Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum (eBook)

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2022 | 1. Auflage
231 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44839-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Machtverhältnisse und Interaktionen im Museum -  Nicole Burzan,  Jennifer Eickelmann
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Alte Meister, Instant-Nudelsuppen, virtuelle Umgebungen, aber auch umstrittene Bronzen - Objekte und Inszenierungen in Museen sind vielgestaltig. Diese Pluralität wird in diesem Band aus soziologischer Perspektive betrachtet. Ziel ist, Licht auf das Zusammenspiel von Ausstellungskonzepten, Inszenierungen und Interaktionen im Museum zu werfen. Fragen nach Machtverhältnissen stellen den roten Faden dar: Wie hat der Trend zu Erlebnisorientierung die Teilhabe von Publika verändert? Welche Scharnierfunktion erfüllen die Aufsichten im Kontext von Inklusionszielen, irritierten Deutungshoheiten und Ökonomisierungsprozessen? Inwiefern reproduziert und verändert das Museum gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse? Empirische Einsichten und Felderfahrungen werden dafür in wissenschaftliche Diskurse und Museumsdebatten eingeordnet.

Nicole Burzan ist Professorin für Soziologie an der TU Dortmund.

Nicole Burzan ist Professorin für Soziologie an der TU Dortmund.

2Machtsensibler Prolog: Museen und ihr Wandel


2.1Der Ausgangspunkt: Was macht Museen aus?


Wenn man klären möchte, was ein Museum überhaupt ist und welche Funktionen es hat, ist ein Blick in die Geschichte aufschlussreich. Man findet dort Vorformen heutiger Museen – etwa die fürstliche Wunderkammer – und verschiedene Bedeutungen des Begriffs. So wurde ›Museum‹ seit der Antike auch als Bezeichnung für einen Studienort bzw. eine Studierstube oder für ein Sammlungsverzeichnis verwendet (te Heesen 2012, Walz 2016a). Erst viel später allerdings, um 1900, verdichteten sich die Worterklärungen in Lexika hin zu öffentlich präsentierten Sammlungen. Zu diesem Zeitpunkt war ein spezifisches Museum, das als zentrales Symbol für die Entwicklung moderner Museen gilt, bereits seit über 100 Jahren eröffnet, und zwar der Louvre in Paris, der 1793 seine heutige Funktion erhielt (vgl. Fliedl 2016). Im Zuge der Aufklärung entstand ab dem Ende des 18. Jahrhunderts das Museum allmählich als fester Ort, an dem Gegenstände zum einen öffentlich ausgestellt wurden und auch in öffentlichem Besitz waren. Zum anderen waren solche Ausstellungen auf Dauer angelegt – im Gegensatz etwa zu den im 19. Jahrhundert aufkommenden Weltausstellungen. Der öffentliche Zugang bedeutete nicht, dass alle Bevölkerungsschichten nun gleichermaßen Museen besuchen konnten. Aber im Vergleich zum Zugang für kleine Eliten profizierte zumindest das Bürgertum von der Öffnung, und auch Gründungsinitiativen für neue Museen gingen vom Bürgertum aus. Es gibt eine weitere Einschränkung, den öffentlichen Zugang als Demokratisierung zu deuten: Tony Bennett (1995) etwa betont in Anlehnung an Michel Foucault, dass man Museen auch als Orte der Disziplinierung verstehen kann, an dem bürgerliche Normen eingeübt wurden, so dass auf diese Weise Herrschaft durch Kultur ausgeübt wurde. Machtverhältnisse sind also ein Thema, das mit Museen eng verbunden ist.

Bedenkt man, dass das lateinische Wort »exponieren« so viel heißt wie »darstellen, zur Schau stellen«, verwundert es also kaum, dass sich das Museum im 18. und 19. Jahrhundert als spezifische Schau-Anordnung etablierte (vgl. te Heesen 2012: 22; Leahy 2012: 45 ff.). Eine wichtige Funktion von Museen im 19. Jahrhundert bestand zudem darin, die ›eigene Kultur‹ zu repräsentieren (Beier-de Haan 2005; Baur 2010). Im Zeitalter der Nationalstaaten ging es um Identitätsstiftung und in diesem Zusammenhang auch um die Behauptung der Überlegenheit der eigenen Kultur. Solche nationalen Selbstvergewisserungen wurden erst viel später wieder grundsätzlich in Frage gestellt und sind noch immer relevant, unter anderem im Zuge postkolonialer Debatten.

Zurück zu den Merkmalen von Museen: Öffentlich ausgestellte Sammlungen sind ein Element, das immer wieder als Charakteristikum von Museen betont wird (Pomian 2013). Abgrenzungen sind aber auf den zweiten Blick nicht so einfach: Sammlungen gibt es nicht nur in Museen, sondern auch z.B. in Archiven oder an Universitäten. Öffentliche Ausstellungen ihrerseits sind nicht unbedingt mit einer dauerhaften eigenen Sammlung verbunden – z.B. in Kunsthallen oder im Science Center.

Eine trennscharfe Bestimmung, was Museen heutzutage ausmacht, gibt es nicht. Das liegt auch an ihrer starken Ausdifferenzierung. Eine grundlegende Aufteilung in Natur-, Kultur- und Kunstmuseen (Walz 2016b) lässt sich schnell erweitern. Gemessen am Thema und an den beteiligten Wissenschaften kann man z.B. an technische oder archäologische Museen denken. Aber auch in vielen anderen Hinsichten sind Museen heterogen. Nur einige Beispiele sind, ob das Museum eher lokal oder international ausgerichtet ist, ob es eine oder mehrere Ausstellungssparten abdeckt, wie der Ort ›Museum‹ beschaffen ist (z.B. als eigens geschaffenes Gebäude, Industriedenkmal, Schloss, Freilichtmuseum oder als virtueller ›Ort‹) und in welcher Trägerschaft es sich befindet (vgl. auch Baur 2010).

Eine bis heute gängige Beschreibung von Museen hat das International Council of Museums (ICOM) im Jahr 2007 vorgenommen. Es definiert Museen so:

»Ein Museum ist eine dauerhafte Einrichtung, die keinen Gewinn erzielen will, öffentlich zugänglich ist und im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht. Sie erwirbt, bewahrt, beforscht, präsentiert und vermittelt das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und deren Umwelt zum Zweck von Studien, der Bildung und des Genusses.« (ICOM Deutschland 2020c)

Als die fünf Kernaufgaben von Museen gelten also: Erwerben (manchmal auch: Sammeln), Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln (Thiemeyer 2018: 7-16).

Diese Definition ist jedoch nicht feststehend, sondern sie wird fortwährend diskutiert und angepasst. So stand eine mögliche Neufassung auch 2019 bei der Generalversammlung des ICOM in Kyoto auf dem Programm. Man konnte sich jedoch nicht auf eine gemeinsame neue Definition einigen, so dass die Mitgliedsstaaten weiter darüber beraten. Hitzig diskutiert wird nicht zuletzt auch deswegen, weil die Definition unter anderem für die Vergabe von Fördermitteln zentral ist.

In der Debatte in Deutschland wurde dabei beispielsweise hinterfragt, ob Museen durch ihre Definition als Ort des »dialogischen, multidirektionalen Austauschs mit der Zivilgesellschaft« genügend sichtbar werden (ICOM Deutschland 2020a, 2020b; Thiemeyer 2019). Zur Vorbereitung der ICOM-Konferenz 2022 in Prag hat ICOM Deutschland im Weiteren 2021 zwanzig Schlüsselbegriffe an die internationale ICOM-Organisation geleitet. Neben der Betonung, dass ein Museum bewahrt, vermittelt und öffentlich ist, kommen hier auch Zielsetzungen mit Bezug auf die Umwelt oder Zukunft zum Tragen (ICOM Deutschland 2021). Das Beispiel zeigt, dass neben den Kernaufgaben weitere Definitionsbestandteile zur Diskussion stehen, etwa das recht vage Selbstverständnis, dass ein Museum »im Dienst der Gesellschaft« stehen solle.

Nicht nur der Wandel der Definition macht es schwierig, ein Museum klar zu identifizieren, hinzu kommen weitere Probleme. Drei seien hier genannt (Walz 2020): Erstens gibt es Übersetzungsunschärfen der international genutzten Definition. Der ›Genuss‹ als Zweck von Museumsbesuchen wird im Deutschen z.B. manchmal auch als ›Unterhaltung‹ bezeichnet, was nicht unbedingt identisch ist. Zweitens scheinen einige Kernaufgaben eher ein Ideal als eine Beschreibung zu sein. So gibt es etwa Museen, die keine neuen Objekte erwerben oder die kaum forschen, und ob ein Haus »im Dienst der Gesellschaft« steht, lässt sich wohl nur schwer konsensuell beurteilen. Drittens können die Kernaufgaben eine unterschiedliche Wertigkeit haben. Zwar kann man nur ausstellen, was man erworben bzw. ausgeliehen und bewahrt hat, aber dennoch gibt es z.B. Diskussionen darüber, ob sich der Erwerb von Objekten kurzzeitigen Publikumsvorlieben und damit dem Ausstellen unterordnen sollte oder gerade nicht. Trotz dieser Unschärfen und Unwägbarkeiten: Die fünf Aufgaben haben sich als Orientierung im Sinne eines zweckmäßigen Ausgangspunkts für weitere Diskussionen erwiesen.

Wir haben angesprochen, was ein Museum gemeinhin ausmacht und welche Kernaufgaben ihm zugeschrieben werden. Im letzten Punkt dieses Abschnitts ergänzen wir, wofür ein Museum symbolisch steht. Joachim Baur (2010) zeigt auf, dass mit Museen ein bemerkenswert weites Spektrum an Assoziationen verbunden werden kann: Dieses reicht von starker Vergangenheits- zu starker Zukunftsorientierung. So kann man das Museum erstens als Mausoleum ansehen – das Gesammelte ist verstaubt, nicht mehr lebendig im Sinne seines vorherigen Kontexts. Man kann es zweitens als Spiegel betrachten, z.B. als vermeintliches Abbild des Vergangenen oder der Nation bzw. Gesellschaft. Wir werden später sehen, dass gerade diese Lesart durchaus skeptisch beurteilt wird, wenn man Ausstellungen so versteht, dass sie stets in einem bestimmten Kontext Deutungen und Positionen transportieren. Drittens gibt es das Bild von Museen als Ort der (Re-)Produktion von Machtverhältnissen, als ›Tempel‹. Darauf kommen wir noch ausführlich zu sprechen. Und viertens schließlich kann das Museum auch als Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen oder sogar als Plattform für gesellschaftliche Veränderungen angesehen werden, wofür u.a. der Begriff des ›Forums‹ steht.

Die einleitende Betrachtung zeigt: Museen sind nicht nur aufgrund der in ihnen ausgestellten Dinge spannend. Sie eröffnen ein weites Feld, was dort stattfinden kann, wofür sie stehen und wie sie mit dem Wandel von Gesellschaften verbunden sind.

2.2Museumswandel...


Erscheint lt. Verlag 9.3.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Bildungsbürger • Erlebnisorientierung • Habitus • Inklusion • Kultur • Macht • Museum • Museumsaufsichten • Privileg • Soziale Schicht • Ungleichheit
ISBN-10 3-593-44839-4 / 3593448394
ISBN-13 978-3-593-44839-8 / 9783593448398
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