Rassismus begreifen (eBook)

Vom Trümmerhaufen der Geschichte zu neuen Wegen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
477 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-76555-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rassismus begreifen -  Susan Arndt
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Rassismus ist eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte. Er wirkt bis in kleinste Zusammenhänge globaler und lokaler Strukturen hinein - und zwar als Ergebnis seiner viel zu langen Geschichte. In ihrem aufrüttelnden Buch analysiert und problematisiert Susan Arndt diese Machtstrukturen von ihren Anfängen bis in unsere Gegenwart und zeigt, wie wir über Rassismus reden können, ohne ihn zu reproduzieren. Anti-Rassismus erfordert aktives Handeln und entsprechende Kompetenzen. Dafür braucht es Wissen und Argumente. Dieses Buch liefert sie.

Susan Arndt lehrt Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth.

Einleitende Bemerkungen: Black Lives Matter in Zeiten der COVID-19-Krise


Als der weiße Polizist Derek Chauvin am 25. Mai 2020 dem Schwarzen US-Amerikaner George Floyd die Luft abdrückte, hielt das die Welt in Atem. Nicht etwa, weil weiße Polizeigewalt gegenüber Schwarzen selten wäre: Zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 30. Juli 2020 starben allein in den USA rund 6000 Menschen durch Polizeigewalt, darunter über 1430 Schwarze, was 34 pro eine Million Einwohner entspricht, im Vergleich etwa zu 14 pro eine Million bei Weißen.[1] Eric Garner (2014), Michael Brown (2014) Michelle Cusseaux (2015), Breonna Taylor (2020) und George Floyd (2020) sind fünf von viel zu vielen. Die USA befinden sich noch immer inmitten eines Kampfes, von dem bereits Martin Luther Kings Jr. berühmte Rede I have a dream, gehalten am 28. August 1963 in Washington, D.C., spricht: der fehlenden Gleichheit von Schwarzen, wie sie sich etwa in der rassistischen Behandlung durch die Polizei äußert oder im Gesundheitswesen. Der Mord an George Floyd geschah aber nicht nur vor laufender Kamera. Er ereignete sich zudem inmitten der COVID-19-Krise, die soziale Ungleichheit wie unter einem Brennglas deutlich werden lässt. Denn auch wenn SARS-CoV-2-Viren nicht nach Alter, Herkunft, Pass, Geschlecht und der Position im Rassismus fragen, machen die Antworten auf die Pandemie genau das – Menschen in prekärer Beschäftigungssituation und mit geringem Einkommen können sich weder einen Shutdown noch Social Distancing finanziell leisten. Zugleich haben viele von ihnen keine Krankenversicherung, wodurch ihnen der Zugang zu medizinischen Behandlungen oder dem globalen Impfwettbewerb erschwert wird. Folglich sind es (neben Menschen mit Vorerkrankungen und älteren Menschen) vor allem einkommensschwache Personen, die schwere Verläufe erleben oder an COVID-19 sterben – und das wiederum sind, in den USA und darüber hinaus, wie der globale Vergleich zeigt, vornehmlich BIPoC (Akronym für Black, Indigenous and People of Color). Im Kontext dieser Erfahrungen wurde der gewaltsame Tod Floyds zum sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und eine Welle der Empörung auslöste. Im Rahmen der 2013 gegründeten Bewegung Black Lives Matter (BLM) ging sie um die Welt und sorgt auch in Deutschland bis heute für seismografische Ausschläge.

Tausende gingen hierzulande auf die Straße, und erstmalig wich die übliche Rede von Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit etwas nachhaltiger dem ‹Mut›, Rassismus beim Namen zu nennen. Und obwohl nur drei Monate zuvor in Hanau rassistischer Terror gewütet hatte und es in auch in Deutschland Fälle von Polizeigewalt gegenüber Schwarzen gibt, wunderten sich viele, was die Ermordung Floyds mit Deutschland zu tun habe – und warum es denn extra betont werden müsse, dass Schwarze Leben zählen. Würden denn nicht alle Leben zählen? Sowieso? Richtig, in dezidiert rassistisch organisierten Systemen wie etwa bei der europäischen Versklavung von Afrikaner*innen oder dem Nationalsozialismus (NS) war das nicht der Fall. Auch in der Jim-Crow-Ära oder der südafrikanischen Apartheid-Diktatur wurden Leben unterschiedlich bewertet und betrauert. Aber abgesehen davon? Die Antwort ist ebenso offensichtlich wie unerträglich: Rassismus ist ein globales Phänomen, das in alle Bereiche des Zusammenlebens eindringt. Und immer da, wo Rassismus waltet, tut er das mit dem (wenn auch nicht immer entsprechend de jure oder anderweitig verbalisierten) Ziel, Menschen aus dem (gleichberechtigten) Menschsein auszugrenzen. Je ‹weniger Mensch› aber, desto weniger menschenrechtswert. Nur wer dieses Credo des Rassismus verinnerlicht hat, kann über neun Minuten und 29 Sekunden lang einem Menschen das Atmen verwehren, der mehr als 20 Mal verzweifelt sagt: «I can’t breathe.» Diese letzten Worte Floyds sind schnell zur Metapher dafür geworden, dass Rassismus BIPoC von jeher systemisch daran hindert, sich in ihrem eigenen Leben sicher zu fühlen. BIPoC, also Schwarze, Indigene und People of Color (will sagen: alle, die vom Rassismus als außerhalb des Weißseins positioniert und deswegen diskriminiert werden) müssen sich tagtäglich Problemen stellen, die ihnen der Rassismus in ihr Leben implantiert. Das gilt in den USA ebenso wie in Deutschland.

Auch in Deutschland redet Rassismus mehr als ein Wörtchen dabei mit, wie Menschen leben. Der NS oder die NSU-Mordserie sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Doch wird nur diese betrachtet, bleibt das eigentliche Problem unbeleuchtet, und es lässt sich (guten Gewissens) erklären, dass mensch selbst so weder handeln noch denken würde. Mensch gibt sich einfach offen und liberal, reflektiert und solidarisch, kurzum: antirassistisch gut(willig) – und gut ist’s. Aber weil nur die Spitze des Eisbergs betrachtet und die eigentliche Größe des Problems entsprechend unterschätzt wird, bleibt der Rassismus intakt, und Gesellschaften samt vieler Menschen zerbrechen an ihm.

Zugleich bewirkt die Reduzierung von Rassismus auf diese gewaltvollen Spitzen, dass viele Weiße in Panik geraten, wenn etwas «rassistisch» genannt wird. Weil Rassismus so ungeheuerlich ist und so Ungeheuerliches getan hat, scheuen sich viele, vor allem weiße Personen, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Das macht Rassismus zum R-Wort (einem unverzeihlichen und oft unausgesprochenen Wort). Diese weiße Lebenswelt nennt die Antirassismustrainerin Tupoka Ogette «Happyland»: Hier wissen alle, «dass Rassismus etwas Schlechtes ist» – und schweigen gerade deswegen darüber. «Happyland ist eine Welt, in der Rassismus das Vergehen der anderen ist» – jener, die «mit Vorsatz» handeln. Folglich machen sich viele Weiße «vielmehr Sorgen darüber, rassistisch genannt zu werden, als sich tatsächlich mit Rassismus und dessen Wirkungsweisen zu beschäftigen».[2] Vielen fällt es leichter, Rassismus wegzuerklären, als ihn anzuschauen. Beschweigen und Verleugnen sind aber längst nicht die einzigen Bestandteile des Grenzschutzzauns von «Happyland». Dieser baut auch auf Frustration, Empörung oder Wut und darauf, Scham- und Schuldgefühle auf andere zu projizieren. Stichwort: Blaming the victim. Die Empörung richtet sich dabei nicht gegen den Gegenstand des Vorwurfs, sondern den Vorwurf selbst bzw. jene Person, die ihn erhebt – und wehrt diesen dabei ohne inhaltliche Bezugnahme ab. Nehmen wir nur die seit Sommer 2020 erneut entfachten Debatten um das M-Wort. Viele denken, wer es als rassistisch ansehe, dass es in Namen von Lebensmitteln oder Apotheken und Straßen vorkomme, sei uninformiert, hypersensibel und in jedem Fall zu politisch korrekt. Andere wollen über dieses Problem oder auch Rassismus im Allgemeinen sprechen, wissen aber teilweise nicht, wie. Ebendieser Wunsch, begreifen zu wollen, öffnet den Grenzzaun und damit den Weg zu Kompetenzen, mittels derer Rassismus bekämpft werden kann.

Dazu möchte das Buch einen Beitrag leisten. Zu dessen Credo gehört es, über Rassismus zu reden und zu schreiben, ohne ihn zu reproduzieren. Dafür muss erstens ein sprachlicher Fokus auf Akteur*innen und Vorgänge im Rassismus gerichtet werden. Das bedeutet etwa, dass ich eher in Aktiv- als in Passivsätzen schreibe: «Weiße diskriminieren Schwarze» statt «Schwarze werden diskriminiert». Auch in anderen Formulierungen bemühe ich mich, den Prozess selbst zu benennen. So spreche ich etwa von der europäischen Versklavung von Afrikaner*innen statt vom Transatlantischen Sklavenhandel: Während der Begriff «Handel» Legitimität suggeriert, drückt europäische Versklavung aus, dass es eines illegitimen Handelns bedurfte, wobei auch die Handelnden (Europa) benannt werden.

Zu meiner Strategie, Rassismus zu thematisieren, ohne ihn zu reproduzieren, gehört auch, dass ich rassistische Wörter nicht ausschreibe, sondern abkürze oder (bei der Ersterwähnung) typografisch absenke, um mit ihrem nachkolonial-rassistischen Überdauern zu brechen und Denkgewohnheiten zu irritieren. Es geht darum, Reflexionsprozesse anzustoßen und deutlich zu machen, dass diese Begriffe den Glauben an ‹Rassen› und eine entsprechende Bejahung des Rassismus im Wort führen. Ich kann Begriffe so aus einer analytischen Perspektive heraus benennen (z.B.: Kant benutzt immer das N-Wort) und zugleich die Macht rassistischer Wörter über die Gegenwart dadurch bändigen, dass ich rassistisches Vokabular nach dem oder den ersten Buchstaben abkürze. Das mache ich in diesem Buch nahezu durchgängig und konsequent (in wenigen Fällen schreibe ich...

Erscheint lt. Verlag 2.11.2021
Reihe/Serie Beck Paperback
Beck Paperback
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Antirassismus • Black lives matter • black-lives-matter-bewegung • Debatte • Diskriminierung • Einführung • Geschichte • Gewalt • Politik • Rassismus • Sachbuch • Umbennung
ISBN-10 3-406-76555-6 / 3406765556
ISBN-13 978-3-406-76555-1 / 9783406765551
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