Bevor es zu spät ist (eBook)

Was uns droht, wenn die Politik nicht mit der Wissenschaft Schritt hält
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01092-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bevor es zu spät ist -  Karl Lauterbach
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Wir leben in einer Zeit nie da gewesener Herausforderungen. Zum ersten Mal seit Beginn der Zivilisation ist sogar das Überleben der Menschen auf dem Planeten Erde gefährdet. Der sich beschleunigende Klimawandel macht das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels mit jedem Tag unwahrscheinlicher. Kipp-Punkte des Klimawandels werden von der Wissenschaft warnend beschrieben und trotzdem überschritten. Doch auch bei Artenschwund, weltweitem Wassermangel, Gesundheitsgefahren durch die Lebensmittelindustrie oder womöglich noch schlimmere Pandemien gilt: Die Fakten liegen längst auf dem Tisch. Warum schafft es die Politik nicht, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Handeln umzusetzen? Die Politik muss aufnahmefähiger für die Forschung sein, ja Schritt mit ihr halten - sonst werden wir, wie Karl Lauterbach zeigt, die Kontrolle über unsere Zukunft verlieren und scheitern. Kaum jemand könnte besser darlegen als Karl Lauterbach, Politiker und Wissenschaftler zugleich, warum eine Revolution des Zusammenspiels von Politik und Wissenschaft nötig ist; von welch unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen diese beiden Systeme bestimmt werden; und ob eine Verzahnung überhaupt möglich ist. - Ein hochdringlicher Weckruf und ein starkes Plädoyer für eine Politik, die sich der Realität stellt.

Prof. Dr. med. Karl Lauterbach, geboren 1963, zählt zu den profiliertesten deutschen Politikern. Er ist Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität Köln, seit 2008 zudem Professor an der Harvard School of Public Health. Der Experte für Gesundheits- und Sozialpolitik wurde 2005 Mitglied des Bundestages, bis 2019 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Bestseller «Der Zweiklassenstaat». Seit Dezember 2021 ist Karl Lauterbach Bundesminister für Gesundheit.

Prof. Dr. med. Karl Lauterbach, geboren 1963, zählt zu den profiliertesten deutschen Politikern. Er ist Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität Köln, seit 2008 zudem Professor an der Harvard School of Public Health. Der Experte für Gesundheits- und Sozialpolitik wurde 2005 Mitglied des Bundestages, bis 2019 war er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Bestseller «Der Zweiklassenstaat». Seit Dezember 2021 ist Karl Lauterbach Bundesminister für Gesundheit.

Einleitung Das Jahrzehnt der Entscheidung


Schon lange wissen wir, was wir tun müssten, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten: Die Wissenschaft hat die Fakten längst auf den Tisch gelegt. Dennoch handeln wir nicht ansatzweise konsequent genug – trotz besseren Wissens. Der von uns Menschen gemachte, sich beschleunigende Klimawandel ist das mit großem Abstand drängendste, aber nicht das einzige unserer globalen Probleme. Denn da sind auch noch die Biodiversitätskrise samt künftigen Pandemien, weltweite Wasserknappheit samt drohenden Kriegen und folgenden Migrantenströmen. Der Klimawandel hat mittlerweile eine solche Dimension erreicht, dass man von einer Klimakatastrophe sprechen muss. Die Klimakatastrophe und die übrigen Krisen hängen alle miteinander zusammen. Verschärft werden sie noch durch populistische Strömungen, die in unserer zunehmend von sozialen Medien beeinflussten Informationsgesellschaft um sich greifen und sowohl unsere Demokratie gefährden als auch die Bewältigung der globalen Probleme infrage stellen. Warum schafft es die Politik nicht, in Deutschland wie anderswo, die wissenschaftlichen Erkenntnisse rechtzeitig in Handeln umzusetzen?

Auch wenn mich viele wieder eine Kassandra nennen mögen, muss ich dieses Buch doch mit einer ehrlichen und schmerzlichen Einschätzung beginnen: Ich bin mehr als skeptisch, ob wir die anstehenden Herausforderungen überhaupt noch in der uns zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen können. In den letzten Jahren habe ich mich intensiv auch mit den Ursachen des Klimawandels und mit den Möglichkeiten seiner Bewältigung beschäftigt. Ich gehe davon aus, dass die Ursachen ausreichend verstanden sind und dass wir bereits über die Technologie verfügen, die notwendig ist, um den Klimawandel noch rechtzeitig zu stoppen. Ohne dramatischen Wohlstandsverlust könnten auch Industrieländer wie Deutschland auf der Grundlage erneuerbarer Energien eine nachhaltige Zukunft erreichen. Ob dies gelingt, ist keine technische, sondern eine politische Frage, vor der alle Länder dieser Welt stehen. Vergegenwärtigt man sich die Diskrepanz zwischen dem Wissen und den technischen Möglichkeiten auf der einen Seite und den Treibhausgasemissionen und ihrer Entwicklung auf der anderen Seite, kann man nicht anders als pessimistisch in die Zukunft blicken.

Doch auch wenn es mehr als fraglich ist, ob es uns gelingen wird, für eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten zu sorgen, kann und darf niemand vor dieser extrem schwierigen Lage die Augen verschließen. Ich bin selbst in die Wissenschaft und später in die Politik gegangen, um die Welt etwas besser zu machen, zunächst konkret unser Gesundheitssystem. So etwas mag aus dem Munde eines Politikers heute kitschig klingen. Aber so war es. Im Vergleich mit den Herausforderungen für unser Gesundheitssystem haben wir es jetzt allerdings mit einer ganz anderen Größenordnung von Problemen zu tun. Selbst die Coronakrise, mit deren Auswirkungen ich seit Februar 2020 befasst bin, verblasst dagegen. Die Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie, unter denen wir alle so gelitten haben, waren geringfügig und zeitlich sehr begrenzt im Gegensatz zu dem, was wir in der Klimakrise erwarten müssen. Der jetzt vor uns liegende Klimawandel – oder wie gesagt besser: die Klimakatastrophe – wird sogar noch viele solcher Pandemien mit sich bringen.

Auf eine technische Lösung, die mit der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen vergleichbar wäre, können wir hier nicht hoffen. Sicher wird Technologie bei der Bewältigung der Klimakatastrophe eine Rolle spielen. Aber die benötigten Technologien sind zugleich einfacher und komplizierter. Sie sind einfacher, weil etwa die Entwicklung von Photovoltaik- oder Windkraftanlagen keine abgehobene Raketenwissenschaft ist, gerade im Vergleich zu vielen Herausforderungen in der Medizin. Sie sind aber gleichzeitig sehr viel komplizierter, weil wir unendlich viele dieser Anlagen in vielfältige, noch aufzubauende Stromnetze samt Batteriespeichern integrieren müssen, um funktionierende Systeme für den riesigen Bedarf an erneuerbarer Energie zu schaffen.

Immer wieder wird in der Politik so getan, als ob die für die Energiewende notwendige Technologie erst noch erfunden werden müsste. In der Regel ist das nichts als ein Argument für das Nichtstun. Wir warten auf den Moment, in dem technische Neuerungen uns viele der harten und kostspieligen Entscheidungen erleichtern. In Fachkreisen dagegen weiß jeder, dass die Technologie längst da ist. Zumindest die Technologie, mit der wir die Energiewende schon jetzt bewältigen können. Diverse wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass in Deutschland so viel Energie erzeugt werden könnte, dass sich das Land damit autark versorgt und auch die industrielle Produktion erhalten bleibt. Im Wesentlichen könnte auf der Grundlage von Sonnen- und Windenergie der komplette Bedarf für Transport, Wärme, Industrie und Landwirtschaft gedeckt werden. Die dafür notwendigen Flächen stehen zur Verfügung. Eine ausreichend erforschte Speichertechnologie kann aufgebaut werden. Das Argument der Dunkelflaute, das auf Versorgungsschwankungen bei Sonnen- und Windenergie abzielt, kann durch die Planung und den Bau europaweiter Netze für Wasserstoff und Strom sowie von Gasspeichern zur Aufbewahrung von grünem Wasserstoff entkräftet werden.

Die entscheidende Frage ist also nicht, ob die Technologie da ist oder nicht. Sie ist da, und sie wird eingesetzt werden. Am Ende werden Elektroautos und zum kleineren Teil auch wasserstoffbetriebene Fahrzeuge alle Verbrennungsmotoren ersetzen. Alle Kohlekraftwerke werden geschlossen sein. Niemand wird mehr mit Gas oder mit Öl heizen. Die fossile Wirtschaft wird komplett sterben. Entscheidend ist, wann die bereits vorhandene Technologie eingesetzt wird. Noch rechtzeitig oder zu spät? Wenn sie zu spät eingesetzt wird, kann sie den Dominoeffekt der Kipppunkte, von dem später noch ausführlicher die Rede sein wird, nicht mehr aufhalten. Im Übereinkommen von Paris haben die Staaten 2015 beschlossen, den weltweiten Temperaturanstieg, wenn irgend möglich, auf 1,5 Grad zu begrenzen – gerechnet vom Beginn der Industrialisierung um 1850 bis zum Jahr 2100. Selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht würde, was ich für unmöglich halte, bliebe eine Restwahrscheinlichkeit von deutlich mehr als 10 Prozent, dass wichtige Kipppunkte überschritten werden. Wenn das 1,75-Grad-Ziel erreicht würde, aus meiner Sicht leider ebenfalls unrealistisch, läge dieses Risiko vermutlich schon bei fast 30 Prozent. Niemand würde sein Eigenheim so sehr heizen, dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent in dreißig Jahren abbrennen würde. Genau das tun wir derzeit aber mit dem Eigenheim Erde.

Es mag zunächst einmal überraschend klingen, dass ich als Politiker das 1,5-Grad-Ziel für nicht mehr erreichbar halte. Bis zum Jahr 2030 müssten die CO2-Emissionen im Vergleich zu 2010 um 45 Prozent reduziert werden.[1] Ich habe zwanzig Jahre in den USA gelebt, war in vielen Ländern als Berater oder Wissenschaftler unterwegs – und mir fehlt die Phantasie, wie die politischen Mehrheiten für die entsprechenden Maßnahmen organisiert werden sollen. Von Fachkreisen abgesehen, bin ich bei diesen Reisen kaum auf Politiker gestoßen, die sich stärker für das Thema Klimawandel interessiert hätten. Und nicht zuletzt entspricht meine Einschätzung der Zunahme an Treibhausgasen in den letzten zehn Jahren und dem zu langsamen Rückbau der fossilen Energieträger weltweit. Ich hoffe, dass ich mit dieser Bewertung falschliege. Selbst wenn es unmöglich scheint, sollten wir alles dafür tun, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen oder zumindest in die Nähe zu gelangen. Wenn wir es tatsächlich nicht erreichen sollten, kommt es auf jedes Zehntelgrad an. Keine noch so pessimistische Einschätzung darf als Begründung dafür durchgehen, alle Bemühungen aufzugeben. Wir haben keine andere Chance, als die Erderwärmung auf einem so niedrigen Niveau wie irgend möglich zu stoppen.

 

Gibt es andere Lösungen technischer Natur, mit denen wir den Umbau unserer Industrie und Energiegewinnung schneller erreichen könnten? Wäre die Kernenergie in Form von Thoriumreaktoren vielleicht eine Hilfe? Kann die Kernfusion durch Magnetfeldbeschleunigung oder Laserbeschuss den Prozess der Energiegewinnung der Sonne für uns nutzbar machen? Was ist mit dem Pflanzen von Bäumen? Ist es möglich, das CO2 direkt aus der Luft zu holen, um die Erderwärmung rückgängig zu machen? Lässt sich die Erde durch das Ausbringen von Schwefel oder anderen Molekülen in der Atmosphäre abkühlen? Wäre es machbar, die Meeresoberfläche so zu verändern, dass mehr Sonnenstrahlen reflektiert werden und möglicherweise CO2 gebunden wird? Ließe sich das CO2 durch große Algenanlagen in der Wüste binden? Oder durch Kalkgesteine, die auf unsere Wiesen und Äcker verbracht werden? Kann zur Energiegewinnung im großen Stil Biomasse aufgebaut und verbrannt werden, während das dabei abgeschiedene CO2 dann tief in der Erde gelagert würde, wo es sich mit dem umliegenden Gestein verbindet?

Die Antwort auf all diese Fragen lautet nein. Keine dieser Technologien ist ausgereift genug, um auch nur ansatzweise in den kommenden und entscheidenden Jahrzehnten einen Unterschied machen zu können. Andere Lösungen als Solarkraft und Windkraft stehen uns in großem Umfang schlicht nicht zur Verfügung. Weder wird die Kernfusion eine Rolle spielen, noch werden neue kleine Atomkraftwerke auch nur in die Nähe einer bezahlbaren und...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Corona • Demokratie • Experten • Feinstaub • Klimawandel • Lebensmittelindustrie • lobbys • Medien • Migration • Nahrungsmittelindustrie • Pandemie • Politik • Umwelt • Wirtschaft • Wissenschaft
ISBN-10 3-644-01092-7 / 3644010927
ISBN-13 978-3-644-01092-5 / 9783644010925
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