So sieht Feminismus aus (eBook)

Die Geschichte einer globalen Bewegung

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-27698-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So sieht Feminismus aus -  Lucy Delap
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Mary Wollstonecraft, Simone de Beauvoir, Judith Butler: Diese Ikonen des Feminismus sind in aller Munde. Aber was ist mit Funmilayo Ransome-Kuti, Alexandra Kollontai oder Rokeya Sakhawat Hossain? In ihrer 250 Jahre und fünf Kontinente umspannenden Geschichte macht Lucy Delap deutlich, dass der Feminismus keine westliche Erfindung ist: Kurzweilig und inspirierend zeigt sie auf, dass konkrete historische Ereignisse rund um den Globus seine mosaikartige Entwicklung vorangetrieben haben und diese nicht losgelöst von Hautfarbe, Klasse und Sexualität gedacht werden kann. Freiheits- und Klassenkampf, neue Formen des Zusammenlebens sind beeinflusst von feministischem Denken und umgekehrt.

Ein erfrischend neuer, postkolonialer Blick auf eine weltweite Bewegung, der in seinem Bezug zur Vergangenheit die Debatten der Gegenwart bereichert und öffnet.

Lucy Delap ist Historikerin mit den Forschungsschwerpunkten Feminismus, Alltagsgeschichte, Arbeiterbewegung, Religion und Inklusion. Sie lehrt an der University of Cambridge. Für ihr Buch The Feminist Avant-Garde wurde sie mit dem Women's History Network Prize ausgezeichnet.

1

TRÄUME

Als ich mich in den 1990er-Jahren während meines Studiums zum ersten Mal mit der Geschichte der Feminismen befasste, veranlasste mich eine zufällige Begegnung während eines Seminars dazu, mich intensiv mit der Frage auseinanderzusetzen, von welcher Art von Träumen Feminist:innen wohl angetrieben würden. Eine Kommilitonin aus einem höheren Semester hatte sich neben mich gesetzt, und wir verfolgten beide eine Debatte über feministische Philosophie. Oder vielleicht hörte ich zwar zu, habe aber zugleich eine höchst lebhafte Erinnerung an ihre regenbogenfarbenen Zehensocken. In ihrer Art der Selbstdarstellung wirkte sie auf unbekümmerte Weise unkonventionell. Wir begannen, uns über Feminismus zu unterhalten, und ich war aufrichtig geschockt, als sie mir erzählte, ihre Vision von Feminismus bestehe darin, dass er das Geschlecht vollständig auslösche. Sie träumte von einer Welt, in der die Kategorien männlich und weiblich schlichtweg irrelevant wären. Mit den heutigen nicht binären trans- und genderneutralen Formen von Identität, auf die experimentell oder auch sehr bestimmt zurückgegriffen wird, wirkt dieser Traum womöglich weniger Grenzen sprengend, und auch meine eigenen Ansichten sind unkonventioneller geworden. Aber diese Begegnung war ein wichtiger Moment für mich, denn sie offenbarte mir, wie divers die mit Feminismus verbundenen utopischen Hoffnungen sind und dass ich mich mit den bestehenden Kategorisierungen von Männlich- und Weiblichkeit weiter auseinandersetzen würde. Träume haben ein großes Potenzial, um Impulse für Veränderung und Andersartigkeit zu schaffen. Im späten 18. Jahrhundert nannte die Schriftstellerin Mary Wollstonecraft sie wild wishes, »wilde Wünsche«, Momente der Vorstellungskraft, die offenbaren, was Frauen und Männer dazu brachte, ein feministisches Bewusstsein zu entwickeln.

Träume bieten einen sehr persönlichen, intimen Einblick in die Beweggründe, aus denen feministischer Aktivismus entstanden ist. Sie entstehen im Kontext der Lebensverhältnisse der Träumer:innen – ihrer Familie, ihren Erfahrungen in der Arbeitswelt, den Büchern, die sie lesen, ihrer Gemütsverfassung. Träume stehen aber auch in direktem Zusammenhang mit dem historischen Moment, mit dem, was im Kontext von beispielsweise Besatzungszeit, Revolution, Urbanisierung oder Hungersnot vorstellbar ist. Es ist vorstellbar, dass feministische Träume klein anfingen und das Hauptaugenmerk auf der Gleichberechtigung der Geschlechter oder auf der Erlangung bestimmter Rechte lag, etwa des Sorgerechts für Kinder. Doch nur ein kurzer Blick auf die Verschiedenartigkeit der Träume und Träumer:innen, die wir in den Jahrzehnten des späten 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert vorfinden, belehrt uns eines Besseren. Die Träume des Charles Fourier (1772–1837) und seiner Anhänger:innen sind bezeichnend für die Ambitionen und verblüffende Heterodoxie früherer Zukunftsvisionen einer neuen Geschlechterordnung. Fourier argumentierte damit, dass die Voraussetzungen für ein glückliches Leben sinnstiftende Arbeit und Freiheit in der Liebe seien. Für die korrumpierten sexuellen Sitten seiner Zeit fand er folgende Worte:

»Gleicht eine junge Frau nicht einer Ware, die dem Höchstbietenden zum Verkauf angeboten wird? Erfolgt ihre Zustimmung zum Eheband nicht geradezu erzwungenermaßen und gleicht sie nicht einer Farce, nachdem sie von Kindheit an mit fixen Ideen darauf gedrillt wurde? Man will sie davon überzeugen, dass sie nur aus Blumen geflochtene Ketten trägt. Aber ist sie sich ihrer Erniedrigung bewusst?«26

Alternativ schlug Fourier einen weiteren feministischen Traum vor: eine ideale Gesellschaft, die er Harmonie nannte und die sich durch kreative, angenehme Arbeit auszeichnete, eine Art genossenschaftlicher Ordnung, in der Männer, Frauen und Kinder ihren jeweiligen Neigungen entsprechend eine Vielfalt an Aufgaben übernehmen konnten. In sexuellen Angelegenheiten hätten alle die Freiheit, »eine Vielzahl an amourösen, bislang kaum vorstellbaren Innovationen« zu leben. Frauen sollten an der Regierung von Harmonie beteiligt werden, die laut Fouriers Prophezeiung bald den gesamten Globus umspannen würde. Aber da die Art der Umsetzung dieser Ziele eher vage blieb, bezeichneten spätere Denker:innen seinen Ansatz eher als Utopie denn als ernsthafte sozialistische Zukunftsvision. Einige seiner Anhänger:innen hatten in den 1830er- und 1840er-Jahren Gemeinschaften in Frankreich, Spanien, Algerien, den Vereinigten Staaten und anderen Staaten gegründet und drängten auf die Abschaffung von Ehe, Eigentum und der konventionellen Mutterrolle zugunsten eines équilibre passionnel (etwa: leidenschaftliche Ausgewogenheit). Ihre subversiven Experimente halten uns vor Augen, dass Feminismus danach und bis heute nie radikaler gedacht wurde.

In diesem Kapitel untersuche ich verschiedene Quellen und Orte feministischer Träume, einschließlich derer, die sich für die Abspaltung von Männern aussprechen, derjenigen, die in ihrer Zukunftsvision Liebe und Sexualität priorisieren, und derer, die dafür sorgen wollten, »die Rasse voranzubringen«. Starke literarische oder Science-Fiction-Fantasien stehen unbewussten und chaotischen Fragmenten des Traumlebens gegenüber. Träume sind zugleich ein Ort unermüdlichen Utopismus und manchmal ein Indikator für Unbehagen und Konfliktpotenzial, die oftmals mit Visionen eines neuen Lebens einhergingen.

Ladyland und Herland

1905 veröffentlichte die fünfundzwanzig Jahre alte bengalische Schriftstellerin Rokeya Sakhawat Hossain Sultana’s Dream, die fiktive Erzählung einer feministischen Utopie über ein technologisch hoch entwickeltes Land, das sie Ladyland nannte. In ihrer Vision waren Männer in die Abgeschiedenheit der zenana oder des Harems verwiesen worden, und Frauen regierten nun ohne Schleier oder das burkaartige Gewand Parda. Ladyland war ein parkähnlicher Schauplatz, in dem die Kompetenzen und Technologien von Frauen maximal ausgeschöpft wurden. Sie stellte sich Universitäten in Ladyland vor, die von Frauen geleitet wurden und deren Forschung ökologisch nachhaltige Landwirtschaft ermöglichte.

Vielleicht weil sie von der Kultur und den Gartentraditionen des Mogulreichs beeinflusst war, erschien es ihr von äußerster Wichtigkeit, dass Frauen freien Zugang zu reichlich Wasser hatten, vielleicht aber auch weil sie die Umweltzerstörungen während der britischen Kolonialherrschaft in Indien miterleben musste. Rokeya stellte fest, dass Männer in der »realen Welt« Wissenschaft ausschließlich militärischen Zwecken vorbehielten. Ihre Herrscherinnen jedoch waren stark und bereit, ihre Macht zu verteidigen; Rokeya malte sich aus, wie sie mit Heizstrahlwaffen Männerarmeen aus benachbarten Ländern zurückschlugen.

Ihre Vision war zwar keine säkulare, aber die Religion, der die Muslimin Rokeya angehörte, war unorthodox. Sie beschrieb diese als eine auf Liebe und Wahrheit basierende, in der »heilige« Beziehungen neu definiert würden. In der bengalischen Gesellschaft galten direkte Familienangehörige als »heilige Beziehungen«, Mischehen waren verboten. Auf spielerische Weise weitete Rokeya in Ladyland das »Heilige« so aus, dass alle »Familie« darstellten, sodass Männer und Frauen frei und ohne sexuelle Konnotationen miteinander umgehen konnten. Trotz ihrer Kritik am Parda und der Verschleierung stellte Rokeya den Islam nicht als einen Raum der Einschränkung dar. Wie viele andere auch begründete sie ihre Ansichten mit dem Denkmodell der Wiederherstellung der Frauenrechte, die früher einmal Teil des Islam gewesen waren. »Wir wollen weder Almosen noch ein Gnadengeschenk. Unsere Forderung besteht in nichts Geringerem, als das wiederzuerlangen, was der Islam uns vor 1300 Jahren gegeben hat.«27

Ihren Unmut über bengalische Musliminnen, die folgsam einen Parda trugen, äußerte Rokeya zu Lebzeiten (1880–1932) folgendermaßen: »Warum lasst ihr es zu, dass man euch so einschränkt? Ihr habt wohl vergessen, dass ihr euch selbst gegenüber verpflichtet seid, und ihr habt eure natürlichen Rechte verloren …« Sie war eine leidenschaftliche Befürworterin der Frauenbildung als Weg in die Freiheit für ihre Zeitgenossinnen und schlug selbst eine Laufbahn als Sozialarbeiterin und in der Frauenbildung ein.28 Die Abschottung von Frauen durch Parda und Schleier war für Rokeya »ein lautloser Mörder wie Kohlenstoffmonoxid«. Mit ihrer Ablehnung des Parda stimmten Rokeyas Ansichten mit einem Großteil der kolonialen Kommentatoren überein, die die Abgeschirmtheit der muslimischen Frauen sowie die hinduistischen Traditionen der Kinderehe und der »Witwenverbrennung« als primitive oder wilde Praktiken ansahen. Rokeya entschied sich dazu, Sultana’s Dream auf Englisch zu schreiben, und ihre Utopie wurde im Indian Ladies Magazine veröffentlicht. Die Leserschaft dieser christlichen, englischsprachigen Zeitschrift entsprach in ihren Augen eher einer gebildeten kolonialen Elite. Rokeya selbst positionierte sich auf Augenhöhe mit der Elite der einheimischen Bevölkerung, die mit ihrer Einflussnahme darauf abzielte, die Praktiken ihres Landes, das unter britischer Kolonialherrschaft stand, zu »modernisieren«. Nichtsdestotrotz veröffentlichte Rokeya auch viel in bengalischen Magazinen und gründete eine Sparte einer Wohlfahrtsorganisation für muslimische Frauen, die Anjuman-e-Khawateen-e-Islam. Zudem übersetzte und zitierte sie progressive feministische Erzählungen und Texte aus Afghanistan und England und engagierte...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2022
Übersetzer Alexandra Hölscher
Sprache deutsch
Original-Titel Feminisms: A Global History
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Alexandra Kollontai • Anne Knight • charlotte gilman • Chimamanda Ngozi Adichie • Clara Zetkin • Diversität • eBooks • Eleanor Rathbone • Ellen Key • Feminismus • Frauen • Frauenbewegung • Funmilayo Ransome- Kuti • Josefa Amar y Borbón • Neuerscheinung • Nísia Floresta Brasileira Augusta • Postkolonialismus • Rokeya Sakhawat Hossain
ISBN-10 3-641-27698-5 / 3641276985
ISBN-13 978-3-641-27698-0 / 9783641276980
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