Maschinenbewusstsein (eBook)
248 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44896-1 (ISBN)
Dr. Ralf Otte ist Professor für Industrieautomatisierung und Künstliche Intelligenz an der Technischen Hochschule Ulm. Seit über 25 Jahren arbeitet er an KI-Projekten in Industrie und Gesellschaft. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich des Maschinellen Sehens und der Erforschung von Bewusstsein auf Maschinen.
Dr. Ralf Otte ist Professor für Industrieautomatisierung und Künstliche Intelligenz an der Technischen Hochschule Ulm. Seit über 25 Jahren arbeitet er an KI-Projekten in Industrie und Gesellschaft. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich des Maschinellen Sehens und der Erforschung von Bewusstsein auf Maschinen.
Kapitel 1.
Von Intelligenz und Bewusstsein
Viele KI-Forscher und Neurowissenschaftler verknüpfen die Begriffe Intelligenz und Bewusstsein miteinander. Ihr Argument: Der Mensch besitze eine sehr hohe Intelligenz, und er hat ein sehr komplexes Bewusstsein. Was liegt da näher, als hier einen grundlegenden Zusammenhang zu vermuten? Hohe Intelligenz verursacht hohes Bewusstsein, sogar Selbstbewusstsein, mittlere Intelligenz verursacht mittleres Bewusstsein, und niedere Intelligenz führt dazu, dass das System kein Bewusstsein ausprägen kann. Das klingt plausibel.
Aber muss das so sein?
Es könnte ja auch sein, dass Bewusstsein gar nichts mit Intelligenz zu tun hat und der obige Zusammenhang nur ein scheinbarer ist – etwas, was in der Wissenschaft viel häufiger auftritt, als man sich zugestehen möchte. Zusammenhänge zwischen gefundenen Erscheinungen (Fachleute sprechen oft auch von Korrelationen) sind sehr häufig gar keine kausalen, sondern sie verweisen oftmals auf eine dritte, unbekannte Ursache. Es könnte daher sein, dass der beobachtete Zusammenhang zwischen hoher Intelligenz und hohem Bewusstsein auf grundlegenderen Prinzipien der Natur basiert.
Falls das so wäre, könnten vielleicht auch Systeme mit niedrigerer Intelligenz Bewusstsein ausbilden und Systeme mit relativ hoher Intelligenz, wie die KI-Systeme der neuen Generation, vielleicht niemals Bewusstsein erlangen.
Und wie Sie, liebe Leserinnen und Leser, der Einleitung bereits entnommen haben, vertrete ich genau diese These: Heutige KI-Systeme, egal wie intelligent sie noch werden, werden niemals Bewusstsein erlangen. Warum ich das so sehe, werde ich im Buch aufzeigen, es soll schließlich eine Reise zu zwei der schillerndsten Themen der heutigen Natur- und Geisteswissenschaft werden: Intelligenz und Bewusstsein.
Vorher müssen wir jedoch noch wichtige Begriffe definieren. In diesem Kapitel werde ich den Begriff der KI erläutern, danach den des Bewusstseins, und später werde ich zum Begriff des Maschinenbewusstseins überleiten.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) wurde im Jahr 1956 auf einer Konferenz in Dartmouth (New Hampshire, USA) von führenden Wissenschaftlern ihrer Zeit geprägt. Er war in einem Antrag an die Rockefeller-Stiftung enthalten, bei dem es darum ging, finanzielle Mittel zu bekommen, um neue Verfahren auf Maschinen zu entwickeln, die intelligent sein sollten. (Zu Ihrem besseren Verständnis: IT-Fachleute sprechen oftmals davon, Verfahren »auf« Maschinen oder »auf« Daten zu entwickeln, anstatt die Präpositionen »für« oder »aus« zu nutzen.)
Die Antragsteller waren Enthusiasten und der Meinung, innerhalb weniger Jahre Computersysteme realisiert zu haben, die es mit dem Menschen aufnehmen könnten. Das ist zwar nicht passiert, aber die KI hat dennoch einen unvorstellbaren Siegeszug angetreten. Dabei ist bis heute noch nicht einmal ganz klar, was der Begriff beinhaltet und was nicht.
Daher werde ich gleich zu Beginn einige Präzisierungen vornehmen. Mit dem Begriff »künstlich« ist in der Regel »technisch« gemeint. Es geht um technische Maschinen, also um Verfahren der Physik. Man könnte Intelligenz auch chemisch oder biologisch konstruieren, aber das ist mit dem heute üblichen Begriff KI nicht gemeint. In späteren Kapiteln werden wir sehen, dass von zahlreichen Forschern tatsächlich eine Integration von KI-Maschinen mit biologischen Zellen – zu einer hybriden KI – angedacht ist.
Wie steht es um den Begriff der Intelligenz? Die Definition dieses Begriffs ist schwieriger, weil Intelligenz keine objektiv messbare Eigenschaft wie das Gewicht eines Objektes ist. Über den Begriff »Gewicht« muss man sich mit seinem Gegenüber nicht handelseinig werden, der ist präzise durch die Physik definiert. Bei »Intelligenz« ist das nicht so. Wir legen selbst fest, was wir darunter verstehen wollen. Fragt man beispielsweise Psychologen, so sehen sie in der Intelligenz die Fähigkeiten einer Person zum Denken, Lernen, Wahrnehmen und weiterhin auch zu Konzentration, Abstraktion, Merkfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Aber letztlich hilft das für technische Entwicklungen nicht weiter, denn es gibt ganz offensichtlich sehr viele Merkmale von Intelligenz.
Für Techniker ist auch keine maximale, sondern eine minimale Festlegung von Intelligenzeigenschaften interessant, auf die sich alle einigen könnten. Eine allgemein anzuerkennende Definition wäre beispielsweise folgende: Intelligenz ist die Summe von Denk- und Wahrnehmungsprozessen eines Objektes oder Subjektes, um auf Umwelteinflüsse angemessen zu reagieren.
Wenn man so etwas technisch bauen will, hat man immer noch einige Hürden zu bewältigen. Man muss klären, was die Begriffe »Denken« und »Wahrnehmung« exakt bedeuten. Dass das System angemessen reagieren soll, liegt auf der Hand. Aber jeder Computeralgorithmus reagiert bereits heute schon angemessen auf die Eingaben seiner Umgebung, sonst würde man ihn deinstallieren und die Entwickler nach Hause schicken. Angemessen zu reagieren ist also eher als Minimalanforderung zu verstehen; sie ist notwendig, aber sicher keinesfalls hinreichend, um von intelligenten Systemen zu sprechen.
Kommen wir zum Denken. Menschen können denken, darin sind sich alle einig, aber wie wollte man Maschinen Denken beibringen? Auch hier müssen wir präzisieren. Wir können auf Maschinen heute nur denjenigen Teil des Denkens implementieren, den man algorithmisch erfassen kann, denn auf einem Computer laufen letzten Endes immer nur Algorithmen ab. Wir legen also fest, dass wir mit dem Begriff des Denkens ab jetzt das logische Denken meinen, denn logisches Denken ist mathematisierbar (was bedeutet, dass es durch mathematische Verfahren ausgedrückt werden kann) und damit auf einen Computer portierbar. (An dieser Stelle einige Begriffshinweise: IT-Fachleute verwenden oft den Begriff »portieren«, und meinen damit »etwas von A nach B übertragen«. Wenn wir von implementieren sprechen, meinen wir einbauen; eine KI-Software in einen Computer implementieren bedeutet also, diese dort einzubauen. Ein weiterer Fachbegriff, der in diesem Buch häufig verwendet wird, ist codieren. Dies bedeutet, eine Information in einem vorgegebenen Zeichenvorrat zu hinterlegen. Das können die Buchstaben des Alphabets sein, aber auch die Bits und Bytes eines Computers beziehungsweise einer Programmiersprache oder der »Zeichenvorrat« an chemischen Molekülen in der menschlichen DNA.)
Dass der Mensch auch zu unlogischem Denken fähig ist, ist allgemein bekannt. Solche Denkprozesse können wir jedoch nicht in mathematischen Verfahren modellieren und auf einem Computer ablaufen lassen.
Erschwerend wird in der Umsetzung noch hinzukommen, dass es verschiedene Arten von mathematischen Logiken gibt, also auch hier werden wir weiter eingrenzen müssen. Eine Logik, die sehr gut auf einen Computer übertragen werden kann, ist die Aussagenlogik, schwieriger wird es bereits bei der sogenannten Prädikatenlogik, doch dazu später.
Und was ist Wahrnehmung? Wahrnehmung bedeutet vereinfacht gesagt, Informationen aufzunehmen und subjektiv bewerten zu können. Subjektives Bewerten können wir bei Computern jedoch nicht nachweisen, da wir nicht wissen, wie ein Computer ein Signal subjektiv aufnimmt. Man könnte die Veränderung der elektrischen Ströme und Spannungen in den Schaltkreisen eines Computers beim Eintreffen von Zahlenkolonnen aus einer Kamera natürlich als Wahrnehmung des Computers definieren, nimmt dann aber in Kauf, dass dies nicht mit dem allgemein üblichen Begriff der Wahrnehmung übereinstimmt. Es führt in der Wissenschaft immer zu Schwierigkeiten, wenn man Begriffe umdefiniert, daher ist davon abzuraten.
Wahrnehmung wird im Allgemeinen als subjektiver Erlebnisinhalt, als Erkennung der Bedeutung der Signale durch kognitive Weiterverarbeitung definiert.2 Ob Computer das bereits können, ist jedoch strittig und Inhalt des Buches. Obwohl Wahrnehmung einen Großteil der Intelligenz eines Menschen ausmacht, werde ich diese Eigenschaft bei einer Maschine vorerst wieder ausklammern.
Wir reduzieren den Begriff der Künstlichen Intelligenz also auf das logische Denken und führen folgende Definition ein: Künstliche Intelligenz ist die Summe von logischen Denkprozessen eines Systems, um auf Umgebungseinflüsse angemessen zu reagieren. Konkret geht es hierbei um die Fähigkeit des logischen Schlussfolgerns und die...
Erscheint lt. Verlag | 15.9.2021 |
---|---|
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Algorithmus • Autonome Fabrik • Autonomes Fahren • Bewusstsein • Big Data • Chat GPT • ChatGPT • KI • KI-Wirtschaft • Künstliche Intelligenz • Maschinenbewusstsein • Pflegeroboter • Roboter • Superintelligenz |
ISBN-10 | 3-593-44896-3 / 3593448963 |
ISBN-13 | 978-3-593-44896-1 / 9783593448961 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 774 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich