Was weiße Menschen jetzt tun können (eBook)

Von »Allyship« zu echter Koalition | Weil nicht Rassismus, sondern Ungleichheit uns alle angeht

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
208 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2745-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was weiße Menschen jetzt tun können -  Emma Dabiri
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»So klug, so lesenswert, so hilfreich.« Nick Hornby In ihrem so radikalen wie praktischen Essay fordert Emma Dabiri die nächsten notwenigen Schritte, die wir alle gemeinsam gehen müssen, um dauerhafte Veränderungen für eine gerechte Gesellschaft zu schaffen: - Wir müssen anders über rassistische Ungerechtigkeit sprechen. - Wir müssen die rassistischen Kategorien »Weiß« und »Schwarz« als ausbeuterisches Konstrukt des Kapitalismus erkennen und bezwingen. - Wir müssen uns gänzlich von repressiven rassistischen und klassistischen Denksystemen lösen. - Wir müssen für gemeinsame Ziele, für alle Menschen einstehen. Das Buch der Stunde, um uns, abseits von Cancel Culture und folgenlos bleibenden Social-Media-Diskursen, für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen bereit zu machen. »Das Wichtigste: Dieses Buch ist für alle.« Irish Times »Wenn wir jemals eine ruhige Hand am Ruder dieser Unterhaltung gebraucht haben, dann ist es jetzt. Emma Dabiri ... ist die richtige Person dafür ... prägnant, trittsicher und absolut.« Irish Independent »Eine bahnbrechende Abrechnung mit dem Social-Media-Diskurs und eine historisch fundierte Analyse von Antirassismus, Kollektivismus, Neoliberalismus und Postkolonialismus.« Vogue (UK)

Emma Dabiri, geboren 1979, wuchs als Tochter einer nigerianischen Mutter und eines irischen Vaters in Atlanta und Dublin auf. Mit ihrem Debüt Don't Touch My Hair landete sie 2019 auf der Shortlist für den Irish Book Award. Sie schreibt regelmäßig u.a. für den Guardian, die Irish Times und Vice. Dabiri lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in London, wo sie an der Goldsmiths University promoviert hat und als Dozentin an der School of Oriental and African Studies (SOAS) an der University of London lehrt.

Emma Dabiri, geboren 1979, wuchs als Tochter einer nigerianischen Mutter und eines irischen Vaters in Atlanta und Dublin auf. Mit ihrem Debüt Don't Touch My Hair landete sie 2019 auf der Shortlist für den Irish Book Award. Sie schreibt regelmäßig u.a. für den Guardian, die Irish Times und Vice. Dabiri lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in London, wo sie an der Goldsmiths University promoviert hat und als Dozentin an der University of London lehrt.

 


Im Lauf der Jahre haben mich unzählige Menschen bezüglich »Allyships«, also der Bildung von »Solidaritätsbündnissen«, um Rat gebeten. Abgesehen von einigen flüchtigen Antworten, habe ich solche Anfragen bis vor Kurzem abgelehnt. Bisher hatte ich bei den meisten meiner Arbeiten das Gefühl, dass ich meine kreative Energie am besten nutze, indem ich mich dabei auf Menschen afrikanischer Herkunft konzentriere; denn solange ich zurückdenken kann, bin ich fasziniert von schwarzen atlantischen Kulturen. Das 1993 von Paul Gilroy geprägte Konzept des »Schwarzen Atlantik« eröffnet uns eine neue Perspektive auf Schwarzsein jenseits der Grenzen des Nationalstaats. Der Begriff umfasst sowohl die USA und die atlantische Küste Afrikas als auch schwarze2 europäische Kulturen, die traditionell wenig beachtet wurden. Etwas zu beleuchten, das kraftvoll und generativ ist, aber absichtlich ausgeblendet wird, erschien mir weitaus sinnvoller und, offen gesagt, erfüllender, als meinen Fokus auf »weiße« Menschen zu richten oder ihnen Hinweise zu geben, wie sie meine Menschlichkeit besser anerkennen könnten. Dennoch wurde immer die Annahme vorausgesetzt – in der Regel von als »weiß« identifizierten Menschen –, es ginge mir um »Rassismus«, oder, im Modewort der Stunde, um »Antirassismus«. Wenn ich als junge Studentin der Afrikastudien in den Semesterferien nach Dublin zurückkehrte und den Leuten von meinem Fach erzählte, war ein beleidigtes »Oh, was, ja, bist du denn wirklich antiweiß?« nicht ungewöhnlich. Eine verblüffende Reaktion, doch es gab sie häufiger, als man sich vorstellen mag. Das änderte sich mit den Jahren. Mit der Zeit nahm zwar die automatische Vermutung, ich sei eine heimliche schwarze Rassistin, ab, aber sie wurde durch die Auffassung ersetzt, dass ein Abschluss in Afrikastudien gleichbedeutend mit einem Studium des Antirassismus sei. Ich erinnere mich an eine öffentliche Diskussion vor nicht allzu langer Zeit, in der wir sowohl über Afrofuturismus, Philosophie, Ahnenverehrung und ihren Zusammenhang mit afrikanischen Zeitkonzepten als auch über Verbindungen zwischen dem Blues und Trap-Musik sprachen. Ich habe das Gespräch sehr genossen und fand die Fragen des Moderators erfrischend. Am Ende der Veranstaltung kam eine Frau auf mich zu, die in der Entwicklungshilfe irgendwo in Afrika arbeitete. Sie sagte, ihr habe die Diskussion gut gefallen, aber wir hätten eine Gelegenheit verpasst; sie wollte über »Allyship« reden! Mir wurde schwer ums Herz.

Heute bin ich durch meine Erfahrungen als rassifizierte Schwarze in einer homogenen weißen Gesellschaft, aber auch durch meine Arbeit tatsächlich, wenn auch ungewollt, zu einer Expertin in Rassismus geworden. Ich habe gelernt, dass es unmöglich ist, afrikanische Geschichte zu studieren, ohne sich mit Europa, Rassismus, Kolonialismus und weißer Vorherrschaft auseinanderzusetzen. Später habe ich dann sogar meine Dissertation zur Konstruktion rassistischer Kategorien geschrieben. Es ist bemerkenswert, dass einer als »weiß« rassifizierten Akademikerin, die beispielsweise zu englischer Folklore forscht, niemals automatisch unterstellt würde, an »Rassismus« interessiert zu sein. »Weiße« Menschen werden nicht ausschließlich über ihre Race3 definiert. Genau aus diesem Grund erleben wir oft Szenen schamloser Wut, wenn auf Weißsein hingewiesen oder es thematisiert wird. Ein Beispiel in Großbritannien waren die Reaktionen, vor allem die Beschwerden an die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom, als der Channel-4-Nachrichtensprecher Jon Snow während einer Pro-Brexit-Demonstration bemerkte, er habe »noch niemals so viele weiße Menschen an einem Ort« gesehen. Diese Empörung hält an, ebenso wie eine Gegenbewegung zu den Black-Lives-Matter-Protesten, die sich auf vielfältige Weise äußert. Ihren schärfsten Ausdruck fand sie in der Drohung der britischen Regierung, das Unterrichten von – wie sie es nannte – »Critical Race Studies« zu verbieten.

Doch bei meinem Zögern, Ratschläge zu Bündnissen zu erteilen, ging es um sehr viel mehr. Ehrlich gesagt, hat mich allein schon das Wort »Ally«, »Verbündete«, abgeschreckt. Ich mag es immer noch nicht. Es reproduziert eine Machtdynamik, die abstoßend auf mich wirkt. Ich habe viel zu viele Anleitungen gelesen, in denen von den Verbündeten und dem »Opfer« die Rede ist. Kurz, vieles an diesem Diskurs scheint mir herablassend, sowohl persönlich als auch hinsichtlich der angehenden Verbündeten. Es handelt sich dabei nicht um eine weltverändernde Praxis.

Vielmehr sehe ich eine historische Chance, unsere Einstellungen zu überdenken und unsere Vorstellungskraft neu zu entfachen, die von einem »antirassistischen« Narrativ vertan wird, das unbeabsichtigt vieles von dem verstärkt, was es angeblich überwinden will, und das in vielerlei Hinsicht Menschen abschreckt, die ansonsten überzeugt werden könnten.

Ein Aspekt, den diese Bündnispolitik vernachlässigt, ist die Tatsache, dass man schwarze Menschen weiterhin als minderwertig erachten kann, während man sich für ihren »Schutz« einsetzt. Als ich mich daran erinnerte, dass im 19. Jahrhundert viele Gegner der Sklaverei Rassisten waren, mit einer tief verwurzelten Überzeugung von der Minderwertigkeit schwarzer Menschen, fühlte ich mich umso unbehaglicher mit der ganzen Bündnisbewegung hinsichtlich einer »Allyship«. Der größte Unterschied zwischen den Gegnern der Sklaverei und den rassistischen Sklavenhaltern bestand doch in ihrer Auffassung, wie »rassisch Minderwertige« behandelt werden sollten; in ihrem Glauben an deren »Minderwertigkeit« als solche waren sie sich häufig einig.

In gewisser Weise sind Antirassisten heute die Abolitionisten des 21. Jahrhunderts. Ein Engagement für Bündnisse mit schwarzen Menschen heißt nicht automatisch, dass man nicht denkt, schwarze Menschen seien irgendwie minderwertig. Es äußert vielmehr die Überzeugung, dass sie deshalb nicht diskriminiert werden sollten. Darüber hinaus verhindert die Vorstellung, Antirassismus sei ein Akt der Gnade, der dem armen schwarzen Opfer zugutekommt, die psychologische Auseinandersetzung mit dem »Weißsein« und seinem Preis, den Schäden, die durch das Trinken aus einem vergifteten Kelch auch für »weiße« Menschen entstehen: »Kapitalismus, Patriarchat und weiße Vorherrschaft, die Menschen verführen und in die Knechtschaft pressen.«4

Weißsein zu benennen ist eine Notwendigkeit. Denn die »Unsichtbarkeit« weißer Menschen, die einfach nur als »Menschen« gelten, die falsche Norm, von der alle anderen abweichen, ist ein Teil normativer Machtstrukturen. Aber je mehr man sein »Weißsein« betont und beansprucht, ohne sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet, desto mehr versteift man sich auf diese Art der Selbstdarstellung, und umso mehr bleibt man diesem Weißsein verhaftet. Einige der besonders rassistischen Gesellschaften sind solche, in denen ausgeprägte »weiße Identitäten« in Koexistenz mit rassifizierten anderen leben.

Leider ist vieles an der gegenwärtigen »antirassistischen« Debatte ahistorisch und beruht nicht auf Analysen der gegebenen Strukturen. Im Allgemeinen vernachlässigt sie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Klassensystem des Kapitalismus. Diese wird weitgehend durch Interpretationen persönlicher »Privilegien« ersetzt. Daher habe ich mich ganz bewusst mit Texten früherer Generationen von Intellektuellen und Aktivist:innen beschäftigt, deren Arbeiten andere Schwerpunkte und Ziele haben und die sowohl klarer als auch kollektiver sind. 1971 erschien Rap on Race, eine öffentliche Diskussion zwischen zwei intellektuellen Schwergewichten der Zeit, dem brillanten James Baldwin und der (etwas schwierigen) Anthropologin Margaret Mead. Baldwin erinnert uns an die beständige »Wahrheit« des Weißseins, dass »alle Europäer:innen der tödlichen Versuchung eines Gefühls biologischer Überlegenheit erliegen«.5 Weißsein ist immer präsent, allgegenwärtig und entscheidet darüber, wer eine Chance bekommt und wem sie verweigert wird. In jüngster Zeit stelle ich mir Weißsein manchmal wie den bösen Geist in einem Horrorfilm vor: Er lauert bedrohlich im Schatten, und wir können ihn erwecken, energetisieren und ermächtigen, indem wir seinen Namen dreimal vor dem Spiegel sagen. Aber was zum Teufel machen wir mit ihm, wenn er erst einmal beschworen ist? Wenn wir ihn einfach frei und unkontrolliert herumlaufen lassen, ist das Spiel aus. Denn dann werden wir alle von seinem mörderischen Wüten erfasst. Ähnlich wie den Bösewicht aus dem Horrorfilm sollten wir diesen Geist nur heraufbeschwören, um ihn zu töten. Ohne diesen zweiten, wesentlichen Schritt bleiben wir im Belagerungszustand, tun, was er will, und sind seinen Lügen und Versprechungen ausgeliefert.

Dies ist einer von vielen Gründen für meine Abneigung, von einer generischen Kategorie »weißer Menschen« zu sprechen. Dennoch...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2022
Reihe/Serie Streitschrift
Übersetzer Marion Kraft
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte bessere Gesellschaft • Black lives matter • Black Panther Party • friedliches Zusammenleben • Gemeinsam • George Floyd • Gesellschaftlicher Wandel • Gleichberechtigung • Imperialismus • Kapitalismuskritik • Klassenunterschiede • Klassismus • Klimawandel • Neuanfang • Postkolonialismus • Rassismusdebatte • Soziale Ungleichheit • strukturelle Ungleichheit • Veränderung • white guilt • White Panther Party
ISBN-10 3-8437-2745-7 / 3843727457
ISBN-13 978-3-8437-2745-7 / 9783843727457
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