Was fange ich bloß mit guten weißen Menschen an? (eBook)

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
112 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01247-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was fange ich bloß mit guten weißen Menschen an? -  Brit Bennett
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Was bedeutet es, wenn ein weißes Publikum auf einmal eifrig Filme und Bücher über schwarzes Leid konsumiert? Warum fällt es den Medien so schwer, weißen Terrorismus als eben solchen zu benennen? Warum waren Schwimmbäder schon immer Orte, an denen sich die Diskriminierung auf besondere Art manifestierte, und sind es noch heute? Wie gestalten wir die Zukunft, wenn wir umgeben sind von Menschen, die die Vergangenheit zurücksehnen? Und: Wird der Traum, durch die Zeit zu reisen, nicht immer ein weißes Privileg sein? Dieser Band versammelt acht brillante Essays, in denen sich Brit Bennett mit Fragen des Rassismus in all seinen Facetten auseinandersetzt.

Brit Bennett wuchs im su?dlichen Kalifornien auf und studierte an der Stanford University und an der University of Michigan. Ihre Arbeiten erschienen in «The New Yorker», «The New York Times Magazine», «The Paris Review» und «Jezebel». Ihr Debu?t «Die Mu?tter» wurde unter anderem fu?r den PEN/Robert W. Bingham Prize und den Prix Femina étranger nominiert. Auch «Die verschwindende Hälfte», ihr zweiter Roman, wurde ein Bestseller in den USA. 

Brit Bennett wuchs im südlichen Kalifornien auf und studierte an der Stanford University und an der University of Michigan. Ihre Arbeiten erschienen in «The New Yorker», «The New York Times Magazine», «The Paris Review» und «Jezebel». Ihr Debüt «Die Mütter» wurde unter anderem für den PEN/Robert W. Bingham Prize und den Prix Femina étranger nominiert. Auch «Die verschwindende Hälfte», ihr zweiter Roman, wurde ein Bestseller in den USA. 

Was fange ich bloß mit guten weißen Menschen an?


Mein Leben lang bewege ich mich schon unter guten Weißen. Gute weiße Nachbar*innen, die den Hund zurückbrachten, wenn er ausgerissen war, gute weiße Lehrer*innen in der Grundschule, die mir Bücher in die Hand drückten, gute weiße Professor*innen in Stanford, der Bay-Area-Bastion des Gutweißentums, die mir bei der Entscheidung halfen, an welcher Universität ich meinen Master machen sollte.

Ich sollte dankbar sein. Keine andere Generation meiner Familie hatte das Glück, von so vielen guten Weißen umgeben zu sein. Die Eltern meiner Mutter bewirtschafteten ein Stück gepachtetes Land; brauchte sie neue Schuhe, maß sie die Länge ihrer Füße mit einem Bindfaden, weil sie die Schuhe im Geschäft nicht anprobieren durfte. Ein anderes Mal erzählte sie mir von einem weißen Polizisten, der ihre Mutter bloßstellte, indem er sie zwang, ihre Handtasche, in der sich nichts als ein paar Münzen befanden, auf dem Verkaufstresen auszuleeren. Er sah einfach zu.

Vor ein paar Jahren zeigte mir meine Mutter den Bericht, den eine Sozialarbeiterin über ihre Familie verfasst hatte. Die weiße Sozialarbeiterin betrachtete meine Familie mit anthropologischer Gründlichkeit, beschrieb die Kinder wie auch meine Großmutter als «freundlich und sauber». Sie wollte persönliche Dinge wissen (ob meine Mutter einen Freund habe?) und notierte die gewonnenen Erkenntnisse in abgeklärtem Ton. Sie fragte sich, warum meine Großmutter keine feste Arbeit fand – eine Mutter von neun Kindern, die weder lesen noch schreiben konnte, und das in den Südstaaten, zu einer Zeit, in der Rassentrennung noch Gesetz war. Vielleicht, so schrieb sie in Schreibschriftschlingen, hatte meine Großmutter sich einfach nicht genug bemüht.

Historiker*innen verwenden solche offiziellen Berichte, verblichene Unterlagen wie diese, um Familiengeschichten zu rekonstruieren. Seine Verfasserin, die weiße Sozialarbeiterin, schreibt, als wäre sie eine aktive Beobachterin, doch sie erzählt bloß dieselbe abgegriffene Geschichte von der Schwarzen Frau, die sich der Arbeit verweigert und stattdessen von Sozialleistungen lebt. Hier und da weicht der klinische Tonfall einem freundlicheren. So merkt sie beispielsweise an, dass meine Mutter hübsch sei. Ich nehme an, sie hielt sich für eine gute Weiße.

Unmittelbar nachdem die Justiz im Jahr 2014 entschieden hatte, keine Anklage gegen Darren Wilson zu erheben – den Ex-Cop, der in Ferguson den unbewaffneten achtzehnjährigen Michael Brown erschoss –, musste ich tatsächlich bloß eine einzige Rassistin aus meiner Facebook-Freundesliste entfernen. Diese alte Freundin aus der Highschool teilte ein Video, in dem Protestierende als Nigger beschimpft wurden. (Sie war kein guter weißer Mensch.) Die meisten meiner Freunde reagierten mit Wut und Empathie. Einige schlossen sich den Protesten an. Andere erzählten unter #crimingwhilewhite ihre Geschichten, eine Aktion, die weithin kritisiert wurde, weil sie die Aufmerksamkeit von Schwarzen Stimmen ablenke. Schau mich an, schreit der Hashtag, ich weiß, dass ich privilegiert bin. Auch ich bin ein guter weißer Mensch. Schließ dich mir an und erinnere alle anderen daran, dass auch du ein guter weißer Mensch bist.

Ich sah den guten Weißen dabei zu, wie sie sich selbst auf die Schulter klopften – dafür, dass sie rassistische Freund*innen bei Facebook gelöscht oder mit Familienmitgliedern diskutiert hatten. Dafür, dass sie Schwarzen Menschen kleine Gesten der Freundlichkeit entgegenbrachten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mir die rassistischen Trolle fast lieber sind als diese Form des Eigenlobs. Den rassistischen Troll kann man einfach ignorieren. Er glaubt nicht, dass es genügt, anständig zu sein. Bei den guten Weißen habe ich das Gefühl, dass sie allein für ihren Anstand bereits Lob erwarten. Nach dem Motto: Schau, wir sind nicht wie die anderen Weißen, siehst du, wie vorurteilsfrei wir sind? Siehst du, wie gut wir sind? Was für ein Privileg, sich damit befassen zu dürfen, wie gut du bist, während der Rest von uns um das Privileg kämpft, leben zu dürfen.

Als mein Vater ein junger Mann war, wurde er festgenommen. Er war damals Bezirksstaatsanwalt, auf dem Heimweg von seiner Bibelgruppe, als die Polizei ihn aufforderte, rechts ranzufahren. Ein Verkehrsdelikt, dachte er. Die Polizisten weigerten sich, einen Blick in sein Portemonnaie zu werfen. Darin hätten sie seinen Dienstausweis gefunden. Stattdessen richteten sie eine Waffe auf ihn, legten ihm Handschellen an und warfen ihn am Straßenrand zu Boden. Mein Vater ist vor allen Dingen froh darüber, dass er ruhig blieb. Er hatte unter Schock gestanden. Heute ist er überzeugt, dass genau das ihm das Leben rettete.

Daran denke ich, wenn ich Eric Garner beim Sterben zusehe. Noch verstörender ist ein zweites Video, das unmittelbar nach Garners Ableben aufgenommen wurde. Ein in New York seit 1993 verbotener Würgegriff hat zum Erstickungstod geführt, doch das wissen die Beamten noch nicht. Sie sprechen mit Garner, sie fordern ihn auf, mit den Notärzten zu reden. Die ganze Situation wirkt so verblüffend und verzweifelt menschlich. Die Beamten stehen in der Gegend rum, während der Notarzt versucht, einen Puls festzustellen, und alles scheint plötzlich ganz anders als im anderen Video, in dem die Beamten sich auf Garner stürzen und ihn zu Boden ringen.

Nach der Nichtanklage im Fall Darren Wilson bildete sich vor vier Jahren eine erstaunliche Koalition von Kritiker*innen heraus: People of Color begaben sich auf die Straße, während konservative Stimmen wie Bill O’Reilly oder John Boehner im Fernsehen das Fehlen von Gerechtigkeit bemängelten. Selbst George W. Bush brachte sich ein, er bezeichnete die Entscheidung der Geschworenen als «traurig». Doch obwohl die meisten Menschen Garners Tod für falsch halten, weigern sich viele zu glauben, dass er einen rassistischen Hintergrund hatte. In ihren Augen war sein Tod eine Folge übereifriger Polizeiarbeit, die Folge einer ganzen Reihe schlechter individueller Entscheidungen. Es hätte auch einem Weißen passieren können. Das Gleiche hörte man in Cleveland, wo ein zwölfjähriger Schwarzer Junge namens Tamir Rice von Polizisten getötet wurde, weil er mit einer Spielzeugpistole spielte. Jedes weiße Kind, so hörte man, mit einer so echt wirkenden Waffe in der Hand wäre ebenso getötet worden.

Einmal wartete ich an der Gepäckaufgabe am Flughafen in Orange County, als eine weiße Frau an mir vorbei direkt zum Schalter rauschte, als der «Nächste» aufgerufen wurde, obwohl sie eigentlich hinter mir gestanden hatte. Sie hatte sich vorgedrängelt, weil ich Schwarz war. Oder vielleicht auch, weil ich jung war. Vielleicht war sie spät dran für ihren Flug, vielleicht war sie auch einfach frech. Sie hätte gewiss dasselbe getan, wenn ich eine Weiße gewesen wäre wie sie. Sie hätte das gewiss mit jedem gemacht.

Natürlich saßen wir schließlich im selben Flugzeug, und natürlich saß sie direkt neben mir. Kurz vor dem Abflug wandte sie sich mir zu und sagte: «Es tut mir leid, falls ich mich vorhin vorgedrängelt habe. Ich hatte Sie gar nicht gesehen.»

Oft höre ich gute weiße Leute fragen, warum People of Color aus allem immer eine Rassismus-Geschichte machen müssen, ganz so, als hätten wir Freude daran, uns mit Rassismus zu beschäftigen. Ich wünschte, ich könnte aufhören, diese kleinen Begegnungen wieder und wieder durchzuspielen, könnte aufhören, mich zu fragen: Denke ich da zu viel drüber nach? Bin ich bloß paranoid? Es ist ermüdend. «Auf dem Land in den Südstaaten war das einfacher», erklärt mir meine Mutter. «Weiße Leute ließen dich von vorneherein wissen, was dein Stellenwert war.»

Es ist unmöglich, die Absichten anderer zu erraten. Und manchmal habe ich das Gefühl, in einer Welt zu leben, in der ich gezwungen bin, mich mit den Absichten von Leuten zu befassen, die keinerlei Interesse an meinen haben. Ein Geschworenengericht war der Auffassung, dass Darren Wilson ein guter Beamter war, der in Ausübung seiner Pflicht gehandelt hatte. Dieselben Geschworenen glaubten, dass ein achtzehnjähriger Junge in einem Anfall monströser Wut mitten in den Kugelhagel hinein-, ja direkt auf die Waffe des Polizisten zugerannt war. Wilson beschrieb Michael Brown als ein regelrechtes Tier, einen schwarzen Dämon. Niemand fragte nach Michael Browns Absichten.

Ein Stereotyp hat keine vielschichtigen, individuellen Motive. Ein Stereotyp ist gezwungen, zu tun, was wir erwarten. Ich habe einen vierstündigen Flug damit zugebracht, mir Gedanken über die Absichten der weißen Frau zu machen. Wird sie über meine nachdenken? Wohl kaum. Sie hat mich nicht einmal gesehen.

Eines Tages kam meine ältere Schwester weinend aus der Grundschule nach Hause. An diesem Tag war im Unterricht über den Ku-Klux-Klan gesprochen worden, nun hatte sie Angst, dass weiße Männer mit Kapuzen kommen und uns überfallen würden. Mein Vater sagte ihr, dass sie sich keine Sorgen machen müsse. «Säße hier am Tisch jetzt einer vom Klan», sagte er, «den würde ich einfach auslachen.»

Meine Mutter erzählte Geschichten von Kapuzenmännern, spätnachts zu Pferde, vom Sohn des Doktors, der kam, um mit ihrer kleinen Schwester zu spielen, ein weißer Junge, und wie unwohl ihrer Großmutter dabei gewesen sei, aus Furcht, der Klan könne auf die Idee kommen, dafür das Haus abzubrennen. Als ich ein Kind war, sah ich den Ku-Klux-Klan bloß in Fernsehfilmen über die Bürgerrechtsbewegung oder in besonders krassen Episoden der Jerry Springer Show. Meine Eltern wussten, was wir erst in den Neunzigern erfahren würden:...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2021
Übersetzer Amelia Umuhire
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alltagsrassismus • Antirassismus • BIPOC • Black lives matter • Diskriminierung • Gesellschaftskritik • People of Color • Rassismus • Terrorismus • Weiße Privilegien
ISBN-10 3-644-01247-4 / 3644012474
ISBN-13 978-3-644-01247-9 / 9783644012479
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