Die Schönheit der Differenz (eBook)

Miteinander anders denken
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
560 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-28097-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schönheit der Differenz -  Hadija Haruna-Oelker
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Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 in der Kategorie Sachbuch/Essayistik
Hadija Haruna-Oelker, Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Moderatorin beschäftigt sich seit langem mit Rassismus, Intersektionalität und Diskriminierung. Sie ist davon überzeugt, dass wir alle etwas von den Perspektiven anderer in uns tragen. Dass wir voneinander lernen können. Und einander zuhören sollten. In ihrem Buch erzählt sie ihre persönliche Geschichte und verbindet sie mit gesellschaftspolitischem Nachdenken. Sie erzählt von der Wahrnehmung von Differenzen, von Verbündetsein, Perspektivwechseln, Empowerment und von der Schönheit, die in unseren Unterschieden liegt.

Ein hochaktuelles Buch, das drängende gesellschaftspolitische Fragen stellt und Visionen davon entwickelt, wie wir Gelerntes verlernen und Miteinander anders denken können: indem wir einander Räume schaffen, Sprache finden, mit Offenheit und Neugier begegnen.

Die Politikwissenschaftlerin Hadija Haruna-Oelker lebt und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich ist sie für den Hessischen Rundfunk tätig. Sie moderiert die Römerberggespräche in Frankfurt, das Debattenformat »StreitBar« in der Bildungsstätte Anne Frank und die feministische Presserunde der Heinrich-Böll-Stiftung. In der Frankfurter Rundschau schreibt sie eine monatliche Kolumne. Außerdem ist sie zusammen mit Max Czollek Host des Erinnerungspodcasts »Trauer & Turnschuh«. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales, Rassismus- und Diversitätsforschung. Hadija Haruna-Oelker hat gemeinsam mit Kübra Gümü?ay und Uda Strätling »The Hill We Climb« von Amanda Gorman übersetzt. Anfang 2022 erschien ihr persönliches Sachbuch »Die Schönheit der Differenz - Miteinander anders denken«, das für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Sie ist Preisträgerin verschiedener Medienpreise wie dem ARD-Hörfunkpreis Kurt Magnus 2015 oder dem Medienspiegel-Sonderpreis für transparenten Journalismus 2021. Darüber hinaus ist sie Teil des Journalist*innenverbandes Neue Deutsche Medienmacher*innen (NDM) und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).

Vorwort


Wir sehen nicht die Dinge, wie sie sind,
sondern wir sehen sie, wie wir sind.

– Talmud

Dieses Buch ist eine Einladung. An alle, die über die Zustände unserer Gesellschaft nachdenken wollen. An Menschen die andere Antworten suchen als die gängigen Bestandsaufnahmen über Spaltung, Grabenkämpfe oder Generationenkonflikte. In diesem Buch schreibe ich für etwas und nicht gegen etwas an. Ich schreibe für eine diverse Gesellschaft und ihre Schönheit, und ich schreibe für alle, die einen Weg dorthin suchen. Ich schreibe für Menschen, die verstehen wollen und die sich »aufgeweckt« fühlen, weil sie sich mit dem, was uns unterscheidet und viele unterdrückt, noch nicht oder noch zu wenig beschäftigt haben – oder weil es sie schon lange beschäftigt. Dieses Buch ist für Menschen, die nicht nur mit Gleichen reden möchten, sondern erfahren wollen, was ihnen noch unbekannt ist. Es ist für alle, die Fragen haben, auf der Suche nach Antworten sind und die Angst ablegen wollen, etwas falsch zu machen. Die sich Klärung statt Selbstgeißelung wünschen, die Offenheit und Achtsamkeit konfrontativen Begegnungen oder vereinfachenden Pro-und-contra-Debatten vorziehen. Es ist für alle, die lernen und verlernen wollen, die wachgekitzelt werden möchten und sich fragen: Was ist da noch?

Ich trage in diesem Buch Überlegungen und Geschichten von Personen, die sich seit Jahren über eine gleichberechtigte und machtkritische Gesellschaft Gedanken machen, mit wissenschaftlichem Wissen zusammen, und ich setze all das in Verbindung zu mir selbst. Ich schreibe dieses Buch aus meiner Perspektive, die manchmal eine unterdrückte und andere Male eine privilegierte ist. Mein Sprechen und Schreiben ist das Ergebnis meiner eigenen Subjektivität, Meinung und Position. Es zeigt meinen Weg genauso wie meine schmerzhaften Erkenntnisse.

Ich bin eine Schwarze, nicht behinderte, normschlanke, cis-hetero Frau mit der Erfahrung, chronisch krank zu sein. Ich bin Mutter, Ehefrau, Tochter, Schwester, Journalistin und Feministin. Ich wurde in Westdeutschland sozialisiert. Meine Perspektive ist die eines Arbeiter*innen- und Angestelltenkindes der sogenannten unteren Mittelschicht, das studiert und einen sozialen Aufstieg erlebt hat. Ich bin Teil einer weltweiten Geschichte der Unterdrückung. Eingebettet in ein soziales Umfeld bin ich von Menschen umgeben, die mir zeigen, was es heißt, migriert, Schwarz, behindert, arm, muslimisch (gelesen zu werden), jüdisch, sinti, queer, dick_fett, neurodivers und/oder chronisch krank zu sein. Ich stehe mit ihnen in Verbindung, fühle mich verbündet. Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass mich so viele unterschiedliche Menschen in meinem Leben begleiten und ich sie. Ich habe viel durch und in der Begegnung mit anderen gelernt, Bewegung ist Teil meiner Biografie. Auf diese Weise stehen mein Umfeld und ich repräsentativ für unzählige Menschen, die unterschiedlich leben und sich in ihrem Menschsein gleichen. Die Publizistin Hannah Arendt nannte es die Gleichheit beim absoluten Unterschiedlichsein, und genau darin liegt die Schönheit der Differenz, die ich mit diesem Buch erfahrbar machen möchte und die infrage stellt, was vielen als »normal« gilt.

Normal. Ein so häufig verwendeter und schwieriger Begriff. Der Duden beschreibt es als »der Norm entsprechend; vorschriftsmäßig so [beschaffen, geartet], wie es sich die allgemeine Meinung als das Übliche, Richtige vorstellt«. Ich glaube, dass wir nicht darum herumkommen, genau dieses Normale zu hinterfragen, denn vielmehr sollten wir alle verstehen, was es bedeutet, privilegiert zu sein und auf der nicht benannten Seite gesellschaftlicher Konstruktionen zu stehen. Was es in Deutschland heißt, weiß, hetero, seelisch gesund, normschön, nicht behindert, christlich sozialisiert, mit Studienabschluss oder gesichertem Auskommen zu sein. Wir alle sollten uns in unseren jeweiligen Positionen dessen bewusst werden, was wir nicht sind, und dem nicht mit Abwehr oder (Selbst-)Stigmatisierung begegnen. Das ist ein politischer Akt und ein intimer Weg, weil sich kein Mensch den eigenen Geburtsort auf der Welt oder vieles von dem, was das eigene Sein ausmacht, ausgesucht hat. Das zu erkennen bedeutet, sich selbst gegenüber eine Haltung zu entwickeln, die von innerer Nähe und Zugewandtheit auf der persönlichen Ebene geprägt ist, um auf der Metaebene die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und die eigene Positionierung darin zu erkennen. Ich glaube, dass wir im Nachdenken, Sprechen und Aushandeln unseres Miteinanders weniger Sorge und Empörung, sondern mehr Verständnis für mögliche Irritationen auf dem Weg zu neuen Erkenntnissen brauchen.

Deshalb beschäftige ich mich in diesem Buch mit den Perspektiven »der Benannten«, also von Diskriminierung betroffenen, marginalisierten Menschen und deren Beziehungen zu denjenigen, die deren Erfahrungen nicht machen. Ich möchte den Fokus weg vom Leid hin zu Ursachen und Folgen lenken und verschiedene Sprachen erfahrbar machen. Deshalb sehe ich es positiv, dass wir in einer Zeit nie erlebter »Demokratisierung der Öffentlichkeit« leben, in der mehr Menschen die Möglichkeit haben, an Aushandlungsprozessen über unsere Gesellschaft teilzunehmen. Für mich ist die Behauptung, dass marginalisierten Menschen mit ihren Anliegen im Namen der Gerechtigkeit neue Ungerechtigkeiten schaffen, haltlos, weil niemand benachteiligt werden soll, aber sich bei genauerer Betrachtung viele Dinge anders denken lassen. Zum Beispiel, dass das, was als normal gilt, eine soziale Wirklichkeit ist, die von jedem Menschen anders erlebt wird und für die unsere Sozialisierung eine maßgebliche Rolle spielt: das Elternhaus, die Schule oder der Sportverein. Je nach Wertvorstellungen unseres Umfelds werden wir unterschiedlich geprägt. Wie eine eigene Meinung und Persönlichkeit entsteht, ist für alle von uns verschieden, es ist in Deutschland ganz anders als an anderen Orten der Welt. Eine einheitliche Definition von Normalität kann es deshalb nicht geben. Und das, was normal ist, lässt sich demnach auch verändern.

Aus diesem Grund erzähle ich in diesem Buch davon, wie ich unsere Gesellschaft und ihre Menschen in ihrer Differenz sehe. Ich stelle Fragen an die Gegenwart, und meine Suche nach Antworten und meine Betrachtungen verstehe ich als eine mögliche Lesart dieser komplexen Gegenwart. Das alles auf diese Weise aufzuschreiben ist für mich auch ein Wagnis, weil ich mich angreifbar mache, weil mein Privates hier politisch wird. Aber hey, kein Wachstum ohne Risiko! Daran glaube ich, und deshalb begebe ich mich auf unbestimmtes Terrain.

So verlief auch mein Weg in den Journalismus, der Ende der 2000er in der Position von »eine wie dich hatten wir noch nie in der Redaktion«, also in der Vereinzelung, seinen Anfang nahm. Er ist für mich auch ein Weg einer Emanzipation, auf dem ich meine Rolle im Journalismus finden musste. Auch Medienschaffende sind (nur) Menschen, die unterschiedlich denken, weshalb ich für eine kritische Herangehensweise, einen transparenten und verantwortungsvollen Journalismus stehe und eine Journalistin sein möchte, von der das Publikum weiß, welche Absenderin sie ist.

Ich bin bewegt und mache kein Geheimnis daraus, Menschenrechtlerin zu sein. Es war ein intensiver Weg, das journalistische Handwerk, meine Expertise und meinen Stil öffentlich in ein Verhältnis zu stellen. Und so nehme ich in diesem Buch mein journalistisches und mein persönliches Ich zum Ausgangspunkt, weil ich glaube, dass das eine Erzählung nicht weniger neutral macht. Zumal sowieso kein Mensch neutral ist. Als Teil meiner Generation habe ich erfahren, wie es ist, in die Fußstapfen von Menschen zu treten, die den Weg für ihre Nachkommen geebnet haben. Und ich bin Teil einer Generation, die inzwischen selbst auf eine jüngere blickt. Damit geht mein Blick auf unsere Gesellschaft von einer sozialen Bewegung aus, die schon immer ihre Bündnisse gesucht hat. Mein Anliegen ist es, zwischen den vielen Positionen, die ich sehe, zu übersetzen, Verständnis zu schaffen und Brücken zu bauen – auch zu den politischen Generationen der Emanzipationsbewegung, die schon so lange ihren Weg zur Freiheit geht, damit sie »in der Gewissheit ihres unveräußerlichen Rechts der Menschenwürde« leben kann, wie es Freiheitskämpfer Nelson Mandela bei seiner Antrittsrede als erster Schwarzer Präsident nach der Apartheid 1994 ausdrückte.

Noch immer und anders gibt es auch heute in Deutschland noch vieles zu besprechen, was unsere Gesellschaft und unsere gemeinsame Vergangenheit angeht. Und das noch mehr, seitdem wir uns durch die Corona-Pandemie weniger sehen und in Kontakt sein können, um auszuhandeln, wie wir zusammen leben wollen. Deshalb ist mein Nachdenken auch ein Zeitzeugnis gesellschaftspolitischer Verschiebungen, die sich mir im letzten Jahrzehnt gezeigt und in unterschiedlichen Debatten zugespitzt und ein bündnishaftes Wachstum sozialer Bewegungen eingeläutet haben. Das Emanzipationsbewusstsein einer neuen politischen Generation treibt die Gesellschaft nach vorne. Widerspruch und Widerstand gegen gängige Routinen wachsen, auch weil antisemitisch und rassistisch motivierte Anschläge sich verstärkt haben. An die Oberfläche dringt nun, was Hunderte Jahre Unterdrückung bewirkt haben. Und dieser Aufbruch kündigt für mich an: Es ist erst der Anfang.

Es gibt für uns alle viel zu klären. Wer spricht über wen, und wer wird gehört? Wer wird bei Entscheidungen mitgedacht, angesprochen, ausgeblendet und wer nicht eingeladen? Wem wird Wissen zugänglich gemacht, und wer ist davon ausgeschlossen? Wer entscheidet über allgemeingültige Regeln und Ordnungen? Wen inkludiert und exkludiert unsere Gesellschaft? Warum ist das so? Wer will das noch,...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Alice Hasters • Diskriminierung • eBooks • Gesellschaft • Intersektionalität • Kübra Gümüsay • Neuerscheinung • Rassismus • Shortlist Nominiert Preis der Leipziger Buchmesse 2022 nominiert • Shortlist Preis der Leipziger Buchmesse 2022 nominiert
ISBN-10 3-641-28097-4 / 3641280974
ISBN-13 978-3-641-28097-0 / 9783641280970
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