Lauf, Wigald, lauf (eBook)
272 Seiten
Gräfe und Unzer (Verlag)
978-3-8464-0895-7 (ISBN)
Hinweis zur Optimierung
Impressum
Ist er verrückt geworden?
Die Kraft der zwei Eier
Schweinehunde schlafen lang
Lauf-Apps: Gorbi ist schuld!
Mit schlohweißen Nasenhaaren fing es an
Trimm-Trab gegen Haarausfall
Milchsäure-Allergie statt Laktose-Intoleranz
Ohrhörer? Ich bevorzuge Nasenhaarschneider
Das Bonbonpapier des Grauens
In eisigen Böen
Stretching und Speicherfett
Hallo-Hallus am Teufelsberg
Laufen und laufen lassen
Marathon: Nur etwas für brägenweiche Monarchisten
Im roten Glitzertanga durch Sibirien
Notfallpläne: Sänfte oder Krankenhausbett?
Fußnägel wie Tropenholz
Auf halbem Weg zu Miss Beschiss
Wacht endlich auf und macht Siesta!
Dumm gelaufen
Noch dümmer gelaufen
K. o. in der ersten, der großen Runde
Ein Besuch in der besseren Zukunft
Nicht schimpfen, ich bin hier auf Arbeit!
Über die Oldenburger Voralpen
Appetit und Absolutismus
Wenn einem so viel Gutes widerfährt …
Unter Autos
Rothöschen und der böse Wolf
Bitte nicht erschrecken, Frau Doktor!
Milch macht müde Marathonis munter
Ein Blindschleichenfilm ist kein Katzenvideo
Freiheit für die großen Onkel!
In Sandalen zum Bergfest
Einem geschenkten Weg schaut man nicht auf die Bankette
Scheitern, aber gescheit
Im Rausch des Meeresrauschen-Lauschens
Die Köter laufen in mir mit
In der Falle
Häuptling von Schwarzindien
Maukometer im Bärenpöter
Hebammenglück
Mein Sohn, der Hase
Blick in den Abgrund
Ohne mich wären SUVs hierzulande völlig unbekannt
»LOL« – Last One Laufing
Hunger nach Steinpilz, Lob und Liebe
Im Fegefeuer des Fersensporns
Crocs auf Tartan
Schmerzensschreie im Polizeigriff
Action Painting ohne Painting
Im emotionalen Marianengraben
Papa will's wissen
Ein Arm- ist kein Beinbruch
Geteert, gefedert und in die Hunte gerollt
Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein sehr langer Lauf für mich
Flüchtig wie ein Luftkuss
Meine Ausrüstung
Nachwort
Gelaufene Marathons
Ist er verrückt geworden?
Uff. Vor mir liegt eine endlose Gerade, ein grob geschotterter Waldweg, dessen Ende in der flirrenden Hitze eines zentnerschwer drückenden Sommertages verschwimmt. Schweiß rinnt mir ins Auge. Ich schnaufe wie eine verrostete Kleinbahn-Lokomotive, doch während auch die mickrigste Lokomotive den vor mir liegenden Anstieg wacker bewältigen würde, setze ich zaghafte Schrittchen, scheine auf der Stelle zu trippeln.
Durst! Gierig stecke ich mir den Schlauch meines Trinkrucksackes in den Mund, beiße auf das Mundstück und sauge. Ich zwinge einige wenige Resttropfen aus der Blase, dann ist Ebbe.
Das hat mir gerade noch gefehlt! Jetzt würde ich sie alle gerne verfluchen: den leeren, nichtsdestotrotz beschwerlichen Rucksack, den öden Weg, die unbarmherzige Hitze, mich und mein bescheuertes Unterfangen – aber zum herzhaften Fluchen bin ich zu schwach.
Stattdessen stelle ich mir bange Fragen: Was laufe, ach was, stolpere ich hier so buchstäblich halbgar durch die Gegend? Welcher Teufel ritt mich, als ich mir vornahm, im Jahr 2021 meinen sportlichen Lebenshöhepunkt zu, nun ja, zu feiern, und ausnahmslos jede Woche einen Marathon zu absolvieren? Am Stück natürlich, komme, was wolle? Geltungsbedürfnis, blanke Angeberei? Bittere Frucht einer späten Midlife-Crisis? So eine Art asexueller Masochismus, Flucht vor Was-weiß-ich oder ganz schlicht: Blödheit?
Nein, natürlich weiß ich noch genau, wie es dazu kam: Am Anfang war Corona.
Meine Frau Teresa und ich kümmerten uns in unserer Münchener Wohnung um unsere Kinder Theodor (2) und Mathilda (1), nachdem die meisten unserer Auftritte abgesagt worden waren. Teresa ist von Beruf Opernsängerin, Koloratursopran, allerdings nicht mit Festanstellung, sondern freiberuflich – in der Pandemie nicht eben von Vorteil.
Ich schrieb nebenbei eine Art Corona-Tagebuch und stellte es ins Internet, was Tag für Tag kontroverse Diskussionen auslöste. Mal brachte ich Hygiene-Jakobiner, mal Querdenker gegen mich auf. Ansonsten drehte ich ab und an eine Runde auf dem Rennrad, hielt mich emsig an alle AHA-Regeln und schnabulierte nicht weniger emsig – eine Pandemiebewältigungstaktik, der ich mich in jenen Tagen nicht ganz allein zu bedienen schien.
Natürlich weiß ich nur zu gut, dass es sich bei der melonenhaften Wölbung, die meine Körpermitte ziert, nicht ausschließlich um Corona-Speck handelt. Und auch nicht um Muskelmasse oder um einen Blähbauch, wie ich mir schon manches Mal einzureden versuchte.
Die Wölbung entstand im Laufe der letzten zehn Jahre. Sie mag mit der Verlangsamung der Stoffwechselprozesse bei Herren in ihren besten Jahren zusammenhängen, lässt sich aber wesentlich einfacher mit einem einzigen Wort erklären: Happa-Happa.
Ich esse einfach furchtbar gerne, ob mit Lockdown oder ohne, und ich bin nicht sonderlich wählerisch bei der Auswahl meiner Lebensmittel. Ja, ich genieße es, hochwertige Kraftstoffe zu tanken, gerne auch vegan. Aber wenn nichts anderes da ist, pfeife ich mir auch schon mal ein Paket Nürnberger Bratwürste rein, um anschließend den Abend mit einer Familienpackung Speiseeis zu krönen.
Im Frühsommer 2020 jedenfalls stand ich bestens im Futter, und ich hielt eine Extraportion Leibesübung für angezeigt. Im Sommer gesellte sich zur Suche nach einem geeigneten sportlichen Ziel eine gewisse Unlust, mich weiterhin nahezu ausschließlich mit dem leidigen Covid-19-Thema zu beschäftigen, zumal mir als tendenziell eher harmoniebedürftigem Zeitgenossen das Remmidemmi der sozialen Netzwerke regelmäßig die Laune verhagelt.
Klarer Fall: Ein sportliches Vorhaben musste her, wenigstens ein großer Vorsatz, der mich eine Weile beflügeln könnte. Über Sinn und Unsinn körperlicher Betätigung an der frischen Luft gibt es nichts zu streiten, nicht einmal bei Facebook und Co – dachte ich jedenfalls damals.
Mitte August 2020, ich zeichnete gerade für Sat.1 mit Hugo Egon Balder und Hella von Sinnen die letzten »Genial daneben«-Folgen in Köln auf, begann ich einen sogenannten »Streak«.
»Streak« kommt aus dem Englischen, heißt »Strähne« und bezeichnet eine spezielle Form des Dauerlaufs, nämlich: Man läuft ausnahmslos jeden Tag, wobei die Länge der Laufstrecke nicht entscheidend ist. Nach dem Reglement der »United States Running Streak Association« reicht eine einzige gelaufene Meile pro Tag aus, um einen Streak fortzuführen, also schlappe 1,61 Kilometer.
Klingt machbar, ist jedoch in der Realität gar nicht ohne – doch dazu später mehr.
In diesem Sommer jedenfalls lief ich morgens die acht Kilometer vom Savoy Hotel am Kölner Hauptbahnhof zum Fernsehstudio in Köln-Ossendorf, manchmal auch wieder abends zurück. Einmal pro Woche verlängerte ich die Strecke, und an manchen Tagen beließ ich es bei drei, vier Erholungskilometern. Hella und Hugo, meine alten Weggefährten, konnte ich mit meinem Steckenpferd nicht schocken, sie wissen um meine Sport-Obsession. Anstecken konnte ich sie mit meinem Fimmel nie. Wenn das Thema aufs Laufen kommt, kramt Hugo immer gerne seinen liebsten Jogging-Witz hervor, und der geht so: »Marathon? Bin ich auch schon gelaufen. In Frankfurt. Mit zwei Übernachtungen.«
Die Kraft der zwei Eier
Ich bin, wie gesagt, kein Sportmuffel, noch nie gewesen. Womöglich liegt der Drang nach regelmäßiger Bewegung in meiner Familie: Viele meiner Vorfahren waren kleine Moorbauern, sogenannte Köter, und nicht wenige starben mit 40 an Altersschwäche.
Mein Opa Georg war Eierhändler in der niedersächsischen Kleinstadt Wildeshausen und klapperte allmorgendlich mit einem Handwagen die Bauernhöfe in der Umgegend ab, um seine Ware einzusammeln. In Wildeshausen scherzte man, er habe mit zwei Eiern angefangen und daraus ein Imperium gemacht. Ihre Söhne zog das Eierhändler-Ehepaar Boning vornehmlich mit sogenanntem Knick-Ei groß – das waren jene Eier, die etwa den Handwagen-Transport nicht heil überstanden.
Einer dieser Söhne ist mein Papa Heinrich, mittlerweile pensionierter Bankkaufmann, 50 Jahre lang Richter der Wildeshauser Schützengilde (auch dazu später mehr) und ein unerschrockener Kritiker aller neumodischen Irrwege, nicht zuletzt des übertriebenen Sportelns und der häufig damit einhergehenden ausgewogenen Ernährung.
Die Tradition des abundanten Eierkonsums wurde von ihm an mich weitergegeben; meine Cholesterin-Werte jagen meinen Hausärzten seit Jahrzehnten kalte Schauer über den Rücken, aber immerhin stelle ich diesem Gesundheitsminus lebenslang ein Plus in Form ausgiebiger Spaziergänge, Wanderungen und Dauerläufe entgegen.
Als Jugendlicher war ich ein begeisterter Leichtathlet. Ich brachte es immerhin zum letzten Platz der Niedersächsischen Landesmeisterschaften im Diskuswurf der Schüler-A (drei Fehlversuche), entdeckte als junger Twen das Bergwandern für mich und lief mit 33 meinen ersten Marathon, in Winterthur.
Zu den größten Siegen meines Lebens gehört es, die Durchschnittlichkeit meines Talents akzeptiert zu haben und mich nicht von der Tatsache entmutigen zu lassen, dass ich mit der Weltspitze nichts, aber auch gar nichts zu tun habe. Selbst bei Feld-Wald-und-Wiesenläufen auf Kreisebene lande ich eher im hinteren Mittelfeld, und ich habe gelernt, meine Mittelmäßigkeit zu genießen. Ankommen ist alles!
Ich bin 100 Kilometer in Biel gelaufen, habe gemeinsam mit meinem Freund Hannes Skilanglauf-Veranstaltungen organisiert (»Ski Heul!«), darunter ein 24-Stunden-Rennen mit beeindruckenden vier Teilnehmern (einer davon war ich), bin mit Freunden in 58 Stunden 1000 Kilometer von Füssen nach Rom geradelt, habe bei einem 24-Stunden-Schwimmen im Hallenbad Haar bei München 28 Kilometer zurückgelegt und im darauffolgenden Sommer den Bodensee durchschwommen, von Friedrichshafen nach Romanshorn, in der langsamsten Zeit, die je für einen offiziellen Bodensee-Durchquerer registriert wurde: sieben Stunden und 24 Minuten, was mir in der Ultraweitschwimmer-Szene den Ehrentitel »Weltmeister im Langsamschwimmen« einbrachte.
Kurzum: Dass ich einer der größten Sportler aller Zeiten bin, habe ich mir bereits hinlänglich bewiesen. Ich könnte mich getrost in einen Ohrensessel fläzen, meinem Bauch beim Wachsen zuschauen und ansonsten zufrieden vor mich hin verwittern.
Warum also ackere ich mich hier in Zeitlupe den Waldweg hinauf, mit leerer Trinkblase und staubtrockenem Mund? Ich bin bei Kilometer 36, noch sechs Kilometer bis zum Eigenheim, in dem meine Frau Teresa und die Kinder auf mich warten.
Aus dem Weg, es naht eine verrostete Kleinbahn-Lokomotive!
Die Luft vor mir flirrt wie in einem Italo-Western, von Ferne meine ich die Mundharmonika aus »Spiel mir das Lied vom Tod« zu hören, und in diesem Moment halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass auch mein Gesichtsausdruck dem eines sehr schlecht gelaunten Klaus Kinski als Sombrero tragendem Bösewicht ähnelt.
Mein Magen knurrt tonlos. Zwar habe ich nur spärlich gefrühstückt und Hunger wäre angezeigt, aber ich bin bereits zu schlapp, um diesen zu verspüren und mir etwas Essbares in den Mund zu stecken. Wasser wäre eh dringender, aber da ist keine Tränke, kein Bächlein, keine Pfütze weit und breit. Meine Beine fühlen sich an wie mit Waschbeton ausgegossene Ofenrohre, mein Kopf hingegen macht einen eher leeren Eindruck: Keinen Gedanken...
Erscheint lt. Verlag | 2.4.2022 |
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Reihe/Serie | Edition Humor | Edition Humor |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
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ISBN-10 | 3-8464-0895-6 / 3846408956 |
ISBN-13 | 978-3-8464-0895-7 / 9783846408957 |
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