Bestandteil zahlreicher Nahrungsmittel und Kosmetikprodukte; es spielt aufgrund seiner besonderen energetischen Merkmale auch eine bedeutende Rolle in der Produktion von vermeintlich nachhaltigen Biokraftstoffen. Umweltorganisationen und Wissenschaft verweisen seit Jahren auf die ökologischen Risiken und Widersprüche der Palmölproduktion. Weniger bekannt sind hingegen die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen, unter denen migrantische Arbeiter_innen in Malaysia Palmöl für den Weltmarkt produzieren. Janina Puder zeigt, dass es sich bei der Ausbeutung dieser niedrigqualifizierten Arbeitskräfte um eine systematische Überausbeutung handelt, die aus den strukturellen Bedingungen des globalen Kapitalismus resultiert.

Janina Puder ist wiss. Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Universität Jena.

Janina Puder ist wiss. Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Universität Jena.

1.Einleitung


Öffentliche Debatten um Arbeitsmigration werden meist von einem Narrativ dominiert: Die Mobilität von Arbeitskräften muss an erster Stelle von ökonomischem Nutzen für sogenannte »Sende‑ und Empfängerländer« sein. Fragen nach der Arbeitsmarktintegration und ‑steuerung sowie der gesellschaftlichen Vermittlung der Entsendung und Anwerbung von Arbeiter*innen1 werden dementsprechend vorwiegend aus einer funktionalen Perspektive verhandelt. Die folgenden Zitate bringen dieses Prinzip aus verschiedenen Blickwinkeln auf den Punkt:

»[L]ow-skilled immigrants can create additional jobs by filling workforce gaps not filled by Malaysian workers, reduce production costs, help expand output and exports, and raise the demand for both unskilled employment and higher‑skilled Malaysians.« (World Bank 2015)

»Wenn du hier in Malaysia als Migrant*in keine Arbeit mehr hast, dann musst du eben gehen.« (Diskutant Gruppendiskussion Workshop 1)

»Sie haben gesagt, du bist nur eine [Arbeitsmigrantin, J. P.]. Deine Aufgabe ist es zu arbeiten und nicht, dich zu beschweren. Aber sie lassen mich nicht alle Aufgaben ausführen. Warum? Ich kann alles machen, auch die schwere Arbeit. Ich will nur meine Familie unterstützen. Das ist alles.« (Interview 22)

Demnach hängt die politische Bewertung der Arbeitsmigration in erster Linie von der antizipierten Wirtschaftlichkeit des Einsatzes migrantischer Arbeitskräfte ab. Sobald ihre Arbeitskraft ökonomisch nicht mehr optimal verwertet werden kann, scheint es unabhängig von der sozialen und sozioökonomischen Lage der migrantischen Arbeiter*innen auch keinen Grund mehr für ihren Verbleib im jeweiligen Zuwanderungsland zu geben. Bis dahin sollen Arbeitsmigrant*innen schlichtweg ihre Arbeit erfüllen.

Ob Arbeitsmigrant*innen als niedrig‑ oder hochqualifiziert2 klassifiziert werden, hängt dabei nicht nur von ihrem tatsächlichen Qualifikationsniveau ab, sondern ebenso von der Position, die ihnen auf nationalen bzw. transnationalen3 Arbeitsmärkten zugewiesen wird. In den »Empfängerländern« sollen Arbeitsmigrant*innen meist einen Fachkräftemangel ausgleichen oder Tätigkeiten ausführen, die einheimische Arbeiter*innen aufgrund niedriger Löhne, schlechter Arbeitsbedingungen oder einer geringen sozialen Anerkennung nicht bereit sind zu übernehmen. Gleichzeitig sollen die Transferleistungen für migrantische Arbeiter*innen möglichst niedrig gehalten werden. »Entsendeländer« positionieren sich je nach der vorherrschenden Form arbeitsbedingter Migration unterschiedlich zur Abwanderung eines Teils ihrer Arbeitsbevölkerung. Handelt es sich um die Abwanderung höherqualifizierter Arbeitskräfte, werten Staaten dies als einen Verlust von »Humanressourcen« (Delgado-Wise 2009). Migrieren stattdessen ungelernte Arbeiter*innen, geschieht dies aus politischer Sicht nicht unbedingt zum Nachteil für die Auswanderungsländer, da es sich hierbei in der Regel um »überzählige« Arbeiter*innen handelt, die vom heimischen Arbeitsmarkt nicht absorbiert werden. Staaten können zudem unter Umständen ökonomisch von der temporären oder dauerhaften Migration eines Teils ihrer Arbeitsbevölkerung profitieren, da die von Arbeitsmigrant*innen getätigten Rücküberweisungen häufig einen bedeutenden Beitrag zum heimischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) leisten.4

Gegenperspektiven, die kritisch auf diesen hochgradig funktionalistischen Umgang mit Arbeitsmigrant*innen blicken und neben individuellen und gruppenspezifischen Gründen insbesondere die ökonomischen Ursachen und strukturellen Bedingungen arbeitsbedingter Migration im Kontext kapitalistischer Ungleichheitsverhältnisse beleuchten, bleiben im öffentlichen Diskurs hingegen marginalisiert. Doch gerade mit Blick auf die Arbeits‑ und Lebensbedingungen der zahlreichen niedrigqualifizierten Arbeitsmigrant*innen aus kapitalistisch weniger entwickelten Regionen ist dieser Zusammenhang von besonderer Bedeutung.

Arbeitsmigrationsdynamiken entfalten sich je nach ökonomischem und sozialräumlichem Kontext in Abhängigkeit von den vorherrschenden Produktionsstrukturen, dem globalen Wettbewerb, der Strukturierung nationaler Arbeitsmärkte, der Arbeitsteilung auf betrieblicher und globaler Ebene sowie einer jeweils spezifischen sozialen Eigenlogik. Die politische Regulierung der Arbeitsmigration ist dabei häufig mit dem ökonomischen Interesse kapitalistischer Unternehmen verknüpft, einen möglichst unbegrenzten und flexiblen Zugriff auf billige Arbeitskraft zu erhalten, mit dem Ziel, gegenüber Marktkonkurrent*innen höhere Profite erwirtschaften zu können (Gleiss 2018). »[P]olitische Strategien im Umgang mit Arbeitsmigration« sind in der Praxis jedoch nicht auf eine allgemein gültige ökonomische Rationalität »des Kapitals« zurückzuführen, da »die widersprüchlichen Interessen verschiedener Kapitalgruppen mit ihren unterschiedlichen Anforderungen an den Arbeitsmarkt die Durchsetzung einer konstanten staatlichen Migrationspolitik« erschweren (Hardy 2016: 35).

Die Unterteilung von Lohnarbeiter*innen auf Grundlage ihrer Staatsangehörigkeit und ihres (tatsächlichen oder zugeschriebenen) Qualifikationsniveaus prägt auf entscheidende Art und Weise den Zugang zum Arbeitsmarkt und bestimmt über die materiellen Lebensumstände unterschiedlicher Kategorien von Arbeiter*innen. Das Verhältnis zwischen der Herkunft und Qualifikation von Lohnarbeiter*innen bestimmt folglich über die Inklusion und Exklusion von Arbeiter*innen auf dem Arbeitsmarkt, die selektive Auf‑ und Abwertung von Arbeitsvermögen und die Verwertbarkeit von Arbeitskraft im Allgemeinen. Insbesondere niedrigqualifizierten Arbeitsmigrant*innen wird über diese Mechanismen ein »Sonderstatus« zugeschrieben, der sich im Zuwanderungsland in einer »relativen Entrechtung und Entwurzelung« der Arbeiter*innen niederschlägt. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass die »kostengünstige Arbeitskraft« weniger qualifizierter migrantischer Arbeiter*innen dauerhaft »für die unattraktiven Segmente des Arbeitsmarktes« mobilisierbar bleiben (Dörre 2012c: 109). Migrantische Arbeitskräfte sind somit immer mit dem Problem einer »doppelten Unterwerfung« konfrontiert:

»[U]nter die kapitalistisch bestimmten Ausbeutungsbedingungen [und, J. P.] […] unter die Arbeits‑, Grenz‑ und Aufenthaltsregime der Nationalstaaten, die die Wanderungsbewegung zum Vorteil [eines Teils, J. P.] des innerhalb ihrer Grenzen operierenden Kapitals zu regulieren suchen.« (Heltfleisch 2018: 871)

Auf globaler Ebene hat die Expansion des Kapitalismus ein hierarchisches System von Arbeitsmobilität und Staatsangehörigkeiten geschaffen, aus dem eine komplexe Arbeitsteilung (Castells 2003; Kofman 2008: 110) und Ungleichheitsstruktur (Boatcă 2016: 140) erwachsen sind. Je niedriger der Platz ist, der Arbeitsmigrant*innen innerhalb dieses Systems zugewiesen wird, umso restriktiver wird ihre Mobilität reguliert und umso eher sind sie mit schlechten Arbeits‑ und Lebensverhältnissen konfrontiert (Hardy 2016: 32). Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass zwischen nationalstaatlichen bzw. regionalen Arbeitsmigrationsregimen und der kapitalistischen Verwertung von Arbeitskraft ein direkter Zusammenhang besteht, der sich nicht selten auch in institutionellen und strukturellen Hürden der Organisierung migrantischer Arbeiter*innen äußert (z. B. Assalam 2019).

Richtet man den Blick auf kapitalistisch weniger entwickelte Staaten, lassen sich Arbeitsmigrationsdynamiken im Kontext des komplexen Zusammenspiels von Globalisierung (Geisen 2018: 881), (De-)Kolonialisierung, der Verlagerung von industriellen Produktionsstätten von »Nord« nach »Süd« (Smith 2016) und einem dem Vorbild der kapitalistischen Zentrumsstaaten entsprechenden nachholenden Entwicklungsstreben nachvollziehen (Delgado-Wise/Veltmeyer 2016: Kap. 1). In peripheren Regionen besteht dabei ein enger Zusammenhang zwischen Armut und Arbeitsmigration (Choudry/Hlatshwayo 2016b: 4). Niedrigqualifizierte Arbeiter*innen, die aufgrund von fehlenden Erwerbs‑ und (Aus‑)Bildungsmöglichkeiten aus entsprechenden Staaten abwandern, tun dies aus dem unmittelbaren sozioökonomischen Zwang heraus, Einkommen generieren zu müssen, das nicht selten für ganze Haushalte ausreichen muss. Besonders...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2022
Reihe/Serie International Labour Studies
International Labour Studies
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Arbeitsmigration • Arbeitssoziologie • Bioökonomieforschung • Malaysia • Palmölindustrie • Produktionsstätten • Soziale Ungleichheit
ISBN-10 3-593-45182-4 / 3593451824
ISBN-13 978-3-593-45182-4 / 9783593451824
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