Machtwechsel (eBook)

Wie eine neue Politikergeneration das Land verändert
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2022 | 1. Auflage
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01240-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Machtwechsel -  Anna Sauerbrey
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Mit der Amtszeit von Angela Merkel ist eine Ära zu Ende gegangen - doch wer hat sie beerbt? Eine neue Generation hat die Bu?hne betreten, und mit ihr ein neuer Politikertyp: charismatische Politikunternehmer, Individualisten, Dauer-Digitale, Sneaker-Träger. Auf den ersten Blick leger, inhaltlich nicht festgelegt, scheinbar ideologiefrei, strategisch versiert, u?ber Parteigrenzen hinweg befreundet und fu?r ungewöhnliche Bu?ndnisse offen - und doch (oder gerade deswegen) so authentisch, dass ihnen die Wähler vertrauen. Doch was ist das fu?r ein neuer Politikstil, und was bedeutet er fu?r unsere Demokratie? Anna Sauerbrey begleitet Politikerinnen und Politiker der neuen Generation, die jetzt entscheidende Weichen stellen: Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner, Anne Spiegel, Marco Buschmann, Lars Klingbeil, Kevin Ku?hnert und andere mehr. Sie erklärt, was diese Individualisten antreibt, was sie verbindet und was sie trennt; welche Bu?ndnisse in Hinterzimmern geschmiedet werden und wo rote Linien verlaufen. Ihr Buch zeigt, wie die neue politische Elite tickt: ein fesselnder Blick ins Innere der Berliner Republik - und eine scharfsichtige Diagnose, die in die Zukunft unseres Landes blicken lässt.

Anna Sauerbrey, geboren 1979 in Essen, gehörte der Chefredaktion des «Tagesspiegel» an, bevor sie 2022 ins Politikressort der «Zeit» wechselte. Fu?r die «New York Times» schreibt sie regelmäßig u?ber Deutschland. Sie kommentiert das politische Tagesgeschehen im Deutschlandfunk, im RBB-Fernsehen und war zu Gast bei CNN und dem BBC World Service. In der Kategorie «Beste Regional-Chefredakteure» wurde Anna Sauerbrey als Journalistin des Jahres 2019 ausgezeichnet. Sie lebt in Hamburg und Berlin.

Anna Sauerbrey, geboren 1979 in Essen, gehörte der Chefredaktion des «Tagesspiegel» an, bevor sie 2022 ins Politikressort der «Zeit» wechselte. Für die «New York Times» schreibt sie regelmäßig über Deutschland. Sie kommentiert das politische Tagesgeschehen im Deutschlandfunk, im RBB-Fernsehen und war zu Gast bei CNN und dem BBC World Service. In der Kategorie «Beste Regional-Chefredakteure» wurde Anna Sauerbrey als Journalistin des Jahres 2019 ausgezeichnet. Sie lebt in Hamburg und Berlin.

Teil I Generationenwechsel. Was die Neuen in Berlin prägt und antreibt


1 Zeit-Genossen. Die Entstehung einer Generation und der Rhythmus der Geschichte


Niemand weiß mehr so ganz genau, wie die Schotten nach Peine kamen. Eine Familie aus Peine war einmal im Urlaub in Schottland, glaubt Hubertus Heil sich zu erinnern, und kam so begeistert zurück, dass sie einen schottischen Musikverein gründete. Ja, das könnte der Anfang gewesen sein. Oder war es anders?

Jedenfalls stehen jetzt drei Männer am Strand eines niedersächsischen Baggersees, in Heils Wahlkreis Gifhorn–Peine, auf halbem Weg zwischen Hannover und Wolfsburg. Sie haben einen Dudelsack und zwei Trommeln mitgebracht, einer trägt einen Schottenrock, sie spielen auf.

Es ist der Samstagabend vor der Bundestagswahl 2021. In zwölf Stunden öffnen die Wahllokale. Ein schöner Spätsommertag endet. Die Sonne geht über dem See unter, die Dudelsackklänge wabern über das Wasser und übertönen für einen Moment das leise, ferne Rauschen der A2, die verborgen hinter der Böschung am anderen Ufer liegt. Ganz langsam kriecht Kühle vom Wasser her unter die Kleidung.

Nicht weit entfernt, in einem Partyzelt neben dem Strandrestaurant, feiern Freunde, Mitarbeiter, Kommunalpolitiker und die Familie von Hubertus Heil den Wahlkampfabschluss. Den ganzen Tag über sind sie noch einmal im Wahlkreis von Haustür zu Haustür gegangen, haben Rosen verschenkt und die Peiner gebeten, am Sonntag an die Urne zu gehen. Jetzt wird gegrillt und getrunken, man erzählt sich die alten Geschichten. Weißt du noch, damals, 2005, als Gerhard Schröder die Vertrauensfrage stellte und es Neuwahlen gab? Wie wir zu Holz-Kiessling gefahren sind und uns selbst einen «Wesselmann» gezimmert haben? Geld, um einen dieser großen Plakataufsteller zu mieten, gab’s ja keins. Verrückt war das.

Hubertus Heil ist für einen Moment ans Wasser hinuntergegangen, um die Musiker zu begrüßen. Nun steht er mit einigen anderen Gästen in der Dämmerung und hört zu, ein Glas Härke in der Hand. Das Bier wird noch in Peine gebraut, auch wenn die kleine Brauerei mittlerweile von einer größeren aus der Region aufgekauft worden ist. Das Gelächter und das Stimmengewirr klingen wie aus weiter Ferne herunter an den Strand. Die Stimmung im Partyzelt ist angespannt und gelöst zugleich. Nie in den vergangenen Jahren stand die deutsche Sozialdemokratie am Abend vor der Wahl so gut da. In den letzten Umfragen lag die SPD zwei bis vier Prozentpunkte vor der Union. Gleichzeitig ist die Angst vor einer Enttäuschung riesengroß. So viel Hoffnung war in der SPD lange nicht – und lange nicht so viel Angst zu verlieren.

Heil wirkt auf den ersten Blick weder angespannt noch gelöst. Als SPD-Generalsekretär, der er von 2005 bis 2009 war und dann noch einmal kurz im Wahlkampf von Martin Schulz im Jahr 2017, konnte er scharf sein. Es hat ihn einige Mühe gekostet, sich das wieder abzugewöhnen. Heute strahlt er meist eine beinahe gemütliche Souveränität aus, auch jetzt. Seit 2018 ist er Bundesminister für Arbeit und Soziales. Er wird es nach der Wahl auch bleiben. An diesem Abend an der ehemaligen Kiesgrube aber scheint die Frage seiner politischen Zukunft genauso weit und offen wie der dämmrig leuchtende Spätsommerhimmel. Wird die SPD den Kanzler stellen? Und wenn ja, wird Heil dann wieder Minister? Er kramt ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und zündet sich eine an. Fest steht nur: Dieser Abend bedeutet Ende und Aufbruch zugleich – für Heil persönlich, für seine Partei, für das Land.

 

Am 26. September 2021 haben die Deutschen einen neuen Bundestag gewählt. Nach sechzehn Jahren endete die Ära Merkel, ein Generationenwechsel stand an. Viele der «Babyboomer», Politikerinnen und Politiker der Jahrgänge 1946 bis 1964, traten nicht mehr an oder zogen sich zurück. Angela Merkel selbst natürlich, sie ist 1954 geboren. Kurz nach der Wahl – das konnte Heil an dem beschriebenen Abend natürlich noch nicht wissen – verzichteten die bisherige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (geboren 1962) und der bisherige Kanzleramtsminister Peter Altmaier (Jahrgang 1958) auf ihre Bundestagsmandate, damit zwei jüngere saarländische CDU-Abgeordnete, Nadine Schön und Markus Uhl, nachrücken konnten. Bundesinnenminister Horst Seehofer, Jahrgang 1949, zog sich zurück, auch Entwicklungsminister Gerd Müller, Jahrgang 1955. Vor allem der Bundestag und dort besonders die Fraktionen von SPD und Grünen wurden durch die Wahl deutlich jünger. Mit der Bundestagswahl 2021 begann die Phase, in der die Babyboomer die politische Bühne räumen. Die politische Generation Angela Merkel nimmt nach und nach Abschied.

Heils Alterskohorte rückt nach und auf. Außenministerin Annalena Baerbock ist 1980 geboren, ebenso wie Familienministerin Anne Spiegel. Der Finanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner ist Jahrgang 1979, Arbeitsminister Hubertus Heil ist Jahrgang 1972, Justizminister Marco Buschmann Jahrgang 1977, der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider Jahrgang 1976. Auch Nancy Faeser (1970), Bettina Stark-Watzinger (1968), Volker Wissing (1970), Robert Habeck (1969), Wolfgang Schmidt (1970) und Cem Özdemir (1965) könnte man noch dazuzählen. Die Spitzen der Parteien und der Bundestagsfraktionen haben sich nach der Wahl 2021 ebenfalls verjüngt. Der CDU-Generalsekretär Mario Czaja ist Jahrgang 1975, seine Stellvertreterin Christina Stumpp Jahrgang 1987. Der SPD-Ko-Parteivorsitzende Lars Klingbeil wurde 1978 geboren, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist noch jünger, Jahrgang 1989, Ricarda Lang, Vorsitzende der Grünen, ist Jahrgang 1994, ihr Mit-Vorsitzender Omid Nouripour ist Jahrgang 1975 und FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist Jahrgang 1976. Die Liste ließe sich fortsetzen, nicht zuletzt auf Ebene der Staatssekretärinnen und -sekretäre.

Diese Generation wird in der Generationenforschung, wie schon erwähnt, als «Generation X» bezeichnet, sie umfasst all jene, die zwischen 1965 und 1980 geboren sind. Vor allem im Bundestag ist seit der Wahl auch die Nachfolgegeneration von Heils Kohorte, die «Generation Y» («Millennials»), stärker vertreten, die Jahrgänge 1981 bis 1996. Und auch die «Gen Z» («Zoomer») der Jahrgänge 1997 bis 2010 tritt zum ersten Mal in relevanter Stärke in Berlin an.

Die Ampel-Regierung versteht sich als Regierung des Fortschritts. Der Generationenwechsel, die Repräsentation von Jüngeren, ist ein wichtiges Element dieses Narrativs. Aber ist er tatsächlich bedeutsam? Sind Generationenwechsel in der Politik wichtig? Was macht denn die Generation X aus, die nun die Macht von den «Babyboomern» übernimmt?

Die Generationenfolge, der Wechsel von einer Generation zur nächsten, galt und gilt in der Sozial- und Geschichtswissenschaft als eine Möglichkeit, die «Rhythmik» der Geschichte zu erkennen und sie zu erklären, wie der Soziologe Karl Mannheim 1928 in «Das Problem der Generationen» schrieb.[1] Mannheims Aufsatz ist auf vielfältige Weise problematisiert worden, gilt aber noch immer als Grundlage der Generationenforschung und als Quelle wichtiger Ideen für alle, die sich dem gesellschaftlichen Wandel und, ja, auch dem «Fortschritt» nähern wollen.

Eine Generation ist laut Mannheim keine feste Gruppe, aber ein «Zusammenhang». Menschen, die zur selben Zeit in einem ähnlichen Kulturraum leben, so die These, werden im selben Lebensalter von denselben Ereignissen, von denselben Erfahrungen geprägt, wenn auch vor unterschiedlichem sozialen Hintergrund. Dadurch entstehe der besagte Zusammenhang zwischen ihnen, eine Gemeinsamkeit nicht unähnlich jener, die man mit Menschen derselben sozialen Klasse hat. Man ist Teil der Schicksalsgemeinschaft der Zeitgenossen. Deshalb könne man aus seiner Generation auch nicht einfach austreten wie aus einem Verein, schreibt Mannheim. Man ist mit anderen in einem gewissen historischen Zustand verhaftet.

Mannheim bezeichnet das als generationelle «Lagerung»: «Durch die Zugehörigkeit zu einer Generation, zu ein und demselben ‹Geburtenjahrgange› ist man im historischen Strome des gesellschaftlichen Geschehens verwandt gelagert.»[2] Menschen, die die Welt ähnlich erleben, so Mannheim weiter, neigen dazu, auch auf ähnliche Weise auf sie zu reagieren. Sie haben ähnliche Spielräume und handeln deshalb womöglich ähnlich: Die «Lagerung» lege «eine spezifische Art des Erlebens und Denkens, eine spezifische Art des Eingreifens in den historischen Prozess» nahe.[3] Menschen, die derselben Generation angehören, denken ähnlich, sie fühlen und handeln ähnlich – und eben anders als die Vorgänger- und Nachfolgegenerationen.[4]

Historischer Wandel – Fortschritt – entsteht nach Mannheims Vorstellung dadurch, dass jede neue Generation einen «neuartigen Zugang» zur Welt mitbringt.[5] Wenn Kinder aufwachsen, distanzieren sie sich häufig in der Pubertät von ihren Eltern, deren Einstellungen und Lebensweise. Dieses Prinzip wird auf die Gesellschaft übertragen. Jüngere lösen sich von den Werten und Vorstellungswelten der Älteren und identifizieren sich umso stärker mit den gemeinsamen Ideen und der eigenen Generation. Mannheim spricht mit Bezug auf den Kunsthistoriker Wilhelm Pinder von der «Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen». Jeder Zeitpunkt sei tatsächlich ein...

Erscheint lt. Verlag 17.5.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte Angela Merkel • Annalena Baerbock • Bundeskanzler • Bundeskanzlerin • Bundestag • Bundestagswahl • Deutschland • Dorothee Bär • Elite • Europa • Generation • Kevin Kühnert • Koalition • Konstantin Kuhle • Parlament • Parteien • Paul Ziemiak • Politik • Politiker • Politische Berichterstattung • Reportage • Ria Schröder • Robert Habeck • sachbuch politik • Volkspartei • Zukunft
ISBN-10 3-644-01240-7 / 3644012407
ISBN-13 978-3-644-01240-0 / 9783644012400
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