Besser lernen (eBook)
106 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61518-6 (ISBN)
Sabine Stuber-Bartmann, Sonderpädagogin, arbeitet an einem sonderpäd. Bildungs- u. Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Sprache und ist als Referentin am Landesinstitut für Schulsport, Schulkunst und Schulmusik, Ludwigsburg, in der Lehreraus- und -fortbildung tätig.
Sabine Stuber-Bartmann, Sonderpädagogin, arbeitet an einem sonderpäd. Bildungs- u. Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Sprache und ist als Referentin am Landesinstitut für Schulsport, Schulkunst und Schulmusik, Ludwigsburg, in der Lehreraus- und -fortbildung tätig.
2 Förderung exekutiver Funktionen im Klassenzimmer
In der Schule bilden exekutive Funktionen eine wichtige Grundlage, damit Lernen überhaupt stattfinden kann. Denn sie sind an einer Vielzahl von Prozessen im schulischen Alltag beteiligt. In einem ersten Schritt werden deshalb einige typische Unterrichtssituationen und deren Anforderungen an die exekutiven Funktionen dargestellt und reflektiert, bevor konkrete Fördermöglichkeiten aufgezeigt werden.
BEISPIEL
Die Lehrkraft stellt eine einfache Kopfrechenaufgabe. Die Schüler benötigen ihr Arbeitsgedächtnis, um sich die Aufgabe zu merken und sie auszurechnen. Dabei dürfen sie sich nicht von störenden Reizen ablenken lassen, z.B. von einem Tischnachbarn, der vielleicht noch nebenher mit seinem Radiergummi auf den Tisch trommelt (Inhibition). Wurde das Ergebnis ausgerechnet, ist weiterhin die Fähigkeit zur Inhibition gefordert, da die Schüler das Ergebnis nicht sofort hinausposaunen dürfen, sondern sich erst melden und warten müssen, bis sie aufgerufen werden. Während des Wartens muss das Rechenergebnis im Arbeitsgedächtnis aufrechterhalten werden. Und schließlich wird im Falle eines Nichtaufrufens erneut die Inhibition zur Emotionsregulierung benötigt.
Sollen Schülerinnen und Schüler (SuS) einen Text von der Tafel abschreiben, sind ihre exekutiven Funktionen gefordert. Der Text muss zunächst gelesen werden. Einzelne Sätze oder Satzglieder müssen im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden und beim Schreibvorgang in der richtigen Reihenfolge wiedergegeben werden. Gleichzeitig muss der Schreibvorgang vom Arbeitsgedächtnis überwacht und mithilfe der Inhibition vor Ablenkung geschützt werden. Kognitive Flexibilität ist für den schnellen Wechsel vom Lesen zum Schreiben, von der Tafel zum Heft und wieder zurück verantwortlich.
BEISPIEL
Für Kinder mit einem schwachen Arbeitsgedächtnis ist der Tafelabschrieb eine Herausforderung, da sie sich oft nur sehr kleine Häppchen merken und deshalb häufig den Fokus wechseln müssen. Es besteht die Gefahr, dass sie sich in der Aufgabe verlieren. Typisch ist, dass sie für diese Aufgaben besonders viel Zeit benötigen oder teilweise ganze Wörter oder Satzteile auslassen. Eine häufige Ablenkungsform ist auch der vergleichende Blick auf schneller agierende Mitschüler, der dann zu ungünstigen Verhaltensweisen (Rumkaspern, Jammern, Selbstvorwürfe, Aufgabenstellung hinterfragen, Mitschüler ablenken) führen kann.
Im Stuhlkreis ist die Inhibition besonders gefordert. Informationen müssen zurückgehalten werden, bis man an der Reihe ist, und unangemessene Bewegungen müssen unterdrückt werden. Für manche Kinder ist dies deutlich schwieriger als am Platz, da hier der Bewegungsdrang nicht über andere Verhaltensweisen wie dem Herumspielen mit Gegenständen, die auf dem Tisch liegen, kompensiert werden kann. Aber auch das Arbeitsgedächtnis ist gefragt, weil es das zu Sagende so lange speichern muss, bis man an der Reihe ist. Haben andere Kinder bereits das gesagt, was man selbst erzählen wollte, dann ist kognitive Flexibilität bei der Neuformulierung angesagt.
Bereits in der zweiten Klasse wird von den Kindern gefordert, ein kleines Referat zu halten. Meist ist dies eine Buchpräsentation oder eine Präsentation zu einem selbstgewählten Thema wie „Mein Hobby“ oder Haustiere. Bei dieser anspruchsvollen Aufgabenstellung sind alle exekutiven Funktionen stark gefordert.
Im Vorfeld gilt es, ein Thema zu wählen, das einem selbst liegt und motivierend wirkt. Danach folgt die Planung, bei der gleichzeitig beispielsweise auf Vorwissen, benötigte Zeit und notwendiges Material geachtet werden muss. Bei der Materialsammlung geht es dann darum, sich nicht in einer Vielzahl von ausgedruckten Blättern zu verlieren, das für sich Interessante herauszufiltern und im Anschluss Prioritäten festzulegen, die für den gelingenden Ablauf des Referats maßgeblich sind. Schüler mit schlecht ausgebildeten exekutiven Funktionen brechen oft in Phasen ab, in denen ihnen erste Schwierigkeiten begegnen oder sie die Orientierung verlieren. Sie wählen schnell ein neues Thema, das dann so lange bearbeitet wird, bis sich erneut Schwierigkeiten einstellen. Parallel dazu gilt es noch, sich an die vorher abgemachten Regeln beispielsweise für die Erstellung des Plakats (Schriftgröße, nur Stichwörter etc.) zu erinnern.
BEISPIEL
Die Bewältigung von Mehrfachaufgaben ist auch während des Präsentierens gefragt: Wesentliche Vorgaben (Blickkontakt, Stand, anschauliche Sprache etc.) müssen parallel zur laufenden Aktion im Arbeitsgedächtnis behalten werden. Grinsende, herumkaspernde oder tuschelnde und damit störende Mitschüler müssen ausgeblendet werden, damit sie den Sprecher nicht aus dem Konzept bringen. Zudem ist ein schneller Fokuswechsel (von den Zuhörern zum Plakat und wieder zurück) gefragt. Bei der anschließenden Besprechung und Feedbackphase wird bei kritischen Anmerkungen ebenfalls Inhibition und auch Arbeitsgedächtnis benötigt, um Verbesserungsvorschläge in das eigene Repertoire aufnehmen zu können.
Solche Situationen sind typisch und kommen ständig im Unterrichtsalltag vor. Bei allen Situationen benötigen die Kinder eine Vielzahl an exekutiven Funktionen. Und wenn man bedenkt, dass der Einsatz der exekutiven Funktionen bereits in einem so frühen Stadium der kindlichen Entwicklung vonnöten ist, dann ist es als Lehrkraft sinnvoll, den Fokus immer wieder auf die benötigten exekutiven Funktionen zu lenken.
herausforderndes Verhalten als Ausdruck wenig entwickelter EF
Es sind gerade Kinder mit schwach ausgebildeten exekutiven Funktionen, die die Arbeit in der Schule manchmal so anstrengend machen. Wie oft hört man bei Lehrerfortbildungen von Kolleginnen, sie würden eigentlich gerne unterrichten, aber einen Großteil der Unterrichtszeit würden sie für organisatorische Aufgaben oder gar Maßregelungen verwenden müssen.
Genau in diesen Situationen gilt es, einen Abgleich zwischen den geforderten kognitiven Leistungen und den vorhandenen exekutiven Funktionen der SuS vorzunehmen, um erkennen zu können, was der einzelne Schüler zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben braucht.
Aufmerksamkeit und EF
Eine häufig gehörte Forderung in der Schule ist die Forderung nach Aufmerksamkeit, denn je aufmerksamer ein Kind im Unterricht ist, desto besser wird es bestimmte Inhalte behalten. Doch was bedeutet Aufmerksamkeit?
DEFINITION
Unter selektiver Aufmerksamkeit versteht man die „Fähigkeit zur Entnahme und Verarbeitung relevanter Reize bei gleichzeitiger Unterdrückung von Disktraktoren“ (Grob et al. 2009, 20).
Es geht bei der selektiven Aufmerksamkeit darum, sich bestimmten Sachverhalten oder Reizen zuzuwenden und andere auszublenden (Spitzer 2002). Und damit geht es wieder um die exekutiven Funktionen: Das Arbeitsgedächtnis wird benötigt, um die Informationen aufrechtzuerhalten. Zusätzlich erfordert das Fokussieren gleichzeitig das Ignorieren von Störreizen und damit die Inhibition, während die kognitive Flexibilität es ermöglicht, notwendige Regeln variabel anzuwenden. Also immer, wenn wir Kinder auffordern, aufmerksam zu sein, fordern wir sie auf, ihre exekutiven Funktionen einzusetzen.
Wir benötigen exekutive Funktionen also nicht nur, um aufmerksam zu sein sowie beim Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern auch in allen allgemeinen Situationen im Unterrichts- und Schulalltag. Sie wirken damit direkt auf das Lern- und Klassenklima ein.
Selbstregulationsfähigkeit und äußere Faktoren
In der Forschung ist man sich einig, dass die exekutiven Funktionen und damit die Selbstregulationsfähigkeit gezielt gefördert werden können. Roy Baumeister (2015) vergleicht die Fähigkeit der Selbstregulation mit der Funktionsweise eines Muskels: Durch regelmäßige, niedrig dosierte und gezielt eingesetzte Übungen kann die Selbstregulation trainiert und deutlich verbessert werden. Überbeanspruchung, Hunger oder Stress beeinflussen selbstregulierendes Handeln und führen zu Ermüdung und kurzfristiger Erlahmung.
Dies erklärt auch, warum sich Kinder in bestimmten Situationen hervorragend regulieren können (z.B. bei einem Spiel im Sportunterricht) und am nächsten Tag das gleiche Spiel mit der gleichen Klasse überhaupt nicht funktioniert und abgebrochen werden muss, weil die Schüler zuvor z.B. eine anstrengende Mathearbeit geschrieben haben und ermüdet sind. Als Lehrkraft gilt es, diese Begleitumstände und Rahmenbedingungen im Blick zu behalten, damit Fördermaßnahmen gut greifen können.
Förderung auf verschiedenen...
Erscheint lt. Verlag | 11.10.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Schulpädagogik / Grundschule |
Schlagworte | Exekutive Funktionen • Förderpädagogik • Grundschule • Selbstregulation • Sonderpädagogik |
ISBN-10 | 3-497-61518-8 / 3497615188 |
ISBN-13 | 978-3-497-61518-6 / 9783497615186 |
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