Putins Reich -  Hans Hansen

Putins Reich (eBook)

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
452 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-7783-3 (ISBN)
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Das Buch bietet einen tiefen, authentischen Einblick in den Alltag der einfachen Bevölkerung einer modernen russischen Metropole. Der Autor beleuchtet die Auswirkungen, die das allumfassende Chaos und die unausrottbare Korruption in diesem Land auf alltägliche Leben haben. In kleinen Geschichten werden die selbstverständlichsten Situationen, wie Einkaufen, Arztbesuche oder Behördengänge geschildert, welche in Russland unausweichlich zu unerfreulichen Abenteuern mutieren, mit ungewissem Ausgang. Lebensnah werden die politischen, vor allem aber die ökonomischen Verhältnisse beleuchtet. Es wird der Frage nachgegangen, warum es trotz des unermesslichen Reichtums und einem durch die Sowjetunion hinterlassenen immensen Konsumloches nicht möglich ist, ein einigermaßen funktionierendes Wirtschaftsleben zu etablieren und ein Großteil der Bevölkerung in bitterer Armut unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben muss. Korruption und Willkür sind in diesem Buch keine abstrakten Begriffe, sondern lebendige Erfahrung.

Der Autor möchte unerkannt bleiben, da er Repressalien von patriotischen russischen "Staatsbürgern" befürchtet. Insbesondere von seiner Frau.

Vorwort



 Als ich mich entschloss, meine Heimat zu verlassen, um in dieses fremde, unbekannte Russland überzusiedeln, war mein Bündel vollgepackt mit den verschiedensten Vorstellungen und Vorurteilen, Illusionen, Hoffnungen und Bildern einer „russischen Seele“ und eines russischen Lebens voller Wärme, Herzlichkeit, Liebe und Emotionen, wie ich sie in Deutschland und anderen Ländern, in denen ich lebte, nicht gefunden hatte. Ein Leben endloser wodkadurchtränkter Diskussionen am dampfenden Samowar, traurige, melancholische Menschen, mit Kopftüchern verwachsene, zahnlose dicke Ömchens in geblümten Kitteln, die sich schwerfällig über den Bürgersteig rollen, so, wie ich es aus den Romanen Dostojewskis und anderer Schriftsteller kannte.

 Die Wirklichkeit hat mich allerdings schnell eingeholt und eines Besseren belehrt. Da ich mich von Anfang an unter normalen russischen Menschen bewegen durfte und nicht, wie fast alle Ausländer in Kreisen privilegierter Geschäftsleute, Journalisten oder in Gesellschaft ihrer Landsleute und sich meine finanzielle Situation auch nicht besonders von der eines normalen russischen Staatsbürgers unterschied, war es mir vergönnt, mich direkt und unmittelbar mit dem russischen Leben auseinanderzusetzen und war im Grunde dem ausgesetzt, was jeder Russe Tag für Tag erlebt.

 Ich möchte vom russischen Leben erzählen, wie ich es erlebt habe, von dem unfassbaren russischen Alltag, den kleinen und großen Ärgernissen und Schwierigkeiten, den permanenten Erniedrigungen durch den Staat, den Geldadels und auch der Menschen selbst im täglichen Miteinander, vor allem aber von den ewigen kleinen Nadelstichen des täglichen Seins. Ich möchte erzählen von der unlogischen und „mystischen russischen Seele“, so wie sie sich mir eröffnet hat und von einem russischen Leben abseits jeglicher Fernsehromantik. Eine Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, Liebe und Hass, Wut und Entzückung, Logik und Chaos. Ich werde versuchen, das alltägliche Leben der Menschen schildern, die Lebensumstände der einfachen Leute; das permanente Gehetze von einer Unerfreulichkeit zur Nächsten, die allgegenwärtige Angst, betrogen zu werden oder zum Arzt zu müssen, das ewige Misstrauen, die Grobheit und Unehrlichkeit, die Machtlosigkeit gegenüber der Frechheit und Gewissenlosigkeit des russischen Geldes und die logischerweise daraus entstehenden Aggressionen, die das Leben in Russland alles andere als angenehm machen. Ich werde ein Bild, mein Bild einer russischen Gesellschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts zeichnen, die völlig unvorbereitet in die Wirren des modernen Kapitalismus geworfen wurde, so wie ich sie von innen heraus erlebt habe, als fast ganz normales Mitglied seiner Gemeinschaft. 

 Mit diesem Buch will ich keine großartige politische Propaganda betreiben, weltbewegende Enthüllungen machen oder „tiefenpolitische“ Analysen betreiben, aber in Zeiten wackelnder globaler Machtstrukturen, in Zeiten eines Xis und Putins, islamistischen Terrors, in Zeiten neu erstarkender nationalistischer Bewegungen und einer dahinsiechenden europäischen Union, die selbst nicht weiß, wohin ihr Weg eigentlich gehen soll, scheint es mir nicht unwichtig, einen Einblick in das alltägliche Leben einer nach neuer alter Stärke und Macht strebenden Nation zu bekommen. Oder besser gesagt zu zeigen, was unsere europäische Gesellschaft erwartet, sollte der russische Einfluss zu groß werden. 

 Ausdrücklich möchte ich hier betonen, dass es in diesem Buch nicht um grobe Menschenrechtsverletzungen, Morde o.ä geht, Es ist kein politisches Buch.

 Sicherlich ist es nicht richtig, alles mit westlichen Augen zu sehen, mit westlichen Maßstäben zu messen, aber Russland selbst, und nicht nur die Politik, hat den Anspruch eine Weltmacht zu sein, ein Land, vor dem man Respekt und dessen Stimme in der Welt Gewicht hat. Und daran muss es sich messen lassen. Man möchte sich als ein demokratisches, zivilisiertes, modernes Land zeigen. Was allerdings im Inneren passiert, wie sich die Zustände und Lebensbedingungen wirklich gestalten, interessiert dabei wenig. Das gilt sowohl für die Politik als auch für die Menschen selbst.


 10 Jahre habe ich in St. Petersburg gelebt - der Stadt meiner Jugendträume, der schönsten und mystischsten Stadt der Welt, der Stadt der Zaren, Dostojewskis und seiner traurigen Helden. Ich habe das kalte Deutschland verlassen und versucht, hier im „emotionalen“ Osten eine neue Heimat zu finden. Ich bin geflohen vor der kalten Ordnung, der geregelten Langeweile und der steifen und starren Bewegungslosigkeit der westlichen Kultur. Ich glaube, ich habe eine andere Art Mensch 6 gesucht als den europäischen; warmherziger, intelligenter, interessanter. Vielleicht habe ich das Russland Dostojewskis gesucht, aber das spielt für dieses Buch keine Rolle, denn von mir soll hier nicht die Rede sein. Erlauben Sie mir aber zu Beginn ein paar persönliche Worte, warum ich aus dem sicheren Schoß der westlichen Gesellschaft in das verrückte, unsichere Leben der russischen Wirklichkeit übergesiedelt bin.

 Der kommunistische Staat hatte ausgedient, die furchtbaren 90er Jahre waren überwunden. Russland schien den Weg eines zivilisierten, ökonomisch stabilen Staates zu gehen. Meine Lebenssituation hatte sich so ergeben, dass ich meinen damaligen Beruf aufgeben und mir ein neues Betätigungsfeld suchen musste. Da ich fließend Englisch und Norwegisch spreche, lag es nahe, etwas mit Sprachen anzufangen. Russisch hatte ich sowieso immer schon lernen wollen und fand eine Möglichkeit, hier in St. Petersburg eine Ausbildung zum Übersetzer zu machen. Warum aber ausgerechnet Russland? Diese Frage hat mir eigentlich jeder gestellt, dem ich begegnet bin, hüben wie drüben. Bei den Russen war das sowieso die erste Frage: „Wie kann man nur freiwillig in dieses allumfassende russische Chaos ziehen, in den Dreck, den Gestank, die Armut, die Ungerechtigkeit usw.?“ Der einzig vernünftige und verständliche Grund für einen Russen, warum ein Ausländer aus dem Westen in Russland lebt, ist, wie man es so schön auf Russisch nennt: „Business“. Verständnislose Blicke waren meistens die Reaktion auf die Antwort:  „Ich liebe Russland, ich habe schon seit meiner Jugend in Russland leben wollen“.

Es ist schwer zu sagen, was mich an diesem Land so fasziniert hat, mehr als 20 Jahre, bevor ich es zum ersten Mal besucht habe. Ich habe, anders kann ich es mir nicht erklären, eine Art Seelenverwandtschaft gefühlt, eine Geborgenheit im Geiste. Eine unbekannte, ja mystische Faszination ging von allem aus was russisch war. Kommunist bin ich übrigens in meinem ganzen Leben nie gewesen.

 Es war im Alter von 17 Jahren, als ich das erste Mal ein Buch von Dostojewski in die Hände bekam. Es waren „Die Erniedrigten und Beleidigungen“. Ich kann nicht beschreiben, was ich dabei empfand. Die erste kleine Szene des Alten mit seinem Hund ist das Rührendste, was ich je gelesen habe. Ich habe geheult wie ein Schoßhund und noch jetzt, wenn ich diese Zeilen lese bekomme ich feuchte Augen. Von den ersten Worten an fand ich bei ihm etwas Vertrautes, etwas, das ich unbewusst immer gesucht hatte und dem ich nie vorher begegnet war. Es war, als 7 öffnete sich meine Seele. Ich begann mich für Literatur und Philosophie zu interessieren und bewusst zu empfinden. Bis dahin hatte ich mich weder für Literatur interessiert noch irgendwelchen anderen geistigen, intellektuellen Betätigungen oder Interessen hingegeben. Aber es war um mich geschehen. Ich habe sein Werk buchstäblich gefressen. Schon nach den ersten Zeilen empfand ich eine Seelenverwandtschaft mit all seinen Helden und mit der russischen Seele. Nie wieder habe ich Derartiges gelesen oder empfunden wie bei der Lektüre Dostojewskis. Die Bücher Dostojewskis und anderer russischer Schriftsteller, die russische Musik, vor allem die Rachmaninows, schenkten mir Stunden unglaublichen Gefühlserlebens. Sobald ich die russische Sprache hörte, klopfte mir das Herz, und mehr als einmal bin ich Menschen auf der Straße gefolgt, die sich auf Russisch unterhielten, nur um den Klang dieser Sprache zu hören. Ich habe mich neben sie auf die Bank gesetzt, die Augen geschlossen und einfach nur die Melodie und die Schönheit dieser Sprache genossen. Alles Russische wirkte auf mich, … emotional. Dieses Gefühl trug ich, bewusst und unbewusst, viele Jahre mit mir herum. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich nach Petersburg ging. Die russische Seele war meine, oder zumindest verwandt mit meiner.


 Als mir die Idee zu diesem Buch kam, ging es mir in erster Linie darum, einen, wie man so schön sagt, „Beitrag zur Völkerverständigung“ zu leisten, befürchte aber, das Gegenteil wird der Fall sein. Ich habe mir hier eine zu blutige Nase geholt, und die Enttäuschung über den geplatzten Traum und die Wut über die Ungerechtigkeit und das unausrottbare Chaos in diesem Land sitzen so tief und schmerzen so sehr, dass ich große Zweifel habe, ob ich es fertig bringe, ein „prorussisches Buch“ zu schreiben. Ich habe gelernt Russland zu hassen. Russland als Staat, als abstrakten, undurchschaubaren Organismus, als Käfig mit Gitterstäben aus Gleichgültigkeit, unermesslicher Geldgier, organisiertem Chaos und grenzenloser Machtlosigkeit und Hilflosigkeit gegenüber den staatlichen Organisationen und dem Geldadel; einem Geflecht aus Willkür, Ungerechtigkeit und ständiger, alltäglicher Erniedrigung.

 Aber die Menschen hassen, nein, das vermag ich nicht. Ich habe nirgendwo so reine und verehrungswürdige Menschen getroffen, nirgends so viele Emotionen, Intelligenz und Wissen, wie in Russland, aber leider auch ebenso viel Bosheit und Gleichgültigkeit, Grobheit, Lüge und 8 Ignoranz. Aber ist das ein Wunder? Nicht die Menschen sind die...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7543-7783-3 / 3754377833
ISBN-13 978-3-7543-7783-3 / 9783754377833
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