Paradise Blues (eBook)
368 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44071-4 (ISBN)
Christof Mauch, geboren 1960, ist Direktor des Rachel Carson Center for Environment and Society an der LMU München, des weltweit größten geistes- und sozialwissenschaftlichen Instituts für Umweltfragen, und ist Professor für Amerikanische Kulturgeschichte und Transatlantikstudien. Mauch hat viele Jahre in den USA gelebt, war in Washington Direktor des Deutschen Historischen Instituts, hatte Gastprofessuren in Australien, Indien, Kanada, Österreich, Polen und den USA inne und ist Ehrenprofessor der Renmin-Universität in Peking. Für sein wissenschaftliches Wirken wurde Christof Mauch mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Er hat fünfzehn Jahre lang als passionierter Radfahrer sein Leben auf den Straßen Washingtons riskiert. Außerdem hat Mauch per Rad mehr als 20 Länder erkundet und mit seinen beiden Söhnen Europa von Spanien bis zum Nordkap durchquert. In der Verbindung von Natur, Umweltschutz und Kulturgeschichte hat Mauch sein Lebensthema gefunden.
Christof Mauch, geboren 1960, ist Direktor des Rachel Carson Center for Environment and Society an der LMU München, des weltweit größten geistes- und sozialwissenschaftlichen Instituts für Umweltfragen, und ist Professor für Amerikanische Kulturgeschichte und Transatlantikstudien. Mauch hat viele Jahre in den USA gelebt, war in Washington Direktor des Deutschen Historischen Instituts, hatte Gastprofessuren in Australien, Indien, Kanada, Österreich, Polen und den USA inne und ist Ehrenprofessor der Renmin-Universität in Peking. Für sein wissenschaftliches Wirken wurde Christof Mauch mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Er hat fünfzehn Jahre lang als passionierter Radfahrer sein Leben auf den Straßen Washingtons riskiert. Außerdem hat Mauch per Rad mehr als 20 Länder erkundet und mit seinen beiden Söhnen Europa von Spanien bis zum Nordkap durchquert. In der Verbindung von Natur, Umweltschutz und Kulturgeschichte hat Mauch sein Lebensthema gefunden.
Prolog
Paradise Blues
Amerika ist ein Sehnsuchtsland. Millionen Menschen aus aller Welt suchen in den USA oft beides, den Superlativ der Citys und die Weiten der Wildnis: Niagarafälle und Wolkenkratzer, den Glitzer von Las Vegas und die Gletscher in Alaska, den Blues von Memphis und tropische Sümpfe in Florida; Mammutbäume, Canyons und Mark Twains Mississippi. Der Trip von Küste zu Küste mit dem Wohnmobil oder dem Auto gilt vielen als großes Abenteuer, als fabelhafte Pilgerreise durch die »amerikanische Natur«.
Jahrzehntelang habe ich mich als Wissenschaftler mit den USA beschäftigt, fünfzehn Jahre lang in Washington, D.C. gelebt und von dort aus das ganze Land bereist. Mir liegen die USA am Herzen mit all ihren Widersprüchen: Paradies der unbegrenzten Möglichkeiten einerseits, Musterbeispiel politischer Großmannssucht andererseits, Land der Freiheit und Land der Sklaverei, Vorbild und abschreckendes Beispiel zugleich. Aber erst beim Erfahren des nordamerikanischen Kontinents, erst beim Lesen seiner Natur, erst bei der Suche nach jenen Spuren, mit denen sich die Bewohner über lange Zeiträume tief in die Landschaft eingeschrieben haben, habe ich die USA jenseits der Klischees und bekannten Dichotomien ganz neu entdeckt.
Wer Amerika verstehen will, tut gut daran, den Fokus nicht allein auf Politik und Wirtschaft, auf das Präsidentenamt und die seit 1945 quasi ununterbrochene Reihe von Kriegen zu richten, sondern das Verhältnis von Amerikanerinnen und Amerikanern zu ihrer Umwelt und dem Umgang mit ihr auszumessen. Was auf den ersten Blick fremd erscheinen mag, die geistige Annäherung an eine Nation über das Bereisen von Orten, verspricht eine Fülle von überraschenden Einsichten. Darum geht es in Paradise Blues.
»Jede gute Geschichte beginnt mit Fremdheit«, hat der US-Historiker Richard White einmal bemerkt. Was uns fremd ist und nicht abschreckt, macht neugierig, lädt zum Entdecken ein. Das Erkunden von Landschaften, das im Zentrum dieses Buches steht, gibt Rätsel auf. Die Narben in der amerikanischen Natur zeigen, dass sich hinter spektakulären Fassaden oft düstere Geschichten verbergen. Auf dem Umweg über die Natur habe ich an unbekannten Orten Bekanntes entdeckt; und an vermeintlich bekannten Orten Neues, Unbekanntes. Diese Entdeckung hat mir die Augen dafür geöffnet, dass eine der populärsten Touristenattraktionen (die Niagarafälle) aufs Engste mit dem berüchtigtsten Giftmüllskandal der US-Geschichte (Love Canal) verknüpft ist und dass die Verwandlung von Florida in ein Freizeit- und Zitrusfrüchteparadies die fragilen Ökosysteme und den Wasserhaushalt des »Sunshine State« langsam, aber sicher ruiniert.
Amerika ist immer wieder als »Nature’s Nation« bezeichnet worden, ganz als gäbe es eine einheitliche nationale Natur.[1] Die gleichartige Architektur der Kapitole in den Bundeshauptstädten und die stereotype Erscheinung der Vororte täuschen über so manche regionalen Unterschiede hinweg. Die gepflegten tiefgrünen Rasenflächen in den Wohngebieten von Denver und Philadelphia zum Beispiel sehen einander täuschend ähnlich, obwohl die beiden bundesstaatlichen Hauptstädte weiter voneinander entfernt sind als Brüssel und Moskau: Philadelphia liegt in einer gemäßigten Klimazone mit häufigen Regenfällen, Denver dagegen in einer ariden Region, in der ein gepflegter Rasen nur mithilfe intensiver Bewässerung und Düngung überlebt.[2] Gerade in Sachen Klima kann von Einheitlichkeit keine Rede sein. In Florida ist es subtropisch, in Alaska arktisch. Im Süden leben Alligatoren, im Norden Rentiere. Am Mississippi und im Südosten der USA haben die Bewohner mit Fluten und Hurrikanen zu kämpfen, westlich des Mississippi wird der nordamerikanische Kontinent von Trockenperioden und Dürrekatastrophen heimgesucht, in Kalifornien gar von furchtbaren Flächenbränden.
Die gemeinsame Sprache, das nationale Highway-System, die Omnipräsenz von Fastfood-, Supermarkt- und Hotelketten und die Parole vom »American Way of Life« suggerieren dem Amerikareisenden also eine nationale Gleichförmigkeit, die es, wenn man den Blick auf die physische Geographie des Landes richtet, gar nicht gibt. Wer Amerika verstehen will – das habe ich auf meiner Suche gelernt –, muss die Diversität des Kontinents verstehen.
So haben die unterschiedlichen Landschaften seit jeher auch unabhängige Kulturen hervorgebracht: Die Ureinwohner kannten mindestens hundert Sprachen und über zwanzig verschiedene Typen von Behausungen, vom einfachen Unterschlupf aus Buschwerk bis zum fünfgeschossigen Pueblo, vom Tipi der nomadischen Stämme bis zum Grubenhaus, das neuerdings zum Vorbild für ökologisches Bauen geworden ist.[3]
Anders als zum Stichwort Natur fällt uns zum Thema Umwelt in den USA nicht viel Positives ein. Die US-Amerikaner blasen bekanntlich pro Kopf mehr Kohlendioxyd in die Luft als die Bewohner anderer Staaten; sie produzieren mehr Müll, sie verbrauchen mehr Material für Verpackungen und mehr Fläche für ihre Siedlungen. Wohl keine Nation hat ihre natürlichen Ressourcen – Wasser, Wälder und Böden – in den letzten zweihundert Jahren so konsequent ausgebeutet wie die Vereinigten Staaten. Gerade aus europäischer Sicht treten die Unterschiede und Besonderheiten des amerikanischen Umgangs mit der natürlichen Umwelt überdeutlich hervor – im Schlechten, aber auch im Guten. Schließlich können sich die Vereinigten Staaten damit rühmen, die Erfinder von großen Natur- und Nationalparks zu sein, eines Modells also, das auf der ganzen Welt, vom Kruger Nationalpark in Südafrika bis zum Bayerischen Wald, Karriere gemacht hat. Mit dem Sierra Club verfügen sie über einen politisch einflussreichen nationalen Naturschutzverband; und Aktivistinnen wie Julia »Bufferfly« Hill, Protagonistinnen von Earth First und Umweltdenker von Henry David Thoreau über Aldo Leopold bis zu Rachel Carson gehören zu den wichtigsten Pionieren einer Bewegung, die weit über die USA hinaus Beachtung findet.[4]
Das Verhältnis der Amerikanerinnen und Amerikaner zur Natur ist in der Tat etwas Besonderes; ein nationalgeschichtlicher Ansatz hätte von daher seinen Charme. Aber einer Darstellung, die die Welt aus der Vogelperspektive der nationalen Politik und der Abstraktheit des Umweltdenkens betrachtet, fehlt etwas ganz Entscheidendes: das »down to earth«, das Erleben vor Ort, das Begreifen von Landschaften und Naturphänomenen und mithin jener Dreck an den Schuhsohlen, auf die Umwelthistorikerinnen und -historiker so stolz sind.[5]
Alle in diesem Buch genannten Orte habe ich im Laufe der letzten Jahre bereist. Die Suche nach der amerikanischen Natur ist daher eine Art Führer durch Amerikas Kultur und Geschichte, ein Wegweiser zu ausgewählten Regionen und deren Verwandlung über längere Zeiträume hinweg. Die Orte, auch wenn sie subjektiv ausgewählt sind, beanspruchen Repräsentativität. Was mich an ihnen interessiert, ist das Symptomatische. Dodge City, Kansas, zum Beispiel steht für die Prärie des Mittleren Westens mit ihren weiten Ebenen, den Sandstürmen und den riesigen Rinderherden. St. Thomas, Nevada, repräsentiert die Wüste, die künstlich bewässerte und militarisierte Landschaft des amerikanischen Südwestens. Wiseman, Alaska, verkörpert die Arktis, die Ausbeutung der Naturressourcen wie Gold und Öl, aber auch den Schutz der Wildnis. Memphis, Tennessee, steht stellvertretend für andere Orte am Mississippi River, der ganz eigene Kulturen hervorgebracht hat. Und Malibu, Kalifornien, vertritt jene Orte an der südlichen Pazifikküste, die in unserer Imagination paradiesisch erscheinen, zugleich jedoch von Naturkatastrophen aller Art heimgesucht werden.
Paradise Blues hat seinen Ausgangspunkt in der kühnen Einsicht des großen US-amerikanischen Autors William Faulkner, der einen Protagonisten in seinem Requiem für eine Nonne sagen lässt: »Die Vergangenheit ist niemals tot, sie ist nicht einmal vergangen.« Auf meinen Reisen in die Natur und Geschichte der USA geht es darum, als Detektiv der Geschichte Vergangenes und Zukünftiges hinter dem Gegenwärtigen zu entdecken und Verstecktes hinter dem Augenfälligen. Reisen, Herumfahren und Spazieren sind amateurhafte Akte. Durch sie stoße ich auf Dinge, von deren Existenz ich vorher nichts gewusst habe und die ich als einer, der das Handwerk des Historikers professionell erlernt hat, systematisch recherchierend weiterverfolge.
Der Bogen in diesem Buch, dessen Kapitel sich unabhängig voneinander lesen lassen, spannt sich bewusst von der Brooks Range in Alaska im ersten Kapitel bis nach Portland, Oregon, im Schlusskapitel des Bandes. Damit steht eine Region am Anfang, in die kaum ein Mensch eingegriffen hat, während das letzte Kapitel einer Großstadt gewidmet ist: der »nachhaltigsten Stadt der USA«, deren Umweltpolitik und -aktionen in alle Welt ausstrahlen. Auf meiner Spurensuche durch Amerika hat mich stets der Wunsch begleitet, dem omnipräsenten Narrativ vom »Ende der Natur« etwas Positives entgegenzusetzen.[6] Nicht immer, aber manches Mal geht dieser Wunsch auf den folgenden Seiten in Erfüllung. Die Geschichte von Amerikas Natur fördert grandiose Hoffnungen zutage und tiefe Enttäuschungen. Auch das Paradies hat seinen Blues.
In diesem Buch werden unterschiedliche Begriffe für die Ureinwohner der USA verwendet, keiner von ihnen ist unproblematisch. Dies gilt insbesondere für die von Kolonialisten eingeführten Bezeichnungen...
Erscheint lt. Verlag | 16.2.2022 |
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Zusatzinfo | mit Karten |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Alaska • Amerika • Amerikanische Geschichte • Amerika-Reise • Disney World • Dogde City • Erzählendes Sachbuch • Geschichte Amerikas • Gesellschaftsportät • Ingo Zamperoni • Jack London • Jill Lepore • Jon Krakauer • Kulturgeschichte USA • Las Vegas • Lebensstil • Malibu • Nature writing • Nordamerika • Reisebericht USA • Reiseerzählung • Streiflichter aus Amerika • Umweltgeschichte • Umweltverschmutzung • Umweltzerstörung • USA • Vereinigte Staaten • Wildnis |
ISBN-10 | 3-423-44071-6 / 3423440716 |
ISBN-13 | 978-3-423-44071-4 / 9783423440714 |
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