Grundfarbe Deutsch (eBook)

Warum ich dahin gehe, wo die Rassisten sind
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01389-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Grundfarbe Deutsch -  Dr. med. Umes Arunagirinathan
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Dr. Umes ist Herzchirurg, erfolgreicher Autor, engagiertes Mitglied der deutschen Gesellschaft - und dunkelhäutig. Wie viele andere farbige Menschen erlebt er immer wieder diskriminierendes Verhalten seiner Umwelt. Mal ist es nur eine dumme Bemerkung, mal ein gravierender Verstoß gegen seine Würde als Mensch. Gleichzeitig gibt es eine Debatte darüber, was man «eigentlich noch sagen darf», ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden. Umes klagt nicht an, sondern klärt auf. Anhand seiner Biografie beschreibt er pointiert, mit welchen Schwierigkeiten farbige Menschen zu kämpfen haben. Doch er sieht sich nicht als Opfer, sondern als Streiter für ein Zusammenleben, in dem das Gemeinsame die Hauptrolle spielt: die Grundfarbe Deutsch eben. Dazu gehören die deutsche Sprache, die Freiheit zur Selbstentfaltung, Gleichberechtigung und einiges mehr. Es ist das, was diese Gesellschaft für die Deutschen aller Hautfarben ausmacht. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Rassismus diese Werte zerstört.

Dr. Umes Arunagirinathan wurde 1978 auf Sri Lanka geboren und kam als 13-jähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland. Er studierte in Lübeck Medizin und wurde an der Universität Hamburg promoviert. Nach seiner Assistenzzeit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) arbeitete er in der Klinik für Kardiochirurgie in Bad Neustadt an der Saale sowie an der Charité Berlin. Er ist Facharzt für Herzchirurgie und heute in Halle an der Saale tätig.

Dr. Umes Arunagirinathan wurde 1978 auf Sri Lanka geboren und kam als 13-jähriger unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland. Er studierte in Lübeck Medizin und wurde an der Universität Hamburg promoviert. Nach seiner Assistenzzeit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) arbeitete er in der Klinik für Kardiochirurgie in Bad Neustadt an der Saale sowie an der Charité Berlin. Er ist Facharzt für Herzchirurgie und heute in Halle an der Saale tätig.

1. Zweierlei


Flapp, flapp, flapp – der Hubschrauber nähert sich. Das klopfende, schlagende Geräusch der Rotoren wird immer lauter. Ihr Dröhnen erfüllt meinen Kopf. Schüsse knallen. Ich laufe, so schnell ich kann, um den Bananenbaum zu erreichen. Keuchend werfe ich mich auf den Boden, presse mich an den Stamm, genau so, wie meine Mutter es uns Kindern eingeschärft hat. «Wenn ein Hubschrauber kommt, sofort in Deckung gehen. Macht euch unsichtbar. Wenn ihr unter einem Baum liegt, seid ihr für den Hubschrauber gar nicht da.» Ganz knapp habe ich es geschafft, wieder einmal. Mein Herz klopft wie verrückt. Der Lärm ebbt ab, der Hubschrauber der singhalesischen Armee entfernt sich. Ich stehe mit wackeligen Beinen auf, klopfe den Staub aus meinen Sachen und setze meinen Heimweg fort.

Dreißig Jahre später. «Junger Mann, wofür sind Sie denn eigentlich zuständig? Sollen Sie das Zimmer sauber machen oder das Essen ausgeben?», fragt mich eine alte Dame, die auf der chirurgischen Station des Krankenhauses in Bad Neustadt liegt. «Ich kann sowohl putzen als auch Essen verteilen. Ich kann Sie aber auch ganz normal behandeln. Ich bin Ihr Arzt.»

***

Auch wenn ich in Sri Lanka geboren und aufgewachsen bin: Ich bin Deutscher. 1991 kam ich nach Deutschland – als 13-jähriger Flüchtling. Ich ging hier zur Schule, habe studiert, meine Assistentenzeit in zwei renommierten deutschen Herzkliniken absolviert, bin mittlerweile Funktionsoberarzt in Bremen und seit 2008 Deutscher mit Einbürgerungsurkunde und allem Drum und Dran. Aber: Ich bin ein sehr dunkelhäutiger Deutscher. Wieso «aber»? Ich sage das so, weil im Bewusstsein der meisten Menschen «deutsch» und «weiß» ein Begriffspaar bilden. Und das, obwohl seit vielen Jahren Menschen aller Hautfarben dauerhaft bei uns leben, oft in der zweiten, dritten, vierten oder sonst einer Generation. Sie gehören zu uns, Menschen mit hell- oder dunkelbrauner oder olivfarbener Haut, mit schwarzen, vielleicht stark gewellten Haaren, dem nicht ganz westeuropäischen Gesichtsschnitt.

Rund 26 Prozent der deutschen Bevölkerung haben einen sogenannten Migrationshintergrund, wahrscheinlich sind es noch mehr, weil sich nicht alle Herkünfte statistisch erfassen lassen. Wenn man bedenkt, dass eine Partei mit gut 25 Prozent der Stimmen schon die Regierungsmehrheit und den Kanzler stellen kann, dann sind 26 Prozent Deutsche mit Wurzeln, die außerhalb Deutschlands liegen, eine stattliche Größe. Trotzdem ist diese Tatsache noch immer nicht allen bewusst, trotzdem kommt es permanent zu mehr oder weniger offenen Herabwürdigungen – wie etwa der reflexhaften Annahme, ein Dunkelhäutiger könne nur zum Reinigungspersonal gehören, da die anspruchsvollen medizinischen Aufgaben ja wohl von hellhäutigen, von «richtigen» Deutschen wahrgenommen würden. Mit dunkler Hautfarbe ist man automatisch abgestempelt als Ausländer, egal welche Staatsangehörigkeit man hat.

Man kann sich darüber aufregen. Außer in Ausnahmefällen tu ich es jedoch nicht. Es ist sinnlos und kostet nur Nerven. Ich sehe mich auch nicht in der Opferrolle, besser gesagt: in der schon gar nicht. Ich bin kein Opfer, sondern ein erfolgreicher Immigrant, der seine Heimat gezwungenermaßen als Kind verlassen musste. Es war keineswegs leicht für mich, den Status zu erlangen, den ich heute habe. Doch ich habe es geschafft, aus eigenem Antrieb und Ehrgeiz, aber vor allem mit der Hilfe zahlreicher «bio»deutscher Unterstützer und Freunde. Deshalb stimme ich auch nicht in den Chor derjenigen ein, die überall systemischen oder strukturellen Rassismus am Werk sehen. Etwa wenn bei der Wohnungssuche Bemerkungen fallen wie «an Ausländer vermiete ich nicht» oder der (offensichtlich arabischstämmige) Türsteher eines Clubs sagt: «Von euch sind heut schon genug drin.» Es handelt sich um unangenehme, schmerzhafte Erfahrungen. Ich weiß es, weil ich sie selbst mehr als einmal gemacht habe. Trotzdem: Ich bin kein Opfer. Opfer ist jemand, der von anderen bestimmt wird. Ich aber bin frei, mich emotional und geistig zu bewegen und meine Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel, ob es sich lohnt, einen Versuch zu unternehmen, jemanden aufzuklären und von seiner ursprünglichen Ansicht abzubringen, oder nicht. Bei einer Vermieterin könnte das durchaus der Fall sein, beim Türsteher würde ich es wahrscheinlich sein lassen.

Meiner Ansicht nach gibt es gar nicht so viele echte Hardcore-Rassisten. Also Menschen, die glauben, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe etwas Besseres sind, klüger und überlegen, Urdeutsche eben. Und die aus dieser Überzeugung heraus bestimmte, exklusive Rechte ableiten, die sie mir verwehren wollen. Die vielen «normalen» Alltagsrassisten hingegen stecken in irgendwelchen Mustern fest und reflektieren ihr Handeln und ihre Einstellungen nicht. Die Übergänge von Erfahrungen zu Urteilen und Vorurteilen sind fließend. Diese Alltagsrassisten denken nicht darüber nach, worin der Wert eines Menschen besteht, wie sich eine Gesellschaft zusammensetzt und wer etwas zu ihrem Gelingen beitragen kann. Sie unterscheiden äußerst grob zwischen Vertrautem und Fremdem. Wenn möglich, halten sie sich das Fremde und «die Fremden» fern. Für sie bin ich ein «fremder Deutscher».

So wie mir geht es vielen oder vielleicht allen, die nicht dem Bild entsprechen, das die Biodeutschen von sich selbst und der Norm haben. Erfreulicherweise ist in der letzten Zeit eine Debatte entstanden, die die alltägliche Diskriminierung zum Thema macht. Die auf Missstände hinweist und einer breiten Öffentlichkeit endlich verdeutlichen will, was wir Deutsche und Nichtdeutsche mit Migrationsgeschichte täglich erleben.

Ich finde gut, dass eine solche Diskussion stattfindet. Was ich nicht gut finde, ist, wie sie stattfindet. Mich stört das Absolute daran. Es werden immer mehr Regeln aufgestellt, wie man über Rassismus reden darf oder muss, wer sich dazu und in welcher Weise äußern darf, welche Begriffe als verwerflich gelten, was als aggressiv oder mikroaggressiv zu bewerten ist und welche Haltung eingenommen werden muss, damit eine Äußerung überhaupt als diskutabel angesehen werden kann. Eine Menge Vorschriften soll sicherstellen, dass man Migranten, Migrierten, Immigranten, Schwarzen, Personen mit Migrationsgeschichte, ausländischen Wurzeln oder auch besonderer Herkunft respektvoll und politisch korrekt begegnet.

Das Vokabular und die Intentionen sind sicher gut gemeint – aber vielleicht auch nur das. Triggerwarnungen in Büchern, dass darin das «N*Wort» vorkomme, Begriffe wie «migrantisch-diasporisch» und Abkürzungen wie «BIPoC», kurz für Black, Indigenous und People of Color, sind für mich im wahrsten Sinne des Wortes unpassend. Ich sehe mich selbst nicht so, und ich will auch von anderen nicht so gesehen werden. Solche Definitionen sind abstrakt und abgehoben. Zweifellos ist richtig, dass auch scheinbar neutrale Alltagsbegriffe Missachtung enthalten können und man diese Wörter vermeiden sollte. Ebenso ist richtig, dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, welche Wirkung ihre Sprache oder ihr Verhalten auf ihr nicht weißes Gegenüber haben kann. Dennoch löst man dieses Problem meiner Ansicht nach nicht, indem man Verbote und Regeln zur «korrekten» Sprache aufstellt. Das Gespräch wird dadurch in die Zirkel von Eingeweihten abgedrängt, die angeblich Bescheid wissen und alles richtig machen. Die anderen trauen sich nicht mehr, «überhaupt noch was zu sagen». Im schlimmsten Fall wenden sie sich Parteien zu, bei denen man «noch sagen darf, was Sache ist».

Man sollte die Dinge beim Namen nennen, nur dann kann man klarmachen, was man meint. Ich beschreibe mich selbst nicht als Person of Color oder Person von Farbe. Nein, ich bin ein dunkelhäutiger Mensch, ein gebürtiger Tamile. Dass ich nicht weiß bin: Das ist nun mal genau das, was andere Menschen auf den ersten Blick an mir feststellen. Sie haben recht. Interessant wird es doch erst dann, wenn sie falsche Schlussfolgerungen daraus ziehen, und sei es unbewusst. Das ist das Entscheidende. Ganz konkret will ich auf bestehende Vorurteile hinweisen und sie auflösen. Dafür trete ich in jedem Gespräch und jeder Begegnung ein, sofern es Anlass dafür gibt, und dafür habe ich den letzten Jahren in über hundert Veranstaltungen und Lesungen vor Erwachsenen und Schülern geworben.

Die soziologischen Analysen über das gesellschaftliche Machtgefälle zwischen weißen und farbigen Menschen haben zweifellos ihre Berechtigung. Aber diese Herangehensweise ist nicht meine Sache. Ich bin Praktiker. Ich suche die Begegnung und das Gespräch, und zwar mit denen, die sich bisher noch keine oder wenig Gedanken darüber gemacht haben, wie sie mit Andersfarbigen umgehen, und erst recht mit denen, deren negative Ansichten scheinbar gefestigt sind.

An dieser Stelle noch eine Erläuterung zu den Wörtern, die ich in diesem Buch verwende: In interkulturellen Trainings oder seitens Antidiskriminierungsbüros und ähnlichen Institutionen gibt es Listen mit Begriffen, die Alternativen zu tatsächlich oder vermeintlich diskriminierenden Ausdrücken anbieten und ihre Verwendung empfehlen. So wird beispielsweise «dunkelhäutig» als problematisch angesehen, weil schwarze Menschen darin eine Hierarchisierung der Farbigkeit annehmen könnten, in der sie an letzter Stelle stehen würden. Stattdessen sei «Schwarzer Deutscher» oder «People of Color» oder «Menschen of Color» vorzuziehen, eine inzwischen international anerkannte Selbstbezeichnung von und für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Will man weiße Menschen nennen, sollte man «weiße Menschen»...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2022
Co-Autor Doris Mendlewitsch
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alltagsrassismus • Anti-Diskriminierung • Anti-Rassimus • Biografie Arzt • Black lives matter • Debattenbuch • Migrationshintergrund • Persönliche Erfahrung • Rassimus in Deutschland • Rassismus
ISBN-10 3-644-01389-6 / 3644013896
ISBN-13 978-3-644-01389-6 / 9783644013896
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