Antifa (eBook)
208 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76098-3 (ISBN)
Die Antifa polarisiert. Für die einen leistet sie einen wichtigen Beitrag gegen Rechtsextremismus, für andere ist sie aufgrund ihrer Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols eine Gefährdung der Demokratie von links. Was sind die zentralen Kennzeichen dieser linksradikalen Bewegung? Richard Rohrmoser zeichnet in seinem Buch erstmals die historische Entwicklung der vielschichtigen antifaschistischen Bewegung seit ihren Anfängen nach und skizziert das Spannungsfeld zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und radikaler Gewaltbereitschaft, in dem sie sich heute befindet.
- Zur Geschichte einer politischen Bewegung, die bis in die 1920er Jahre zurückreicht
- Die Antifa polarisiert: Gefährdung der Demokratie oder notwendige zivilgesellschaftliche Bewegung?
Richard Rohrmoser ist promovierter Zeithistoriker. Er beschäftigt sich mit Protestgeschichte, sozialen Bewegungen sowie historischer Friedens- und Konfliktforschung.
1. Der Entstehungskontext der ‹Antifaschistischen Aktion›
Der Erste Weltkrieg gilt als die ‹Urkatastrophe› des 20. Jahrhunderts, dessen Vermächtnis ein von totalitären Ideologien bestimmtes ‹Zeitalter der Extreme›[1] mit einem noch blutigeren Zweiten Weltkrieg war. Dabei wird die nationalistische Stimmung im Deutschen Kaiserreich zu Beginn des Ersten Weltkrieges oft als ‹begeistert› oder ‹euphorisch› beschrieben. Der Schriftsteller Ernst Jünger, der selbst im ‹Großen Krieg› kämpfte, erklärte voller Enthusiasmus: «Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch.»[2] Sein Schriftstellerkollege und späterer Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann teilte diese Begeisterung. In seinem Essay Gedanken im Kriege vom Herbst 1914 erklärte er: «Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte! Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden.» [3]
Die initiale Kriegseuphorie war jedoch nur von kurzer Dauer. Es folgten riesige Materialschlachten, kollektives Töten durch technisierte Mordlust, verlustreiche Stellungskriege und sinnloses Massensterben wie in Verdun. Im Deutschen Kaiserreich verhängten die Militärbefehlshaber in jeder deutschen Provinz den Belagerungszustand und griffen dadurch in alle Bereiche des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens ein. Dieser von der gemeingültigen Rechtslage abweichende Ausnahmezustand sollte zum einen die Produktion auch während des Krieges aufrechterhalten beziehungsweise erhöhen und zum anderen militärische Wertvorstellungen in der Öffentlichkeit stärken. Um die Rüstungsindustrie zu fördern und Streiks und Unruhen zu unterbinden, kam es zu Beginn des Ersten Weltkrieges außerdem zur Außerkraftsetzung vieler bisheriger Errungenschaften im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitszeitlimitierung.
Schließlich hatte der Kriegsausbruch auch signifikante Veränderungen bei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Folge: Ende Juli 1914 sprach sich die SPD noch für einen «flammenden Protest gegen das verbrecherische Treiben der Kriegshetzer» aus, rief zu einer sozialdemokratischen Straßendemonstration mit zwanzig- bis dreißigtausend Menschen gegen den Krieg auf und demonstrierte mit roten Fahnen ihre revolutionäre Gesinnung auf Massenkundgebungen.[4] Doch nur einige Tage später ereignete sich im Reichstag etwas bis dato Unvorstellbares: Die sozialdemokratische Parlamentsfraktion bewilligte mit 96 zu 14 Stimmen die zur Kriegsführung benötigten Kredite und unterstützte auch in den kommenden Jahren größtenteils die obrigkeitsstaatliche Politik unter Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, indem sie auf Lohnforderungen und Streikmaßnahmen verzichtete und stattdessen mit staatlichen Stellen und Unternehmen zusammenarbeitete.[5] Dieses als ‹Burgfriedenspolitik› bezeichnete Zurückstellen innenpolitischer und wirtschaftlicher Konflikte während des Ersten Weltkrieges begründete die SPD mit der berühmten Erklärung: «Wir lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich.»[6] Kaiser Wilhelm II. hatte bereits zuvor den ebenso berühmten Spruch proklamiert: «Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.»[7]
Die (Mehrheits-)SPD verbündete sich demnach mit nationalistischen und reaktionären Kräften, enthielt sich fortan der Anti-Kriegstätigkeiten und entwickelte sich zu einem elementaren Bestandteil der deutschen politischen Kriegsmaschinerie. Der linke Parteiflügel, der nach wie vor an den alten revolutionären Zielen festhielt, war von der Bewilligung der Kriegskredite erschüttert, distanzierte sich von dem Burgfrieden im Kaiserreich und spaltete sich im Laufe des Krieges zunehmend ab. Seit 1917 gab es schließlich zwei sozialdemokratische Parteien: Zum einen war dies die kriegs- und staatsloyale Sozialdemokratie, die sich fortan MSPD (Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands) nannte, zum anderen die neu entstandene USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands), die eine strikt pazifistische und teilweise weiterhin revolutionäre Gesinnung vertrat. Als linker Flügel der Partei schloss sich ihr 1917 auch der marxistisch-sozialistische ‹Spartakusbund› um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an.
Neben den Konflikten innerhalb der traditionellen Arbeiter*innen-Partei SPD und in den Gewerkschaften verschärften sich die Spannungen im Gesellschaftsgefüge in diesen Jahren weiter: Durch den Ersten Weltkrieg stiegen Not und Elend an, aufgrund der sich stetig verschlechternden Versorgungslage machte sich Desillusionierung breit und die Bevölkerung verlor zunehmend Vertrauen in die alten obrigkeitsstaatlichen Autoritäten und in die Militärdiktatur im Inneren des Landes.[8] Die Kriegsmüdigkeit der Soldaten und die Friedenssehnsucht der Zivilist*innen verstärkten sich wechselseitig und die im Februar 1917 einsetzende Russische Revolution verlieh einer (Antikriegs-)Protestbewegung zusätzlich starken Auftrieb, sodass im April die Metallarbeiter in Berlin, Leipzig und in einigen weiteren Städten erstmals ihre Arbeit niederlegten.[9] Ebenso wie eine Meuterei in der deutschen Flotte im August 1917 hatte diese Streikbewegung zunächst keine weitere Durchschlagskraft. Einen entscheidenden Impuls lieferte jedoch die erfolgreiche Oktoberrevolution in Russland, im Zuge derer die kommunistischen Bolschewiki unter der Führung Lenins das alte Zarenreich beseitigten und die Macht übernahmen. In Deutschland entstand alsbald eine politische Oppositionsbewegung, die den Lauf der Geschichte später entscheidend beeinflusste.
Der Erste Weltkrieg und die Novemberrevolution von 1918/19
Zu Beginn des Jahres 1918 schien die Lage des Deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg noch aussichtsreich zu sein: Am 3. März 1918 kam es mit dem inzwischen bolschewistischen Russland zum Friedensschluss von Brest-Litowsk. Insofern konnte das Kaiserreich die Kämpfe an der Ostfront einstellen und sich auf den Krieg im Westen konzentrieren, wo es im Frühjahr tatsächlich zwischenzeitig einige Erfolge verbuchte. Im Sommer 1918 überschlugen sich jedoch die Ereignisse: Im Westen starteten die Alliierten eine Offensive nach der anderen und revidierten die Gewinne der deutschen Frühjahresoffensiven; ferner brachen die Verbündeten, Österreich ebenso wie Bulgarien, zusammen.[10] Spätestens im September 1918 war im Deutschen Kaiserreich klar: Der Krieg war verloren.
Die ‹Oberste Heeresleitung› (OHL) als strategisch-operative Leitung über die aktiven Truppenteile des deutschen Heeres während des Ersten Weltkrieges entwarf darauf den perfiden Plan, die bevorstehende Niederlage auf die Parteien des Reichstages, insbesondere auf die Sozialdemokrat*innen, abzuwälzen. Dazu forderten Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff die Bildung einer von der SPD unterstützten parlamentarischen Reichsregierung, die schließlich die Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten führen sollte. Durch dieses Strategem wollten sich die reaktionären Generäle, welche die deutschen Streitkräfte und die Produktionskapazitäten der deutschen Kriegswirtschaft komplett überschätzt hatten, der Verantwortung entziehen und diese vor allem auf die SPD abschieben. Es war die Geburtsstunde der sogenannten ‹Dolchstoßlegende›, wonach die Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches vor allem bei den oppositionellen Zivilist*innen in der Heimat lag: Sozialist*innen und Sozialdemokrat*innen hätten dem deutschen Heer einen Dolch in den Rücken gestoßen.
Während der Reichstag Ende Oktober 1918 über die Einführung einer parlamentarischen Demokratie beriet, bereitete die Seekriegsleitung eine Attacke auf die britische Flotte vor, ohne darüber die Reichsregierung zu informieren. An dem Befehl, in einem letzten Gefecht einen ‹ehrenvollen Untergang› zu erleben, entzündete sich jedoch der revolutionäre Funke: Es folgte ein Matrosenaufstand, der sich rasch über ganz Deutschland ausweitete. Arbeiter*innen- und Soldatenräte ergriffen die Macht und die beiden sozialdemokratischen Parteien (MSPD & USPD) setzten sich in vielen deutschen Städten an die Spitze der Rätebewegung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die revolutionäre Bewegung Berlin erfasste. Ab dem 9. November 1918 erreichten die Ereignisse schließlich ihren Höhepunkt: Zunächst verkündete der Reichskanzler Max von Baden eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II., worauf...
Erscheint lt. Verlag | 26.1.2022 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback | Beck Paperback |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Aktivismus • Antifa • Antifaschismus • Deutschland • Faschismus • Geschichte • Gewalt • Gewaltbereitschaft • Italien • Kommunismus • Linksextremismus • Linksradikalismus • Nationalsozialismus • Neonazismus • Opferverbände • Politik • Rechtsextremismus • Zivilgesellschaft |
ISBN-10 | 3-406-76098-8 / 3406760988 |
ISBN-13 | 978-3-406-76098-3 / 9783406760983 |
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