Generation lebensunfähig (eBook)

Wie unsere Kinder um ihre Zukunft gebracht werden (SPIEGEL- BESTSELLER)
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Yes-Verlag
978-3-96905-072-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Generation lebensunfähig -  Rüdiger Maas
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Emma ist erst vier Jahre alt, aber ihre Datenspur im Internet reicht schon viel weiter zurück. Bereits das erste Ultraschallbild haben ihre Eltern bei Instagram gepostet. Der Kinderwagen hat 2000 Euro gekostet. Museum, Zoo, Kindertheater, Frühenglisch und Karatekurs – all das muss Emma mit vier schon erlebt haben. Statt ihr Kind zu erziehen, überschütten die Eltern es mit Liebe, Geschenken und Optimierungen. Erzieher berichten, dass viele Kinder heute später trocken werden, nur in 2-Wort-Sätzen sprechen oder sich nicht selbst anziehen können. Jugendliche verbringen längst vier bis sechs Stunden täglich am Handy und entgleiten so in die Parallelwelt des Internets. In der realen Welt hingegen tun sie sich schwer, die Ablösung von den Eltern will nicht gelingen und so sitzen diese inzwischen sogar bei Bewerbungsgesprächen oder im Hörsaal der Uni mit dabei. Die Studienergebnisse von Rüdiger Maas sind schockierend: Die nächste Generation ist deutlich weniger selbstständig und leistungsfähig, immer mehr Kinder leiden an Angststörungen und Depressionen. Messerscharf analysiert der Generationenforscher, Psychologe und zweifache Vater die Nöte unserer Kinder und entwirft ein Zukunftsszenario, das großen Anlass zur Sorge gibt. Dabei verbindet er fundiertes Fachwissen und umfangreiche eigene Forschungen mit authentischen Beispielen aus dem Alltag.

Rüdiger Maas hat Psychologie und Philosophie in Deutschland und Japan studiert. Er forschte und arbeitete ein Drittel seines Lebens im Ausland. Seit 2012 erforscht er mit seinem Team Kohorten- und Gruppenverhalten sowie generationenbedingtes Verhalten und gründete hierzu das Institut für Generationenforschung. Schwerpunkte der Forschung liegen auf der gegenseitigen Beeinflussung der Generationen untereinander, etwa in der Erziehung, aber auch beim Umgang miteinander in Unternehmen oder in der Gesellschaft. Mit seinen zahlreichen Fachbüchern und Vorträgen ist Maas inzwischen der bekannteste Generationenforscher Deutschlands.

Rüdiger Maas hat Psychologie und Philosophie in Deutschland und Japan studiert. Er forschte und arbeitete ein Drittel seines Lebens im Ausland. Seit 2012 erforscht er mit seinem Team Kohorten- und Gruppenverhalten sowie generationenbedingtes Verhalten und gründete hierzu das Institut für Generationenforschung. Schwerpunkte der Forschung liegen auf der gegenseitigen Beeinflussung der Generationen untereinander, etwa in der Erziehung, aber auch beim Umgang miteinander in Unternehmen oder in der Gesellschaft. Mit seinen zahlreichen Fachbüchern und Vorträgen ist Maas inzwischen der bekannteste Generationenforscher Deutschlands.

Der Beginn einer Sucht


In den USA haben etwa 80 Prozent der Kleinst- und Kleinkinder ein internetfähiges Smartphone zur Verfügung. In Deutschland dürfen 70 Prozent der Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren täglich mindestens eine halbe Stunde das Smartphone ihrer Eltern benutzen.48 Etwa 8 Prozent der Kleinkinder besitzen ein eigenes Smartphone, bei den Achtjährigen ist es schon jedes dritte Kind und bei den Zehnjährigen sind es dann 75 Prozent. In naher Zukunft werden die meisten Kindergartenkinder ein eigenes Smartphone besitzen.49

Emma hat kaum einen schönen Moment in ihrem Kleinkindalter erlebt, in dem die Eltern nicht ihr Smartphone zückten, es ihr vor das Gesicht hielten und voller Euphorie riefen: »Bitte mach das noch mal!« Oder: »Wow, das schaut ja toll aus!« Jedes positive Verhalten von Emma wurde und wird mit einer Smartphone-Nutzung belohnt. Bleibt die Begeisterung via Smartphone-Nutzung einmal aus, war es wohl nicht gut genug, wird sich Emma denken. Und beginnt ganz bald den sekündlichen Schnappschuss zu vermissen.

Früher oder später, wenn ihre Eltern es erlauben, wird auch sie so ein »Teil« haben wollen, um sich damit selbst zu belohnen. Und wie wollen Eltern, die selbst permanent am Smartphone hängen, ihre Tochter dafür noch rügen?

Ähnlich wie früher Eltern unbedarft vor ihren Kindern geraucht oder Alkohol getrunken oder einfach nur viel ferngesehen haben, wird heute das Handy benutzt. Was soll daran so schlimm sein – die Kinder von damals wurden ja auch nicht automatisch Raucher, Alkoholiker oder fernsehsüchtig. Dafür ist die menschliche Psyche zu komplex, als dass sich Suchtverhalten allein aus dem Vorbild erklären ließe. Jedenfalls aber kann die intensive Nutzung des Smartphones eine Sucht auslösen. Nämlich eine sogenannte stoffungebundene Sucht.

Während stoffgebundene Süchte direkt auf den Stoff, zum Beispiel Alkohol oder Nikotin, gerichtet sind, macht das Handy nur indirekt und damit stoffungebunden süchtig. In der Auseinandersetzung mit dem Smartphone, wenn wir beispielsweise Likes bekommen, werden körpereigene Hormone und Neurotransmitter produziert. Wir bekommen Likes und wir fühlen uns gut. Um uns weiterhin gut zu fühlen, greifen wir häufiger zum Smartphone.

Ein zu frühes und intensives Nutzen des Smartphones kann die Entwicklung einer Nomophobie50 – also der Angst, »ohne« das Smartphone zu sein – stark begünstigen. Zudem ist die Gefahr groß, dass auch Emma eine Internetsucht entwickelt und ihre Eltern, die ja selbst auf das Internet fixiert sind, diese erst gar nicht erkennen werden.

Der Begriff »Internet Addiction Disorder« wurde bereits 1998 durch die Psychologin Kimberly Young in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt. Die Forscherin konnte zeigen, dass User ein ähnliches Abhängigkeitsverhalten vom Internet entwickeln können, wie das von stoffgebundenen Süchten bekannt ist.51

Zu den Symptomen der Internetsucht gehören neben einer exzessiven und permanenten Beschäftigung in der Online-Welt ein Kontrollverlust. User können ihr eigenes Verhalten nicht mehr einschränken, Entzugserscheinungen treten auf, die zu Gereiztheit, Ruhelosigkeit und Nervosität führen; eine Toleranz entwickelt sich, das heißt, dass der bereits exzessive Konsum immer weiter ausgedehnt werden muss; schließlich wird das eigene Denken und Handeln eingeengt, sodass nur noch Tätigkeiten durchgeführt werden, die in der digitalen Welt stattfinden. Schrittweise kappt die Internetsucht damit die Verbindungen zur analogen Welt.

Unser Verhalten beim Social-Media-Konsum ist ein anderes als beim klassischen Fernsehkonsum. Wir sind keine passiven Nutzer mehr. Wir können interagieren, liken, kommentieren, aber auch Likes und Kommentare erhalten. Diese Interaktionen befeuern unser Belohnungsstreben, unsere Aufmerksamkeit, unser Wahrgenommen-werden-Wollen in einem nie zuvor da gewesenen Umfang. Ein Like ist eine positive Verstärkung. Bekommen wir kein Like, sind wir enttäuscht. Unser Belohnungsstreben wurde nicht befriedigt. Forscher haben herausgefunden: Je höher die Interaktivität einer Online-Aktivität ist, desto höher ist das Suchtpotenzial.52

Egal, wie sich Emma vor dem Fernseher verhalten würde, das Fernsehen würde nicht direkt auf sie reagieren. Social Media eben schon. Für einen Post bekommt man Likes. Diese Likes sorgen für eine Dopaminausschüttung. Es fühlt sich gut an, dank Dopamin. Nicht umsonst wird Dopamin im Volksmund auch Glückshormon genannt. Evolutionär waren wir Menschen immer schon bestrebt, das zu wiederholen, was sich gut anfühlt. Waren wir früher auf Nahrungssuche und haben etwas entdeckt, das gut schmeckte, suchten wir genau dieses gut schmeckende Ding wieder. Schmeckte etwas nicht gut, haben wir die Speise in Zukunft vermieden, weil wir die unschöne Erfahrung nicht wiederholen wollten. Heute ticken wir trotz Smartphone, Digitalisierung und 5G zu einem hohen Prozentsatz noch wie vor Tausenden von Jahren. Wenn sich also heute etwas gut anfühlt, wollen wir es verstärkt wiedererleben und im Idealfall nicht mehr darauf verzichten. Oft ist es egal, ob sich eine Sache beim zweiten oder dritten Mal weniger gut anfühlt. Der Wunsch nach einer neuen und vermehrten Dopaminausschüttung bleibt.

Wenn Online-Plattformen genutzt werden, die auf ein hohes Maß an Interaktivität setzen, wie das bei den Social-Media-Kanälen der Fall ist, wird zudem noch das Hormon Oxytocin ausgeschüttet, im Volksmund »Kuschelhormon« genannt. Oxytocin wurde beispielsweise bei Johannes und Martina ausgeschüttet, als Emma geboren wurde. Das Hormon bewirkt unter anderem eine Bindung der Eltern an ihre Kinder, aber auch der Social Media an ihre Nutzer. Und das aufgrund eines natürlichen Bedürfnisses: Wir Menschen streben nun einmal nach Bindung. Und die Likes, die wir bekommen, geben uns dieses Gefühl. Im Fall von Social Media bewirkt Oxytocin eine wachsende Lust, eine wachsende Begeisterung, kurz ein Nicht-mehr-verzichten-Können auf Social-Media-Interaktionen. Das geschieht unbewusst, aber bald sind wir konditioniert und brauchen unsere tägliche Dosis Social Media. Schwupps, schon binden wir uns nicht nur an die Dopaminausschüttungssucht, sondern auch noch an diese Ich-werde-gelikt-bzw.-gemocht-Interaktion.

Darauf basiert die ganze Social-Media-Industrie. Viele Likes bedeuten zu Beginn viel Dopamin. Auf der Suche nach Dopamin treibt uns mit zunehmender Sucht die Angst an, nicht mehr genug Dopamin zu bekommen. Aber wir machen weiter, weil wir diese Anerkennung brauchen. Ein Teufelskreislauf, der zur digitalen stoffungebundenen Sucht führt. Ein Zustand, in dem die heutigen Kinder groß werden.

Im späten Grundschulalter wird unsere Emma mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit lustige Videos posten und diese mit der ganzen Welt via TikTok teilen. TikTok hat die Hormonausschüttungen perfektioniert. Die vor allem bei Kindern und Jugendlichen beliebte App spielt in Endlosschleife 20-sekündige Videos ab, die von TikTok-Nutzern hochgeladen wurden. Dahinter steht eine ausgereifte künstliche Intelligenz, die ähnlich wie bei Amazon & Co. schnell dazulernt: Es wird registriert, was Emma sehen möchte, und passgenau werden ihr am laufenden Band Videos angeboten, wodurch sie in eine direkte Abhängigkeit gerät und sehr lange auf diesem Portal verweilen wird.

Diese Technik wird nicht umsonst Addictive Design genannt, ein süchtig machendes Design.

Zwar kann Emma noch nicht richtig sprechen, dafür kann sie intuitiv das iPad bedienen. »Erstaunlich«, denken sich die Eltern. Dabei ist diese kognitive Fähigkeit gar nicht so ungewöhnlich. Emma macht im Grunde nur die Wischbewegung nach, die sie sich von ihren Eltern abgeschaut hat. Oft sind die Programme durch das Addictive Design genau so konzipiert, dass ein Kleinkind sie intuitiv steuern kann. Es ist also nichts Ungewöhnliches an Emmas Fähigkeit.

Im Schnitt sind junge Menschen, sobald sie ein eigenes Smartphone besitzen, bis zu sechs Stunden täglich damit im Internet. 85 Prozent ihrer Online-Zeit verbringen sie dabei ausschließlich auf dopaminproduzierenden Social-Media-Kanälen. Das bedeutet eine enorme tägliche Ausschüttung des Glückshormons und des Kuschelhormons! Zu Beginn! Denn der Effekt nutzt sich schnell ab; man braucht immer mehr davon, um das Gleiche zu empfinden.

Im Kapitel »Finn und Julian« werde ich ausführlicher auf diese Vorgänge eingehen. Nur so viel vorweg: Die APA (American Psychological Association) geht von einer stark wachsenden Prävalenzrate53 von internetsüchtigen Jugendlichen aus. Und damit nicht genug: Mit dem Internetkonsum steigen auch andere Erkrankungen an: 13- bis 18-jährige Jugendliche, die das Internet besonders intensiv nutzen, weisen eine 2,5-fach höhere Wahrscheinlichkeit auf, Depressionen auszubilden.54

Wie wird es in zehn Jahren einmal bei Emma sein, wenn die Suchtbedrohung heute schon so enorm ist?

Der Kinder-Eltern-Tausch


In der Pädagogik benennt man zwei Dimensionen, die das elterliche Erziehungsverhalten kennzeichnen: Die Zuwendung und die Strukturierung oder Lenkung.

Zuwendung beschreibt die Bereitschaft und die Fähigkeit der Eltern, auf die Signale und Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Lenkung oder Strukturierung meint das Maß, in welchem Eltern klare Anforderungen und Erwartungen an das Kind stellen. Die Art und Weise, wie Eltern Zuwendung und Lenkung kombinieren, bildet deren Erziehungsstil.

Die Psychologin Maccoby und der Psychologe Martin haben bereits im Jahr 1993 herausgefunden, dass ein hohes Maß an Zuwendung, kombiniert mit einem hohen Maß an Lenkung am günstigsten für die kindliche Entwicklung sind. Diesen Erziehungsstil nennt man auch autoritativ.55

In...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abhängigkeit • ADHS • Angst • Antiautoritär • Ausbildung • autoritär • Bestseller • Bildung • Bildungssystem • Computerspiele • Depression • Deutschland verdummt • Digitale Demenz • Digitale Medien • Digitalisierung • Eltern • Entwicklung • Erzieher • Erziehung • Erziehungsratgeber • Facebook • falsch • Fehler • Forschung • Freundschaft • Geburt • Generation Alpha • Generation X • Generation Z • Geschenk • Glückliche Jungs • Glückliche Kinder • glückliche Mädchen • Grundschule • Instagram • Intelligenz • Internet • Jugendliche • Kind • Kinder • Kinder förden • Kindergarten • Kinder und Jugendliche • Kindheit • Kognitive Entwicklung • Lehrer • Manfred Spitzer • Michael Winterhoff • Mutter • Neu • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Pädagoge • Pädagogik • Probleme • Psyche • Psychische Krankheiten • Psychologe • Psychologie • Ratgeber • Ratgeber Digitalisierung • Ratgeber Eltern • Ratgeber Erziehung • richtig erziehen • Rüdiger Maas • Sachbuch • Schule • Smartphone • Social Media • Sozial • Soziale Medien • Soziale Netzwerke • Studien • Sucht • TikTok • Vater • Verhalten • Videospiele • Whatsapp • Wissenschaft
ISBN-10 3-96905-072-3 / 3969050723
ISBN-13 978-3-96905-072-9 / 9783969050729
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