Die gereizte Frau (eBook)
256 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-28325-4 (ISBN)
Miriam Stein räumt mit alten Vorurteilen auf und holt das Thema aus dem gesellschaftlichen Abseits. In Die gereizte Frau verbindet sie unterhaltsam und klug persönliche Erfahrung mit feministischer Gesellschaftskritik. Ausgehend von häufigen klimakterischen Symptomen und den damit verbundenen misogynen Klischees und Behauptungen schreibt sie die Geschichte vom weiblichen Älterwerden neu. Eine wichtige Lektüre für jede Frau, die selbstbestimmt altern möchte.
Miriam Yung Min Stein ist Journalistin und Buchautorin und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie wurde 1977 in Südkorea geboren und wuchs in einer deutschen Familie als Adoptivkind auf. Sie hat mit Christoph Schlingensief und Rimini Protokoll Theater gemacht und ist eine profilierte deutsche Kulturjournalistin.
EINLEITUNG
Krisenbewältigung in der heißen Phase
So oder so:
Wir müssen darüber sprechen
Irgendwann um meinen vierzigsten Geburtstag herum verließ mich die ungestörte Nachtruhe. Statt erholsam zu schlafen, erwache ich nun mitten in der Nacht im schweißklammen Nachthemd. Wenn es richtig schlecht läuft, liege ich stundenlang wach. Meine Zyklen erstrecken sich mal über Wochen, dann scheint eine Periode unmittelbar auf die nächste zu folgen. Dazu ziehen in meinem Kopf dunkle Wolken auf, solche, die nicht nur Unsicherheiten, sondern mitunter blanke Wut in sich tragen. Völlig unvorhergesehen entladen sie sich in gewitterartigen Erschütterungen – neulich hätte ich fast mit einem Topf nach meinem Mann geschmissen. Gelegentlich erschrecke ich vor mir selbst: Wer ist diese übernächtigte Furie?
Früher schlief ich wie ein Murmeltier und hätte mich auch nicht als Mensch »mit kurzer Zündschnur« bezeichnet, im Gegenteil, eigentlich hatte ich mich immer ziemlich gut unter Kontrolle. Und von außen betrachtet könnte man mich nach wie vor als gut funktionierende Frau bezeichnen: Ich bin 44 Jahre alt, mein Sohn geht aufs Gymnasium, seit etwa zehn Jahren arbeite ich erfolgreich als Autorin und Journalistin. Finanziell bin ich von meinem Mann unabhängig, meine Beziehung ist seit 15 Jahren glücklich, und schwere Lebenskrisen habe ich in meinen Zwanzigern abgehandelt. Entsprechend fällt es mir von Jahr zu Jahr leichter, klare Entscheidungen zu treffen. Außerdem kreisen meine Gedanken nicht mehr ständig um Männer – was für ein Energie-Gewinn! Dies sollte die beste Zeit meines Lebens werden, ich sollte fit, klug und selbstbewusst nach vorn schauen. Doch mein Körper scheint andere Pläne zu haben: Von einem Moment auf den anderen werde ich so müde, dass ich kaum noch gerade stehen kann. Ich reagiere weinerlich, gereizt und dünnhäutig. Warum?
Ich befinde mich im »Klimakterium«, genauer gesagt in der »Perimenopause«, einer unbestimmten Zeitspanne von bis zu zehn Jahren vor der allerletzten Periode, dem Endpunkt meiner Fruchtbarkeit, der wahrhaftigen Menopause (altgriechisch: men – Monat, pausis – Ende). Quatsch, mag man denken, dafür bin ich doch noch viel zu jung. Aber tatsächlich können erste Symptome durchaus schon in den Vierzigern auftreten. Rein biologisch gesehen ist das Klimakterium Teil des natürlichen Alterns. Nur: Für Frauen gelten hier andere Regeln als für Männer. Der männliche Alterungsprozess wird linear wahrgenommen, besser gesagt: Männer reifen. Frauen werden einfach nur alt.
Deswegen gleicht die Hormonschaukel, auf der mein Körper Platz genommen hat, einem gesellschaftlichen Schleudersitz, exklusiv reserviert für Frauen im mittleren Alter. Hier hocke ich – abgeschottet, in einer veralteten Gondel aus Mythen, Falschinformationen und einer endlosen Reihe an Widersprüchen.
In diesem Stadium nimmt man mich als latente gesellschaftliche Last wahr. Ich scheine nicht belastungsfähig, nicht vernünftig genug, um als vollwertig ernst zu nehmend durchzugehen: Wohl nicht ganz im hormonellen Gleichgewicht, was? Danke.
Die Menopause, wenn überhaupt besprochen, überbietet selbst PMS noch an Geringschätzung. Als bräuchte ich das, denn ganz ehrlich: Wer hat schon Lust auf die Wechseljahre? Auf depressive Verstimmungen? Auf Hitzewallungen? Auf Klischees und Witze oder gar billige Beleidigungen und Sticheleien?
Bestenfalls werde ich nun als »anstrengend«, schlimmstenfalls als »verrückt« bezeichnet, denn »menopausal« bedeutet für viele immer noch »ausgetrocknet«, »unweiblich« und »krank«. Und diese »Krankheit« ist irgendwie peinlich, weil sie genau das infrage stellt, was bei vielen Frauen ohnehin angeknabbert oder vielleicht erst seit wenigen Jahren in irgendeine Form von Einklang gekommen ist: das sexuelle Selbstwertgefühl.
Natürlich wird heute keine Frau über vierzig mehr ernsthaft aufgefordert, sich »zurückzuziehen«, aber es gibt bestimmte Bedingungen für den Verbleib im gesellschaftlichen Leben. Der unausgesprochene Deal für mich als »moderne Frau« im mittleren Alter klingt in etwa so: Während der Wechseljahre wird erwartet, dass ich meine Befindlichkeiten für mich behalte und nach außen weiter funktioniere. Eventuelle Beschwerden habe ich abgeschieden und für mich allein auszuhalten, denn schließlich erlebt sie jede Frau ganz individuell und zu einem anderen Zeitpunkt. Oder vielleicht auch gar nicht. Dabei habe ich möglichst schlank und sportlich oder auch besonders natürlich aufzutreten.
Der äußere Alterungsprozess vollzieht sich im Gegensatz zu den biologischen Wechseljahresbeschwerden öffentlich und wird ungefragt kommentiert. Stehe ich zu meinem Alter, lasse die grauen Strähnen wachsen und Falten unbehandelt, dann altere ich »in Würde« und muss ständig übers Älterwerden und -sein sprechen. Lasse ich mir jede einzelne Falte wegbotoxen und meine schlaffen Züge mit Collagen-Fillern aufpolstern, ohne dass man es erkennt, sehe ich super aus und darf einfach weitermachen. Wenn man mich dann nach meinem Alter fragt und ich ehrlich antworte, werde ich gelobt, als hätte ich etwas geleistet. Werden diese Eingriffe jedoch für Außenstehende sichtbar, muss ich mich erklären, denn dann habe ich ganz offensichtlich ein »Problem« mit dem Älterwerden, ich »spritze mich jung«, kann »nicht loslassen«. Aber bitte nicht zu laut zu lange darüber lamentieren, das wirkt dann richtig verzweifelt.
Gelingt es mir, einen annehmbaren Mittelweg in meiner äußeren Erscheinung zu gehen und die unappetitlichen körperlichen Symptome mit mir selbst auszumachen, darf ich weiter als arbeitende Frau mit Meinung gehört werden und sogar als quasi sexuelles Wesen auftreten – mit Einschränkungen, versteht sich. Die Quittung dieser Duldung erscheint bei postmenopausalen Frauen häufig in einer Art Nebensatz – Iris Berben, »so sinnlich, mit 65« (oder eben mittlerweile 70). Jennifer Lopez – »Bikini-Body, mit 52«, Judy Dench, »Filmstar, mit 72«. Als wäre Sinnlichkeit mit über fünfzig Jahren an sich schon eine Sensation. Die Einschränkung, sexy, aktiv, erfolgreich etc. trotz Alter, steht immer noch ganz selbstverständlich in jeder Überschrift.
Natürlich soll meine Laune konstant gut bis angepasst bleiben: allzu angriffslustig ist ebenso verpönt wie weinerliches oder gar klagendes Auftreten. »Jammern steht dir nicht«, hat mal ernsthaft jemand zu mir gesagt. Eine Kollegin über fünfzig ging mit tauben Fingern zum Arzt und wurde kommentarlos zum Psychiater überwiesen. Dabei brauchte sie keine Antidepressiva, sondern eine seriöse neurologische Behandlung. Stattdessen diagnostizierte man sie ohne Untersuchung als »leicht reizbar«.
Offensichtlich hat mein Umfeld, vor allem die Arbeitswelt, wirklich Angst vor echten weiblichen Emotionen. Deswegen wird Disziplin eingefordert, Zusammenreißen ist angesagt. Cool, entspannt und vor allem sachlich sollen wir bleiben. Nur nicht hysterisch werden, das kommt gar nicht gut an.
Guter Witz. Als wären Frauenkörper jemals sachlich besprochen worden. Der Großteil ernst zu nehmender Forschungen zum Klimakterium wurde erst in Auftrag gegeben, nachdem 2002 die sogenannte »Women’s Health Initiative«-Studie ergeben hatte, dass Frauen, die ein Hormonpräparat einnahmen, 100 Prozent mehr Thrombosen, 41 Prozent mehr Schlaganfälle, 29 Prozent mehr Herzinfarkte entwickelten und um 26 Prozent häufiger an Brustkrebs erkrankten. Im Klartext heißt das, dass jahrzehntelang großzügig und unreflektiert Medikamente an Frauen verteilt wurden, die sie krank machten. Die Folge des Skandals: Verbote! Die Schlussfolgerung: Bloß nicht behandeln lassen!
Dieses Buch ist der Versuch einer Entmystifizierung der Wechseljahre. Ich möchte von Tabus, Widersprüchen und Irrglauben rund um dieses Thema sowie von Gesundheits-und-Wellness-Mythen erzählen.
Immer mehr Frauen erreichen das mittlere Alter, vermutlich sind viele darunter, die wie ich seit über zwei Jahrzehnten ihre eigenen Entscheidungen treffen und beabsichtigen, dies auch für den Rest ihres Lebens zu tun. Ich möchte den weiblichen Alterungsprozess nicht als psychische Störung, als Ende von Attraktivität oder gar Schaffenskraft akzeptieren. Hier ist eine zeitgemäße, umfassende Betrachtung der Wechseljahre wichtig, die neben der medizinischen auch die kulturelle Dimension berücksichtigt.
Die folgenden Kapitel sind eine Einladung, die Wechseljahre weder als sinnschwangere Metamorphose noch als zehn Jahre anhaltende Lebenskrise zu betrachten, sondern als einen Lebensabschnitt, in dem Hormone nach Pubertät und Schwangerschaft ein weiteres Mal im Leben Veränderungen hervorrufen. Ein Lebensabschnitt, den man sogar für sich nutzen kann, sobald die anfängliche Empörung darüber, dass einem die Kontrolle über den eigenen Körper zu entgleiten scheint, erst einmal überwunden ist. Besser erträglich ist es, wenn man stattdessen einfach weiß: Vielleicht werden die nächsten Jahre anstrengend, und das ist okay. Denn Veränderungen setzen enorme Mengen an Energie frei.
Es heißt, ein Drittel aller Frauen erlebe starke, ein Drittel mäßige und ein Drittel gar keine Symptome. Um die Menopause neu zu erzählen, möchte ich eine Sprache finden, die weder pathologisiert noch urteilt: In diesem Buch wird es keine Anleitung geben, die Wechseljahre zu »überleben«, »auszuhalten« oder gar »zu bekämpfen«. Dies ist kein Survival- oder Trauerbuch, sondern das Angebot, offen und zeitgemäß über ein Thema zu sprechen, das immerhin die...
Erscheint lt. Verlag | 26.4.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2022 • Buch über Wechseljahre • eBooks • Erfahrungsbericht • Feminismus • feminismus buch • geschlechterklischees • Hormone • Klimakterium • menopause • Neuerscheinung • Neuerscheinungen Buch 2022 • Perimenopause • Psychologie • Sheila de Liz • Stimmungsschwankungen |
ISBN-10 | 3-641-28325-6 / 3641283256 |
ISBN-13 | 978-3-641-28325-4 / 9783641283254 |
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