Dement, aber nicht vergessen (eBook)

Was Menschen mit Demenz gut tut - acht Empfehlungen | Eine Anleitung für Angehörige und Pflegekräfte
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2764-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dement, aber nicht vergessen -  Michael Schmieder,  Uschi Entenmann,  Erdmann Wingert
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Was sich Demenzkranke wünschen und wie wir ihnen diese Wünsche erfüllen können 1,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, täglich kommen hunderte hinzu. Viele Angehörige fühlen sich hilflos und alleine gelassen. Was tun, wenn der Mutter, dem Partner oder Geschwistern ihr selbstbestimmtes Leben entgleitet? Michael Schmieders Buch ist eine fundierte Anleitung, die ganz konkret erklärt, wie wir Menschen mit Demenz gerecht werden. Im Zentrum steht die Frage: Was wünschen sich die Demenzkranken? Wie können wir verstehen, was ihnen wirklich guttut? Es ist für Angehörige und Pflegekräfte oft schwer, zu erkennen und zu verstehen, was Demenzkranke sich wünschen. Michael Schmieder ist Experte zum Thema Demenz und kann Angehörige entlasten und helfen, die Bedürfnisse der Kranken zu erfüllen. Ist die Haltung, mit der wir ihnen begegnen von Achtung und Sympathie geprägt, erschließt sich der Rest schon fast wie von selbst. »Für Schmieder steht nicht der Kranke im Mittelpunkt, sondern der Mensch.«Focus

Michael Schmieder, geboren 1955, leitete bis 2015 das Heim Sonnweid bei Zürich, das als eine der besten Demenz-Einrichtungen weltweit gilt. Er ist ausgebildeter Pfleger, hat einen Master in Ethik und hält regemäßig hält Vorträge über Demenz. Schmieder wurde von der Paradies-Stiftung für sein Lebenswerk geehrt. Die Alzheimervereinigung Kanton Zürich zeichnete Michael Schmieder mit dem Fokuspreis aus.

Michael Schmieder, geboren 1955, leitete bis 2015 das Heim Sonnweid bei Zürich, das als eine der besten Demenz-Einrichtungen weltweit gilt. Er ist ausgebildeter Pfleger, hat einen Master in Ethik und hält regemäßig hält Vorträge über Demenz. Schmieder wurde von der Paradies-Stiftung für sein Lebenswerk geehrt. Die Alzheimervereinigung Kanton Zürich zeichnete Michael Schmieder mit dem Fokuspreis aus.

Kapitel 1 
Die ersten Anzeichen


Meist spüren Menschen mit beginnender Demenz selbst als Erste, dass etwas nicht stimmt. Sie leiden unter Erinnerungslücken, Namensverwechslungen oder haben Orientierungsprobleme. Manche neigen dazu, die Anzeichen zu ignorieren und zu vertuschen, weil sie ihnen Angst machen. Die bessere Alternative ist, das Gespräch mit Freunden, der Familie und dem Arzt zu suchen.

Ich war noch ein junger Mann mit schulterlanger Mähne, als ich zum ersten Mal mit demenzkranken Menschen zu tun hatte. Jahrzehnte ist das her, das Wort Demenz war nahezu unbekannt, aber die Erinnerung daran hat sich eingenistet und wahrscheinlich mein Berufsleben mitgeprägt.

Wie viele junge Männer, die damals den Wehrdienst verweigerten, war ich im Ersatzdienst als Rettungssanitäter unterwegs. Ein Job, der mich ohne Vorwarnung mit der Endlichkeit des Lebens konfrontierte. Ich lernte in meinem Berufsalltag, in dem der Notfall der Normalfall war, dass es nicht allein darum ging, gebrochene Glieder zu schienen und Spritzen zu setzen, Wunden zu verbinden und Herzmassagen durchzuführen, sondern auch Vertrauen zu gewinnen und damit Verletzten das Gefühl zu vermitteln, in sicheren Händen zu sein.

Trotz allem Leid und Schrecken, denen ich täglich begegnete, spürte ich bald, dass ich in diesem Beruf zu Hause war. Menschen zu helfen, ist eine Aufgabe, die auch einem selbst hilft, weil man etwas Sinnvolles macht und seinen Platz in der Gesellschaft findet. Vorausgesetzt, man bringt eine Haltung mit, die Menschen in Not nicht nur körperlich, sondern auch seelisch stützt. Nicht, dass man im Angesicht des Leids in Tränen ausbrechen muss. Im Gegenteil: Entscheidend ist ein beherzter Beistand, der signalisiert, dass da jemand zur Stelle ist, der sich einfühlt und weiß, was zu tun und zu lassen ist.

Ich bilde mir ein, dass mir diese Art der Zuwendung nach und nach immer besser gelang – bis auf Fälle, die mich und selbst meine erfahrenen Kollegen vor unlösbare Probleme stellten. Sie traten ein, wenn uns verzweifelte Menschen riefen, die daheim einen demenzkranken Angehörigen betreuten und mit ihrem Dienst am Nächsten überfordert waren. Es half ein wenig, wenn sie sich über dessen Unarten ausweinen konnten, über das Chaos, das er anrichtete, über Launen, Schmutz und Schamlosigkeit. Ich selbst war als junger Mann radikal aufmüpfig. Und nun traf ich auf Menschen mit Demenz, die lebten, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Es hat die Angehörigen oft schon beruhigt, dass ein Sanitäter wie ich zuhörte und versuchte, die Situation zu erfassen. Ich sah in übermüdete Gesichter, weil die Unrast des Erkrankten für Angehörige die Nacht zum Tag gemacht hatte, entdeckte zuweilen aber auch Zeichen von Panik, wenn die Situation eskaliert war und Gewalt drohte. Jahrelang sei es friedlich zugegangen, jetzt häuften sich Wutanfälle, meist aus nichtigem Anlass, zuweilen auch in Form gespenstischer Szenen. Zum Beispiel, wenn der Kranke sich nicht mehr im Spiegel erkannt hatte und den fremden Eindringling anbrüllte, der da plötzlich vor ihm aufgetaucht war.

Zu allem Unglück bot sich kaum eine Möglichkeit, den Angehörigen zu helfen. Es gab keinen Ort für einen Demenzkranken, schon gar nicht im Stadium einer Aggression, die sich gegen seine Nächsten, zuweilen auch gegen ihn selbst richtete. Weder Krankenhaus noch Altenheim fühlten sich zuständig, letztlich nicht einmal Psychiatrien, wo man in solchen Fällen den allzu einfachen Weg ging, indem man den Aufsässigen mit der Medikamentenkeule dauerhaft ruhigstellte.

Solche Tragödien, die ich als junger Sanitäter erleben musste, spielen sich immer noch ab, denn die Zahl der Demenzkranken ist seitdem dramatisch gestiegen, und wir wissen, dass sie weiter steigen wird, weil die Menschen immer älter werden. Verständlich, dass die Sorge wächst, Eltern oder Großeltern könnten demenzkrank werden oder gar man selbst, wenn mal wieder Brille oder Autoschlüssel verschwunden sind oder der Name des Nachbarn auf der Zunge liegt, aber nicht herauswill. Zum Glück alles nur Stolpersteinchen des Alltags, meist dem Stress geschuldet und harmlos, speziell bei Menschen, die Mühe haben, an mehr als zwei Dinge zugleich zu denken, erfahrungsgemäß also Männer.

Ob Frau oder Mann, ein gewisses Maß an Argwohn ist berechtigt, denn mit zunehmendem Alter laufen wir Gefahr, dass sich diese Krankheit nahezu unmerklich einschleicht. In den allermeisten Fällen tritt sie in der unheilbaren Form als Alzheimer auf, die von Jahr zu Jahr mehr Menschen betrifft. 1,6 Millionen Männer und Frauen leiden in Deutschland bereits an Demenz, 900 kommen jeden Tag dazu, das bedeutet Jahr für Jahr mehr als 300 000 Neuerkrankungen, Tendenz steigend.

Damit richtet die Demenz Schlimmeres an als jede Pandemie. Gegen eine Seuche wie Covid 19 kann man sich schützen, indem man sich impfen lässt. Das gilt nicht für die Demenz. Zwar wird so gut wie jedes Jahr von irgendeinem Pharmakonzern versprochen, ein Medikament zu entwickeln, das vorbeugen oder zumindest helfen soll, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Doch das geht so, seitdem Alois Alzheimer im Jahr 1907 im geschrumpften und von Eiweißklümpchen durchsetzten Hirn der Magd Auguste Deter sogenannte Plaques als Todesursache identifiziert hat. Bisher haben sich alle Ankündigungen eines Heilmittels als leere Versprechen erwiesen.

Weil wir wissen, dass uns die Demenz noch lange begleiten wird, müssen wir versuchen, mit ihr auszukommen. Im Vergleich zu Pandemien ist sie wenigstens nicht ansteckend – ein schwacher Trost, denn die Angst vor ihr steckt sehr wohl an. Eine verständliche Reaktion, zwecklos, sie zu leugnen. Diese Angst springt jede und jeden von uns an, wenn sich wieder ein Fall in der Familie, bei Freunden oder im Kollegium herumspricht. Angst vor dem Kontrollverlust über unser Denken, Handeln und über unseren Körper. Deshalb geht es vor allem darum, zu zeigen, wie wir mit dieser Angst leben können, ehe sie die Seele frisst. »Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten«, diese Zeile aus dem Gedicht »Rezept« von Mascha Kaléko kommt mir immer wieder in den Sinn.

Viele Situationen, von denen ich berichten werde, spielen sich im familiären Rahmen ab, also dort, wo 80 Prozent aller Menschen mit Demenz leben und von Angehörigen betreut werden. Immer unter großem Einsatz, oft unter schmerzhaften Opfern und zuweilen unter dem Joch unerträglicher Lasten. Immer versuche ich zu zeigen, was nötig und möglich ist, auch, wo die Grenzen der Belastbarkeit liegen und ständig überschritten werden. Nächstenliebe kann ins Gegenteil umschlagen, wenn sie den Helfenden krank macht. Oft ist es lebenswichtig zu erkennen, wann professioneller Beistand notwendig ist und an die Stelle von familiärer Fürsorge treten muss. In diesen Situationen konzentriert sich alles auf den Kranken, und seine familiäre Umgebung wird vergessen.

Schon deshalb ist es wichtig zu wissen, was ein Pflegedienst leisten kann und was nicht. Ebenso, ob das Heim, dem man schließlich den demenzkranken Menschen anvertraut, auch wirklich hält, was es verspricht. Es hat sich herumgesprochen, dass in den rund 12 000 deutschen Altersheimen vieles im Argen liegt. Ein Ratgeber tut not, der auch hilft, einen menschenfreundlichen Ort zu finden. Wie solch ein Heim aussehen soll und kann, habe ich 2015 in meinem Buch »Dement, aber nicht bescheuert« am Beispiel des Demenzheims »Sonnweid« gezeigt, das ich nahe des Zürichsees in Wetzikon in der Schweiz aufgebaut und geleitet habe. Die Hoffnung, dass es als Modell für andere Heime dienen würde, hat sich nur in Ansätzen erfüllt. Grund genug, mit einem Ratgeber nachzufassen, der sich an Fällen aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung orientiert. Zusätzlich engagiere ich mich auf den Websites https://www.alzheimer.ch und https://www.Demenzwiki.ch.

Es gibt einen Satz, der mich schon als junger Sanitäter berührt hat und mich auch heute noch in die Pflicht nimmt. Kaum eine Woche vergeht, in der ich ihn nicht höre, geäußert von Jung und Alt, Frau und Mann, mit ratloser und oft verzweifelter Miene. Neulich sogar von meiner Kollegin Gisela Hoffmann, die ich seit 13 Jahren als Mitarbeiterin kenne und schätze. Schon seit Längerem hatte ich gespürt, dass sie etwas bedrückt, ein Zustand, den ich bei ihr bisher nicht kannte. Denn so leicht lässt sich diese couragierte Frau nicht unterkriegen, sie ist Mutter von drei Kindern, darunter ein hyperaktiver Teenager.

Aber jetzt hockt sie vor mir im Sessel, der seit jeher als Sorgenstuhl dient, sucht meinen Blick und sagt nach einer Weile mit trauriger Stimme:

»Michael, ich habe Angst.«

Da ist er wieder, der Satz, der mich verfolgt und fordert. Ich ahne, was kommen wird, spüre aber, dass der Grund ihrer Angst nicht in ihr liegt. Wer wie ich seit fast 40 Jahren mit Menschen mit Demenz zu tun hat, erkennt die Symptome früh. Mir ist klar: Gisela, diese tatkräftige und umsichtige Frau, gut organisiert und voll engagiert im Hier und Jetzt, ist alles andere als demenzkrank.

»Geht es um Martin?«, frage ich deshalb.

Sie nickt. Ja, es ist ihr Mann, um den sie sich Sorgen macht, mit dem sie...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2022
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie
Medizin / Pharmazie Pflege
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Altenpflege • Alzheimer • Angehörige • Begleitung • Demenz • Fürsorge • Häusliche Pflege • Montessori • Pflege • Pflegeheim • Respekt
ISBN-10 3-8437-2764-3 / 3843727643
ISBN-13 978-3-8437-2764-8 / 9783843727648
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