Gefährliche Wahl (eBook)

Wie Demokratisierung in den ärmsten Ländern der Erde gelingen kann

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
Siedler (Verlag)
978-3-641-28505-0 (ISBN)

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Gefährliche Wahl -  Paul Collier
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Plädoyer des Wirtschaftsbuchpreisträgers für eine wirksame Entwicklungspolitik
Eine Milliarde Menschen leben in den ärmsten Ländern der Erde, die zugleich auch die undemokratischsten Staaten der Welt sind. Warum ändert die Entwicklungshilfe der reichen Industrienationen daran nichts? Und warum führen Wahlen in armen Ländern oft zu noch mehr Armut und Krieg statt zu Wohlstand und Frieden? Der Ökonom und Bestsellerautor Paul Collier untersucht die entscheidende Funktion von Wahlen in den ärmsten Ländern der Erde und zeigt, was wir tun müssen, um die Demokratisierung dieser Staaten wirklich zu unterstützen. Statt ein friedliches, demokratischeres Gemeinwesen zu schaffen, enden Wahlen in armen Ländern meist in der Festigung des herrschenden Regimes oder gar in Putschen und Bürgerkriegen. Collier plädiert deshalb für einen radikalen Wandel in unserem Bemühen um eine Demokratisierung armer Staaten. Statt mit der Durchführung von Wahlen nur demokratische Fassaden aufzubauen, müssen die reichen Industriestaaten den Ländern der »untersten Milliarde« mehr internationale Sicherheit bieten, damit sie ihren eigenen Weg zur Demokratie finden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn wir völlig neu über humanitäre und militärische Interventionen nachdenken.

Paul Collier, geboren 1949 in Sheffield, ist einer der wichtigsten Wirtschaftswissenschaftler der Gegenwart. Er war Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank und lehrt als Professor für Ökonomie an der Universität Oxford. Seit vielen Jahren forscht er über die ärmsten Länder der Erde und untersucht den Zusammenhang zwischen Armut, Kriegen und Migration. Sein Buch »Die unterste Milliarde« (2008) sorgte international für große Aufmerksamkeit und wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Lionel Gelber Prize und der Corine. Im Siedler Verlag erschienen außerdem »Gefährliche Wahl« (2009), »Der hungrige Planet« (2011), »Exodus« (2014) - eines der wichtigsten Bücher zur Migrationsfrage - sowie »Gestrandet« (2017, mit Alexander Betts). Sein Buch »Sozialer Kapitalismus!« wurde 2019 mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien »Das Ende der Gier« (2021, mit John Kay).

VORWORT

Demokratie an gefährlichen Orten


MÖGLICHERWEISE WIRD MEIN SOHN DANIEL, der jetzt sieben Jahre alt ist, das Ende aller Kriege erleben. Aber er könnte auch auf dem Schlachtfeld sterben. Warum beide Szenarien für Kinder von heute eine realistische Aussicht darstellen, ist Thema dieses Buchs. Wie Krankheiten begleiten Kriege die Menschheit seit ihrer Entstehung. Krankheiten werden heute besiegt: Dank des wissenschaftlichen Fortschritts und staatlicher Programme wurden die Pocken 1977 ausgerottet. Was den Krieg angeht, sieht es so aus, als wäre die Weltwirtschaft zum ersten Mal in der Geschichte in der Lage, die für den Weltfrieden nötigen materiellen Voraussetzungen zu schaffen. Aber der globale Wohlstand erhöht auch die Risiken: Eine vernetzte Welt ist anfälliger für die Reste chaotischer Gewalt. So wie bei der Ausrottung der Pocken wissenschaftliche Erkenntnisse von der Öffentlichkeit umgesetzt wurden, muss der wachsende Wohlstand genutzt werden, um der ganzen Welt Frieden zu bringen.

Das vorliegende Buch handelt von Macht. Warum Macht? Weil in den kleinen, armen Ländern am unteren Ende der Weltwirtschaft, in denen eine Milliarde Menschen leben, Gewalt der bevorzugte Weg zur Macht ist. Politische Gewalt ist sowohl ein Fluch an sich als auch ein Hindernis für ein verantwortungsvolles und rechtmäßiges Regieren. Denn wo Macht auf Gewalt beruht, zieht sie die arrogante Annahme nach sich, eine Regierung habe zu herrschen und nicht zu dienen. Zum Beweis genügt ein Blick auf die offiziellen Porträts politischer Führer. In gefestigten Demokratien lächeln sie bei dem Versuch, ihren Herren, den Wählern, zu gefallen. In den Gesellschaften der untersten Milliarde lächeln die Regierenden nicht: Ihre offiziellen Porträts starren mit einer drohenden Grimasse von jedem öffentlichen Gebäude und jeder Schulzimmerwand. Nach dem Abzug der Kolonialmächte sind sie nun die Herren ihres Landes. Dieses Buch wird der Frage nachgehen, warum politische Gewalt in den Ländern der untersten Milliarde so verbreitet ist und was getan werden kann, um sie einzudämmen.

Seit dem Ende des Kalten Krieges sind zwei außergewöhnliche Veränderungen eingetreten, die dazu führen könnten, dass wir uns endgültig von der politischen Gewalt abwenden. Beide Veränderungen haben ihren Ursprung im Untergang der Sowjetunion. Zum einen darf heute ein immer größerer Teil der untersten Milliarde wählen. Die Bilder der Volksaufstände in Osteuropa verstärkten in den Entwicklungsländern den Wunsch nach politischen Veränderungen. In Westafrika konstituierten sich Anfang der 1990er Jahre überall Nationalversammlungen. 1998 überwand Nigeria, der bevölkerungsreichste Staat Afrikas, die Militärdiktatur. So wie an der Wende des ersten Jahrtausends die Führer der europäischen Kleinstaaten plötzlich allesamt zum Christentum übertraten, konvertierten an der zweiten Jahrtausendwende die Führer der Kleinstaaten der untersten Milliarde zum Glauben an Wahlen. Vor dem Ende des Kalten Krieges waren die meisten Führer der untersten Milliarde durch Gewalt an die Macht gekommen – durch einen erfolgreichen bewaffneten Kampf oder einen Staatsstreich. Heute sind die meisten Staatsoberhäupter aufgrund eines Wahlsiegs an der Macht. Wahlen sind die institutionelle Technologie der Demokratie. Sie besitzen das Potential, Regierungen sowohl verantwortungsvoller als auch legitimer zu machen. Wahlen sollten der politischen Gewalt den Todesstoß versetzen.

Die zweite ermutigende Veränderung ist die Verbreitung des Friedens. In den dreißig Jahren vor dem Ende des Kalten Krieges brachen gewalttätige Konflikte schneller aus, als sie beendet wurden, so dass nach und nach immer mehr Bürgerkriege tobten. Hatten diese Konflikte einmal begonnen, erwiesen sie sich als äußerst langlebig. Bürgerkriege dauerten in der Regel zehnmal länger als zwischenstaatliche Kriege. Doch dann endeten diese grausamen, sich hinziehenden Bürgerkriege einer nach dem anderen. Im Südsudan und in Burundi wurden Friedensabkommen ausgehandelt, in Sierra Leone schlichteten internationale Friedenstruppen den Konflikt. Nach dem Ende des Kalten Krieges konnte sich die internationale Gemeinschaft endlich dafür stark machen, die ständigen gewaltsamen Machtkämpfe zu beenden.

Eine Welle von Friedensabkommen verstärkte die Welle der Wahlen und schien eine schöne neue Welt zu versprechen: ein Ende des gewaltsamen Machtstrebens. Aber woher sollen wir wissen, wie sich diese Veränderungen langfristig auswirken werden? Können wir mehr tun, als spekulieren? Ich glaube, ja. Obwohl das Zusammentreffen dieser tiefgreifenden Veränderungen beispiellos ist, können sie anhand von Erfahrungen aus der Vergangenheit analysiert werden, denn es gab in der untersten Milliarde bereits Wahlkämpfe und Postkonfliktsituationen. Im Folgenden werden diese historischen Erfahrungen genutzt, um die gegenwärtig stattfindende Geschichte zu analysieren. Beim Lesen dieses Buchs werden Sie vielleicht verwundert feststellen, wie schnell sich die Forschungsfront vorwärts bewegt. Ich habe dieses Gefühl jeden Morgen, wenn ich mich auf dem Weg zur Arbeit frage, ob Pedro, Anke, Dominic, Lisa, Benedict oder Marguerite das Problem, auf das wir am Vorabend gestoßen waren, vielleicht schon gelöst haben. Ich hoffe, auch Sie werden einen Eindruck davon bekommen.

Politische Gewalt ist eine Form des Machtkampfs. Heute betrachten wir sie jedoch als unzulässig: Macht soll kein Recht setzen. In den Gesellschaften mit hohem Einkommen hat man im Lauf des vergangenen Jahrhunderts die Prinzipien der Demokratie verinnerlicht und sie in zunehmendem Maß als universale Maßstäbe anerkannt. Der Weg an die Macht sollte durch Stimmzettel und nicht durch Schüsse erkämpft werden. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die einkommensstarken Demokratien sogar noch einen Schritt weiter gegangen: Statt die Prinzipien der Demokratie nur als allgemein gültig anzusehen, werden sie nun aktiv gefördert und verbreitet. Trotz des Streits über den Irak und der Frage, ob die aktive Förderung der Demokratie bis zur Erzwingung eines Regimewechsels gehen darf oder ob man es bei gewaltloser Ermutigung und Anreizen belassen sollte, stimmt die internationale Gemeinschaft in Bezug auf das Ziel überein. Und sie hat beachtliche Erfolge vorzuweisen: In der kurzen Zeitspanne von weniger als zwei Jahrzehnten hat sich die Demokratie in der gesamten einkommensschwachen Welt verbreitet. Aber welche Folgen hat dies für den Frieden?

Die gute Nachricht lautet, dass die Welt sicherer geworden ist. Tatsächlich ist das ein Prozess, der trotz der Katastrophen der Weltkriege schon seit Beginn der Menschheitsgeschichte voranschreitet, wenn auch mit einigen Rückschlägen. Im Gegensatz zum Bild des edlen Wilden waren die frühen Gesellschaften mörderisch. Einen friedlichen Garten Eden, aus dem wir vertrieben wurden, hat es nie gegeben: Der Frieden ist nach und nach geschaffen worden, Jahrtausend um Jahrtausend, Jahrhundert um Jahrhundert und Jahrzehnt um Jahrzehnt. Der Wunsch, vor politischer Gewalt geschützt zu sein, war stets ein grundlegendes Bedürfnis der menschlichen Gemeinschaft. Die großen archäologischen Hinterlassenschaften des Altertums, wie die Chinesische Mauer und das von den alten Jüten quer über Jütland zur Abwehr anderer germanischer Stämme errichtete massive Bollwerk, sind beeindruckende Beweise für die überragende Bedeutung, die eine Gemeinschaft ihrer Verteidigung beimaß. Dies gilt bis in die jüngste Zeit, immerhin wendete die reichste Gesellschaft der Welt, die der Vereinigten Staaten, vierzig Jahre lang bis zu neun Prozent ihres Nationaleinkommens auf, um sich gegen die von der Sowjetunion ausgehende Bedrohung zu verteidigen.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist eine Ära zu Ende gegangen. Auch wenn es anders wirkt: Das letzte Jahrzehnt ist recht friedlich gewesen. Gemessen wird das in einer gruseligen wissenschaftlichen Nische anhand der Todesfälle im Zusammenhang mit Kampfhandlungen (»battle-related deaths«). Die Datenbank »Armed Conflict Dataset« führt Buch sowohl über die wirklich großen Konflikte, diejenigen, die mindestens tausend solcher Todesfälle pro Jahr verursachen, als auch über die kleineren, in denen immerhin noch mehr als fünfundzwanzig Menschen zu Tode kommen. Aufgrund dieser Daten kommt man zu folgenden Ergebnissen: In der Periode des Spätkolonialismus – von 1946 bis 1959 – gab es in jedem Jahr rund vier große Krieg und elf kleinere Konflikte. Zwischen der Entkolonialisierung und dem Ende des Kalten Krieges im Jahr 1991 fand eine gnadenlose Eskalation statt. 1991 waren sage und schreibe 17 Kriege und 35 kleinere Konflikte im Gang. Wäre die Gewalt weiterhin in diesem Tempo eskaliert, wäre unser Leben heute ein Alptraum. Stattdessen erwies sich das Jahr 1991 als Wendepunkt. Die Welt ist heute nicht so friedlich wie zur Zeit des Spätkolonialismus, aber es wird nur noch in fünf großen Kriegen und 27 kleineren Konflikten gekämpft. Diese Trendwende hängt scheinbar mit dem Sieg der Demokratie zusammen: Wo die Menschen eine (Wähler-)Stimme haben, greifen sie nicht zum Gewehr.

Ich bin mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass dieser beruhigende Glaube eine Illusion ist. Unsere Betrachtung der politischen Gewalt beruht auf einer Verleugnung der Realität. Dies führt unter anderem dazu, dass es eine schöne neue Welt von Wahlkämpfen in ethnisch gespaltenen Gesellschaften gibt, von denen einige erst kürzlich einen jahrelangen Bürgerkrieg überstanden haben. Seit 1991 ist es immer mehr in Mode gekommen, sich mit Wahlen als sichtbarem Zeichen von Demokratie zu schmücken. Präsidenten, die nicht gewählt worden waren, begannen wie Auslaufmodelle auszusehen und sich vermutlich auch so zu...

Erscheint lt. Verlag 7.6.2021
Übersetzer Klaus-Dieter Schmidt
Sprache deutsch
Original-Titel Wars, Guns, and Votes - Democracy in Dangerous Places
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Armut • Bücher Politik • Bürgerkrieg • Demokratie • eBooks • Entwicklungshilfe • Entwicklungsländer • Globalisierung • unterste Milliarde • Wahlkampf
ISBN-10 3-641-28505-4 / 3641285054
ISBN-13 978-3-641-28505-0 / 9783641285050
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