Weiden - Wege zur Bewahrung der Biodiversität -  Simon Krivec

Weiden - Wege zur Bewahrung der Biodiversität (eBook)

Dokumentation zweier Online-Veranstaltungen zu Potenzialen, Herausforderungen und Strategien der naturnahen Beweidung
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
100 Seiten
S.Hirzel Verlag
978-3-7776-3295-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
21,90 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Intensive Landwirtschaft mit ganzjähriger Stallhaltung hat das jahrtausendealte Wechselspiel von Natur und Kultur, das eine unglaubliche biologische Vielfalt hervorgebracht hat, in den vergangenen hundert Jahren entkoppelt und in der Folge die Landschaft verarmen lassen. Mit Umstellung auf die industriell geprägte Landwirtschaft wurden viele naturnahe Weiden aufgegeben - ein Grund, dass die Vielfalt der Arten seit rund 200 Jahren stetig zurückgeht und derzeit im freien Fall ist. Die naturnahe extensive Weidehaltung kann dabei, wie zahlreiche Untersuchungen bestätigen, Abhilfe schaffen. Durch sie entstehen eine Vielzahl von Biotopen, die im Verbund ein strukturreiches Netzwerk naturnaher Zustände wiederherstellt und artenfördernde Prozesse aktiviert: Denn Weidetiere bewirken durch Fraß, Tritt oder Lagern Störungen, die die Habitatvielfalt fördern und damit die Artenvielfalt. Der Tagungsband dokumentiert zwei Online-Veranstaltungen der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg zu Potenzialen, Herausforderungen und Strategien der naturnahen Beweidung anhand von 27 Beiträgen unterschiedlicher Autorinnen und Autoren. Best-Practice Beispiele aus dem In- und Ausland werden vorgestellt, Stellschrauben in Landwirtschaft, Naturschutzverwaltung und Gesellschaft, an denen nachjustiert werden muss, werden aufgezeigt und der Bedarf einer gezielten Strategie zur naturnahen Beweidung wird verdeutlicht und konkretisiert.

Daniela Haußmann

Einführung

Die biologische Vielfalt ist das wohl wichtigste Gut unseres Planeten. Sie umfasst das ganze Spektrum an Ökosystemen und Lebensräumen, die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der unterschiedlichen Arten. Doch weltweit ist es um die Biodiversität schlecht bestellt. Die Natur funkt SOS. Laut dem World Wide Fund for Nature (WWF) hat sich der Zustand der Ökosysteme global in den vergangenen 50 Jahren verschlechtert. Auch für Deutschland zeigt die Rote Liste einen dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt.

Nach Angabe des WWF sind „26 Prozent der rund 3.000 einheimischen Farn- und Blütenpflanzen bestandsgefährdet, fast zwei Prozent sind ausgestorben oder verschollen“ (WWF 2021). 36 Prozent der einheimischen Tierarten sind nach Angabe der Umweltorganisation bedroht, während 3 Prozent als ausgestorben oder verschollen gelten (vgl. ebd.). Und über 70 Prozent der Lebensräume, die es bundesweit gibt, werden dem WWF zufolge als gefährdet eingestuft (vgl. ebd.). Europaweit zählt Deutschland damit zum Kreis jener Länder, die die höchsten Biodiversitäts-Verluste verzeichnen.

Kulturell und technologisch ist unsere Landschaft derart überformt, dass sie nur noch vereinzelt und auf kleinen, zunehmend schrumpfenden Flächen ein intaktes und reiches Naturerbe aufweist. Umso wichtiger ist es, ökologisch wertvolle Gebiete in ihrem Erhaltungszustand zu stabilisieren und weiterzuentwickeln, aber auch verarmte Flächen in Offenland, Wald und Siedlungsbereichen zu revitalisieren und ihren ökologischen Wert sukzessive zu steigern. Der Erhalt natürlicher Lebensräume sowie wildlebender Tiere und Pflanzen zählt, zusammen mit dem Klimawandel, zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Bei ihrer Bewältigung kann eine naturnahe und fachgerechte Beweidung einen zentralen Beitrag leisten, weil sie zu einer immens hohen Biotop-, Struktur- und Standortvielfalt führt, die ihrerseits eine hohe biologische Vielfalt gewährleistet.

Die Geschichte der Kulturlandschaft ist untrennbar mit der extensiven Beweidung verbunden. Über Jahrtausende hinweg gestalteten wildlebende und domestizierte Weidegänger vielfältige Landschaften, schufen Habitate für lichtbedürftige Flora und Fauna und erzeugten mit ihrem Dung reiche Nahrungsquellen für individuenreiche Insektengemeinschaften. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass der nahezu vollständige Rückgang extensiver Weidehaltung zu den für das Insektensterben relevanten Faktoren zählt. Daran wird deutlich: Zahlreiche Herausforderungen im Natur- und Artenschutz lassen sich in vielen Naturräumen mit einer standortangepassten, naturnahen Beweidung mit unterschiedlichen Tierarten und -rassen ökologisch und ökonomisch nachhaltig bewältigen.

Eine naturnahe Beweidung der Kulturlandschaft steht für eine moderne, multifunktionale Landwirtschaft, die nicht nur einen signifikanten Beitrag zur Lösung der Biodiversitätskrise leistet, sondern im Vergleich zu herkömmlichen Formen der Grünlandnutzung auch eine deutlich bessere Klimabilanz aufweist. Die Landwirtschaft bietet enorme Potenziale für den Klimaschutz, wenn die extensive Weidetierhaltung in den Förderrahmen nationaler und europäischer Agrarpolitik stärker und vor allen Dingen auch besser integriert wird.

Rund 62 Prozent der gesamten Methan (CH4)-Emissionen und 79 Prozent der Lachgas (N2O)-Emissionen in Deutschland stammen laut Umweltbundesamt aus der Landwirtschaft (Umweltbundesamt 2020). Der Großteil der im Agrarsektor anfallenden Methan-Emissionen wird beim Verdauungsvorgang von Wiederkäuern wie Rindern, Schafen oder Ziegen erzeugt sowie bei der Lagerung und Ausbringung von Wirtschaftsdünger. Gleichzeitig wird auf agrarwirtschaftlich genutzten Böden überwiegend Lachgas emittiert, das auf den Einsatz von organischem und mineralischem Dünger, die Zersetzung von Ernterückständen sowie der Lagerung und Ausbringung von Gärresten für die Biogasproduktion zurückzuführen ist. Zusätzlich setzen Landnutzung und Landnutzungswandel, wie etwa der Umbruch von Grünland- und Niedermoorstandorten, erhebliche Mengen an CO2 frei.

Im Gegensatz dazu belegen zahlreiche Untersuchungen, dass Beweidungsverfahren, die den Bewuchs nicht vollständig abtragen, die CO2- und Lachgas-Emissionen im Vergleich zur Mähnutzung nachhaltig reduzieren (Metzner et. al. 2010). Das heißt, der Kohlenstoffgehalt der Böden hängt sehr stark von der Art der Bewirtschaftung ab. Während Ackerland tendenziell eine CO2-Quelle ist, sind Wiesen eine Senke für das klimawirksame Spurengas. Der Grund liegt vor allem darin, ob Humus auf- oder abgebaut wird: Nimmt der Humus-Gehalt zu, wird Kohlenstoff im Boden gebunden. Ändert sich die Nutzung, wird CO2 freigesetzt. Mit weitreichenden Folgen, wie einige Zahlen zeigen.

Im Verlauf von 12 Monaten speichert Grünland rund 85 Millionen Tonnen Kohlenstoff, eine vollständige Sättigung tritt erst nach 100 Jahren ein (Olschewski 2018). Außerdem speichert Grasland doppelt so viel Kohlenstoff wie Ackerland und weist 40 Prozent größere Kohlenstoff-Vorräte auf als Wälder (vgl. ebd.).

Das unterstreicht einmal mehr, wie wichtig der Erhalt und die ökologisch nachhaltige Pflege von Grünland mit Blick auf den Klimaschutz ist. Seine Umwandlung in Ackerland setzt rund 60 Prozent des im Erdreich gespeicherten Kohlenstoffs frei (vgl. ebd.). Politischer Bodenschutz ist also Klimaschutz und ein wertvoller Beitrag zum Erhalt unserer natürlichen Ressourcen. Das beinhaltet nicht nur einen Wandel bei der Flächeninanspruchnahme im Rahmen der Baupolitik, sondern vor allem auch eine Förderlandschaft, die Anreize für eine Weidetierhaltung schafft und eine Abkehr von der industrialisierten Stallhaltung unterstützt, indem sie landwirtschaftlichen Betrieben, bezogen auf das Einkommen, einen spürbaren Mehrwert bietet.

Die Biodiversitäts- und Klimakrise belegen, dass dringend eine Bewirtschaftung von Offenland und Wäldern nötig ist, die die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme unterstützt und ökologisch weiterentwickelt. Ein Schlüsselfaktor dafür ist die extensive Weidehaltung. Gerade in Überschwemmungsgebieten und in grundwassernahen Bereichen trägt die naturverträgliche Beweidung zum Gewässerschutz bei. Denn durch den Verzicht auf Düngemittel wird, anders als bei der intensiven Grünlandnutzung, den Nähr- und Schadstoffeintrag in Grundwasser, Bäche, Flüsse und Seen wesentlich reduzieren. Eine standortgerechte, naturnahe Beweidung optimiert also die Gewässerqualität und leistet einen wertvollen Beitrag für einen intakten Wasserhaushalt.

Darüber hinaus lassen sich mit extensiven Weideverfahren Auenlandschaften reaktivieren und Biotope großräumig vernetzen. Mit Hilfe von Weidelandschaften kann die regionale und überregionale Biotopverbundplanung auf ein neues Niveau gehoben werden. Mit ihrem Beitrag zur Landschafts-, Struktur- und Standortvielfalt schaffen Weidetiere attraktive Kulturlandschaften, die vielfältige Naturerfahrungen und einen hohen Erholungswert bieten. Je abwechslungsreicher Natur- und Kulturlandschaften sind, desto größer ist ihre Anziehungskraft für Touristen. Biosphärenreservate, National-, Natur- und Geoparks sind mit ihren reizvollen Naturschätzen, attraktiven Wanderwegen, schönen Aussichtspunkten, historischen und kulturellen Sehenswürdigkeiten ein beliebtes Ziel für natur- und landschaftsbezogene Urlaube.

Extensive Weidelandschaften tragen damit zur Entstehung und Sicherung von Arbeitsplätzen bei. Sie stärken so Wirtschaftsstandort und Wertschöpfung. Naturnahe Weidehaltung erzeugt also Naturkapital das die gesellschaftliche Wohlfahrt und das gesellschaftliche Wohlergehen auf vielen Ebenen unterstützt. Zwischen 1997 und 2011 verlor die Welt geschätzte 4 bis 20 Billionen US-Dollar pro Jahr an Ökosystemleistungen aufgrund von Landbedeckungsänderungen und 6 bis 11 Billionen US-Dollar pro Jahr aufgrund von Landverschlechterung (OECD 2019: 9).

Klimawandel und Biodiversitätsverlust werden die gesellschaftliche Wohlfahrt deutlich stärker mindern als der Aufwand, beides zu verhindern. Mehr Investitionen in die Förderung und den Ausbau von extensiver Weidetierhaltung sind dringend erforderlich. Wenn wir die aktuellen Herausforderungen im Arten-, Klima- und Gewässerschutz bewältigen und künftigen Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen, braucht der Naturschutz mehr Weideflächen.

Anschrift der Verfasserin

Daniela Haußmann

Haußmann Pressedienst

Hirschplanweg 5, 72636 Frickenhausen

info@haussmann-presse.com

www.haussmann-presse.com

Literatur

OECD (2019): Biodiversity: Finance and the Economic and Business Case for Action, report prepared for the G7 Environment Ministers’ Meeting, 5–6 May 2019, unter: https://www.oecd.org/env/resources/biodiversity/biodiversity-finance-and-theeconomic-and-business-case-for-action.htm (Stand: 19.03.2021)

Metzner, Jürgen et al.(2010): Extensive Weidewirtschaft und Forderungen an die neue Agrarpolitik, in: Natur und Landschaftsplanung, Nr. 42, Dezember 2010, S. 359.

NABU (o. J.): Was hat die Landwirtschaft mit dem Klima zu tun? Forderungen an die Landwirtschaft für mehr Klimaschutz, unter: https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/landwirtschaft/klimaschutz/25508.html (Stand: 19.03.2021)

Olschewski, Felix (2018): Zahlen zur Klimapflege durch Weidewirtschaft, unter: http://weidefleisch.org/klimapflege-zahlen/#easy-footnote-bottom-1-909 (Stand:...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7776-3295-3 / 3777632953
ISBN-13 978-3-7776-3295-7 / 9783777632957
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 76,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99