Angela Merkel, Die großen Reden (eBook)
160 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46345-1 (ISBN)
Dr. Caroline Draeger (geb. 1967) ist promovierte Sinologin und arbeitet seit über 20 Jahren als Verlagslektorin. Nico Fried ist seit 2007 Leiter der Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung.
Dr. Caroline Draeger (geb. 1967) ist promovierte Sinologin und arbeitet seit über 20 Jahren als Verlagslektorin. Nico Fried ist seit 2007 Leiter der Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung.
Vorwort
von Nico Fried
Ein Buch mit gesammelten Reden von Angela Merkel? Das klingt im ersten Moment wie ein Buch über eine berühmte Köchin und ihren Rührlöffel: ein wichtiges Werkzeug, gewiss, aber nicht das, womit sie Geltung erlangte. Eigentlich sind es nie mehr als drei Worte, die einem sofort zu Angela Merkel einfallen: »Wir schaffen das.« Oder: »Sie kennen mich.« Aber ein kurzer Satz macht ja noch keine bedeutende Ansprache, schon gar nicht jener Satz aus der Flüchtlingskrise 2015, zu dem sie selbst später auf Abstand ging, weil sie sich missverstanden fühlte.
Hat die Bundeskanzlerin überhaupt eine Rede gehalten, die als prägend für ihre Amtszeit gelten kann? So wie die Agenda-Rede ihres Vorgängers Gerhard Schröder 2003 im Bundestag? Oder die Rede Helmut Kohls nach dem Fall der Mauer 1989 vor der Frauenkirche in Dresden? Oder Willy Brandts »Mehr Demokratie wagen«?
Angela Merkel, das ist doch die Kanzlerin, an die aufgeregte Medien in schwierigen Situationen immer wieder vergeblich die Forderung richteten, sie müsse jetzt eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede halten; die Kanzlerin, von der in jeder Koalitionskrise Machtworte verlangt wurden, die sie nie gesprochen hat; die Kanzlerin, die einmal sehr früh in ihrer Amtszeit ein ganzes Interview nicht über das Reden, sondern über das Schweigen als Mittel der Politik gab – und darüber, »dass man, wenn man phantasievoll mit Schweigen umgeht, viel hineininterpretieren kann«.
Es erscheint deshalb ein wenig überraschend, dass zum Erbe dieser Kanzlerschaft sehr wohl eine erkleckliche Anzahl bemerkenswerter Reden gehört, ohne die das Bild der Regierungszeit Merkels nach 16 Jahren nicht nur unvollständig, sondern auch unerklärlich wäre. Merkel hat sehr selten durch Reden gehandelt – eine Ausnahme war zum Beispiel im Februar 2019 ihre Intervention von Südafrika aus zur Wahl eines Ministerpräsidenten in Thüringen mit den Stimmen der AfD. Aber sie hat ihr Handeln immer wieder mit Reden begleitet, unterlegt, erläutert. Dabei gibt es zwar oft eine Parallelität zwischen dem Politikstil dieser Kanzlerin der kleinen Schritte und den detaillierten, um nicht zu sagen kleinteiligen Erklärungen ihrer Politik. Doch wenn die Kanzlerin zu einem Thema einen Akzent setzen wollte, nahm sie sich auch die nötige Zeit für die gedankliche Vorbereitung. Wenn sie politische Grundsätze beschreiben wollte, legte sie bei der Vorbereitung der Reden auch mal selbst ausführlich Hand an. Wenn ihr etwas wirklich wichtig war, konnte sie auch sehr persönlich werden.
Diese Reden, in denen die Kanzlerin ihre Geschichte oder ihre Gefühlslage oder auch beides nach außen kehrte, gehören zu ihren besten. Sie zeigen, dass Merkel trotz der unbestreitbaren Fähigkeit zum politisch-taktischen Wendemanöver manche Ansichten und Positionen über Jahre in einer Mischung aus Lebenserfahrung, Wissbegier und Intellektualität entwickelt hat. Selbst wenn man ihre Argumente nicht teilte, waren sie doch nie einfach zu widerlegen. Merkel ist ihre ganze Kanzlerschaft über machttechnisch pragmatisch gewesen – politisch prinzipienlos war sie nie.
Ein Problem an Angela Merkels Reden war das Zuhören. Diese Bundeskanzlerin präsentierte sich in der Regel nicht besonders unterhaltsam, sie erschien meist mehr als Vortragende denn als Rednerin. Bei den vielen Auftritten, die ein Leben als Kanzlerin fast täglich mit sich bringt, las sie oft vom Blatt ab, verhaspelte sich trotzdem häufig und investierte in die Modulation ihrer Stimme nur wenig Mühe. Ihre Sprache geriet bisweilen umständlich, meist formulierte sie vorsichtig, nie auf Effekt bedacht. Mit ihrer Gestik hielt sie es ähnlich sparsam: mal eine sanft geballte Faust, mal ein angewinkelter Zeigefinger, ganz selten die flache Hand aufs Rednerpult gepatscht. Und dann waren da noch die parallel auf und ab schwingenden Hände, für die der frühere Chefredakteur der »Süddeutschen Zeitung«, Kurt Kister, 2009 den Namen »So-groß-ist-der-Fisch«-Geste erfand.
Im Parlament passte das Wort von der Regierungserklärung hervorragend zu Merkels Art des Redens, vor allem der Teil mit dem Erklären. Viele der routinemäßigen Veranstaltungen einer Kanzlerin, vom Wirtschaftsforum bis zur Jahrestagung der Verbraucherschützer, beehrte sie gewiss am meisten mit ihrem Rang und Namen, gelegentlich mit einer politischen Neuigkeit, aber ganz selten mit der Art, wie sie etwas sagte.
Die Rednerin Angela Merkel hatte schon auf den ersten Stufen ihrer Karriere einen schweren Stand. Im Bundestag musste sie sich an Showgrößen der politischen Rhetorik wie Joschka Fischer, Guido Westerwelle oder Friedrich Merz messen lassen. Als Partei- und später auch als Fraktionsvorsitzende war es bereits eine beachtliche Aufgabe, die Skepsis der eigenen Leute in CDU und CSU ihr gegenüber nicht zu bestätigen, ganz zu schweigen von der Herausforderung, gegen das satte Selbstbewusstsein der rot-grünen Führungsriege rund um Gerhard Schröder anzureden.
Das lernende System Angela Merkel scheint allerdings aus dieser Zeit manches mitgenommen zu haben. So spröde sie als Kanzlerin oft vortrug, so geistesgegenwärtig reagierte sie – was zum Beispiel eine große Begabung des Redners Joschka Fischer war – auf Zwischenrufe, Störungen oder Lacher. Es war weniger das Vorbereitete als das Spontane, nicht der Vortrag, sondern ihre Schlagfertigkeit, mit der Merkel einen Saal durchaus in wenigen Worten für sich einnehmen konnte, weil sie für kurze Zeit aus dem Amt ins Authentische wechselte. Als ihr eine AfD-Abgeordnete am 9. Dezember 2020 im Bundestag zum Zusammenhang von Corona-Infektionen und Todesfällen zurief, das sei doch alles »nicht erwiesen«, antwortete Merkel: Sie habe in der DDR ein Studium der Physik gewählt, weil sie sicher gewesen sei, dass man vieles außer Kraft setzen könne, »aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindigkeit nicht und andere Fakten auch nicht«. Das war sowohl ein geschicktes Spiel mit der Wirkmächtigkeit von Wissenschaft wie auch mit dem beliebten Vorwurf mancher Kritiker, Merkel sei noch immer dem Denken der DDR verhaftet.
Ihre erste Rede als Bundeskanzlerin zu einem Tag der Deutschen Einheit hielt sie 2006. Merkel, gerade ein knappes Jahr im Amt, erzählte in der schleswig-holsteinischen Hauptstadt Kiel sehr persönlich aus ihrer Zeit in der DDR, wie sie Wende und Einheit erlebt hatte und wo sie manches Problem einer allzu schnellen Anpassung sah. Zugleich aber berichtete sie über die Widrigkeiten, denen sie dann in der Bundesrepublik begegnete und die sie nicht erwartet hatte, über Bürokratie und Selbstzufriedenheit. In einem Interview mit der »SZ« sagte sie viele Jahre später, unter Freunden aus der ehemaligen DDR habe man damals gescherzt: »Der Westen ist auch nicht mehr das, was er mal war.«
Die Kieler Rede hätte ein Diskussionsanstoß sein können, aber sie erfuhr kaum Resonanz. Wie wahr manches von dem schon damals war, was Merkel über die alte Bundesrepublik konstatierte, zeigte sich am Ende ihrer Kanzlerschaft in der Corona-Pandemie, nachdem sich bürokratischer Regulierungswust als ein Haupthindernis effektiver Pandemiebekämpfung erwies, was freilich auch die Erfolglosigkeit Merkels in dessen Bekämpfung manifestierte.
Was den biografischen Teil ihrer Einheitsrede betraf, erfuhr die Kanzlerin nicht zum ersten Mal, dass manche ihrer neuen Landsleute wenig Wert darauf legten, von Merkel erzählt zu bekommen, wie es in der DDR war, sondern Merkel lieber aus ihrer Sicht erklärten, was sie gar nicht selbst erlebt hatten. »Es gab Menschen, die sich interessiert haben«, erzählte sie später. »Es gibt aber auch sehr viele, die einfach schwer verstanden haben, dass zwischen dem Staat DDR und dem individuellen Leben der DDR-Bürger durchaus ein Unterschied war.«
So war es vielleicht kein Zufall, dass die Kanzlerin eine Rede, in der sie ihre persönlichen Erlebnisse und Sehnsüchte aus der Vergangenheit im Osten besonders freimütig offenbarte, vor dem amerikanischen Kongress hielt. In den USA weckte Merkels Lebensgeschichte häufig großes Interesse. Eine neugierige Befragung durch George W. Bush zum Beispiel war ein Stein im Fundament einer bemerkenswerten Freundschaft mit dem 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten, den die Deutschen eigentlich seit dem Irak-Krieg überhaupt nicht schätzten – was sich erst wieder etwas relativierte, als sie den 45. Präsidenten erlebten.
Ehud Olmert, der erste israelische Premierminister, dem Merkel als Kanzlerin begegnete, sprach mit ihr ebenfalls über das Leben in der DDR. Auch umgekehrt war Israel für Merkel lange Zeit ein völlig unbekanntes Land gewesen. Und doch sollte sie hier 2008 die vielleicht bedeutendste außenpolitische Rede ihrer Amtszeit halten.
Der Weg dahin war weit. Über den Holocaust hatte Merkel in der DDR nicht viel gelernt. In der Grundschule hatte sie eine Lehrerin, die zwar jeden Tag über die Verbrechen der Nationalsozialisten sprach, bis die kleine Angela Kasner nachts von Konzentrationslagern und Krieg träumte. Aber die Opfer waren alle Kommunisten. Einmal im Jahr besuchte die Schulklasse die Gedenkstätte Ravensbrück. Dass in den Konzentrationslagern vor allem Juden ermordet wurden, lernte das Mädchen nicht in der Schule, sondern von den Eltern.
Mit 36 Jahren besuchte Angela Merkel als Bundesministerin für Frauen und...
Erscheint lt. Verlag | 2.8.2021 |
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Vorwort | Nico Fried |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | AfD • Angela Merkel • angela merkel ansprache • Angela Merkel Buch • Angela Merkel geht • Angela Merkel Kanzlerin • angela merkel mein weg • Ära Merkel • Atheismus • Außenministerium • Außenpolitik • Baerbock • Bankenkrise • barack obama • Biografien von Präsidenten & Staatsoberhäuptern • Buddhismus • Bundeskanzlerin • Bundeskanzlerin Merkel • Bundespolitik • Bundestagswahl • CDU-Politiker • CDU-Politikerin • CDU Vorsitzende • Corona in Deutschland • Corona-Krise • Coronavirus • CSU • DDR • Demokratie • Deutsche Einheit • deutsche Integrationspolitik • deutsche Politik • Deutsch-israelische Beziehungen • deutschland politik • die großen reden • die mächtigste Frau Deutschlands • Digitalisierung • Diversität • Diversity • Emanzipation • energie-politik • Energiesparen • Erinnerungen • erste Bundeskanzlerin deutschlands • Es kommt auf jeden an • EU-Politik • FDP • Finanzkrise • Finanzmarkt • Finanzminister • Finanzpolitik • Flüchtlinge • Flüchtlingsdebatte • Frauen in der Politik • Frauenministerium • Frauenrechte • Freiheit • Gesellschaft Digitalisierung • Gesellschaftlicher Zusammenhalt • Gesellschaftliche Spaltung • Gesundheitsministerium • Glaubensfragen • Glaubensfreiheit • Grüne Politik • Helmut Kohl • Helmut Schmidt • Impfkrise • Impfstoff • Impfung • impfzentren • Innenministerium • Islamismus • Islamkritik • Israel • Jens Spahn • Judaismus • Juden in Deutschland • Judentum • Kanzleramt • Kanzlerin • Kanzlerkandidat • Klimawandel • Knesset • Kohls Mädchen • Kongress der USA • Liberalismus • Linksextremismus • Meinungsfreiheit • Menschenrechte • merkel rede • merkel rede trump • Me-Too • Mohammed-Karikaturen • Mundschutz • Neoliberalismus • Neue Bundesländer • Nico Fried • Pariser Abkommen • politischer Aktivismus • Politischer Diskurs • Politische Reden • Politisches System • rechte Gewalt • Rechtsextremismus Deutschland • Redefreiheit • Reden von Präsidenten & Staatsoberhäuptern • Regierung • Regierungszeit Merkel • Religion • Rethorik • Söder • Sparpolitik • SPD • Thilo Sarrazin • Toleranz • Ursula von der Leyen • US-Amerikanische Politik • Vakzine • Wahl • Wiedervereinigung • wir schaffen das |
ISBN-10 | 3-426-46345-8 / 3426463458 |
ISBN-13 | 978-3-426-46345-1 / 9783426463451 |
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