Der große Traum (eBook)
528 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99918-2 (ISBN)
Ronald Reng, geboren 1970 in Frankfurt, lebte viele Jahre als Sportreporter und Schriftsteller in Barcelona. Seine Biografie über Robert Enke stand zehn Wochen unter den Top 5 der Spiegel-Bestsellerliste, sein Buch »Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga« erhielt den »NDR Kultur Sachbuchpreis« und wurde als »Fußballbuch des Jahres 2013« ausgezeichnet ebenso wie 2016 »Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts«. Zuletzt erschien von ihm »Der große Traum«, eine neunjährige Langzeitstudie über drei Fußballtalente und »Fußballbuch des Jahres« 2022.
Ronald Reng, geboren 1970 in Frankfurt, lebte viele Jahre als Sportreporter und Schriftsteller in Barcelona. Seine Biografie über Robert Enke stand zehn Wochen unter den Top 5 der Spiegel-Bestsellerliste, sein Buch "Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga" erhielt den "NDR Kultur Sachbuchpreis" und wurde als "Fußballbuch des Jahres" ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihm der Spiegel-Bestseller "Miro.Die Biografie", der ebenfalls als Fußballbuch des Jahres nominiert war. Seit über zehn Jahren begleitet Ronald Reng die drei portätierten Spieler, von deren Leben er in "Der große Traum" erzählt.
Prolog: Der große Aufbruch
Das Klingelschild mit seinem Namen klebt Foti mit Honig an der Sprechanlage fest. Er hat keinen Klebstoff zur Hand. Er ist 16. Über Klingelschilder und wie man sie befestigt musste er bislang noch nicht nachdenken. Was zählt, was ihn irgendwie richtig mit Freude erfüllt, ist, dass da jetzt sein Name an der Haustür steht. Sie haben ihm, gemeinsam mit einem anderen Jungen aus der Fußballakademie, eine eigene Wohnung gegeben, wie einem Erwachsenen, direkt am Trainingsgelände, die Miete zum Großteil bezahlt vom Verein. So viel halten sie von ihm als Fußballer. Der Honig klebt übrigens richtig gut.
Die Wohnung liegt im Erdgeschoss eines achtstöckigen Hochhauses aus den Siebzigerjahren und hat drei Zimmer. Es hieß, sie würden zu dritt hier wohnen, aber so wie es aussieht, teilt sich Fotios Katidis sein neues Zuhause nur mit einem anderen Jungen aus dem Fußballinternat des TSV 1860 München, Sebastian. Sebastians Nachname auf dem vom Hausmeister in Auftrag gegebenen Klingelschild wurde falsch geschrieben, Liegl statt Wiegl. Fotis Name stimmt.
Essen dürfen sie gegenüber, im Jugendhaus des TSV 1860. Sie gehen hinüber und schauen, was es gibt, und manchmal kehren sie dann wieder um, zurück in die Wohnung, um selbst zu kochen, denn »Nudeln können wir besser«, findet Foti. Kochen ist irgendwie gar nicht so schlecht, in der eigenen Küche; dieses Gefühl, für sich selbst zu sorgen, etwas Erwachsenes zu machen. Außer Nudeln können sie Rührei.
Sie haben auch schon einmal gegrillt, in dem Stückchen Garten, das zur Wohnung gehört. Den Grill kaufte Foti an der Tankstelle, vorne bei der Zufahrt zum Trainingsgelände, einen Einweggrill. Die Tankstelle ist das nächste Geschäft von ihrer Wohnung aus, falls Geschäft das richtige Wort dafür ist.
Morgens muss er noch zur Schule, er wiederholt die zehnte Klasse am Adolf-Weber-Gymnasium an der Kapschstraße, er will sich dort auch richtig anstrengen, aber eigentlich ist er wegen des Fußballs in München.
Morgens um sechs, vor der Schule, geht Foti laufen. Es gibt eine herrliche Laufstrecke, direkt vom Hochhaus weg, unter dicht belaubten Bäumen an der Isar entlang. Aber Foti ist neu in der Stadt, keiner hat ihm von der Strecke erzählt. Er läuft auf dem Rasenplatz des TSV 1860, morgens um sechs, 40 Minuten, circa 30 Runden. Der Trainer fand, Foti wiege zu viel, 73 Kilo bei 1,75 Meter. »Am besten gehst du frühmorgens auf nüchternen Magen laufen, da verbrennst du am meisten Kalorien«, sagte der Trainer. Sebi, sein Mitbewohner, geht manchmal mit Foti laufen, aus reiner Solidarität, morgens um sechs. Nach drei, vier Wochen sieht der Trainer Foti beim Umziehen zufällig mit nacktem Oberkörper in der Umkleidekabine. Er kneift ihm in die Rippen. »Da ist ja nichts, du bist ja gar nicht dick.« Allein Fotis kräftige Muskulatur ist es, die sein verhältnismäßig hohes Gewicht ausmacht. Foti hatte es schon beim Wiegen gewusst, sich aber nichts zu sagen getraut. »Dann musst du natürlich nicht mehr laufen«, sagt der Trainer.
Sechs Uhr am Morgen ist nicht gerade Fotis Lieblingszeit, doch er regt sich nicht auf, dass er sich einen Monat lang grundlos in aller Früh zum Laufen geschleppt hat. Er will die Sachen beim TSV 1860 gut machen.
Zwar hat er auch schon zu Hause im Nachwuchsleistungszentrum eines Profivereins gespielt, beim 1. FC Nürnberg. Aber das hier ist noch einmal eine andere Dimension. Von einem Klub nur für den Fußball in eine ferne Stadt geholt zu werden, eine Wohnung und einen richtigen Vertrag zu erhalten, ist ein Zeichen. Jetzt wird es ernst mit seinem Versuch, Fußballprofi zu werden. Jetzt geht es richtig los.
Er schreibt Marius eine Whatsapp-Nachricht. »Willst du mit uns Nudeln essen?«
Marius wohnt schon seit einem Jahr im Hochhaus, Grünwalder Straße 108, in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einem der oberen Stockwerke. Er ist 18. Sein Weg ähnelt dem von Foti, auch er kam aus dem Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg zu 1860 München, auch er bekam eine eigene Wohnung, nur eben alles ein Jahr früher. Das macht ihn zum Kenner des Münchener Lebens.
Er kennt zum Beispiel die Verkäuferin an der Tankstelle mit Namen, Christiane. »Da gibt es fünf Semmeln für einen Euro«, sagt Marius. Im ersten Moment klingt das nicht besonders gut, Brötchen von der Tankstelle. Muss er am Essen sparen, reichen die 400 Euro im Monat nicht, die er als Spesen von 1860 bekommt? »Nein, nein«, beeilt sich Marius zu sagen, »die Semmeln an der Tankstelle sind einfach super.« Er kauft auch belegte Brötchen dort.
In seiner Wohnung hat er mithilfe des Vaters ein großes London-Bild aufgehängt, es zeigt einen der berühmten roten Doppeldeckerbusse, den 38er nach Victoria, im belebten Straßenverkehr.
Als Marius das erste Mal Fotis Wohnung betrat, staunte er. Da hing dasselbe Bild. Ihre Eltern hatten es für sie jeweils bei IKEA gekauft.
Eigentlich ist es richtig cool, eine Wohnung ganz für sich zu haben, und Marius zeigt sie den Freunden auch gerne vor. Bloß hasst er es, allein zu sein. Wenn er alleine in der Wohnung Fernsehen schaut, fängt er irgendwann immer an, daran zu denken, dass er allein ist.
Letztes Jahr, in Marius’ erstem in München, ist ein Mitspieler bei ihm eingezogen, der Leuges. Also nicht offiziell eingezogen, der Leuges kam einfach irgendwann vorbei, zum Zocken, und weil es spät wurde, blieb der Leuges auf dem Sofa über Nacht. Daraus wurde, ohne dass sie groß darüber redeten, eine Gewohnheit. Der Leuges lebt weit draußen bei seinen Eltern, in Bergkirchen, hinter Dachau, da war es sowieso angenehmer, wenn er bei Marius übernachtete, nur fünf Minuten von der Sportschule entfernt und direkt am Trainingsplatz. An den Wochenenden fuhr der Leuges dann heim, Wäsche wechseln. Diese Saison allerdings spielt der Leuges nicht mehr bei 1860, sondern beim FC Augsburg, Jungs aus den Nachwuchsleistungszentren wechseln die Vereine neuerdings, als ob sie schon Profis wären. Oft kommt der Leuges aber trotzdem noch vorbei, oder Marvin kommt, Passi, Julian. Wenn er unter vielen Freunden ist, geht es Marius gut. Er ist beliebt bei den Jungs. Der Marius ist saulustig, sagen sie, der meldet sich verlässlich, der ist auch großzügig. Er ist »der Vollbruder«. Das Wort hat Daniel Leugner erfunden, also der Leuges. »Bruder« zueinander zu sagen ist das neue Ding, es kommt aus Amerika. Vollbruder, dachte sich der Leuges, wäre die ultimative Steigerung; ein würdiger Ausdruck für den besten Bruder.
Marius schaut jetzt auch ein bisschen nach Foti. In den ersten zwei, drei Wochen in München hatte sich Foti einsam gefühlt. Die Jungs in der U19-Mannschaft beim TSV 1860 taten cool. Sie redeten darüber, »wie geil Snus wirkt, es macht dich richtig aggressiv, wenn du es vor dem Spiel nimmst«. Mit Foti redeten sie kaum. Fotis Eltern sagten ihm, »es dauert ein bisschen, bis man sich an einem neuen Ort einlebt«, und vielleicht hatten sie einfach recht. Nach ein paar Wochen bezog der erste aus der Mannschaft Foti mit ein, Felix Bachschmid war’s, die Bachstelze. Nun ruft Marius öfters an, ob Foti mitwolle, wenn die Jungs mal in die Stadt gehen, also an den trainingsfreien Tagen um 17 Uhr zum Marienplatz fahren, um zu sehen und hoffentlich auch gesehen zu werden.
Foti und Marius sehen beide, auf ganz unterschiedliche Art, verdammt cool aus.
Foti, dichtes, glänzend schwarzes Haar, freundliche Mandelaugen und offener Blick, trägt mit Vorliebe schwarze T-Shirts mit extrem weitem Ausschnitt, was den muskulösen Oberkörper betont. Yezuz steht in glitzernden silbernen Buchstaben auf dem Rücken eines Shirts. Marius, blond, hoch aufgeschossen, ein junger Meister des festen Blicks, trägt falsche Brillanten in den Ohrläppchen, einen weiten schwarzen Kapuzenpullover und eine Plastikfolie über dem Unterarm. Sie soll ein frisches Tattoo schützen. Auf seinem Kapuzenpullover ist ein Bild des toten Jesus aufgedruckt, der von einem Jünger getragen wird.
Manchmal, wenn sie Geld haben, gehen sie am trainingsfreien Nachmittag nicht nur durch die Fußgängerzone, sondern auch ins Hugo’s. Da gehen angeblich die Profis des FC Bayern hin.
Marius, der sich kümmert, bot Foti sogar an, ihm vor dem Training etwas von seinem schwedischen Kautabak abzugeben, falls er es einmal probieren wolle. »Mit Snus bist du echt bissiger in den Zweikämpfen.« Das war echt nett vom Marius, aber Foti lehnte dankend ab. Er will die Sachen gut machen.
Einmal ist er trotzdem mit den Jungs in einen Klub gegangen, es war noch die Zeit vor den Meisterschaftsspielen, der nächste Tag war trainingsfrei und er neugierig. Wobei, was heißt Klub, sie gingen ins Crash. Ein Bauernladen, sagt Foti. Es sieht dort teilweise aus wie in einem Westernsaloon, die Sitzecken aus massivem Holz. Es ist halt einer der wenigen Klubs in München, in die man auch unter 18 reinkommt. Jeder über 18 erhält ein Bändchen, um zu kennzeichnen, dass er Alkohol trinken darf. Foti lieh sich heimlich das Bändchen von Marius, damit er sich auch eine Jacky Cola holen konnte. Bloß sah dann einer der Sicherheitstypen wenig später, dass vor Marius, Foti und Felix Weber drei Jacky Cola standen, aber nur zwei der Jungs ein Bändchen trugen. Foti flog aus dem Laden.
Er stand vor der Tür in der Ainmillerstraße und wartete, was nun passieren würde. Offenbar gar nichts. Er rief Marius auf dem Handy an. »Ey, komm mal raus!«
Gemeinsam berieten sie, was zu tun sei. Dann kam ihnen eine Idee, so eine von der Art wie mit dem Honig und dem Klingelschild. Foti tauschte mit Marius die Kleidung. Das ging schon, auch wenn Marius 13 Zentimeter größer war als er, eins achtundachtzig. In Marius’ Jeanshemd und mit dessen Baseballmütze sah Foti aus wie ein anderer Mensch, und tatsächlich, der...
Erscheint lt. Verlag | 29.7.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Sport | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Amateur-Fußball • Berlin • Borussia Dortmund • Bundesliga • BVB • Deutscher Fußballbuchpreis • Deutscher Fußballbund • DFB • Enke • FC Bayern • Fußball • Fußball-Biografie • Fußball-Buch • Fußballerleben • Fußballertraum • Fußball-Geschenk • Hannover • Hannover 96 • Hertha BSC • Karriere • Marco Russ • Miro • München • Nachwuchs • Profifußballer • Profisportler • Robin Gosens • Spielerberater • Sportbiografie • Sportbuch • Zlatan |
ISBN-10 | 3-492-99918-2 / 3492999182 |
ISBN-13 | 978-3-492-99918-2 / 9783492999182 |
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