Inklusive Sprachförderung in der Grundschule (eBook)

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2020 | 2. Auflage
151 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-5511-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Inklusive Sprachförderung in der Grundschule -  Jörg Mußmann
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In der inklusiven Schule gilt es, Sprachförderung für Schüler:innen mit Unterstützungsbedarf in den gemeinsamen Unterricht zu integrieren. Dieses Lehrbuch bietet Grundlagen sowie Didaktik und Methodik der inklusiven Sprachförderung, außerdem Hinweise zur Kooperation im Lehrerteam und zur Beratung von Eltern. Auf die Situation von mehrsprachigen Schüler:innen wird eigens eingegangen. Viele Fallbeispiele und Merksätze zum sprachfördernden Unterricht für Schüler:innen mit spezifischen Entwicklungsstörungen erleichtern den Theorie-Praxis Transfer. Ein gut strukturierter Überblick zum Thema Sprachförderung für Studierende des Lehramts an Grundschulen und der Sonderpädagogik! utb+: Leser:innen erhalten zusätzlich zum Buch Checklisten, Arbeitshilfen und Vertiefungsthemen als digitales Bonusmaterial, um das erlernte Wissen zu vertiefen und praxisnah anzuwenden. Erhältlich über utb.de.

Dr. Jörg Mußmann ist Professor für Inklusive Pädagogik und sprachliche Bildung/Förderung an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich.

Dr. Jörg Mußmann ist Professor für Inklusive Pädagogik und sprachliche Bildung/Förderung an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich.

Geleitwort von Gottfried Biewer8
Vorwort zur 2. Auflage10
1 Spezifische Sprachförderung im inklusiven Unterricht13
1.1 Förderschwerpunkt Sprache im inklusiven System13
1.2 Das Problem inklusiver Pädagogik und exklusiver Sprachförderung18
1.3 Grenzen der Inklusion im Bildungssystem21
2 Sprache als Medium des schulischen Lernens und sozialen Handelns27
2.1 Bedingungen des Erstspracherwerbs28
2.2 Bedingungen des Zweitspracherwerbs35
2.3 Ablauf und Meilensteine im Sprachlernprozess37
2.4 Störungen und Verzögerungen im Erstspracherwerb44
2.4.1 Spezifische Störungen der Sprachentwicklung46
2.4.2 Störungen der Rede- und Kommunikationsfähigkeit47
2.4.3 Organisch bedingte Sprach-, Sprech-und Stimmstörungen52
3 Handlungsfelder mit dem Förderschwerpunkt Sprache in inklusiven Settings60
3.1 Unterrichtsintegrierte Sprachförderung 69
3.1.1 Allgemeine Prinzipien und Methoden71
3.1.2 Spezifische Interventionsformen73
3.2 Beratung und Kooperation75
3.2.1 Elternberatung und Elternpartizipation78
3.2.2 Beratung und Kooperation mit Regelschullehrkräften89
3.2.3 Ziel und Funktion der Beratung94
3.2.4 Formen der Beratung und Kooperation95
3.2.5 Kollegiale Fallberatung103
3.2.6 Unterrichtsreflexion und Unterrichtsanalyse104
3.2.7 Kriterien für die Unterrichtsreflexion mit dem Förderschwerpunkt Sprache110
4 Didaktik für einen sprach- und kommunikationsfördernden Unterricht114
4.1 Setting für einen sprach- und kommunikationsfördernden Unterricht114
4.2 Planungsmodell für einen sprach- und kommunikationsfördernden Unterricht116
4.3 Sprachliche Barrieren119
4.3.1 Sprachliche Barrieren aus sprachheilpädagogischer Sicht119
4.3.2 Beispiele sprachlicher Barrieren121
4.4 Medien124
4.5 Sprach- und kommunikationsfördernde Unterrichtsformen126
4.5.1 Offene Unterrichtsformen126
4.5.2 Geschlossene Unterrichtsformen127
4.6 Lehrersprache127
4.6.1 Prosodische Aspekte 127
4.6.2 Lob128
4.6.3 Nonverbale Aspekte129
4.7 Sprachspezifische Strategien130
4.7.1 Sprachliches Modellieren130
4.7.2 Kognitives Modellieren: "Lautes Denken131
4.7.3 Reflexionsorientierte Strategien131
5 Zusammenfassung und Ausblick135
Literatur138
Sachregister149

2 Sprache als Medium des schulischen Lernens und sozialen Handelns

Sprache ist nicht Kommunikation

In Kapitel 1.1 wurde erläutert, dass die Sprache das symbolische und formal-strukturelle Mittel ist für die absichtsvolle, partner-orientierte Interaktion. Sprache ist damit auch das Medium individueller Lernprozesse, die in der Unterrichtskommunikation initiiert, gelenkt und reflektiert werden. Sprache und Kommunikation sind aber zwei unterschiedliche Aspekte ein und desselben Phänomens. Die mangelnde Unterscheidung in der schulischen Praxis führt daher oftmals zu ungenauen oder falschen Einschätzungen der verbalen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler mit spezifischen Entwicklungsstörungen.

Wenn Kinder erfolgreich kommunizieren, also Wünsche und Gedanken ausdrücken und gemeinsames Handeln planen und beschreiben können, ist diese Leistung noch nicht gleichbedeutend mit formal-sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten (Kany/Schöler 2010, 14).

Einige Schüler haben Schwierigkeiten bei der Produktion und Unterscheidung einzelner Laute, mit der regelgerechten Wortstellung oder -form im Satz, mit dem Redetempo oder der Stimme (→ Kapitel 2.2), und können deshalb spezifische Hilfen im Unterricht beanspruchen. Angepasste Lernangebote müssen die Schüler, ggf. mit individueller Unterstützung, herausfordern und neue, sprachliche Lernprozesse in Gang setzen.

Kompensationsund Vermeidungsstrategien

Oftmals haben diese Schüler gelernt, ihre sprachspezifischen Probleme durch nonverbale Ausdruckweisen und Strategien zu kompensieren oder sprachliche Anforderungssituationen zu vermeiden. Die notwendige Unterscheidung zwischen den sprachspezifischen Leistungen und den nonverbalen, kommunikativen Fertigkeiten, die trotzdem erfolgreich umgesetzt werden können, wird „häufig nicht ausreichend gewürdigt, das erfolgreich kommunizierende Kind wird als sprachunauffällig […] betrachtet“ (Kany/Schöler 2010, 15). Ein grundlegendes Wissen über den Aufbau der Sprachstrukturen (→ Kapitel 1.1), die Bedingungen des Erwerbs (→ Kapitel 2.1) und die Phänomene möglicher Sprachstörungen (→ Kapitel 2.4) ist daher bei allen beteiligten pädagogischen Fachkräften notwendig oder sollte in kollegialen Beratungssituation durch den Sonderpädagogen mit dem Förderschwerpunkt Sprache vorbereitet werden.

2.1 Bedingungen des Erstspracherwerbs

Für die Entwicklung der Fähigkeiten und den Erwerb der Fertigkeiten zum sprachlichen Handeln sind organische (Hörfähigkeit und Sprechapparat), neurologische, psychische und soziale Bedingungen gleichermaßen notwendig. Basale, kognitive Entwicklungsschritte bilden einen Teil der Voraussetzungen. Es sind Bewusstsein von der Welt, über die gesprochen wird, Wissen von der Perspektive des Anderen (vgl. Astington 2006), aber auch ein inneres Motiv notwendig, um mit einem und für einen anderen Sprache zu benutzen. Ebenso sind soziale Bedingungen erforderlich, nämlich ein gemeinsamer Gegenstand oder ein Thema sowie ein gemeinsames Medium der Kommunikation, also ein verbindliches und einheitliches Zeichensystem (z. B. Deutsch, Gebärdensprache etc.), das trotz aller Varietäten, Dialekte und Soziolekte benutzt werden kann (→ Abbildung 4; Kapitel 1.1).

Abb. 4: Bedingungen und Voraussetzungen des Sprachlernprozesses

Feld der HNO-Kunde, Phoniatrie und Logopädie

Das Feld der anatomischen und organischen Bedingungen des Spracherwerbs, des Sprachgebrauches und der Lautbildung im Speziellen ist sehr detailliert und wird in den medizinischen Fächern der Hals-Nasen-Ohren-(HNO)-Kunde, Phoniatrie und Logopädie vertieft. In der Praxis sind es oft Logopäden und Sprachtherapeuten, die mithilfe störungsspezifischer Techniken und funktioneller Methoden Muskelfunktionen der Sprechwerkzeuge anbahnen, z. B. nach der operativen Schließung von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, oder sprachliche Fähigkeiten und Sprechfertigkeiten wiederherstellen, die nach Gehirnverletzungen auftreten können.

sprachheilpädagogische Beratung in der Grundschule

Organische Bedingungen und Muskelfunktion im Mundbereich (orofaziales System) bestimmen die artikulatorischen Fähigkeiten des Kindes im Spracherwerb. Auffälligkeiten müssen von Logopäden klinisch-diagnostisch abgeklärt werden. Im inklusiven Unterricht sollen pädagogische Sprachexperten diese klinischen Diagnosen für den Unterricht brauchbar machen und Grundschullehrkräfte über diese Aspekte informieren, um sprachliche und kommunikative Anforderungen entsprechend anzupassen.

Das Online-Material 1 liefert einen Überblick über die neurologischen und anatomischen Bedingungen, die für die Entwicklung der Fähigkeiten und den Erwerb der Fertigkeiten zu sprachlichem Handeln notwendig sind.

Pétursson, M., Neppert, J. M.H. (2002): Elementarbuch der Phonetik. 3., durchges. u. bearb. Aufl. Buske, Hamburg

Deckert, P. M. (2007): Anatomie der Sprache, Stimme und Atmung: Ein Arbeitsbuch für Studierende der Logopädie, Sprachheilpädagogik und Stimm- und Atemtherapie. 4., überarb. u. erw. Aufl. Lehmanns Media, Berlin

Hartje, W., Poeck, K. (Hrsg.) (2006): Klinische Neuropsychologie. 6. Aufl. Thieme, Stuttgart

Wendler, J. (2005): Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie. 4., vollst. überarb. Aufl. Thieme, Stuttgart

Unterricht als sprachliche Entwicklungsförderung

Der inklusive Unterricht kann aber auch planvoll und zielgerichtet unmittelbar soziale Bedingungen und kognitive Anforderungen schaffen, die die weitere sprachlich-kommunikative Entwicklung der Schüler fördert und Kinder mit sprachlichen Entwicklungsbeeinträchtigungen direkt und indirekt unterstützt. Dazu sind Kenntnisse über die entwicklungsförderlichen Bedingungen der Lernprozesse der Erst- und Zweitsprache notwendig.

Definition:

Mit dem Begriff der Sprachentwicklung wird die Auffassung verbunden, dass sich die sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ähnlich wie das Nervensystem auf der Grundlage eines vorbestimmenden genetischen Programms entfalten.

Der Begriff des Spracherwerbs dagegen betont die Rolle der sozialen und sprachlichen Umwelt, in der das Kind durch das dargebotene Sprachangebot Erfahrungen macht und in der aktiven Auseinandersetzung mit sprachlichen und kommunikativen Anforderungen die Fertigkeit erwirbt, die Muttersprache zu sprechen.

Die Bezeichnung Sprachlernprozess verdeutlicht, dass dieser Vorgang anderen zu lernenden Fertigkeiten gleicht. „Das Kind eignet sich die Sprache wie andere, beispielsweise soziokulturelle Fähigkeiten und Fertigkeiten an“ (Kany/ Schöler 2010, 16).

Bei der Klärung der Frage, wie das Kind zur Sprache kommt, werden häufig unterschiedliche Begriffe benutzt, um diesen Vorgang zu umschreiben. Die Begriffe ‚Sprachentwicklung‘‚ ‚Sprachlernprozesse’ oder ‚Spracherwerb’ werden mal gleichgesetzt, mal werden damit unterschiedliche theoretische Ansätze verbunden, die das Verhältnis von biologisch-genetischer Ausstattung und sozialer Umwelt und Erfahrung unterschiedlich gewichten.

Die Positionen, die den sprachlichen Entwicklungsprozess als Entfaltung grundsätzlich angeborener Fähigkeiten und Fertigkeiten auffassen, werden in der Literatur häufig als nativistische Ansätze zusammengefasst. Diese Inside-out-Theorie basiert auf dem Argument der sogenannten Inputarmut (Poverty of the Stimulus-Argument, POSA), das davon ausgeht, dass die sprachlichen Informationen, die einem Kleinkind zugänglich sind, nicht ausreichen, um die relativ schnelle Entwicklung sprachlicher, insbesondere grammatischer Fähigkeiten zu erklären (Chomsky 1999, 33–54).

Spracherwerbsmechanismus

Der wohl bekannteste Vertreter dieser Auffassung ist der Linguist Noam Chomsky (2002), der auf dieser Grundlage das Modell des Language Acquistion Device (LAD) entwickelte, das ein erblich bedingtes Vorwissen sprachlicher Universalien (Universalgrammatik, UG) voraussetzt.

Bei den nativistischen Positionen kommt dem Input die Rolle des Auslösers (Trigger) zu, der die biologisch vorbestimmte Entwicklung grammatischer Fähigkeiten von innen nach außen zur Entfaltung bringt.

Outside-in-Theorie

Dem gegenüber betonen interaktionale und auch einige kognitionsorientierte Ansätze als Outside-in-Theorien die Bedeutung der sozialen Lern- und Entwicklungsbedingungen für den Spracherwerbsprozess sowie die unmittelbare Anbindung an die individuelle kognitive Entwicklung des Kindes.

Aus kognitiver Sicht wird der Sprachlernprozess in enger Wechselwirkung mit der Denkentwicklung betrachtet.

Piaget geht davon aus, dass

„[…] das Denken dem Sprechen vorausgeht und daß dieses sich darauf beschränkt, es tiefgreifend umzugestalten, indem es ihm hilft, seine Gleichgewichtsformen durch bessere Schematisierung und mobilere Abstraktion zu erreichen“ (Piaget 1982, 173).

Interaktion

Während die kognitive Perspektive bei der Herausbildung innerer, geistiger Prozesse als Voraussetzung für das Sprachlernen primär die Erfahrung mit der sozialen und gegenständlichen Umwelt des Kindes betont, spielen bei der interaktionalen Sichtweise – insbesondere nach Bruner (2002) – die nächsten Bezugspersonen des Kindes eine entscheidende Rolle. Indem sie sich sprachlich dem kindlichen Entwicklungsstand anpassen, aber dennoch immer auf einem höheren und damit für das Kind herausfordernden Niveau bewegen, wird das Kind...

Erscheint lt. Verlag 23.11.2020
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Schulpädagogik / Grundschule
Schlagworte Beratung • Entwicklung • Entwicklungsstörung • Entwicklungsstörungen • Erstspracherwerbe • Förderung • Grundschule • Inklusion • inklusiver Unterricht • Inklusive Sprachförderung • Lehramt Deutsch • Lehrbuch • Lehre • Mehrsprachigkeit • Schulisches Lernen • Sonderpädagogik • Sprachbarriere • Sprachentwicklung • Sprachförderung • Sprachstörung • Sprechstörung • Stimmstörung • Unterricht • Zweitspracherwerb
ISBN-10 3-8463-5511-9 / 3846355119
ISBN-13 978-3-8463-5511-4 / 9783846355114
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