»In diesem Buch kann man Bärbel Schäfer zutiefst menschlich erleben. Dabei entsteht ein berührendes Bild der Einsamkeit, die wir alle kennen, aber vielleicht selten so tief und gleichzeitig auch hoffnungsvoll erlebt haben.« Manfred Lütz
»(...) Dieses Buch ist ein sanfter Trost. Für Ava. Für jeden. Denn ich kenne niemanden, der nicht einsam ist.« Ildikó von Kürthy
Zwei Frauen, deren Wege sich eher zufällig wieder kreuzen. Die eine steht mitten im Leben, hat Arbeit, Mann, Kinder, Freunde. Die andere lebt völlig zurückgezogen, wie auf ihrem eigenen Planeten. Denn Ava ist einsam. Ein Zustand tiefer Verlassenheit, wie ihn immer mehr Menschen erfahren, Experten sprechen schon von einer 'Einsamkeitsepidemie'. Bärbel Schäfer geht in diesem Buch einem Gefühl nach, das fast alle von uns auf die ein oder andere Weise kennen, auch sie selbst. Aber was beutet Einsamkeit wirklich und wann macht sie uns krank? Und was kann man tun für jemanden, der aus der Welt gefallen scheint? Ein warmherziges, einfühlsames Buch.
Bärbel Schäfer wurde in Bremen geboren. Sie ist bekannt als Moderatorin aus TV und Hörfunk, ausgezeichnet mit der Goldenen Kamera, Journalistin und Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbücher zu gesellschaftlichen Themen, zuletzt 'Ist da oben jemand? Weil das Leben kein Spaziergang ist', Gütersloh, 3. Auflage 2016. Jeden Sonntag ist sie in hr3 im Gespräch mit einem prominenten Talk-Gast und führt Interviews für die emotion-Serie 'Mann, was fühlst du?'. Bärbel Schäfer ist mit dem Publizisten und Fernsehmoderator Michel Friedman verheiratet und hat zwei Kinder. Die Familie lebt in Frankfurt am Main.
Kapitel 1
Planet Einsamkeit
Manchmal stürzen ungeahnte Herausforderungen kometenhaft auf uns zu. Dein Leben kann sich von einer Sekunde auf die andere ändern und du kommst an Grenzen, Abgründe tun sich auf, von denen du nicht mal ahntest, wie nah du ihnen bist. Themen kommen an die Oberfläche, die du so tief unter deinem Alltagskorsett vergraben hattest, dass sie schon verarbeitet schienen.
Wie damals in meiner Mittagspause, als das Handy klingelte. Wenn du stehen bleibst, so wie ich an diesem Tag, als ich den Anruf von Carolin annahm, dann kann es dir passieren, dass du mitten in einem Kometenhagel landest. Erst merkst du gar nicht, wie tief die Einschläge sind, wie sehr es dich trifft. Aber nach dem ersten Aktionismus rutschst du immer tiefer hinein in eine Aufgabe, die zur Verantwortung wird. Du bist nett und höflich. Du bist sozial. Du versuchst einfach nicht wegzurennen. So wie ich auch. Ich versuche zu verstehen, was mir damals Unbekanntes begegnete. Ich fühlte in mich hinein. Hörte zu, versuchte zu spüren, um was es genau ging. Ich erkannte mich in diffusen Sprenkeln wieder und konnte nicht einfach weiterlaufen. Nicht weggehen. Versuchte zu helfen, wie vielleicht viele versuchen, einem Einsamen eine Hand zu reichen.
Aber erstmal zurück zum Anruf von Carolin.
Damals, als wir dauernd zwischen gemeinsamen Kochabenden, Kino und Radtouren durch Frankfurt hin und her titschten. Als die Tage für uns mit Freundschaft, Lachkrämpfen, kaltem Bier, Seelengesprächen, Umarmungen, Hula-Hoop-Reifen und Glücksmomenten angefüllt waren. Als die Kinder schon so groß waren, dass sie sich alleine anziehen und mit dem Bus zur Schule fahren konnten oder mit uns Frisbee spielten. Es waren Wochen, in denen wir vor Nähe und Liebe zum Leben fast platzten.
Dann klingelte mittags mein Telefon. Aus dem Döner tropfte die Joghurtsoße langsam über meinen Handrücken auf den Frankfurter Bürgersteig. Carolins Nummer auf dem Display. Wieso rief sie mich aus New York an?
»Caro. Klar, ich habe zwei Minuten Zeit. Schieß los, ich freue mich, deine Stimme zu hören. Wie spät ist es bei euch?« Ich zog die linke Schulter etwas höher, klemmte mein Handy ans Ohr und biss in den Döner.
»Früh am Morgen. Bärbel, du weißt doch, ich bin noch immer an dem Personal-Projekt dran, die strukturieren hier mehr um, als ich gedacht habe. Die Coachings laufen super, das Team wächst langsam zusammen. Ich komme voran, bin aber erst in zwei Wochen zurück.« Ein Polizeiwagen fährt mit lautem Sirenengeheul an mir vorbei. »Meine Schwester Ava hatte einen blöden Unfall. Sie liegt im Bürgerhospital.«
»What? Ist es was Schlimmes?«
»Ich kann erst am späten Nachmittag mit dem Arzt sprechen. Sie ist wohl irgendwo unglücklich runtergefallen. Wollte dich aber fragen, ob du die nächsten Tage ab und zu mal bei ihr vorbeischauen kannst, ein bisschen reden und so. Fragen, ob sie was braucht. Da sein. Du weißt schon.«
»Klar, Carolin, mache ich. Für dich immer. Kein Problem. Ava und ich kennen uns doch noch aus Köln, sie hat doch eine Zeitlang bei der Gästebetreuung in meinen Sendungen mitgemacht. Mann, was hat deine Schwester immer gestrahlt. Sie war gut im Beruhigen der aufgeregten Talk-Gäste vor ihren TV-Auftritten. Jetzt beruhige ich eben sie. Wie alt ist sie jetzt eigentlich?«
»Achtunddreißig.«
»Hast du schon mit ihr sprechen können?« Ich beiße noch einmal in den triefenden Krautsalat und das fein geschnittene Fleisch, wische mir die Soße aus den Mundwinkeln, schaue auf die Uhr. Ich muss noch für meine Mutter zum Supermarkt, ihr die schweren Sachen und eine Kiste Wasser einkaufen und in die Wohnung stellen.
»Ja. Sie hat sich ein wenig verändert, Bärbel. Aber du kannst ja mit jedem reden. Wenn du irgendwelche Auslagen hast, sag mir Bescheid, ich zahle dir die Kohle dann zurück, okay? Ich bin übernächsten Freitag wieder in Frankfurt. Avas Mobilnummer schicke ich dir gleich. Quatsch ihr ruhig eine Sprachnachricht drauf. Sie geht eh nie ran.«
Schnell rechne ich meine Radiodienste durch, denn die Klinik ist ja in der Nähe des Hessischen Rundfunks. Okay, ich habe einige Lesungen in den nächsten Tagen, die Moderation einer Preisverleihung nächste Woche, das wird alles ganz schön viel. »Carolin, wenn ich es nicht mache, wer macht es dann?«
»Niemand.«
»Hat sie keinen Freund?«
»Nein. Und rede bitte mit ihr nicht darüber. Da war mal jemand, ist aber übel geendet. Vielleicht gelingt es dir, ein Band zwischen euch zu knüpfen. Sie redet kaum. Anders als ich.« Carolin lacht ihr raues, lautes Lachen.
»Vielleicht will sie gar nicht, dass ich sie in der Klinik sehe. Du solltest sie vorwarnen.«
»Ja, mache ich. Du, Grüße aus Brooklyn, ich muss das Meeting nochmal durchgehen. Ava mochte immer deine offene Art, mach dir keine Sorgen, ihr werdet euch verstehen. Danke dir und fühle dich gedrückt, Bärbel, du hast einen gut bei mir.«
Ich wäre jetzt auch gerne an der amerikanischen Ostküste auf dem Rücksitz eines gelben Taxis. Diese Stadt war immer mein Traum. Heute frage ich mich, warum ich meinen Traum, dort zu leben, nicht ernst genommen habe und an den Hudson River gezogen bin? Während eines RTL-Drehs von Bärbel goes to Hollywood war ich in L. A. Gast in einer Morning-Show und hatte so viel Spaß mit den amerikanischen Moderatoren, dass mich nach meinem Fernsehauftritt eine amerikanische Agentur kennenlernen wollte. Die amerikanische Agentur CAA called Bärbel from Germany, Talkshow-Gastgeberin bei einem privaten Sender. Wenn ich darüber nachdenke, macht es mich heute noch sprachlos. CAA vertrat nur Stars, die ich entweder von der Wetten, dass…-Couch kannte oder von der Kinoleinwand. Ich lief tagelang mit einem fetten Grinsen durch die Gegend. Ja, unsere Chemie hatte im Studio gestimmt. Aber werden solche Träume nicht nur in Filmen wahr? Ich sah mich schon in New York arbeiten, Geld verdienen und mit einem Coffee-to-go-Becher in der Hand durch Manhattan rennen, weil eben alle in New York schnell gehen.
Ich liebe es, auf den Feuertreppen am Abend ein Bier zu trinken. New York hat von allem zu viel. Zu viel Power, Aggressionen, Unterschiede. Ein 24/7-Überangebot von einfach allem. New York ist wie ein Dauertrip für die Pupille, ein Farbrausch an Menschen, Lebensgeschichten, Eindrücken. Niemals hätte ich mir vorstellen können, was mit dieser vitalisierenden, rauschhaften Stadt während der Corona-Zeit passieren sollte: Die überfüllten Krankenhäuser, die Kühlwagen vor den Kliniken. Die ausgehobenen Gräben für die Pandemie-Toten im Central Park. Ein ehemaliger Präsident, der das alles lange leugnete und nichts dagegen tat. Der hetzte und log. Eine Stadt, die sich über Monate selbst nicht wiedererkannte, verwaiste, als wäre ihr globaler Hot-Spot- Magnet ermattet. Wer hätte gedacht, dass New York einmal so verlassen wirken könnte, als hätte man der Stadt den Stecker gezogen?
Ich wollte immer Teil dieser Stadt sein. Meine deutsche Agentin buchte damals aber ungefragt einen deutschen Schauspieler aus ihrer Kartei mit in meinen Termin bei der CAA-Agentur hinein. Plötzlich standen wir zu dritt in der Lobby. Eigentlich, um meine mögliche US-Karriere zu besprechen, so dachte ich jedenfalls nach meiner TV-Morning-Show-Performance. Und dann war ich es, die nach zwanzig Minuten wieder vor der Tür des Besprechungsraums stand, während der Schauspieler bald nach Amerika zog. Jahre später habe ich mein Lebensglück im Big Apple geheiratet, so wurde die Stadt doch noch zu einem Glücksort.
Manchmal stelle ich mir vor, einfach ein Ticket zu kaufen und wegzufliegen. Neu anzufangen. An einem Ort, der mir guttut, wie eben diese durchgeknallte Stadt. Jetzt ist Carolin da, fährt U-Bahn, läuft durch die Häuserschluchten, ist in einem internationalen Team. Dabei war sie immer diejenige, die ihren geregelten Alltag leben wollte, in Frankfurt.
Ohne Tom, der so gut organisiert ist mit ihren zwei gemeinsamen Kids und Carolin unterstützt, wäre es schwerer. Anfänglich wirkte er ein wenig lahm auf unsere Mädelsclique. Garantiert glamfrei. Und auch noch aus Bielefeld. Er passte eigentlich gar nicht zu Carolins Beuteschema. Anfänglich haben wir versucht, ihm den Mittelscheitel auszureden, aber die Neunziger waren eben Mittelscheiteljahre. Jeder Promi-Herzensbrecher bis zur Grunge-Szene trug einen. Irgendwann waren nicht mehr genug Haare für einen Scheitel in der Mitte da, und er rasierte sich sein Resthaar raspelkurz. Tom entpuppt sich als fantastischer Mann, auf den zweiten Blick. Er kann kochen und zuhören. Ob Carolin ihm treu ist an der Ostküste? Früher hat sie die Typen nach spätestens einer Woche wieder aus ihrem Bett gekickt. Sie hat immer bekommen, was sie wollte.
Wir sind in den letzten Jahren hier in Frankfurt durch die Kids und das Teilen des Alltags wirklich nah zusammengerückt. Mal bestelle ich für ihre Kinder die Schulbücher mit, sie nimmt meinen Sohn mit zum Training oder ich nehme ihren Hund mit auf eine Runde Gassi, wenn sie zu lange arbeitet. Ich mochte sie schon während unseres Germanistikstudiums in Köln. Carolin war die Einzige von uns, die immer das Auto ihrer Eltern nutzen konnte, die selbst auf der Party um zwei Uhr nachts noch fantastisch aussah. In ihrer WG war dauernd Party, und trotzdem hatte sie immer alle Hausarbeiten für die Seminare rechtzeitig fertig.
Wir haben oft auf Messen zusammen gejobbt und uns das Geld für die Miete und den Alltag verdient. Noch heute kreischen wir uns weg über den Messejob, zu dem wir beide...
Erscheint lt. Verlag | 21.3.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2022 • Angst vor dem Alleinsein • Ausgesprochen Fröhlich mit Schäfer • Beziehung • Beziehungsratgeber • Charlotte Link • Depression • eBooks • Einsamkeit • Einsamkeit Hilfe • Freundschaft • Gesundheit • Isolation • Mental Health • Nachmittage mit Eva • Neuerscheinung • Schicksalsschläge |
ISBN-10 | 3-641-28786-3 / 3641287863 |
ISBN-13 | 978-3-641-28786-3 / 9783641287863 |
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