Wie ich das chinesische Lager überlebt habe (eBook)

Der erste Bericht einer Uigurin
eBook Download: EPUB
2022
259 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2972-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie ich das chinesische Lager überlebt habe - Gulbahar Haitiwaji, Rozenn Morgat
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Seit Jahren lebt Gulbahar Haitiwaji mit ihrem Mann und ihren Töchtern in Frankreich. Bis die chinesische Regierung sie auffordert, aus administrativen Gründen nach Xinjiang zu kommen. Gulbahar Haitiwaji bucht eine zweiwöchige Reise und kehrt drei Jahre später zurück. Sie ertrug Verhöre, Folter, Hunger und kafkaeske Zersetzungsmethoden. Weil eine der Töchter an einer uigurischen Versammlung in Paris teilgenommen hatte.

Seit 2017 wurden mehr als eine Million Uigurinnen und Uiguren in Umerziehungslager gesperrt. Gulbahar Haitiwaji ist die Erste, die darüber berichten kann, weil sie wieder in Frankreich lebt. Ihr Buch ist ein mutiger Appell an die internationale Gemeinschaft, diesen Völkermord nicht mehr zu dulden.

Gulbahar Haitiwaji wurde 1966 in Nordchina geboren und arbeitete mit ihrem Mann als Ingenieurin in Xinjiang. Als sich die Lage für die Uiguren dort zuspitze emigrierte die Familie 2006 nach Frankreich. 2016 wurde Gulbahar Haitiwaji von den chinesischen Behörden nach Xinjiang zitiert und verbrachte drei Jahre in den Umerziehungslagern. Mit der „Figaro“-Journalistin Rozenn Morgat hat sie über ihre Haft gesprochen. Daraus ist dieses Buch entstanden, das sofort zum internationalen Bestseller wurde.

Uta Rüenauver, geboren 1964 in Düsseldorf, hat Germanistik, Romanistik und Philosophie in Berlin und Dijon studiert. Sie arbeitet als Lektorin sowie als Feature- und Essay-Autorin für den Rundfunk. Aus dem Französischen übersetzt sie vor allem für ›Le Monde diplomatique‹.

Claudia Steinitz wurde 1961 in Berlin geboren, studierte Romanistik und übersetzt seit 30 Jahren französischsprachige Literatur u.a. von Albertine Sarrazin, Virginie Despentes und bisher zehn Romane von Véronique Olmi. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Gesine Schwan, Jahrgang 1943, war Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und Präsidentin der HumboldtViadrina School of Governance. Sie kandidierte für das Amt der Bundespräsidentin und ist seit 2014 Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD.

»Ein Aufsehen erregendes Zeugnis.« Der Tagesspiegel

»Dieser Bericht der Uigurin Gulbahar Haitiwaji ist ein zu Herzen gehendes, ein kostbares und ein aufschlussreiches Dokument, dem eine breite Aufmerksamkeit zu wünschen ist.« GESINE SCHWAN

»Es ist ein schockierender Bericht über Chinas brutale Willkür gegen die Uiguren in der Region Xinjiang – und ein wichtiger Beleg für ein Verbrechen, das das US Außenministerium, die Parlamente des Vereinigten Königreichs, Kanadas, der Niederlande und Litauens bereits als Völkermord einstufen.« Der Tagesspiegel

Vorwort


Gulbahar hat die Deportation überlebt. Sie hat Hunderte Stunden Verhör, Folter, Mangelernährung, Polizeigewalt, Indoktrination ertragen. Wegen eines Fotos, das ihre Tochter auf einer Demonstration der uigurischen Diaspora in Paris zeigt, verurteilte China sie nach einem Jahr Untersuchungshaft in einem neunminütigen Prozess ohne Richter und Anwalt zu sieben Jahren Umerziehungslager. Allein auf der Anklagebank, vor sich drei Polizisten. Nachdem sie lange geglaubt hatte, hingerichtet zu werden, überkam sie nun die Angst, in einem Gulag in Xinjiang zu sterben. Niemand konnte ihr zunächst helfen. Weder Frankreich, wo sie seit zehn Jahren im Exil lebte, noch ihre beiden Töchter und ihr Mann, Gulhumar, Gulnigar und Kerim, alle drei politische Flüchtlinge in Paris. Sie dachte, die Falle, in die China sie gelockt hatte, sei für immer zugeschnappt.

Während unserer Gespräche in ihrer Wohnung in Boulogne-Billancourt war Gulbahar lange unschlüssig: Sollte sie offen berichten oder anonym bleiben, um ihre Angehörigen zu schützen? Aus Vorsicht schien sie zunächst entschlossen, ihre wahre Identität zu verschweigen.

Gulbahar stammt aus einer uigurischen Familie, die seit Generationen in Xinjiang lebt. Wie ihre Vorfahren wuchs sie in dieser erdölreichen Gegend aus Wüsten und Oasen auf, die über Jahrhunderte von geopolitischen Unruhen geprägt und abgesehen von ein paar kurzen Unabhängigkeitsphasen immer wieder von China besetzt war. Der Machtantritt der Kommunisten führte 1955 zum Anschluss Xinjiangs4 an die Volksrepublik China. Seitdem heißt es Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang. Xinjiang bedeutet auf Mandarin »neue Grenze«. Seit dem Anschluss erlebt das riesige Gebiet eine regelrechte Kolonisierung durch die Han-Chinesen, die größte Volksgruppe Chinas. Mit dem Bau der Erdölraffinerien wuchsen unter den Schaufeln der chinesischen Bagger die Städte, überschwemmte das Rot des Kommunismus die Straßen mit Lampions, Spruchbändern und Fahnen und erlebten die Uiguren die ersten Schikanen und Diskriminierungen – Vorboten dessen, was heute nichts anderes ist als ein Genozid. Eines Tages war Kerim es leid, dass sich die Zukunftsaussichten immer mehr verdüsterten, und er ging nach Frankreich. Gulbahar folgte ihm mit ihren Töchtern.

Da die Uiguren einen sunnitischen Islam praktizieren und ihre von China erst spät vereinnahmte Kultur türkische Wurzeln hat, fordert eine separatistische Minderheit der Uiguren die Unabhängigkeit unter der himmelblauen Flagge von Ostturkestan. 2009 führten Aufstände in Ürümqi, bei denen mehrere Hundert Han-Chinesen und Uiguren ums Leben kamen, in der Region zu Repressionen von bis dahin ungekannter Gewalt. Die Regierung installierte ein allumfassendes Überwachungs- und Kontrollsystem: Legionen von Kameras mit Gesichtssoftware, Polizeistationen an jeder Straßenecke und seit 2017 Umerziehungslager. Die Region wurde zur am strengsten überwachten Gegend der Welt und zugleich ein Herzstück von Xi Jinpings »Neuer Seidenstraße«. Als Tor nach Zentralasien teilt Xinjiang seine Grenzen mit acht Staaten. Das Gebiet ist ein strategischer Riegel für das gewaltige Infrastrukturprojekt, das China mit Europa verbinden soll. Amnesty International und Human Rights Watch schätzen, dass mehr als eine Million Uiguren in den Umerziehungslagern waren oder sind. China besteht darauf, sie als »Schulen« zu bezeichnen, wo die Lehrer »den islamistischen Terrorismus« aus den Köpfen der Uiguren entfernen wollen.

Gulbahar hat sich nie für Politik interessiert. Das sagt sie ohne Verachtung, sogar ein bisschen stolz. Wenn sie ihre Religion erwähnt, spricht sie von einem Islam »des Friedens«, von einem »gemäßigten« Islam. Sie ist also weder Unabhängigkeitsverfechterin noch »islamistische Terroristin«. Trotzdem kam auch sie in ein Umerziehungslager. Das zeigt die ganze Heuchelei und Perversion der chinesischen Politik, die nicht die extremistische Minderheit unter den Uiguren bestrafen, sondern das gesamte Volk verschwinden lassen will, auch Uiguren im ausländischen Exil wie Gulbahar.

Eines Morgens im November 2016 erhielt Gulbahar einen seltsamen Anruf aus Xinjiang. Ein Angestellter ihres früheren Unternehmens bat sie, nach China zu kommen. »Wegen administrativer Angelegenheiten«, »Dokumente für Ihren Vorruhestand«, erklärte er. Gulbahar wurde nicht misstrauisch oder nicht misstrauisch genug. Ein paar Tage später landete sie in Ürümqi und ihr Leidensweg begann: Die Behörden nahmen ihr den Pass weg und steckten sie in ein Gefängnis, dann, nach Monaten in einer Zelle, deportierten sie sie ohne ein Urteil in ein Lager.

Im Wohnzimmer in Boulogne saß Gulbahar zwischen ihrer Tochter Gulhumar und mir und durchlebte noch einmal diese Zeit der Leere. Sie konzentrierte sich, die Stirn etwas in Falten gelegt, mit ernster Miene. Was empfand sie, als die Wachen sie 20 Tage lang an ihr Bett gekettet hatten? »Nichts«, antwortete sie mit verstörtem Blick, weil sie selbst spürte, wie seltsam ihre Antwort klang. Als man sie in einer eisigen Dezembernacht in einen Lastwagen steigen ließ, ohne ihr zu sagen, wohin sie gebracht werden sollte, dachte Gulbahar, man würde sie in der verschneiten Wüste erschießen. Und was empfand sie da? Auch nichts. »In diesem Moment war ich innerlich tot.« Und als man ihr ankündigte, sie werde freigelassen? »Da bin ich starr auf meiner Pritsche liegen geblieben.«

Im Verlauf ihrer »Umerziehung« verschwanden ihre menschlichen Empfindungen. In der Vertraulichkeit unserer Gespräche fand sie sie wieder. Unter dem mitfühlenden Blick ihrer Tochter, der ihre Befreiung vor allem zu verdanken ist und die unsere Gespräche übersetzte, durchlebte Gulbahar jede Szene ihres Dramas aufs Neue. Sie sprach mit der groben Stimme des Polizeichefs oder mit der inquisitorischen des falschen Richters, der sie verurteilte. Wenn ihr die Worte fehlten, stand sie auf und imitierte den mühsamen Gang mit Ketten an den Knöcheln oder den steifen, martialischen Schritt der Militärparaden. Sie marschierte quer durch das Wohnzimmer, aufrecht, die ausgestreckten Arme eng am Körper. Dann drehte sie sich zu uns um und brach in ein ansteckendes Lachen aus. »Das ist lächerlich, oder?« Wir lachten. Wenn sie sich so über sich selbst und über die anderen lustig machte, entlarvte sie den Irrsinn des Lagersystems.

Auch als sie mir von den Geständnissen erzählte, die sie unter Zwang bei der Polizei abgegeben hatte, wurde sie von einem wilden, unkontrollierbaren Lachen gepackt. Ja, oft halfen ihr Spott und Lachen gegen ihre Traumatisierung.

Aber man kann nicht einfach so von der Umerziehung genesen. Neben den unheilbaren körperlichen Folgen steckt die Angst weiter in Gulbahars Seele. Auch wenn die Chinesen sie nach langwierigen Verhandlungen mit dem französischen Außenministerium freigelassen haben, bleibt die Befürchtung, dass die chinesischen Behörden an die Türen ihrer Mutter, ihrer Schwestern, Brüder oder Freunde klopften, die noch in Xinjiang leben. Dass die Gewalt der Polizisten wie ein Blitz auf die Menschen niedergeht, die Gulbahar liebt, und damit die »Verheißungen« der Kommunistischen Partei Chinas ad absurdum führt. Dass sie ebenso wie Gulbahar verhört, verhaftet, gefoltert, deportiert werden. Wie sie als »kriminell« und »terroristisch« beschimpft werden. Wie sie in den Lagern verschwinden, ihre Menschenwürde verlieren und mit dieser die glücklichen Erinnerungen, alle Erinnerungen, und dann Stück für Stück die Lust zu leben. Nein. Das will sie nicht. Alles, aber nicht das.

Eines Morgens im September 2020 saß Gulbahar auf dem weißen Sofa in ihrer Wohnung in Boulogne und las die ersten Seiten des Manuskripts. Ein gutes Jahr war seit ihrer Freilassung, ihrer Ankunft am Flughafen von Roissy, dem Wiedersehen mit Kerim, Gulhumar und Gulnigar vergangen. Beim Lesen dachte sie wieder darüber nach, ob sie ihre wahre Identität in dem Buch nicht doch offenbaren sollte. »Sie sagt es noch nicht, aber sie denkt darüber nach«, schrieb mir ihre Tochter. Wenige Tage später hatte Gulbahar ihre Entscheidung getroffen. »Das ist meine Geschichte. Ich will ganz und gar dazu stehen. Das ist meine Pflicht als Uigurin«, sagte sie mir. Sie wollte ihren Namen auf dem Buchumschlag sehen. Damit begibt sie sich in große Gefahr. Dessen muss sich jeder Leser ihres Berichts bewusst sein.

Während China gar nicht daran denkt, sein Lagersystem in Xinjiang zu beenden, sondern weiter...

Erscheint lt. Verlag 13.1.2022
Übersetzer Uta Rüenauver, Claudia Steinitz
Vorwort Gesine Schwan
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Rescapée du goulag chinois
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Amnesty International • Bericht einer Uigurin • Boykott • China • Emmanuel Macron • Exil • Frankreich • Frauenschicksal • Freiheit • Gesine Schwan • GULAG • Haft • Jan Böhmermann • Lagerbericht • Memoir • Menschenrechte • Olympische Spiele • Peking • Staatsfeind • Staatsmacht China • Straflager • Uiguren • Umerziehungslager • Verfolgung • Verletzung der Menschenrechte • Völkermord • VW
ISBN-10 3-8412-2972-7 / 3841229727
ISBN-13 978-3-8412-2972-4 / 9783841229724
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