Frauen schulden dir gar nichts (eBook)
288 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30325-4 (ISBN)
Florence Given, 1998 geboren, ist eine in London lebende Künstlerin und Autorin, die vor allem aus den sozialen Medien bekannt ist. Ihre wiedererkennbaren, knalligen Illustrationen stehen für feministisches Empowerment. Über eine beeindruckende Follower:innenschaft auf Instagram macht sie auf Themen rund um Schönheitsideale, Gender und Sexualität aufmerksam.
Florence Given, 1998 geboren, ist eine in London lebende Künstlerin und Autorin, die vor allem aus den sozialen Medien bekannt ist. Ihre wiedererkennbaren, knalligen Illustrationen stehen für feministisches Empowerment. Über eine beeindruckende Follower:innenschaft auf Instagram macht sie auf Themen rund um Schönheitsideale, Gender und Sexualität aufmerksam. Kathrin Weßling ist Autorin und Social-Media-Expertin. Auf Twitter und Instagram folgen ihr über 60.000 Menschen, die ihre Postings und Beiträge über Themen wie Feminismus, psychische Erkrankungen und Popkultur verfolgen. Ihr Buch »Super, und dir?« wurde von Presse und Leser*innen als »der Roman ihrer Generation« gefeiert. Ihr letztes Buch "Nix Passiert" erschien im Frühjahr 2020 bei Ullstein. Sie schreibt außerdem regelmäßig für ZEIT ONLINE, SPIEGEL, uvm. Sie hat u.A. bei oder für funk, DIE DA OBEN, stern.de, DER SPIEGEL und Mit Vergnügen gearbeitet. Kathrin Weßling lebt in Berlin. Eva Horn ist Social-Media-Redakteurin beim SPIEGEL, wo sie auch regelmäßig Kommentare schreibt, überwiegend zu feministischen Themen. Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Strategien gegen Hass im Netz, Trolling und Fake News.
Kapitel 1 Feminismus wird dein Leben ruinieren
Aber auf die bestmögliche Weise!
»In der Komfortzone ist es warm und gemütlich – aber wachsen wird dort nichts.« Unbekannte*r Autor*in
Meine Reise zum Feminismus war anstrengend.
Ich verlor Freund*innen, weinte auf Clubtoiletten, weil es mich so fertig machte, wie normalisiert Grapschen ist, ich schrie Typen ins Gesicht, die mir auf der Straße hinterhergepfiffen hatten; und stritt mich das ein oder andere Mal fürchterlich mit meinen Eltern.
So weit, so typisch für mich.
Sehr dramatisch.
Aber ich musste das alles tun, um daran zu wachsen. Ich musste (und muss bis zum heutigen Tag) durch Phasen gehen, in denen ich bis über beide Ohren in toxischem Bullshit steckte, um mich zu verwandeln. Dieser Prozess war (und ist) schmerzhaft und teilweise unangenehm, aber er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Zu einer Frau, die selbstbewusst genug ist, um ihre Stimme zu erheben und dieses Buch zu schreiben – und um meine Meinung zu sagen und über meine Erfahrungen zu sprechen.
An sich selbst zu wachsen, kann einsam machen. Alles, was du bisher über dich und die Welt zu wissen glaubtest, verwandelt sich vor deinen Augen zu Asche. Du beginnst bei deinen Freund*innen, aber auch bei dir selbst ungesunde und toxische Verhaltensweisen zu bemerken. Deine Lieblingsfilme gefallen dir plötzlich nicht mehr, weil dir auffällt, dass die Frauenfiguren in erster Linie so gezeichnet sind, dass Typen sie sexy finden. Der Text deines Lieblingssongs wird sich auf einmal problematisch anhören und am Ende wirst du angeekelt feststellen, wie tief sich Sexismus, Rassismus, Ableismus und transfeindliches Verhalten in unsere Gesellschaft und in unser aller tägliches Verhalten gefressen haben – auch in dein eigenes. Dieser Perspektivwechsel hat das Potenzial, dein Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Aber ist es nicht besser, die Ungerechtigkeiten dieser Welt klar vor Augen zu haben, anstatt weiterhin ahnungslos durch dein Leben zu laufen und munter dazu beizutragen, dass sie so ungerecht bleibt?
Hör auf, die Beifahrerin deines eigenen Lebens zu sein
Vertrau mir: Es ist besser, wenn dein Leben komplett auf den Kopf gestellt wird und du dich für kurze Zeit unwohl fühlst – verglichen mit dem Leid, das dir so erspart bleibt, weil du eben nicht dein weiteres Leben so lebst wie bisher. Sieh diese kurze Phase des Sich-unwohl-Fühlens als sinnvolle Investition in dein zukünftiges Selbst. Lerne, dieses Unwohlsein zu akzeptieren. Feminismus und Selbsterfahrung werden dich entwurzeln, aber am Ende des Tages wird sich die ganze Mühe lohnen, ich verspreche es dir.
Herzlich willkommen im Feminismus, der Welt der dauerwütenden Menschen …
Nein, nein, keine Sorge, ich mache nur Witze. Zumindest ein bisschen.
Aber wenn der Groschen einmal gefallen ist, gibt es kein Zurück mehr. Du wirst plötzlich anfangen, überall Misogynie, Rassismus und Doppelmoral zu sehen.
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Vor einer Minute waren romantische Komödien deine absoluten Lieblingsfilme und auf einmal sind sie vor tradierten Stereotypen triefender Dreck, dem du die Schuld daran gibst, dass du so viele Gedanken daran verschwendest, Typen gefallen zu wollen.
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Manche deiner sexuellen Erfahrungen werden sich scheiße anfühlen – manche vielleicht sogar wie Vergewaltigung oder Belästigung –, weil du anfängst zu verstehen, was mit consent gemeint ist.
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Und ja, du wirst dich plötzlich über die kleinsten Kleinigkeiten furchtbar aufregen. Zum Beispiel darüber, wie viel von dem verdammten Platz Typen in der U-Bahn mit ihren Beinen ganz selbstverständlich für sich beanspruchen und dass sie dir immer in die Quere kommen.
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Und ja, du wirst vermutlich an dir selbst feststellen, wie sehr sich dein eigenes Verhalten ändert, sobald du mit Männern sprichst oder schreibst, und dahinter erkennen, wie sehr von dir erwartet wird, dass du höflich, freundlich und begehrenswert erscheinst.
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Und ja, du wirst erkennen, wie kaputt unsere Gesellschaft ist und wie sehr dein eigenes, kaputtes Verhalten von anderen normalisiert wurde. Und du wirst dich vielleicht schuldig fühlen, weil dir das so lange nicht aufgefallen ist.
Aber Schuld ist so eine unproduktive Emotion. Sich schuldig zu fühlen für die eigenen Fehler und Verhaltensweisen ist nichts, was dich oder die Menschen, die du vielleicht verletzt hast, irgendwie voranbringt, jedenfalls nicht, solange sich dein Verhalten nicht wirklich ändert. Was wirklich zählt, ist, dass du jetzt ein Bewusstsein dafür entwickelt hast, was bisher schiefgelaufen ist. Und dass du alles daransetzen wirst, nicht noch mehr Schaden anzurichten.
Mit wachsendem Wissen über all diese Dinge wächst auch das Unwohlsein, das ist unvermeidbar. Du musst dir im Klaren darüber sein, dass du aus deinen Bekanntschaften, Freund*innenschaften, ja sogar aus deiner Familie, herauswachsen wirst – wenn du dein Leben wirklich so führst, wie du es führen möchtest, auf deinem eigenen Weg, frei von den Zwängen, die unsere Gesellschaft für Frauen bereithält. Hoffentlich werden sie mit dir gemeinsam wachsen oder dich zumindest auf deinem Weg unterstützen. Aber dir darüber Gedanken zu machen, was andere von dir denken könnten, sollte jetzt nicht deine Priorität sein. Lass uns uns zuerst darauf konzentrieren, wie du immer mehr Wissen erlangst, um weiterzuwachsen.
Möglicherweise ist das die schmerzhafteste Lektion auf deinem Weg der sozialen und politischen Bewusstwerdung. Bei deiner Weiterentwicklung wirst du die Menschen in deinem Umfeld mit anderen Augen sehen, neue, unangenehme Seiten an ihnen entdecken – und du wirst dich vielleicht sogar schuldig fühlen. Vielleicht wirst du ihnen Glauben schenken wollen, wenn sie dir sagen, dass du »es diesmal aber wirklich übertrieben« hast oder dass du »zu empfindlich« bist. In diesem Fall solltest du dich daran erinnern, dass alle, die dir so etwas vorwerfen, deine neuen Fähigkeiten als Bedrohung wahrnehmen. Sie wollen, dass du bleibst wie sie – emotional und moralisch verkümmert. Indem du voranschreitest, spiegelst du ihnen, was sie alles nicht sind, daher ist es verständlich, dass sie sich dir gegenüber komisch verhalten – aber eine Entschuldigung ist es deswegen noch lange nicht.
Selbstbewusste Menschen werden sich von deiner Art, Probleme, Gefühle und Unwohlsein über Fehlverhalten laut und deutlich zu artikulieren, nicht unter Druck gesetzt fühlen. Wer so etwas tut, ist in Wirklichkeit unsicher – und dein Verhalten stößt die Person darauf. Deswegen: Entschuldige dich niemals dafür, dass du über deine Gefühle sprichst. Empathie ist eine Gabe und starke Gefühle sind es auch.
Mach dich nicht kleiner, als du bist, nur damit andere sich nicht eingeschüchtert fühlen.
Umgib dich nicht länger mit Menschen, die dafür sorgen, dass du deinen eigenen Wert permanent selbst infrage stellst, sondern mit solchen, die dich immer wieder an ihn erinnern, wenn du Gefahr läufst, dich unter Wert zu verkaufen – und die dir Bescheid sagen, wenn du in alte Muster zurückfällst. So etwas ist ein Akt der Liebe und der Freund*innenschaft.
Wenn ich auf jeden gehört hätte, der mir erzählt hat, dass »ich es mit meinem Feminismus nun aber wirklich zu weit getrieben« hätte oder dass »nicht alles etwas mit race/Gender/Sexualität zu tun hat«, wäre ich niemals so weit gekommen, wie ich es heute bin. Ich wäre immer wieder in die alten erlernten Muster zurückgefallen. Solche Leute sind genau das, was dieses rassistische, patriarchale Gesellschaftssystem braucht, um weiter existieren und unterdrücken zu können. Lass dir nicht erzählen, dass politische Diskussionen nur etwas für »Erwachsene« sind. Das ist genau das, was die »Erwachsenen« wollen. Das Patriarchat hasst progressive Gespräche und Menschen, die versuchen, aus dem System auszubrechen. Denn es ist wie ein Parasit, der sich von Angst und Schweigen ernährt. Genauso, wie Rape Culture nur dann weiter existieren kann, wenn es gelingt, die Opfer zum Schweigen zu bringen. Deswegen ist die #MeToo-Bewegung, begründet von Tarana Burke, so essenziell: weil sie endlich ein Bewusstsein geschaffen hat für die Alltäglichkeit von sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft – und dafür, wie sehr sie immer noch normalisiert wird.
Deswegen: Wenn jemand versucht, dich zum Schweigen zu bringen, dann liegt das daran, dass diese Person möglichst keine Veränderung möchte, damit das System am Leben erhalten werden kann. So haben sie es schon immer versucht. Bleib unbequem. Mach weiter.
Die meisten Menschen haben ein Problem damit, wenn man ihnen sagt, dass alles, was sie bisher dachten, falsch ist. Das ist nachvollziehbar. Deswegen müssen wir weg von der Annahme, dass dieser Veränderungsprozess Spaß macht. Im Gegenteil: Er ist schmerzhaft, aber notwendig. Und natürlich ist es nicht so einfach, sich von den Narrativen zu verabschieden, die einen das ganze bisherige Leben begleitet haben. Denn dazu müssen wir einsehen, dass wir uns in der Vergangenheit ignorant verhalten haben....
Erscheint lt. Verlag | 10.3.2022 |
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Übersetzer | Kathrin Weßling, Eva Horn |
Zusatzinfo | 32 Farbabbildungen |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Diversity • Feminismus • feministischer Ratgeber • Frauensolidarität • Instagram-Generation • Intersektionalität • Schönheitsideal • Selbstliebe • Selbstwertgefühl • Sexismus • UK-Besteller • women don't owe you pretty |
ISBN-10 | 3-462-30325-2 / 3462303252 |
ISBN-13 | 978-3-462-30325-4 / 9783462303254 |
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Größe: 29,0 MB
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