Über dem Orinoco scheint der Mond (eBook)

Warum wir die Natur des Menschen neu begreifen müssen, um die Welt von morgen zu gestalten
eBook Download: EPUB
2022
160 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-27476-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Über dem Orinoco scheint der Mond - Harald Lesch, Klaus Kamphausen
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Lasst uns den Menschen als Teil der Natur neu denken!
Alles hängt mit allem zusammen, und wir Menschen sind ein Teil des Ganzen der Natur. Diese Einsicht ist in unserer technologisch-ökonomisch geprägten Welt in Vergessenheit geraten, mit immer negativeren Folgen für unsere natürliche Mitwelt, unsere Lebensgrundlagen und letztlich uns selbst. Wie kommen wir da wieder raus? Harald Lesch und Klaus Kamphausen entwerfen ein Welt- und Menschenbild, das den Menschen wieder als Teil der natürlichen Zusammenhänge begreift und ihn als Wesen zeigt, das erst im Für- und Miteinander sein volles, zukunftsfähiges Potential entfaltet - ein Welt- und Menschenbild, das sich von der Durchrationalisierung und -ökonomisierung des Lebens verabschiedet und dem Staunen und Mitfühlen wieder mehr Platz einräumt. Ein Leitstern ihrer Überlegungen ist der Naturforscher Alexander von Humboldt, der vor über 200 Jahren den südamerikanischen Fluss Orinoco bereiste.

Harald Lesch ist Professor für Theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik der Ludwig-Maximilians-Universität München und einer der bekanntesten Naturwissenschaftler in Deutschland. Seit vielen Jahren vermittelt er einer breiten Öffentlichkeit spannendes populärwissenschaftliches Wissen. Durch die Sendereihe »alpha-Centauri« bekannt geworden, moderiert er heute u. a. »Leschs Kosmos« im ZDF. Er hat, allein oder mit Co-Autoren, eine Vielzahl erfolgreicher Bücher veröffentlicht, zuletzt »Was hat das Universum mit mir zu tun?«, »Wenn nicht jetzt, wann dann?« und »Denkt mit!«.

1  Warum?

Klaus Kamphausen: Harald, lass mich mit einem kurzen Nachrichtenrückblick auf das Jahr 2021 beginnen.

  14. Juli 2021: Eine Studie brasilianischer Wissenschaftler kommt zu dem Ergebnis, dass die Regenwälder Amazoniens durch Abholzung, Brandrodung und Klimawandel mehr CO2 emittieren als versenken.1

  Mitte Juli 2021: Eine Flutkatastrophe von unvorstellbarem Ausmaß trifft nach extremem Starkregen die Regionen Trier, Ahrtal und Eifel. Die Folgen: mindestens 180 Tote, viele Vermisste und Verletzte, zerstörte Dörfer und Landstriche, Schäden in Milliardenhöhe.

  5. August 2021: Der Golfstrom, der das Klima in unseren Breiten maßgeblich mitbestimmt, schwächelt. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommen Forscher in einer Studie, an der auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung beteiligt ist. Die Studie über die Atlantische Meridionale Umwälzströmung, zu der auch der Golfstrom gehört, kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Strömungssystem in den letzten Jahrzehnten so stark wie nie zuvor in den vergangenen tausend Jahren abgeschwächt hat.2

  August 2021: Die halbe Welt steht in Flammen. Ausgelöst durch extreme Hitze, brennen im Nordosten Russlands Wälder auf einer Fläche fast so groß wie Mitteleuropa. Diese Brände sind nicht nur eine Katastrophe für Mensch und Natur, setzen nicht nur Hunderte Millionen Tonnen von CO2 frei, sondern lassen auch die Permafrostböden tauen, in denen gewaltige Mengen von extrem klimaaktivem Methan gespeichert sind. Ebenso hart getroffen von extremer Hitze und zerstörerischen Bränden sind Wälder, Mensch und Natur an der Westküste Kanadas und der USA sowie an der Mittelmeerküste der Türkei und Griechenlands.

  14. & 15. August 2021: Zum ersten Mal ist es auf Grönland so warm, dass auf dem höchsten Punkt des Eisschilds Regen fällt. Die mehrstündigen Niederschläge über weiten Teilen Mittel- und Südgrönlands bringen mehr als sieben Milliarden Tonnen Regen – mehr, als je zuvor in Grönland gemessen wurde. Das warme Wetter und der Regen führen zudem zu einer extremen Eisschmelze. Laut National Snow & Ice Data Center ist der Eisverlust an der Oberfläche des Eisschilds um das Siebenfache höher als der Normalwert für Mitte August. In der ersten Jahreshälfte 2021 ist das Oberflächeneis Grönlands auf einer Fläche von 21,3 Millionen Quadratkilometern abgeschmolzen, dreimal so viel wie im langjährigen Mittel.3

  6. September 2021: Auf der Südhalbkugel, in Neuseeland, bricht der Frühling an, und das nach dem wärmsten Winter seit über 100 Jahren. Die Durchschnittstemperaturen in den Wintermonaten Juni, Juli und August lagen 1,3 Grad Celsius über dem langjährigen Durchschnitt.4

Nachrichten wie diese sind fast täglich in den Medien zu lesen, im Radio oder Fernsehen zu hören und zu sehen. Egal, ob sie das Klima betreffen, die Verschmutzung oder Ausbeutung der Meere, die Erwärmung der Ozeane, die Vernichtung von Wäldern und Ackerböden oder die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten: Sie sprechen eine deutliche Sprache, erreichen uns aber nicht so, dass wir unser Handeln wirklich maßgeblich und nachhaltig verändern. Die Frage ist, warum?

Harald Lesch: Diese Berichte sind unmissverständlich und klar. Es sind naturwissenschaftliche Fakten, die uns zeigen, dass es sehr schlecht um unseren Lebensraum steht. Wir können uns nicht darauf zurückziehen, von diesen Tatsachen nichts zu wissen, denn die Frequenz dieser Art von Nachrichten nimmt drastisch zu. Unsere scheinbare Taub- und Blindheit liegt auch nicht in irgendeiner Abstraktheit des Themas begründet, denn als Bewohner Mitteleuropas bekommen wir die Auswirkungen des Klimawandels deutlich zu spüren: Hitzewellen, Trockenheit und Überschwemmungen sind mittlerweile auch bei uns angekommen.

Unsere Art zu leben ist auf Kante genäht. Sie wird nicht bestimmt von einem rücksichtsvollen Umgang mit unserem Planeten, nein, es ist die Wirtschaft, die das Ruder in der Hand hält. Und die muss wachsen, koste es, was es wolle. Transnationale Konzerne haben die Welt kommerziell im Griff, sie machen, was sie wollen, was wir wollen, nämlich immer mehr und das immer schneller. Das zieht einen unglaublichen Verbrauch an Ressourcen und einen unglaublichen Grad an Naturzerstörung nach sich. Und das weltweit.

Was ist da passiert? Die Naturwissenschaften liefern seit vielen Jahren nicht nur Fakten, die den Grad der Zerstörung unserer Umwelt belegen. Sie liefern auch Zukunftsperspektiven, indem sie mögliche Rahmenbedingungen benennen, unter denen wir Entscheidungen treffen könnten, um zukunftstauglich für alle zu leben. Aber die Ökonomie hält sich nicht an diese Fakten. Und auch jeder Einzelne von uns versagt, denn diese Fakten sind keine durchschlagenden Wegweiser für unser Handeln, nein, Gier und Egoismen sind die treibenden Kräfte.

KK: Zu diesem Szenario gehört, dass persönliche, individuelle Vorteile und Ansprüche als Freiheit deklariert werden. Die eigenen Bedürfnisse werden über das Wohlergehen der anderen, über das Allgemeinwohl gestellt. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes asozial.

HL: Richtig, die Wissenschaften reden von einer großen, unbedingt notwendigen Transformation, soziologisch, ökonomisch und ökologisch, ohne die die Erde in naher Zukunft für Menschen unbewohnbar sein wird. Und eine Erde ohne Menschen ist weder für die Wirtschaftselite noch für irgendjemand anders von Interesse.

Unsere ethische Herausforderung besteht darin, dass die kapitalistische Ökonomie für manche Länder und Kontinente große marktwirtschaftliche Erfolge gebracht hat, die kurz davor stehen, zu kippen und eine Katastrophe von globalem Ausmaß auszulösen. Und in diesem erfolgreichen marktwirtschaftlichen System ist ein notwendiger Verzicht kein Anreiz, für niemanden.

Ökologisch handeln heißt aber nicht unbedingt verzichten, so wie es in den Medien oft und gerne dargestellt wird. Aber wenn die Politik in Deutschland zum Beispiel eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen vorschreibt, wenn sie verlangt, dass wir weniger fliegen sollen, dann fühlen sich die Menschen erst einmal eingeschränkt, ihrer subjektiven Freiheit beraubt. Denn wir sind über Jahrzehnte wie Drogensüchtige von der Nadel der Mobilität und Flexibilität abhängig geworden, wir haben einen Rausch nach dem anderen erlebt, sind noch und nöcher um die Welt gereist und tun es weiterhin und mehr denn je.

Die Menschen holen sich damit ihr schnelles, kurzes Glück, meist weil sie in Arbeits- und Lebensumständen stecken, die sie nicht sehr befriedigen. Aber sie wissen nicht, was sie tun. Das ist eine meiner Antworten auf das »Warum«. Viele Menschen wissen einfach nicht, was sie tun, kennen nicht die Fakten, die Tatsachen und erst recht nicht die Konsequenzen ihres individuellen Handelns.

KK: Halten wir fest: Es gibt die Fakten und Tatsachen – von denen wir wissen oder nicht. Aber es fehlen auch die richtigen Rahmenbedingungen, die weder von der Politik gesetzt noch vom Großteil der Gesellschaft gefordert werden und von der Ökonomie offensichtlich nicht gewünscht sind. Von pluralistischer Ignoranz und Verantwortungsdiffusion sprechen die Sozialpsychologen, wenn trotz des Wissens vieler keiner handelt. Woran liegt das? Gibt es einen Mangel an Kommunikation für die gemeinsame Verantwortung? Oder blindes Vertrauen darauf, dass die anderen es schon irgendwie richten werden? Das Widerliche, das Makabre, das Absurde daran ist, dass wir diese systematische Zerstörung selbst vornehmen, und zwar jeder Einzelne von uns. Es sind keine bösen Aliens, die unseren Planeten angreifen und erobern wollen, es ist kein Riesenmeteorit, der die Bahn unserer Erde kreuzt und sie zu Milliarden und Abermilliarden von Staubkörnchen pulverisiert – wir, die vermutlich intelligentesten Wesen auf diesem Planeten, sind es selbst, die dieses unumkehrbare Werk vollenden!

Warum tun wir das? Die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall hat auf diese Frage mit folgenden Worten geantwortet: »Die einzige Antwort, die ich gefunden habe, ist, dass wir die Verbindung zwischen Kopf und Herz zertrennt haben, zwischen Intellekt und Liebe.«5

HL: Ja, wir haben die Verbindung zu unserer inneren und äußeren Natur verloren. Wir stehen weder mit unseren Mitmenschen noch mit unserer Mitwelt in Resonanz, auch weil uns nicht wirklich bewusst ist, wie grundlegend unterschiedlich organische und maschinelle Kreisläufe sind. Lebewesen wirken auf sich selbst zurück, Maschinen tun das nicht.

Lass mich das veranschaulichen. Nehmen wir einmal an, es würde außerirdische Lebewesen geben, die sehr, sehr alt werden können und schon lange Zeit die Entwicklung des Menschen beobachten, so wie es Bernhard Verbeek in seinem Buch »Die Anthropologie der Umweltzerstörung« beschreibt.6 Zu Anfang sehen diese außerirdischen Beobachter ein paar Menschen, die in kleinen Gruppen verteilt auf unserem Planeten leben, ohne größere Spuren ihres Seins zu hinterlassen. Dann, ein paar Tausend Jahre später, tauchen neben diesen Menschen Maschinen auf, und es machte Wummm! Durch diese Maschinen wird die Geschwindigkeit der Bewegungen der Menschen auf dem Planeten extrem vervielfacht. Von diesem Moment an greifen wir, die Menschen, auch...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Achtsamkeit • Alexander von Humboldt • Anthropozän • Ausbeutung Natur • Biologie • Bund • Club of Rome • CO2-Bilanz • Die Menschheit schafft sich ab • Dirk Steffens • E-Autos • eBooks • Fridays For Future • gaia • Ganzheitlichkeit • Gier • Grüne Wende • Hannah Arendt • Kapitalismus • Kapitalismus Gegenteil • Klimakrise • Klimawandel • Lesch Denkt mit! • Lesch Erneuerbare Energien • Leschs Kosmos • Naturerleben • Naturgefühl • Naturverbundenheit • Naturverständnis • Neil Armstrong • Neuerscheinung • Pandemie • Postwachstum • Regenwald Abholzung • Teilhard de Chardin • Terra X • Wenn nicht jetzt, wann dann? • Wuppertal Institut
ISBN-10 3-641-27476-1 / 3641274761
ISBN-13 978-3-641-27476-4 / 9783641274764
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