Ich bin dann mal nackt (eBook)

Eine Reise zu den unverhüllten Kulturen unserer Welt
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-26228-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich bin dann mal nackt -  Marc Engelhardt
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Splitternackt ins Meer springen, nahtlos Sonne tanken und mit den Kleidern alle Zwänge des Alltags ablegen: Lange waren solche kleinen Freiheiten nicht mehr so wertvoll wie heute, und so beliebt. Nacktsein liegt im Trend. Das gilt für die Nude Cruise auf dem Kreuzfahrtschiff genauso wie für Nackt-Yoga-Sessions oder Wandern barfuß bis zum Hals in der Natur. Mit dem Abwerfen der Kleidung entkommen wireiner Welt, in der Körper zur Ware geworden sind. Und so beschließt der Journalist Marc Engelhardt, der neuen Faszination des Nacktseins nachzugehen. In bester Reportertradition begibt er sich auf eine Reise um die Welt - natürlich unbekleidet. So läuft er in Japan hüllenlos durch den Wintersturm, um mit hundert anderen das Glück zu suchen, geht bei 35° Grad im Schatten in der Stadt der Nackten am Cap d'Agde auf Schaufensterbummel und findet in Marokko heraus, warum Nacktheit in der arabischen Welt ebenso wichtig ist wie Verhüllung. Eine unterhaltsame und hochspannende Kulturgeschichte über die ganze Welt des Nacktseins.

Marc Engelhardt, Jahrgang 1971, ist Autor und freier Auslandskorrespondent. Seit gut zwei Jahrzehnten berichtet er für den Deutschlandfunk sowie ARD Hörfunk und Fernsehen, zunächst aus Nairobi und inzwischen aus Genf. Er ist Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter, war fünf Jahre lang dessen Vorsitzender und hat mehrere gemeinsame Bücher herausgegeben, die u.a. bei DVA und Pantheon erschienen sind.

Schaabe, Rügen


Nackt und frei am Ostseestrand


Vor mir die Brandung. Über mir der blaue Himmel. Rechts und links der strahlend weiße Sand. So muss das Paradies aussehen. Und was trägt man im Paradies? Nichts. Also runter mit den Klamotten und rein in die erfrischend kalte Ostsee! An der Schaabe, Rügens längstem Sandstrand, hat das Nacktbaden Tradition. Viele kommen in zweiter oder dritter Generation hierher und haben noch nie eine Badehose, einen Badeanzug besessen. Besonders beliebt wurde das Baden ohne, als die Staats- und Parteiführung der DDR es vorübergehend verbot. Als die SED merkte, dass das niemanden interessierte, im Gegenteil Nacktbaden zu einer subversiven Protestform mutierte – da machte sie das Beste draus und erklärte nacktes Baden kurzerhand zum DDR-Kulturgut. Das galt vorübergehend als bedroht, als nach der Wende die Wessis kamen und jede Menge Textil mitbrachten. Inzwischen aber tummeln sich die Nackten und die Liebhaber von Bademoden gemeinsam an der Schaabe, und es herrscht ein Burgfrieden im »Unterhosenkrieg«, wie die britische Presse den Kulturkampf an ostdeutschen Ostseestränden taufte. Wo also könnte ich besser meine erste nackte Reiseetappe entlang der Ostseeküste beginnen als an meinem Lieblingsort auf Rügen?

Im Sommer richten sich viele langjährige Badegäste an der Schaabe häuslich ein. Sie kommen früh an jedem Morgen, ziehen sich als Erstes aus und bauen dann am Fuß der Dünen, jeweils an der immer gleichen Stelle, ihren Windschutz auf. Dort verbringen sie den Tag, unterbrochen nur vom regelmäßigen Bad in der Ostsee und einem Rostocker Pils oder Rotkäppchen aus der Kühltasche mit Freunden. Immer mal wieder erhebt sich auch einer der Männer – es sind ausschließlich Männer – von seiner Strandmatte, schüttelt alle Körperteile aus und sucht stehend von seiner leicht erhöhten Position in den Dünen von links nach rechts den Strand ab. Seine Körperhaltung erinnert dabei an die eines Erdmännchens, das vor seinem Bau stehend nach Feinden Ausschau hält. Nach Feinden sucht der gemeine Strandmann sicher nicht, aber neue Strandgäste werden von ihm genauso registriert wie das Nahen eines der elektrobetriebenen Strandbuggys, die den Strand während der Saison mit Bockwurst, Eis und Kaffee versorgen. Die Fahrerinnen und Fahrer, die meisten von ihnen Studierende aus dem nahen Polen, blinzeln inzwischen nicht mal mehr, wenn sich vor ihrem Wagen eine lange Schlange von Badegästen bildet, die außer ihrem Portemonnaie nichts am Leib tragen. Dabei wäre Vergleichbares an der polnischen Ostsee undenkbar. »Natürlich gibt es auch bei uns in Polen FKK-Strände«, sagt mir Pavel, einer der Fahrer. »Aber so locker und sorglos wie hier, wo die Leute nackt den Strand entlanglaufen oder sich ein Eis kaufen, das haben wir nicht – da ist die katholische Kirche vor.«

Durch ihre Standorttreue ist es leicht, mit den Schaabeveteraninnen und -veteranen Bekanntschaft zu schließen. Es reicht, ausgezogen nach einem Gummihammer zu fragen, ohne den sich der eigene Windschutz unmöglich aufstellen lässt. Erfahrene Strandgäste haben immer einen dabei. Bald ist man im Gespräch und grüßt sich dann, wenn man sich wiedersieht. Birgit, die ich auf diese Weise kennenlerne, erzählt mir von ihrem Urlaub auf der Schaabe zu DDR-Zeiten. »Wir hatten auf dem Zeltplatz in Glowe endlich einen Platz ergattert und sind dann mit unserem Trabant von Halle aus angereist – der Bastei-Wohnwagen, den wir zugewiesen bekamen, stand ein Stück zurückgesetzt, sodass wir morgens dann erst mal über den halben Acker und die Hauptverkehrsstraße mussten, bevor wir endlich am Meer waren.« Trotzdem habe sie sich schon am ersten Tag in die Schaabe verliebt und sei immer weiter die kilometerlange Nehrung entlanggelaufen, um die schönste Stelle zu finden. »Da musste man früh unterwegs sein, weil es irgendwann voll wurde – wenn wir nette Leute trafen oder einfach eine schöne Stelle, dann haben wir eine Sandburg in den Strand gegraben und uns niedergelassen. Und dann kamen im Lauf des Morgens andere dazu, die uns kannten oder auch nicht, und am Mittag war die Laune dann schon richtig gut.« Der Strandfunk unter den Ferienbekanntschaften half dabei, das Essen zu organisieren, außer Sonne und Strand das Wichtigste beim Ostseeurlaub. »Wenn die Nachricht kam: Im Konsum sind Milch oder Eier eingetroffen, dann musste einer los und sich anstellen, denn abends war nichts mehr da.« Oft gab es nur Konservenkost, aber das sei auch in Ordnung gewesen. »Einmal haben wir versucht, Fisch essen zu gehen: Der Speisesaal war voll, wir mussten anstehen und warten, und als wir gegen acht dann endlich reinkonnten, war der frische Fisch aus, es gab nur noch Rollmops.« Heute, sagt Birgit, kann sie darüber lachen. Manchmal schaue sie sogar ein bisschen nostalgisch zurück. »Wir waren tatsächlich eine verschworene Gemeinschaft hier am Strand, jeder hat dem anderen geholfen, wenn es ging – einmal haben wir sogar jemand kennengelernt, der uns später zu Hause einen Ersatzreifen für unseren Wagen besorgt hat. Dafür hatten wir noch ein paar Säcke Zement, die er brauchen konnte. So lief das damals.« Und wer überhaupt auf Rügen einen Urlaubsplatz bekommen habe, der sei bereits so glücklich gewesen, dass nur Regen, Wind und anderweitig schlechtes Wetter das Glück auf Dauer trüben konnten.

Wie unterschiedlich der Urlaub auf Rügen ausfallen konnte, zeigen die Postkarten, die ich aus alten Schuhkartons in einem Antiquariat in Lietzow fische. »Liebe Omi«, heißt es auf einer farbigen Panoramapostkarte vom August 1966, die das Binzer Kurhaus zeigt. »Wir essen hier im Kurhaus, es gibt Wahlessen, einen Strandkorb haben wir auch bekommen. Hier werden wir ganz schön genudelt, Moritz ist jetzt schon alles zu eng.« Von Hiddensee kommen im Juli 1985 ganz andere Töne: »Haben ein bescheidenes Quartier: zwar sauber, aber ohne fließend Wasser. Wir müssen über die Wiese zum Plumpsklo (Bretterverschlag). Unsere Wirtin hat unten ein modern eingerichtetes Bad, mit Wasserklo!« Und der offenbar noch junge Dieter schreibt aus dem Ferienlager in Glowe im Sommer 1984 an seine Eltern: »Wir können im Lager Süßigkeiten kaufen, zu Glowe drin dürfen wir nicht in die Geschäfte. Wir ernähren uns nur von Brötchen und Süßigkeiten. Das Essen schmeckt überhaupt nicht.« Das Verhältnis zwischen Feriengästen und Rügenern war oft angespannt. Von der anderen Seite der Theke schreibt Hanne an Tante und Onkel in Bernburg: »Man hat gar keine Lust, am Feierabend noch was zu machen. Die Urlauber können einen schaffen. Die haben immer Hunger! Aber wehe, wenn nichts da ist.« Die glücklichsten Sätze auf den Postkarten aus der Vergangenheit handeln immer vom Strand. »Am FKK haben wir viel Platz, Wetter ist ideal«, schreibt eine Leipziger Familie 1975 nach Hause. Und die Winklers aus Berlin haben im August 1969 am Strand so viel Spaß am Volleyball, dass der Vater schon darüber nachdenkt, eine Betriebssportmannschaft zu gründen. »Wir sind am FKK-Strand eine dufte Truppe.«

In Nina Hagens Lied von 1974 über Michael, der den Farbfilm vergessen hatte, stand der Sanddorn hoch am Strand von Hiddensee: »Ich im Bikini und ich am FKK – Ich frech im Mini – Landschaft ist auch da – ja.« Heute ist der Strand von Hiddensee noch so einsam wie damals, jedenfalls wenn man sich von Neuendorf im Süden auf den Weg in Richtung des Leuchtturms am Gellen macht. Wer hier an den Dünen liegen möchte, bringt im Rucksack oder auf dem Fahrradgepäckträger nur das Nötigste mit. Private Autos gibt es nicht auf Hiddensee. Während ich zwischen Strandhafer und blauem Himmel im Sand liege und mich von der Sonne wärmen lasse, kann ich mir gut vorstellen, warum die ersten Nacktbadenden Hiddensee schon vor mehr als einhundert Jahren zu ihrem Revier machten. Da galt anderswo in Deutschland noch der »Zwickelerlass«, die Pflicht zum zusätzlichen Stück Stoff im Schritt, das Bademode wirklich blickdicht machen sollte. 1932 ging der Zwickel in die preußische Badeverordnung ein, Nacktbaden wurde generell verboten. Ein Verbot, das die Nazis 1942 wieder aufhoben, nachdem sie zuvor allerdings die arbeiternahen und fortschrittlichen FKK-Vereine geschlossen hatten.

Die junge DDR sah sich vor einem Dilemma, denn FKK war von der Geschichte her eigentlich überwiegend links, aber undogmatisch, reformorientiert oder, noch schlimmer, sozialdemokratisch. Dazu kam der Körperkult der Nazis, wie ihn Leni Riefenstahl verewigt hatte. Man entschied sich fürs Verbot, und Benno Pludra schreibt in seiner Erzählung Haik und Paul, die 1956 im Verlag Neues Leben erschien, über Paul aus der Lausitz, der am Strand von Hiddensee auf die Hamburger Kaufmannstochter Haik trifft, die Ferien bei der Oma macht. Der Arbeiter muss heftig um sie kämpfen, seine Konkurrenten sind ein Tänzer, ein Journalist, ein Maler, also Intelligenzler, die natürlich »weiter hinten, am Südstrand« der Inselhauptstadt Vitte sonnenbaden, wo man keinen Stoff am Leibe trug. Pludra, der 1966 und 1981 den Nationalpreis erhielt, war DDR-Autor, und so ist die Skepsis des Arbeiterjungen Paul gegenüber dem Nacktbaden wohl auch die des jungen Staats. Der schickt nicht nur in Pludras Buch die berittene Volkspolizei aus, um die unzüchtigen Nacktbadenden aufzuscheuchen, die sich mit einem Kampfschrei gegenseitig warnen. »Im Kral der Nudisten scheint ein Wirbelwind zu tanzen. Der Strand wird leer in Blitzesschnelle, und aus dem Wasser jagt ein wildes Völkchen, hopst und planscht mit ängstlichen Gebärden. Badehosen fliegen, Brusttücher flattern, und was nicht nackt sein darf, wird atemlos flink bedeckt.« Später, als die Vopos weg sind, sieht Paul zwei Mädchen, sie »werfen im Rennen die Bademäntel ab, haben nichts...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2021
Zusatzinfo 16 S. farbiger Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte eBooks • FKK • ich bin dann mal weg • Kulturgeschichte • nachhaltigkeit buch • Nacktheit • Neuerscheinung 2021 • Nuide Cruise • Reisebericht • Reisen
ISBN-10 3-641-26228-3 / 3641262283
ISBN-13 978-3-641-26228-0 / 9783641262280
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