Der Tod ist mir nicht unvertraut (eBook)

Ein Gespräch über das Leben und das Sterben | Die First Lady und ein führender Wissenschaftler geben neue Perspektiven auf den Umgang mit Tod und Sterben
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
224 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2676-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Tod ist mir nicht unvertraut -  Elke Büdenbender,  Eckhard Nagel
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»Ein Buch, das jede Leserin und jeden Leser zum Nachdenken zwingen wird.« dpa Wo sind wir dem Tod begegnet, und wie verändert das unser Leben? Wie stellen sich Menschen ihren Tod vor, und warum kommt es oft ganz anders? Die Juristin und Frau des Bundespräsidenten, Elke Büdenbender, und der mit ihr befreundete Arzt, Theologe und Philosoph Eckhard Nagel, einer der führenden deutschen Transplantationsmediziner, sprechen offen und persönlich, klug und kenntnisreich über ein Thema, das uns alle betrifft.

Elke Büdenbender wurde nach Abschluss ihrer juristischen Ausbildung Richterin am Verwaltungsgericht Hannover. Seit 2000 ist sie Richterin am Verwaltungsgericht Berlin. Sie ist seit 1995 mit dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier verheiratet. Gemeinsam haben sie eine Tochter.

Elke Büdenbender wurde nach Abschluss ihrer juristischen Ausbildung Richterin am Verwaltungsgericht Hannover an. Seit 2000 ist sie Richterin am Verwaltungsgericht Berlin (zurzeit beurlaubt). Sie ist seit 1995 mit dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier verheiratet. Gemeinsam haben sie eine Tochter.

I.

»Wir müssen über das Sterben reden«


Existenzielle Erfahrungen und warum die
Beschäftigung mit dem eigenen Ende
immer auch eine Beschäftigung mit
dem Leben ist


Elke Büdenbender: Eckhard, wie lange kennen wir uns? Zwanzig Jahre?

Eckhard Nagel: Eher dreißig.

Büdenbender: Stimmt. Wir sind 1991 nach Hannover gezogen und haben uns daraufhin ziemlich bald kennengelernt, erst Frank, mein Mann, und du, dann auch deine Frau Anne und ich. Frank und du wart gerade damit beschäftigt, ein Konzept für ein neuartiges Transplantationszentrum in Hannover zu erarbeiten. Dreißig Jahre, mein Gott. Was haben wir alles miteinander erlebt.

Nagel: Sehr viel. Damals wohnten wir in verschiedenen Wohngemeinschaften, und mein Alltag war wesentlich geprägt von der Arbeit in der Medizinischen Hochschule. Ein neuer Freundeskreis wuchs zusammen, und in unserer Umgebung gab es die ersten Familiengründungen. Anne und ich haben uns 1993 dann auch sehr über die Geburt unserer ersten Tochter Jordis gefreut, und wir sind dann als Familie in das schöne Umland gezogen. Ich erinnere mich noch gut an den Umzug, bei dem auch Frank mit angepackt hat.

B: Einige Jahr später haben wir euch dann aber aus anderen Gründen besucht auf diesem wunderbaren Hof, auf dem ihr damals gelebt habt …

N: Ja, das war nach dem Tod von Jonathan, unserem Sohn, der auf dieser Welt nicht groß werden durfte.

B: Das war wirklich eine sehr schwere Zeit für euch. Ich erinnere mich noch gut an einen Besuch von Anne, als unsere Tochter Merit schon auf der Welt war. Anne war so traurig. Ich habe damals zum ersten Mal gespürt, wie sehr der Tod eines Kindes schmerzt. Auch das ist ein Grund, hier zu sitzen. Wir haben uns verabredet, um über das Sterben zu sprechen.

N: Die Zeit empfinde ich auch nach bald drei Jahrzehnten als die schwerste in meinem Leben. Der Tod von Jonathan und anderthalb Jahre zuvor von unserer zweiten Tochter Rieke war in meiner Wahrnehmung nur deshalb zu überleben, weil wir für unsere älteste Tochter Verantwortung trugen. Die elterliche Verantwortung für das Leben trägt. Man weiß zwar: Letztlich beginnt das Sterben immer mit der Geburt. Mit dem Dasein. In meiner Erfahrung fällt das Geborenwerden eines Kindes oft damit zusammen, dass ein älteres Familienmitglied geht. Das ist die Spirale des Lebens: Der Ältere geht, und der Jüngere – oder die Jüngere – kommt. Deshalb ist es besonders schwer, wenn diese natürliche zeitliche Abfolge durchbrochen wird. Das schockiert und macht Angst. Wenn Kinder sterben, löst das eine andere, eine noch unfassbare Verzweiflung aus. Das ist der Grund, warum ich auch nicht in die Kindermedizin gegangen bin.

B: Das war mir gar nicht klar. Wie ist dir das bewusst geworden?

N: Mein ursprüngliches Ziel war es, Kinderarzt zu werden. Deshalb habe ich Medizin studiert. Ich mag Kinder und wollte viele eigene Kinder haben. In Deutschland war es damals in der medizinischen Ausbildung gar nicht so leicht, einen Zugang zu Kindern zu bekommen. Aber nach meinem zweiten Staatsexamen hatte ich 1985 in meinem praktischen Jahr in Dartmouth, New Hampshire, einen Spezialisten für Kindesmisshandlung als Professor. Ich war Feuer und Flamme. Dass in dieser wohlhabenden Gegend im Nordosten Amerikas Kinder in teilweise erbärmlichen Zuständen leben, hat mich bestürzt. Dagegen wollte ich mich engagieren. Dann jedoch landete ich auf der Intensivstation und merkte: Das kann ich nicht.

B: Warum nicht? Was war da los?

N: Auf der Station befanden sich vor allem Frühgeborene und Säuglinge mit Herzfehlern. Die Kinderintensivmedizin steckte noch in ihren Anfängen. Die Kinder lagen in Brutkästen und waren ruhiggestellt, damit man sie beatmen konnte. Hände und Füße waren verbunden. Während man in der Medizin normalerweise Fortschritte sieht, wurde mir klar, dass es mindestens jedem zweiten dieser Kinder von Tag zu Tag schlechter ging. Nicht besser. Mich hat das vollkommen überfordert. Es war schwer auszuhalten, dass gerade geborene Kinder eine sehr geringe oder gar keine Lebensperspektive haben. Manche sind auch unter der Therapie verstorben. Und als Arzt musste ich mit den Eltern umgehen. Ich bin jeden Abend fassungslos nach Hause gegangen, selbst wenn mal etwas Positives passiert ist. Ich habe mich immerzu gefragt: Warum darf so etwas überhaupt sein?

B: Wir sind das heute nicht mehr gewöhnt. Die Kindersterblichkeit ist in unseren modernen Gesellschaften sehr gering, das Sterben hat sich ins hohe Alter verschoben – im Normalfall jedenfalls. Der Tod von Kindern scheint einfach zutiefst ungerecht – und das bestimmt auch für jemanden, der professionell Medizin betreibt.

N: So ist es.

B: Für mich bleibt das unvorstellbar. Du tust nichts Falsches, freust dich auf das werdende, noch zarte Wesen – und dann ereilt dich das. Dein Kind kommt nicht ins Leben. Wenn das Leben die Chancen so ungerecht verteilt, auch die Chance zu überleben – ich glaube, ich würde auch hadern. Als eure Kinder gestorben sind – hat dich das an deine Erfahrungen in Amerika erinnert?

N: Auf jeden Fall. Ich fühle mich dem christlichen Glauben ja wirklich verbunden. Ich bin so groß geworden, ich vertraue in das Gute des Lebens, auch des werdenden Lebens, alle Schicksalsschläge inklusive, die die Welt nun mal für Menschen bereithält. Ich akzeptiere auch, dass ein guter Gott schlimme Dinge nicht verhindert, weil es die Herausforderung des Lebens ist, mit dem Schicksal umzugehen. Damals jedoch, in New Hampshire, hat es mich vollkommen überfordert, mit den Eltern die Frage nach dem Warum zu diskutieren – diese Hoffnung, die Enttäuschung, letztendlich auch der Schmerz, der eine solche Situation, eine Krankheit, ein Sterben, mit sich bringt für die Angehörigen.

B: Wie schlimm ist der Tod eigentlich für die Kinder selbst?

N: Das Interessante ist, und ich begleite Kinder ja bis heute im Sterben, dass die Kinder meiner Wahrnehmung nach meist gut von dieser Welt gehen. Sie quälen sich nicht. Ganz anders als erwachsene Sterbende. Ich habe oft darüber nachgedacht, woran das liegt. Ich frage mich, ob die gelebte Zeit, die Dauer des Lebens das Sterben nicht schwieriger macht.

B: Du meinst, wer weniger Lebenszeit hatte, hält sich weniger fest? Hat vielleicht auch weniger zu bedauern?

N: Ja. Wobei auch Kinder einen Zukunftsbegriff haben können und sich tausend Dinge vorstellen, die ihnen entgehen. Allerdings nicht, solange sie ganz klein sind, da gibt es noch kein Zeitgefühl. Während viele Erwachsene tatsächlich einfach traurig sind, weil sie Dinge verpassen werden, die sie sich nur vorstellen. Mir fällt da einer meiner ersten Patienten ein. Ende der Achtzigerjahre, eine chirurgische Station: Der Mann hatte einen weit fortgeschrittenen Darmtumor mit Metastasen in der Leber, was in der damaligen Zeit eine aussichtslose Diagnose war. Man hatte den Bauch geöffnet, hineingesehen und schnell bemerkt, man kann nicht heilend operieren. Ich war damals Assistenzarzt, und als ich ins Zimmer kam, bat der Mann mich, ihm zu erläutern, was da während der Visite mit dem Chefarzt gerade verhandelt worden war. Er war 65, was ich nie vergessen werde, weil er gerade pensioniert worden war. Ich saß an seinem Bett und erklärte ihm, wie es um ihn steht. Daraufhin sagte er: »Wissen Sie, Herr Nagel, worauf ich mich gefreut habe? Auf all die Dinge, die ich in meinem Leben bisher nicht gemacht habe, weil ich dachte, ich mache sie dann, wenn mal der Punkt kommt, an dem ich freihabe und nichts mehr leisten muss, sondern genießen darf. Das sollte der Ruhestand sein, mit meiner Frau.« Ich werde nie vergessen, wie er dann so nachdrücklich formulierte: »Es gibt keinen Gott. Das kann doch keiner wollen, dass ich all meine Wünsche, die ich bis heute aufgespart habe, jetzt nicht mehr realisieren kann.« Da war so ein großer Schmerz über das, was er verpassen würde. Die Erkenntnis, ich muss sterben, war verbunden mit der Enttäuschung über diesen ungeheuren Verzicht.

B: Er hatte wohl wie viele von uns seine Endlichkeit lange verdrängt. Ich bin überzeugt, dass die Beschäftigung mit dem eigenen Ende immer eine Beschäftigung mit dem Leben ist. Die Frage: »Wie kann oder wie will ich sterben?« ist untrennbar mit der Frage verknüpft: »Wie will ich leben?«

N: Denkst du schon immer so?

B: Früher habe ich mir solche Fragen gar nicht gestellt. Nicht einmal, als ich die ersten mir nahestehenden Toten erlebt habe. Meine Großeltern väterlicherseits zum Beispiel waren beide über achtzig. Als sie starben, habe ich das gar nicht so wahrgenommen, weil ich noch so klein war. Bei meinem Großvater mütterlicherseits war es ein bisschen anders. Da erinnere ich mich zumindest an die große Trauer meiner Mutter. Als dann meine Oma starb, war ich Anfang zwanzig. Ich weiß noch, ich wollte sie nicht tot sehen, ich wollte sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2022
Co-Autor Julia Schaaf
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Beerdigung • Corona • Erfahrung mit dem Tod • Intensivmedizin • Lebensbedrohliche Erkrankung • letzte Reise • Religion • Rituale • Schicksalsschlag • Sterbebegleitung • Sterbehilfe • Sterben • Tod • Trauer • Trauerarbeit • Verlust
ISBN-10 3-8437-2676-0 / 3843726760
ISBN-13 978-3-8437-2676-4 / 9783843726764
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