»Wie kaum in einem anderen Land ...«? (eBook)

Die Differenzierung der Bildungswege und ihre Wirkung auf Bildungserfolg, -ungleichheit und -gerechtigkeit. Band 2: Empirische Zusammenhänge
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
661 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44955-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

»Wie kaum in einem anderen Land ...«? -  Hartmut Esser
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Im Anschluss an Band 1 zu den theoretischen Grund¬lagen behandelt Band 2 die empirischen Befunde zu den Effekten der Leistungsdifferenzierung auf Bildungserfolg, Bildungsgleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Nach einer Übersicht über die wichtigsten empirischen Beiträge der soziologischen Mobilitätsforschung seit den 1970er Jahren, den PISA-Studien seit 2000 und der empirischen Bildungsforschung bis jetzt, bietet Band 2 eine eigene empirische Analyse für die deutschen Bundesländer auf der Datenbasis der »National Educational Panel Study« (NEPS). Das Ergebnis bestätigt in breitem Umfang die Vermutung, dass mit der Stringenz der Differenzierung das Leistungsniveau zunimmt und der Einfluss der sozialen Herkunft gleich bleibt beziehungsweise sogar abnimmt. Die Befunde widersprechen somit der geläufigen Auffassung, wonach insbesondere in Deutsch¬land die frühe und strikte Differenzierung in unterschied¬liche Bildungswege das Leistungsniveau nicht verbessere, sondern nur die soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Bildungserfolg verstärke oder gar erst schaffe. Nicht die weitere Öffnung und Abkehr von den Kriterien der Leistungsdifferenzierung wäre somit die Lösung der Probleme bei Leistungsniveau und Bildungsungleichheit, sondern eine wieder stärkere Orientierung daran.

Hartmut Esser, Prof. Dr., lehrte an der Universität Mannheim Soziologie und Wirtschaftstheorie.

Hartmut Esser, Prof. Dr., lehrte an der Universität Mannheim Soziologie und Wirtschaftstheorie.

1.Bildungsbeteiligung


Sortierung, Übergang und Bildungsbeteiligung sind der Ausgangspunkt für alles Weitere auf dem Bildungsweg und für die Leistungen dann später, von der Vorgeschichte in Familie, Vorschule und Grundschule im Hintergrund ausgehend. Zunächst werden Untersuchungen behandelt, die im Wesentlichen dem Standardansatz gefolgt sind: die Identifikation der Herkunftseffekte ohne weitere Kontrollen der Sortierung (Abschnitt 1.1). Dann kommen Beiträge, die, auf welche Weise und wie unvollständig auch immer, auch andere Bedingungen und Vorgänge bei der Sortierung für die Bestimmung der Systemeffekte mit einbezogen haben (Abschnitt 1.2). Zum Schluss gibt es dann eine Übersicht (Abschnitt 1.3) mit einer komprimierten Zusammenfassung der jeweils verwendeten Konstrukte, der Ergebnisse und ihrer Passung zu den Hypothesen des Modells der Leistungsdifferenzierung.

1.1Standardansatz


Es lassen sich für die Bildungsbeteiligung nach dem Standardansatz drei Bezüge unterscheiden: die frühe international vergleichende soziologische Mobilitätsforschung, die späteren internationalen Vergleichsstudien, insbesondere mit und nach PISA, und regionale Vergleiche, etwa in der Schweiz und in Deutschland. Zuerst nun die frühen soziologischen Untersuchungen, mit denen eigentlich alles begann, auch das, was dann zum Standardansatz geführt hat.

Frühe soziologische Mobilitätsforschung

Für die Frage der Verbindung von Bildungsexpansion und institutionellen Regeln, die den Einfluss der sozialen Herkunft begrenzen könnten, boten sich zuerst die skandinavischen Länder als Testfall der allgemeinen Hypothese für die sozial egalisierende Wirkung der Öffnung und der Aufhebung der Differenzierung an: Aufgrund der ausgeprägt wohlfahrtsstaatlichen Tradition einerseits und des konsequent integrierten Bildungssystems andererseits sollte es sich von den anderen (europäischen) Ländern durch eine stärkere soziale Durchlässigkeit in der Bildungsbeteiligung auszeichnen und somit eine Ausnahme vom allgemeinen Befund der eher »Persistent Inequality« bilden wie sich das bei Shavit und Blossfeld (1993) zu zeigen scheint. Die Befunde waren eine der wichtigsten Grundlagen für die Annahme der Standardposition, wonach die Integration ein Weg aus der Falle der sozialen Bildungsungleichheit sein könne (vgl. speziell für Schweden später besonders deutlich: Ratzki 2003). Dem folgten über die Jahre und aktuell anhaltend weitere internationale Vergleichsstudien und Analysen regionaler Unterschiede, die das zu bestätigten schienen. Ihre Gemeinsamkeit ist bis in die neueste Zeit, dass die Effekte, insbesondere jener der sozialen Herkunft, oft ohne Kontrolle der Sortierung und der kognitiven Fähigkeiten bzw. der Leistungen vorher bestimmt und daher wohl mehr oder weniger deutlich überschätzt werden (vgl. dazu Marks 2014, Kapitel 4 und 5). Es beginnt mit gleich mehreren Klassikern, die vieles danach sehr geprägt haben, darunter die Unterscheidung von primären und sekundären Effekten, die Vorstellung, dass bei der Bildungsbeteiligung die Familien eine ganz erhebliche Bedeutung derart haben, dass die Leistungen der Kinder dabei auch in den Hintergrund treten können – und dass es wie zum Beispiel in Schweden mit den geringen Herkunftseffekten und dem Rückgang der Klassenreproduktion nicht so deutlich ist wie oft geglaubt, wenn sich das Bildungssystem öffnet.

Blossfeld und Shavit (1993): »Persistent Inequality«

Die Effekte institutioneller Regelungen auf die Bildungsbeteiligung, speziell die der frühen Aufteilung in verschiedene Bildungswege mit unterschiedlichen Curricula, waren Gegenstand vor allem der in den 1980er Jahren beginnenden international vergleichenden soziologischen Mobilitätsforschung, auch im Zusammenhang der Folgen des doch schon deutlichen Ausbaus der Bildungsbeteiligung in nahezu allen Industrieländern. Ein Meilenstein war der Sammelband von Shavit und Blossfeld (1993) zu den langfristigen Veränderungen, darin speziell die zusammenfassende Übersicht von Blossfeld und Shavit (1993). Darin wurden dreizehn Länder verglichen, darunter sechs strukturell ähnliche (westliche) Industrie-Länder: USA, Deutschland, Niederlande, Schweden, Großbritannien und die Schweiz. Analysiert wurden die Effekte der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Geburtskohorten zwischen ca. 1900 bis ca. 1970 und der sozialen Herkunft auf die Dauer der verbrachten Schuljahre als Maß für die Bildungsbeteiligung und für unterschiedliche Stufen des Bildungsverlaufs (Grundschule, Sekundarstufe 1, Sekundarstufe 2, tertiäre Bildung). Es ging um die Frage: Ist die Expansion der Bildungsbeteiligung von einer Verstärkung oder Abschwächung des Einflusses der sozialen Herkunft begleitet, gibt es also einen Trade Off zwischen den Zielen von Gleichheit und Gerechtigkeit in der Partizipation beim Ausbau der Bildungssysteme und der damit evtl. einhergehenden Abschwächung oder Stärkung der sozialen und kognitiven Selektivität in den differenzierenden Systemen?

Tabelle 1.1. gibt die Entwicklungen über die Kohorten und die Zusammenhänge mit der sozialen Herkunft für die genannten sechs Länder wieder (nach Blossfeld und Shavit 1993, Tabellen 1.1 und 1.3), grob nach dem Grad der Differenzierung geordnet und mit Schweden als dem Fall eines weitgehend integrierten und den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland als Repräsentanten eines besonders stark extern differenzierenden Bildungssystems. Die Beziehungen geben vor dem Hintergrund der verfügbaren Daten die Brutto-Effekte wieder, also ohne besondere Kontrolle der primären, sekundären und tertiären Effekte, also über die kognitiven Fähigkeiten bzw. Grundschulleistungen, Aspirationen und die Noten bzw. Empfehlungen); die dazu nötigen Daten waren nicht verfügbar.

Änderungen Bildungsbeteiligung

Änderungen SES-Effekt

Land

Gesamt

Sek 1

Sek 2

tertiär

unten

mittel

oben

...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2023
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Bildungstheorie
Schlagworte Bildung • Bildungsbeteiligung • Bildungserfolg • Bildungsgerechtigkeit • Bildungssystem • Bildungsungleichheit • Lernen • Lernerfolg • Schulerfolg • schulische Leistung • Schulleistung • Schulsystem
ISBN-10 3-593-44955-2 / 3593449552
ISBN-13 978-3-593-44955-5 / 9783593449555
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