Wie viel (eBook)

Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01462-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie viel -  Mareice Kaiser
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Geld ist nicht alles? Aber Geld ist ziemlich viel: Macht, Status, Lebensgrundlage. Und Grund für ziemlich viele Gefühle: Scham, Neid, Eifersucht. Aber auch Sicherheit, Glück, Freiheit. Was macht Geld mit uns, und was machen wir mit Geld? Mareice Kaiser erzählt ihre eigene Geldgeschichte und trifft Menschen, mit denen sie über Geld spricht. Vom Pfandflaschensammler bis zum Multi-Millionär stellt sie ihnen Fragen: Wie viel Geld ist genug? Wie viel Geld macht glücklich? Wer sollte mehr Geld haben? Wer weniger? Und wie könnte Geld gerechter verteilt sein? Es geht um Armut und Reichtum, um Kälte und Wärme, um Kreditkarten und Mahnungen, um Erfolg und Not, um Chancen und Schicksal, um Macht und Machtlosigkeit - und um das Dazwischen. Außerdem um einen Blick auf ein Land, in dem die einen frieren müssen, während die anderen von Fußbodenheizungen gewärmt werden. So entsteht eine Analyse, die entlang persönlicher Geschichten eine Struktur zeigt, die zutiefst ungerecht ist und unser aller Zusammenleben bestimmt.

Mareice Kaiser, Jahrgang 1981, arbeitet als Journalistin, Autorin und Moderatorin. Sie scrollt, schreibt und spricht zu Gerechtigkeitsthemen. Mit ihrem Essay «Das Unwohlsein der modernen Mutter» war sie für den Deutschen Reporter:innenpreis nominiert, ihr gleichnamiges Buch erschien 2021 bei Rowohlt Polaris und stieg direkt in die Spiegel-Bestsellerliste ein. Sie lebt in Berlin und im Internet.

Mareice Kaiser, Jahrgang 1981, arbeitet als Journalistin, Autorin und Moderatorin. Sie scrollt, schreibt und spricht zu Gerechtigkeitsthemen. Mit ihrem Essay «Das Unwohlsein der modernen Mutter» war sie für den Deutschen Reporter:innenpreis nominiert, ihr gleichnamiges Buch erschien 2021 bei Rowohlt Polaris und stieg direkt in die Spiegel-Bestsellerliste ein. Sie lebt in Berlin und im Internet.

Arm & Reich Wer ist arm, wer ist reich? Und was genau bedeutet das? «Armut ist ein Mangel an Teilhabe und Verwirklichungschancen», schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen.[21] Die Wissenschaft unterscheidet zwei Formen von Armut, die absolute und die relative Armut. Die absolute Armut beschreibt eine existenzielle Mangelerscheinung – den davon betroffenen Menschen fehlt es also an Mitteln für ihre Grundbedürfnisse.[22] Dazu gehört, nicht genug zu essen zu haben, kein sauberes Trinkwasser, keine Kleidung, die den klimatischen Bedingungen angemessen ist, kein Obdach, keine medizinische Grundversorgung. In Deutschland ist der Anteil der absoluten Armut gering – was aber nicht heißt, dass es keine Menschen gäbe, die davon betroffen sind.

Relative Armut ist abhängig vom Lebensstandard einer Gesellschaft und ihrem soziokulturellen Existenzminimum. Wenn Menschen nicht über genug materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, um an der allgemeinen Lebensweise teilzunehmen, gelten sie als arm.[23] Das ist übrigens das erste und letzte Mal, dass ich in diesem Buch schreibe, jemand sei arm. Denn diese Formulierung legt nahe, eine Person sei einfach so arm. Pech gehabt. Oder noch schlimmer: selbst schuld. Auch zu diesem Narrativ komme ich später noch. Stattdessen schreibe ich von Menschen, die von Armut betroffen sind. Denn es ist ein Attribut, das manche Menschen betrifft und manche nicht. Und manche manchmal und später dann wieder nicht. Menschen, die über weniger Mittel verfügen, als sie brauchen, sind keine «armen Menschen». Sie sind auch nicht «sozial schwach», wenn überhaupt, sind sie finanziell schwach.

Es ist schwierig, für die Armutsgrenze allgemeingültige Zahlen zu finden. In Europa wird die Grenze oft bei 50 Prozent des Medianeinkommens angesetzt. Das Medianeinkommen ist ein mittleres Einkommen, allerdings kein Durchschnittseinkommen. Es bedeutet, es gibt genauso viele Menschen mit einem höheren also auch mit einem niedrigeren Einkommen. In Deutschland liegt das Medianeinkommen bei Menschen, die zur Miete leben, bei rund 1490 Euro pro Monat, bei Eigentümer*innen bei circa 2250 Euro.[24]

Für armutsgefährdete Menschen ist besonders bezahlbarer Wohnraum wichtig, um ihre Situation nicht weiter zu verschlechtern. Die Mieten steigen in den meisten deutschen Großstädten. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Sozialwohnungen kontinuierlich ab. Von 2006 bis 2019 sank die Zahl von 2,09 auf 1,14 Millionen Sozialwohnungen – fast eine Million Sozialwohnungen weniger.

Die Festsetzung eines Grenzwertes bei der relativen Armut ist auch umstritten, weil es keine Definitionen gibt, die festlegen, wann gesellschaftliche Teilhabe nicht oder zu wenig möglich ist. Viele Definitionen und Zahlen, die es dazu gibt, schauen vor allem auf das Einkommen und die finanziellen Aspekte. Dabei schließen sie aber wichtige Faktoren wie kulturelle und politische Teilhabe aus.[25] Damit werden Menschen, die die Einkommensgrenze überschreiten, mitunter nicht in die Armutsstatistik hineingerechnet, obwohl sie von der relativen Armut im gesellschaftlichen Sinn betroffen sind.[26]

Wenn Menschen betroffen von Armut sind, hat das Auswirkungen auf ihr Leben: Sie werden ausgeschlossen von (guter) Bildung, sind oft verschuldet, sie leben in benachteiligter Wohnsituation oder ohne Wohnung, haben keinen oder verringerten Zugang zu Sport und anderen Freizeitaktivitäten, erfahren wenig Wertschätzung in der Gesellschaft, haben weniger Selbstbewusstsein, weniger Macht und Einfluss im Job, in Politik, Wirtschaft und Medien.[27] Und, ganz existenziell: Armut hat Folgen für die Gesundheit.

Wer von Armut betroffen oder armutsgefährdet ist, stirbt früher.[28] Vor allem geringverdienende oder erwerbslose Männer haben ein höheres Risiko, früher zu sterben als Männer aus den oberen Einkommensschichten.[29] Sie sterben bis zu zehn Jahre früher und leiden häufiger an chronischen Krankheiten.[30] Frauen sterben durchschnittlich acht Jahre früher, wenn sie armutsgefährdet sind.[31]

In Deutschland waren im Jahr 2021 16 Prozent der Menschen von Armut betroffen. Ein erhöhtes Armutsrisiko haben Alleinerziehende, Menschen mit mehreren Kindern, Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.

Auch das Geschlecht beeinflusst das Risiko, in Armut zu leben. 2020 waren in Deutschland 24,8 Prozent aller Frauen von Armut bedroht und 23,2 Prozent aller Männer. Noch stärker geht das im Alter auseinander. Von Altersarmut sind 20,6 Prozent Männer betroffen und 24,9 Prozent Frauen. Das liegt vor allem daran, dass noch immer keine Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt erreicht ist. Durch Teilzeit- und Minijobs verdienen Frauen noch immer weniger als Männer und bekommen deshalb auch weniger Rente. Frauen übernehmen noch immer mehr schlecht bezahlte oder gar nicht bezahlte Care-Arbeit, dadurch entstehen oft auch Lücken im Erwerbsarbeitslebenslauf. Außerdem arbeiten Frauen öfter in Berufen mit schlechterer Bezahlung (übrigens wird diese auch in vormals männerdominierten Branchen schlechter, sobald Frauen mehrheitlich Jobs darin übernehmen), sie arbeiten seltener in höheren Positionen. Während Väter nach der Geburt eines Kindes weiter arbeiten wie zuvor, gehen die meisten Mütter in Teilzeit. Die Altersarmut ist auch eine Folge des Gender-Pay-Gaps. Dieser beschreibt den Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen. Die Lohnlücke zwischen erwerbstätigen Männern und Frauen betrug in Deutschland im Jahr 2020 rund 18 Prozent. Ein durchschnittlicher Mann verdient pro Stunde 4,16 Euro brutto mehr als eine durchschnittliche Frau.[32]

Wer in Deutschland weniger als 12726 Euro im Jahr verdient, gilt als armutsgefährdet. Eine von ihnen war Susanne Triepel, die ich in Berlin-Mitte treffe. Die Mutter eines Teenagers hat gerade einen neuen Job als Eventmanagerin angefangen und öffnet mir mit Elan und einem Lächeln die Bürotür. Wir setzen uns in einen Konferenzraum und sprechen über Zeiten in ihrem Leben, in denen es anders aussah.

«Machtlos habe ich mich gefühlt, als ich einen Job verloren habe, über den ich mich sehr definiert habe. Machtlosigkeit fühlte ich regelmäßig rund um den 20. des Monats», sagt Susanne. Sie erzählt mir davon, wie es für sie war, kein Geld mehr zu haben. Auch nicht 2,80 Euro für ein Bus-Ticket. Und wie es ist, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, von der man nicht leben kann. «Es ist frustrierend, wenn du wirklich nichts ausgegeben hast, außer für die existenziellen Dinge des Monats wie Miete, Strom, Gas, ÖPNV-Ticket, Lebensmittel, das Wichtigste an Kleidung – und damit meine ich nicht, dass man sich einen flotten Pencil Skirt von einem angesagten Designer shoppt – sondern dass man ein paar warme Winterschuhe für sein Kind kauft – und danach ist kein Geld mehr da.» Susanne findet irritierend, wie Menschen mit Geld darüber reden, dass Leute mit wenig Geld auskommen müssen. «Nein, selbst 2,80 Euro hat man eben manchmal nicht», weiß sie.

Susanne ist offen und ehrlich, auch mit sich selbst. Das ist wie gesagt eher ungewöhnlich beim Thema Geld. Über Geld spricht man nicht, haben wir alle schon mal gehört. Und vor allem spricht man nicht über Armut. Das Thema ist nach wie vor mit Scham behaftet. «Aber die habe ich verloren», sagt Susanne. «In unserer Kultur gilt ja nach wie vor, dass du durch Arbeit zu Wohlstand kommst, und das stimmt einfach nicht», sagt die Eventmanagerin. Wir sprechen über das erhöhte Armutsrisiko von Alleinerziehenden, Hartz IV und den Ausbau des Niedriglohnsektors in Deutschland. «Eine Erwerbsarbeit zu haben, ist keine Garantie mehr dafür, dass du nach dem 20. des Monats klarkommst», berichtet Susanne.

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge schreibt: «In einer so reichen Gesellschaft wie der unseren ist Armut nicht gott- oder naturgegeben, sondern vorwiegend systemisch, d.h. durch die bestehenden Eigentums-, Macht- und Herrschaftsverhältnisse bedingt.»[33] Der Journalist Jürgen Roth ist der gleichen Ansicht: «Armut ist selten selbst verschuldet. Armut wird erzeugt, entweder durch die Mechanismen des ökonomischen Systems oder durch konkrete politische Handlungen beziehungsweise Unterlassungen.»[34]

Apropos politische Handlungen: Entscheidenden Einfluss hatte und hat die Agenda 2010 und die Einführung der Grundsicherung, auch Hartz IV genannt. Ende 2020 bezogen fast 7 Millionen Menschen in Deutschland diese Sozialleistung, das sind 8,3 Prozent der Bevölkerung. Der größte Teil erhält Arbeitslosengeld, ein kleinerer Teil Sozialgeld. Das Arbeitslosengeld und das Sozialgeld ergeben zusammen die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Während die Zahl der Grundsicherungsempfangenden in Deutschland sinkt, steigt die Zahl der Menschen kontinuierlich, die Grundsicherung im Alter bekommen.

Im Sozialgesetzbuch steht unter dem Punkt «Grundsicherung für Arbeitssuchende» als Paragraf 1: Die Grundsicherung für Arbeitssuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

Verschiedene Organisationen machen seit Jahren darauf aufmerksam, dass dieses Versprechen nicht eingehalten wird. So setzt sich der Verein...

Erscheint lt. Verlag 18.10.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Arbeiterklasse • Armut • Bürgergeld • Chancengleichheit • Debatte • Finanzen • Geld • Glück • Hartz IV • Kapitalismus • Kapitalismuskritik • Mindestlohn • Mindset • persönliche Finanzen • Reichtum • Schulden • Soziale Frage • Soziale Gerechtigkeit • Stundenlohn • Umgang mit Geld • Zufriedenheit
ISBN-10 3-644-01462-0 / 3644014620
ISBN-13 978-3-644-01462-6 / 9783644014626
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