Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten (eBook)

Ein Plädoyer für Kunst und Kultur
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
176 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-28027-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten -  Konstantin Wecker
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Kultur ist systemrelevant!
Ein Leben ohne Bühne war für den leidenschaftlichen Liedermacher Konstantin Wecker nicht vorstellbar. Was macht es mit so einem Menschen, wenn plötzlich alle Konzerte abgesagt werden müssen?
In diesem Buch berichtet er von mehr als von seinen persönlichen Erfahrungen in der Covid-19-Pandemie. Die Krisenzeit ist eine Zeit, das Wertefundament unserer Gesellschaft zu hinterfragen. Was wurde aus der neuen Solidarität, über die in den ersten Wochen der Pandemie so viel zu hören war? Und warum galten Kunst- und Kulturschaffende plötzlich als nicht systemrelevant, während die Industrie Steuergeschenke erhielt?
Radikal stellt Wecker sich auf die Seite all derer, die in einer Welt der Sachzwang-Logik selten Platz finden. Zur Poesie braucht es auch den Widerstand: Mitten in Zeiten der globalen Pandemie und Depression entwirft Konstantin Wecker eine Utopie für eine gerechtere Gesellschaft, in der Kultur und Kunst genauso wie Solidarität und Menschlichkeit endlich den Stellenwert bekommen, der für ein gutes Leben für alle Menschen nötig ist.

Konstantin Wecker, geboren 1947, Poet, Sänger und Komponist, engagiert sich seit Jahrzehnten für Zivilcourage, Pazifismus und Antifaschismus. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Erich-Fromm-Preis (2007), dem Erich-Mühsam-Preis (2016), dem Deutschen Kleinkunstpreis - Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2017), dem Bayerischen Staatspreis für Musik - Sonderpreis (2017), dem Göttinger Friedenspreis (2018) und dem Hermann-Sinsheimer-Preis (2021). Von der Universität Landau wurde er mit der Thomas-Nast-Gastprofessur ausgezeichnet. Wenn er nicht gerade on tour ist, lebt er in München.

Stream II und Willy 2020

Am 27. März war ich mit Jo und Fany als Gast bei meiner geschätzten Kollegin Sarah Straub. Sie hatte eine Streaming-Reihe mit dem Namen »Social Distancing mit Herz« ins Leben gerufen, um mit den Spenden auch KünstlerInnen und TechnikerInnen zu unterstützen.

Die Sängerin, Pianistin und Liedermacherin Sarah Straub hat an der Uni Landau meinen Songwriting-Kurs besucht und nun auf meinem Label Sturm & Klang eine eigene CD mit meinen Liedern veröffentlicht. Und die ist wunderschön geworden!

Sie ist 40 Jahre jünger als ich und interpretiert meine Gedichte auch deshalb mit ihrer tollen Stimme und ihrem wirklich guten Klavierspiel auf ihre sehr eigene, unvergleichliche Weise. Ich finde es großartig, wenn meine Lieder so in anderen Generationen weiterleben können. Sarah war schon oft bei meinen Konzerten als Gastsängerin dabei, und nun freute ich mich, bei diesem Konzert ihr Gast zu sein.

Auch der Ostermarsch musste diesmal virtuell stattfinden, und ich versuchte dieses Konzert auch diesem mir seit Jahrzehnten so unendlich wichtigen Thema zu widmen. Mein Vater hatte ja – ich habe das in meinen Konzerten immer wieder erzählt – den ungeheuren Mut, den Kriegsdienst in der Nazizeit zu verweigern und wie durch ein Wunder überlebt. Der Pazifismus ist mir praktisch in die Wiege gelegt worden. Pazifismus – dessen bin ich mir bewusst – kann man nicht anderen überstülpen. Man muss sich persönlich dafür entscheiden. Und dann versuchen, diese Idee selbst zu leben. Und andere dafür zu begeistern. Das versuche ich seit über einem halben Jahrhundert mit meinen Liedern und Gedichten, in Büchern und Interviews und auf unzähligen Demonstrationen. Zu meinem zweiten Livestream-Konzert am 11. April 2020 habe ich neben Sarah Straub auch meine Kollegin Tamara Banez eingeladen, vor allem wegen ihres pazifistischen Liedes Kriegstreiber, das sie eigentlich live beim Ostermarsch singen wollte und nun in unserem Stream spielen konnte mit dem Refrain: »Kriegstreiber, Kriegstreiber, Frieden nennst du das? Schönredner, Todbringer! Ich nenn’s Menschenhass …«

Und dann führte ich noch ein virtuelles Gespräch mit meinem Freund Michael Backmund und zwei jungen AktivistInnen aus Berlin zu ihrem Engagement »Rheinmetall entwaffnen«. Dazu später mehr.

Ein paar Tage vor diesem Abend entstand mein Willy 2020.

Immer wieder habe ich mich an meinen Willy gewandt, wenn mir das Herz überquoll – meist aus Wut und Verzweiflung.

Der Willy-Song ist ein Talking Blues, und so kann ich mir Luft machen, ohne auf Reim und Vertonbarkeit Rücksicht zu nehmen. Ich erzähle – meist auf bayrisch – einfach drauflos, was mir gerade auf der Seele brennt.

Willy 2020

Mei Willy, jetzt muass i di – i glaub bestimmt zum 10. Mal – in deiner Grabesruhe stören. Ich muss dir des erzählen. Die Welt hat sich mit einem Schlag verändert. Die ganze Welt. Du kannst dir nicht vorstellen, was hier grad los ist. Die Welt ist von einem Virus befallen, und alles, was bisher gültig war, ist auf den Kopf gestellt.

Um uns gegenseitig zu schützen, haben wir seit Wochen Konzerte, Partys und Versammlungen abgesagt. Wir haben aus Solidarität und Verantwortungsgefühl für alle Menschen weltweit gehandelt. Und als alter Anarcho muss ich dir sagen:

Meine persönliche Freiheit möchte ich mir selbst beschneiden und nicht von einem Herrn Söder oder Kurz oder Macron beschneiden lassen, den ich nie in meinem Leben gewählt hätte. Pfeifen wir auf das Patriarchat! Es muss nicht immer Party sein im Leben, Willy, und grad du verstehst des sicher, hast du doch dein Leben riskiert, um Faschisten deine Meinung zu sagen. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sind die Grundrechte so umfassend und so radikal eingeschränkt worden. Und was mir besonders Angst macht, mein Freund, ist, dass es zum Beispiel nie eine Diskussion gegeben hat über »Alternativen zur Aussetzung der Grundrechte«, wie es Heribert Prantl zu Recht schreibt.

Und gerade all diesen Politikmachos, die sich derzeit so als Überväter aufspielen weltweit, traue ich jederzeit zu, dass sie diesen Zustand der Angst und Einschränkung nur allzu gern behalten wollen. Diesen Zustand eines Staates, in dem Demonstrationen verboten sind und Kultur in den tiefsten Schubladen der Bürokratie verschwindet.

Wir müssen aufpassen Willy, höllisch aufpassen.

Gestern habns die Freiheit begraben und heit …

Und heit, Willy? Aber vielleicht bin ich ja jetzt trotzdem meinem Traum von einer herrschaftsfreien, liebevollen und solidarischen Welt näher als jemals zuvor? Meinem Traum von einer Gesellschaft ohne Ausbeuter und neoliberale Profiteure, ohne Waffenhändler und ohne Faschisten, Rassisten und Kriegstreiber.

Vielleicht erkennen erst jetzt viele Menschen diese neoliberale Diktatur, der sie jahrzehntelang aufgesessen sind?

Unsere ach so fürsorglichen Politiker haben über Jahrzehnte die Gesundheitssysteme zum Zwecke maximaler Profite kaputt privatisiert und vor allem haben sie keinen Plan zum Schutz aller Menschen für eine solche Krise vorbereitet; vielleicht einfach, weil sie daran nichts verdient hätten.

Statt nach einem starken Führer zu schreien sollten wir uns selbst an die Hand nehmen und aufpassen, dass wir nicht denen, die sich jetzt als Herren über jedes Gesetz aufspielen, in Zukunft vertrauen. Für viele Herrschenden ist doch das, was zurzeit passiert, eben auch eine perfekte Übung für den dauerhaften Ausnahmezustand oder den Weg in eine Diktatur.

Wir haben unsere Erde aus reiner Profitgier kaputt gewirtschaftet und merken gerade, wie sie wieder etwas atmen kann, in Venedig schwimmen wieder Fische, ohne Kreuzfahrtschiffe und Partybomber, in den Großstädten kann man wieder etwas Luft holen, ja, vielleicht spüren jetzt viele von denen, die sich noch vor nicht allzu langer Zeit über Greta lustig gemacht haben, wie recht diese großartige junge Frau hat?

Vielleicht lernen wir jetzt mal diese so überlebenswichtige Solidarität von unten?

Wir müssen wieder wagen zu träumen, radikal und mutig, und du weißt es mein Freund – ich hab mich nie geschämt dafür ein Träumer, ein Spinner zu sein und als Utopist verlacht zu werden.

Und was ich mir erträume ist mehr als eine Revolution.

Es ist die radikale Umwälzung der Werte unserer wertlosen Gesellschaft. Es sind Menschen, die miteinander suchen, hoffen, sündigen, verzeihen. Menschen, die sich anlächeln statt sich im Wettbewerb um den besseren Job fast umzubringen.

Ich will in keiner Gesellschaft leben, in der all jene am miesesten entlohnt werden, die die wirklich wichtige Arbeit verrichten: KrankenpflegerInnen, HospizarbeiterInnen und ach so viele mehr. Und wo die unwichtigsten Berufe am besten bezahlt werden. Ich denke ihr wisst, welche ich meine.

Und vielleicht verstehen jetzt viele Menschen in dieser Krise, dass die Güter und Ressourcen dieser Welt allen gehören sollen: Bildung, Gesundheit, Wohnung, sauberes Wasser, Essen.

Wie konnten wir jemals zulassen, dass Luft, Erde, Wasser oder der genetische Code von Pflanzen und Tieren zu Privateigentum gemacht wurden und werden?

Jetzt ist die beste Gelegenheit, über Enteignung zu sprechen.

Mal ganz konkret, Willy: Wir sollten endlich die Türen der jetzt ohnehin nutzlos leer stehenden Luxushotels in München und Berlin und überall öffnen für die schutzsuchenden Menschen aus den Kriegsgebieten dieser Welt! Für die Schutzsuchenden aus Syrien, aus Kurdistan, aus Afghanistan, Somalia und dem Irak, für die Geflüchteten aus den menschenunwürdigen Lagern an den EU-Außengrenzen wie in Moria auf Lesbos oder den Folterlagern in Libyen, die jetzt besonders schutzlos diesem Virus ausgeliefert sind.

Im Bayerischen Hof in München treffen sich jedes Jahr die Kriegsstrategen der Nato und die Rüstungsmanager von Rheinmetall und Heckler & Koch. Was wäre das doch für ein großes Fest des Friedens und der Liebe, wenn in diesem Hotel die traumatisierten Kinder und Familien, die vor den Waffen und Kriegen dieser Männer des Todes fliehen mussten, in Frieden leben könnten.

Jetzt ist es an der Zeit, den Stopp aller Rüstungsproduktionen und Rüstungsexporte zu fordern, und es ist Zeit für einen Waffenstillstand weltweit, ein Waffenstillstand, der vielleicht den Menschen zeigen würde, dass Frieden sehr viel erstrebenswerter ist.

Jetzt ist es an der Zeit, auf die wunderbare Hannah Arendt zu hören: Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.

Gehorsam kann nie eine Rechtfertigung sein für das eigene Handeln. Oder Nichthandeln.

Wir sollten weltweit Schulen des Ungehorsams gründen!

Willy, jetzt ist es an der Zeit, über die Utopie zu sprechen einer herrschaftsfreien Welt, wo der Menschen Miteinander unser Sein zusammenhält.

Jetzt könnten wir erkennen, dass wir alle Wesen einer Gemeinschaft sind und nicht gemeine Wesen, zu denen uns der Neoliberalismus immer erziehen wollte.

Und wir müssen jetzt und sofort unsere Stimme erheben für die Schutzsuchenden, für die Geflüchteten, Gefangenen, Obdachlosen.

Vielleicht kommen wir jetzt alle der Erkenntnis näher, dass wir alle eins sind? Wie ich es seit vielen Jahren immer wieder singe:

... es ließ mich erkennen

wir sind nicht zu trennen

woher wir auch stammen

wir sind eins und zusammen ...

Wia hast as gsagt damals Willy, vor über einem halben Jahrhundert:

Freiheit, des hoasst koa Angst habn vor nix und neamands!

Gestern habns an Willy...

Erscheint lt. Verlag 21.6.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Corona • eBooks • Kulturpolitik • Kulturschaffende • Künstler • Liedermacher • lockdown • Neustart Kultur • Pandemie • Solidarität • Systemrelevant
ISBN-10 3-641-28027-3 / 3641280273
ISBN-13 978-3-641-28027-7 / 9783641280277
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