Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt
Piper (Verlag)
978-3-492-07006-5 (ISBN)
- Titel ist leider vergriffen;
keine Neuauflage - Artikel merken
Wer China verstehen will, muss Xi Jinping kennen. Die Journalisten Stefan Aust und Adrian Geiges liefern mit ihrer Biografie eine brillante Analyse über Macht, Personenkult und Alleinherrschaft.
Das Land, in dem die Corona-Pandemie begann – und das sie als erstes besiegte.
Kommunismus als Motor für den Aufstieg zur Weltmacht.
Autokratie mit hippem Lifestyle.
Internationale Politik der Öffnung und nationale Kontrolle durch Überwachung.
Das moderne China verdankt seinen wirtschaftlichen und politischen Erfolg einem zutiefst widersprüchlichen System. An dessen Spitze vereint Xi Jinping faktisch alle Macht in sich. Doch der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Staatspräsident Chinas wirkt nicht wie ein Diktator, China nicht wie eine Diktatur.
Stefan Aust und Adrian Geiges nähern sich mit „Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt“ erstmals umfassend der schleierhaften Figur des chinesischen Staatspräsidenten. In akribischen Recherchen sezieren die Autoren das brillant inszenierte Image eines Politikers, der der Autokratie China das Gesicht einer weltoffenen Nation verleihen will – und damit durchkommt.
Wo kommt er her, was hat er vor – und was sollten wir von China erwarten?
Als renommierte Top-Autoren begeben sich Aust und Geiges auf eine biografische Spurensuche, die nicht nur den Werdegang Xi Jinpings nachzeichnet, sondern Chinas Politik der vergangenen Jahrzehnte bis in die Gegenwart analysiert. So wird aus einer Politiker-Biografie eine fundierte Prognose über die neue Weltmacht im Zeichen des Kommunismus.
Packend und faktenreich geschrieben: Das neue Standardwerk über internationale Politik
Pünktlich zum 100. Jahrestag der Kommunistische Partei Chinas stellt „Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt“ auch unbequeme Fragen an der Einstellung der Staatengemeinschaft zum Geschehen in China. Die Biografie erhellt so Zusammenhänge, die sonst hinter Schlagzeilen und Stereotypen verschwinden.
Stefan Aust, geboren 1946, ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Er begann bei der Zeitschrift konkret und arbeitete dann viele Jahre bei Panorama, wo sein Bericht über ein verschwiegenes Todesurteil, das der Marinerichter Filbinger im Zweiten Weltkrieg gefällt hatte, zu dessen Rücktritt als Ministerpräsident führte. Er gründete Spiegel TV und war 12 Jahre lang Chefredakteur des Spiegel, später Mitinhaber des Fernsehsenders N24 und Herausgeber der Welt. Er ist Autor zahlreicher Dokumentationen und Bücher. Sein Buch Der Baader-Meinhof-Komplex, erstmals 1985 erschienen, gilt als »Klassiker« (Frankfurter Allgemeine Zeitung).
Adrian Geiges, 1960 in Basel geboren, berichtete als Fernsehkorrespondent aus Moskau, Hongkong, New York und Rio de Janeiro. In Shanghai leitete er die Tochterfirma eines großen deutschen Unternehmens. Dann war er viele Jahre Peking-Korrespondent des »Stern«. Er hat Chinesisch studiert, ist mit einer Chinesin verheiratet, sie haben zweisprachig aufwachsende Töchter und leben heute in Hamburg. Er ist Autor zahlreicher Bücher.
»Ein lesenswertes, gut verständliches Buch für alle, die die neue Weltlage verstehen wollen.« Falter (A) 20211117
»Ein lesenswertes, gut verständliches Buch für alle, die die neue Weltlage verstehen wollen.« Falter (A)
»Das ist ihnen brillant und sachlich hervorragend recherchiert, spannend aufbereitet und griffig zusammengefasst gelungen. Ein besseres Bild, eine bessere Analyse Xi Jinpings ist sicher aktuell nicht zu bekommen.« musenblaetter.de
»Eine flott geschriebene, zugängliche Biografie eines der mächtigsten Männer der Welt, bei der man eine Menge über China erfährt.« Deutschlandfunk „Andruck“
»Stefan Aust und Adrian Geiges vermitteln auf verständliche Art ein Big Picture von China, Leadern, Denk- und Lenkweisen. Fokus liegt natürlich auf dem derzeit mächtigsten Mann der Welt und seinem dornigen Weg zur Macht.« china-bw.net
»Das Buch sticht aus der Vielzahl aktueller Publikationen über China durch seine auf unmittelbare Eindrücke gestützte Authentizität heraus und verknüpft zu Recht die zeitgeschichtliche Darstellung der chinesischen Politik und Gesellschaft mit ausgewogen kritischer Würdigung des persönlichen Anteils von Xi Jinping.« Neues Deutschland
»Adrian Geiges kennt China nicht aus der Zeitung, sondern aus dem eigenen Erleben... 'Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt‘ gilt als erste umfassende Biografie Xi Jinpings, dem Mann an der Spitze der wirkmächtigsten kommunistischen Diktatur der Weltgeschichte.« Gabor Steingart in seinem Morning Briefing
»Eine beeindruckende und einzigartige Lektüre« Dithmarscher Landeszeitung
»Facettenreich, interessant und gut lesbar geschrieben zeichnen sie das Leben und Wirken des chinesischen Präsidenten nach. Gut recherchiert können sie auf eine Vielzahl von Quellen (auch eigenen Interviews) zurückgreifen. So entsteht ein recht lebendiges Bild über Xi Jinping und China als aufstrebende Nation.« lbib.de
»Ein sehr aufschlussreiches Buch über eine kontroverse und mächtige Persönlichkeit unserer Zeit.« Business & Diplomacy Rundbrief
»Stefan Aust und Adrian Geiges zeichnen das faszinierende Porträt einer Persönlichkeit, die unser aller Leben beeinflusst.« textland-online.de
»Die Autoren erzählen durchaus kurzweilig von dieser und anderen Stationen auf Xis Lebensweg.« Süddeutsche Zeitung
»Die beiden Vollblut-Journalisten haben ein spannendes und sehr lesbares Portrait geschaffen, das man auch zur Entspannung lesen kann.« Asia Bridge
„Die Wahrheit in den Tatsachen suchen“ ...
… ist ein Satz aus dem Han Shu, einem chinesischen Geschichtswerk, das im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstand. Er wurde von Mao Zedong benutzt, dem Gründer der Volksrepublik China, und dann wieder von Deng Xiaoping, der damit seine Reformpolitik begründete. So wird das Zitat inzwischen meist Deng Xiaoping zugeschrieben.
„Die Wahrheit in den Tatsachen suchen“ – daran haben auch wir uns gehalten bei den Recherchen über den heutigen chinesischen Führer Xi Jinping. Dem Buch liegt keine politische Agenda zugrunde. Weder gab es Einfluss vonseiten der chinesischen Regierung, noch betreiben wir „China-Bashing“. Mit diesem unpräzisen Begriff wird oft einer kritischen Darstellung der Kommunistische Partei Chinas unterstellt, sie sei gegen China oder gar gegen die Chinesen gerichtet.
Es geht auch nicht um eine Parteinahme für oder gegen Xi Jinping. Wir wollen ihn – soweit möglich – darstellen, wie er ist. Dabei stützen wir uns auf seine Reden, die verfügbaren Quellen über seine Lebensgeschichte und seine Politik und auf unsere eigenen Interviews und Reportagen in und über China. Das Urteil über den zurzeit mächtigsten Mann der Welt sollten Sie sich selbst bilden.
Was juckt es uns, wenn in China ein Sack Reis umfällt?
Spätestens seit Corona wissen wir es
30. Dezember 2019, Zentralkrankenhaus der chinesischen Stadt Wuhan: Die Ärztin Ai Fen, Leiterin der Notaufnahme, öffnet einen Bericht, den sie mit Ungeduld erwartet hat. Er kommt aus Peking, vom Labor CapitalBio. In den letzten Wochen hat es in ihrem Krankenhaus mehrere Fälle mit unerklärlichen Fiebersymptomen und Lungenbeschwerden gegeben, bei denen normale Behandlungen nicht wirkten. Jetzt sind die Testergebnisse eines Patienten da. Ai Fen zuckt zusammen, als sie den Befund liest: „SARS-Coronavirus“. Sie umkreist die beiden Wörter mit einem Rotstift, fotografiert sie mit ihrem Handy und schickt das Bild an die anderen Ärzte im Krankenhaus. „Mir brach vor Angst der kalte Schweiß aus“, erzählt sie.[i] Die SARS-Pandemie 2002/2003 hat weltweit 774 Menschen getötet.[ii] Droht sich das jetzt zu wiederholen? Ai Fen ruft ihre Kollegen dazu auf, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, und lässt die Gesundheitsbehörden informieren – tut also das, worin sie ihre Pflicht als Ärztin sieht.
Gedankt wird ihr dafür nicht, stattdessen wird sie vorgeladen, vor das Disziplinarkomitee des Krankenhauses. „Wie können Sie ohne Parteidisziplin Gerüchte verbreiten“, schreit der Leiter sie an. Die Ärztin muss sich verpflichten, alle 200 Kollegen zu drängen, die Information geheim zu halten. Sie soll alle einzeln treffen oder mit ihnen telefonieren, auf keinen Fall mailen oder chatten, damit keine weiteren Spuren entstehen. „Nicht einmal Ihrem Mann dürfen Sie etwas sagen!“ Sie hält sich daran und sagt ihm an diesem Abend nur: „Falls mir ein Unglück zustößt, pass gut auf unser Kind auf.“ Es ist nur ein Jahr alt. Erst Wochen später wird ihr Mann verstehen, wovon sie gesprochen hat.[iii]
Heute fragt sich Ai Fen, wie viele Menschen hätten gerettet werden können, in Wuhan, in China und auf der ganzen Welt, wenn sie sich damals nicht gefügt hätte. Dabei hat ihre Warnung dazu beigetragen, dass sich die Nachricht weiterverbreitet. Denn über sie erfährt auch Li Wenliang davon, Augenarzt auf der dritten Etage des Zentralkrankenhauses. Er tauscht sich mit sieben ehemaligen Studienkollegen regelmäßig in einer Gruppe auf WeChat aus, dem chinesischen Gegenstück zu WhatsApp. Dort leitet er die Information weiter, die er gerade bekommen hat. Sieben Personen, eine vergleichsweise kleine Öffentlichkeit. Doch groß genug für die chinesische Regierung – nicht um jetzt etwas gegen das Virus zu unternehmen, sondern um Li Wenliang und seine Studienfreunde auf eine Polizeiwache vorzuladen. Den Internet-Zensoren entgeht praktisch nichts.
In Wuhan steht die jährliche Tagung des Scheinparlaments bevor, ein Jubelereignis, das man nicht durch schlechte Nachrichten stören will. Mit roter Tinte müssen die Vorgeladenen ihre Fingerabdrücke auf eine Unterlassungserklärung setzen. „Wir warnen Sie ernsthaft“, sagt der Polizist, der das Verhör leitet. „Wenn Sie nicht lockerlassen, impertinent bleiben und sich weiter an illegalen Aktivitäten beteiligen, wird das Gesetz Sie bestrafen.“[iv]
Dabei ist der Arzt Li Wenliang alles andere als ein Dissident. An seinem Arztkittel trägt er das Abzeichen der Kommunistischen Partei, Hammer und Sichel auf rotem Grund. In seinem Blog hat er die demokratischen Proteste in Hongkong verflucht.[v]
Es folgen Wochen, in denen sich das neue Coronavirus ungehindert ausbreitet. Zwar lässt sich, unter anderem dank Li Wenliang, nicht mehr verschweigen, dass in Wuhan eine ungewöhnliche Krankheit umgeht. Die offiziellen chinesischen Medien behaupten aber, das Virus sei „kontrollierbar und eindämmbar“. Es rühre wohl von Fledermäusen her und sei „nicht von Mensch zu Mensch übertragbar“. Die Kommunistische Partei, die China regiert, möchte sich vor dem chinesischen Neujahrsfest nicht die Stimmung verderben lassen. Schließlich plant Wuhan am 20. Januar 2020 ein Festmahl für 40 000 Familien.[vi] Dies wird das Superspreader-Event sein, durch das aus vereinzelten Krankheitsfällen eine Pandemie entsteht. Es wird nicht abgesagt, obwohl an ebendiesem 20. Januar Chinas führender Lungenspezialist Zhong Nanshan erstmals öffentlich erklärt: Das neuartige Virus ist von Mensch zu Mensch übertragbar – und bereits 14 Mitarbeiter des medizinischen Personals von Wuhan haben sich infiziert.[vii]
Drei Tage später, in der Nacht auf den 23. Januar, riegelt Chinas Regierung Wuhan von der Außenwelt ab – eine Stadt mit mehr Einwohnern als Berlin, Hamburg, München und Köln zusammen. Am chinesischen Neujahrsfest gibt es dort bereits nichts mehr zu feiern (es richtet sich nach dem Mondkalender und fällt 2020 auf den 25. Januar).
„Das Gesundheitssystem der Stadt war diesem Ansturm von Patienten nicht gewachsen und stand kurz vor dem Zusammenbruch“, schreibt Fang Fang, die berühmteste Schriftstellerin der Stadt. „Das Neujahrsfest ist die Zeit, in der sich die Familien versammeln und allgemeine Feierstimmung herrscht. Doch nun irrten unzählige Erkrankte in eisiger Kälte durch Sturm und Regen in der Stadt herum, auf der vergeblichen Suche nach medizinischer Behandlung.“[viii] Denn mit dem Lockdown stellt Wuhan den gesamten öffentlichen Verkehr ein, und die Mehrzahl der Bewohner besitzt kein Auto.
„Was hat der Präsident gewusst – und wann?“, ist eine Frage, die in den USA oft gestellt wird. Diese Frage richtet sich in diesem Fall auch an Chinas Präsidenten, Xi Jinping. Nach eigenen Angaben hat er bereits am 7. Januar vor dem Ständigen Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei „Anforderungen für die Vorbeugung und Kontrolle des neuen Coronavirus“ herausgegeben. Doch während sonst seine Reden meist veröffentlicht werden, ist das hier nicht geschehen. Quellen aus dem Umkreis der Parteiführung berichten lediglich, Xi Jinping habe verlangt, „die festliche Atmosphäre“ vor dem chinesischen Neujahr nicht zu stören.[ix]
Da Xi Jinping in China unantastbar ist als „Oberster Führer“, wie er offiziell genannt wird,[x] wird die Wahrheit vermutlich frühestens ans Tageslicht kommen, wenn er gestürzt oder gestorben ist. Umso wichtiger ist es, jetzt schon herauszufinden, wie dieser Mann tickt, der seit 2013 Staatspräsident der Volksrepublik China ist. Wichtiger aber noch: Seit 2012 führt er als Generalsekretär die Kommunistische Partei Chinas, die in der Volksrepublik über dem Staat steht.
China hat mit einer Bevölkerung von fast 1,4 Milliarden deutlich mehr Einwohner als die Europäische Union, die USA und Russland zusammen genommen. Das Land ist bereits jetzt die Wirtschaftsmacht Nummer eins auf der Welt, wenn es nach dem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt geht – 2014 überholte China die USA. Das ist ein gewaltiger Sprung nach vorn, denn seit 1872 standen die Amerikaner an der Spitze.[xi]
Nicht in gleichem Maße gewachsen sind die Kenntnisse über China – und seinen Präsidenten. Das fängt bei scheinbaren Kleinigkeiten an. Deutsches Fernsehen, beste Sendezeit, Börse vor acht in der ARD: Moderator Markus Gürne, Leiter der ARD-Börsenredaktion beim Hessischen Rundfunk, spricht vom „chinesischen Präsidenten Jinping“. Im Chinesischen (wie übrigens auch in einigen anderen Sprachen) kommt der Familienname zuerst, er lautet in seinem Fall Xi, genauso wie Mao der Familienname von Mao Zedong ist. Den chinesischen Präsidenten Jinping zu nennen ist also in etwa so, als würde man von „dem amerikanischen Präsidenten Joe“ oder „der deutschen Bundeskanzlerin Angela“ sprechen.
Was Xi Jinping entscheidet, beeinflusst unser Leben unmittelbar, ob positiv oder negativ. Spätestens seit der Corona-Pandemie bestehen daran keine Zweifel mehr: Sie hat mehrere Millionen Menschen aus fast allen Ländern der Erde das Leben gekostet, die Weltwirtschaft in ihre tiefste Krise seit 1929 gestürzt, Existenzen und Lebensträume zerstört. „Was geht es mich an, wenn in China ein Sack Reis umfällt?“, hieß es früher. Heute kann es die ganze Welt erschüttern, wenn in China jemand hustet.
Die ersten Menschen, die in Wuhan an Covid-19 erkranken, arbeiten auf dem Huanan-Markt für Meeresfrüchte oder kauften dort ein. Auf solchen Märkten wird, so lautet ein chinesisches Sprichwort, alles verkauft, was schwimmen kann und kein Schiff ist, vier Beine hat und kein Tisch ist, fliegen kann und kein Flugzeug ist. Also keineswegs nur Meeresfrüchte, sondern beispielsweise auch Krokodile, Hunde, Bambusratten – und Fledermäuse. (Wegen Corona plant das chinesische Agrarministerium mittlerweile, Hunde und Fledermäuse aus der Liste essbarer Tiere zu streichen.)[xii] Nur 300 Meter von dem Markt entfernt liegt das Wuhaner Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention (WHCDC). In dessen Labor wird auch mit Fledermäusen gearbeitet. So entstand die Theorie, erkrankte Fledermäuse von dort seien auf den Markt gelangt, das Virus sei vielleicht sogar bei Experimenten im Labor entstanden. Auch könne sich ein Mitarbeiter bei einem Unfall infiziert haben und das Virus dann beim Einkaufen auf den Markt getragen haben. „Ich halte das für sehr unwahrscheinlich“, meint der Virologe Christian Drosten, Institutsdirektor an der Charité in Berlin und seit der Corona-Krise in Deutschland bekannter als ein Popstar. „Auch in den chinesischen Laboren wird gearbeitet wie bei uns, mit Schutzwerkbänken, wo die Zellkulturen in einem bestimmten Arbeitsbereich stehen. Und aus diesem Arbeitsbereich kommt keine Luft heraus. Und selbst wenn sie herauskommen sollte – stellen wir uns vor, ein Laborunfall passiert –, dann hat man immer noch eine Atemschutzhaube auf und atmet nur gefilterte Laborluft, wo kein Virus durchkommen kann.“[xiii] Allerdings ist Drosten Virologe und kein Sinologe, kennt also nicht unbedingt den manchmal laxen Umgang mit Vorschriften in China.
Viel hochkarätiger (und damit gefährlicher) als das Labor im WHCDC ist das Labor im Wuhan-Institut für Virologie (WIV), das aber weit außerhalb des Stadtzentrums liegt, 14 Kilometer vom Huanan-Markt für Meeresfrüchte entfernt. Die renommierte Fachzeitschrift Nature schrieb 2017 darüber: „Ein Labor in Wuhan steht kurz vor der Freigabe für die Arbeit mit den gefährlichsten Krankheitserregern … Einige Wissenschaftler außerhalb Chinas befürchten das Entweichen von Krankheitserregern und eine zusätzliche biologische Dimension zu geopolitischen Spannungen zwischen China und anderen Nationen. Chinesische Mikrobiologen feiern jedoch ihren Eintritt in den Elitekader, der befugt ist, mit den größten biologischen Bedrohungen der Welt zu kämpfen.“[xiv] Es ist das erste Labor mit dieser hohen Schutzstufe in China, was zusätzlich den Verdacht nährt, hier könne etwas schiefgelaufen sein. Nature zitiert Tim Trevan, Gründer des Unternehmens CHROME Biosafety and Biosecurity Consulting im US-Bundesstaat Maryland, der sagt, eine offene Kultur sei wichtig, um die Sicherheit von solchen BSL-4-Labors (biosafety level 4) zu gewährleisten. Er frage sich, wie dies in China, wo die Gesellschaft Hierarchien betont, möglich sein soll: „Die Vielfalt der Sichtweisen, flache Strukturen, in denen sich jeder frei äußern kann, und die Offenheit der Informationen sind wichtig.“[xv] Nature fügte jedoch der Onlineversion dieses Artikels im Januar 2020 den Hinweis bei: „Viele Geschichten haben eine unbestätigte Theorie gefördert, dass das in diesem Artikel diskutierte Wuhan-Labor eine Rolle bei dem Ausbruch des Coronavirus spielte, der im Dezember 2019 begann. Nature kennt keine Beweise dafür, dass dies wahr ist; Wissenschaftler nehmen an, dass die wahrscheinlichste Quelle des Coronavirus ein Tiermarkt ist.“[xvi]
Eine andere Theorie verkündete der chinesische Außenamtssprecher Zhao Lijian auf Twitter: „Es könnte sein, dass die US-Armee das Virus nach Wuhan gebracht hat.“[xvii] Amerikanische Soldaten hatten als Sportler an den Militärweltspielen vom 18. bis zum 27. Oktober 2019 in Wuhan teilgenommen.[xviii]
Am 17. April 2020 beziffert Chinas Regierung die Zahl der Corona-Toten in Wuhan mit 3896.[xix] Zu ihnen gehört auch der Arzt Li Wenliang, der den Mut hatte, die ihm bekannt gewordene Information über die Corona-Gefahr weiterzuleiten. Er wird nur 33 Jahre alt, hinterlässt ein Kind und seine schwangere Ehefrau. Posthum ernennt ihn die Kommunistische Partei, deren Mitglied er war, zum „Märtyrer“.[xx] Lernt die Partei also aus den Fehlern? Sieht sie ein, was Li Wenliang wenige Tage vor seinem Tod sagte: „Eine gesunde Gesellschaft sollte mehr als eine Stimme akzeptieren.“[xxi]?
In dem eingangs zitierten Interview mit Ai Fen, der Leiterin der Notaufnahme im Zentralkrankenhaus von Wuhan, schildert sie, wie der Corona-Ausbruch vertuscht wurde. Das Interview wurde in China am 10. März 2020 online veröffentlicht, und zwar von der Zeitschrift Renwu („Persönlichkeit“). Doch nach drei Stunden löschten es die Behörden. Da chinesische Internetnutzer mit solchen Praktiken vertraut sind, haben viele von ihnen einen Screenshot des Artikels erstellt und ihn in sozialen Netzwerken gepostet. Dabei veränderten sie ihn, fügten beispielsweise Emojis ein, um so die Zensur irrezuführen, die mit technischen Mitteln nach kritischen Beiträgen sucht.[xxii]
„Nur erfreuliche Nachrichten zuzulassen und unerfreuliche zu vertuschen, andere daran zu hindern, die Wahrheit zu sagen, der Masse der Bevölkerung die Wahrheit vorzuenthalten, das Leben einzelner Personen zu missachten – dergleichen eingeübtes, gewohnheitsmäßiges Verhalten rächt sich für die Gesellschaft, beschert der Bevölkerung immenses Leid“[xxiii], schreibt die Schriftstellerin Fang Fang in ihrem Wuhan Diary, das in China selbst nur online veröffentlicht und dort immer wieder zensiert wurde. „Ich habe keine Ahnung, ob dieser Eintrag die Leser erreichen wird“, schreibt sie an einer Stelle. „Es gibt keine Möglichkeit, sich gegen eine solche Sperrung zu wehren oder gar Anzeige zu erstatten.“[xxiv]
Fang Fang ist keine Dissidentin. Kritik am allmächtigen Xi Jinping vermeidet sie. Ihre Romane erzählen vom Leben der kleinen Leute, das hat sie in China bekannt gemacht. Sie war Vorsitzende des Schriftstellerverbands der Provinz Hubei, was ihr einen gewissen Schutz verleiht. Doch fanatische Kommunisten, „Linksextremisten“, wie Fang Fang sie nennt, attackieren sie im Netz, oft mit obszönen und frauenfeindlichen Kommentaren. Die Zensoren löschen die seriösen Beiträge der Schriftstellerin, lassen aber die Beleidigungen stehen – im Sinne der „Sauberkeit des Internets“, so der offizielle Dienstauftrag der Zensurbehörde.
Viel schlimmer sind die Folgen für einfache Chinesen. Etwa für den Geschäftsmann Fang Bin (nicht verwandt mit Fang Fang) aus Wuhan. Als die Krankheit in seiner Stadt ausbricht, filmt er den neuen Alltag mit dem Handy und versucht die Videos ins Internet zu stellen. Sie zeigen überfüllte Krankenhäuser: Dutzende Hilfesuchende drängen sich an der Rezeption. Aus Platzmangel liegen Patienten auf fahrbaren Betten im Flur. Man hört, wie Menschen schluchzen und schreien. Er fragt eine junge Frau, die auf ihre Mutter starrt: „Wie geht es ihr?“ Die Tochter antwortet: „Sie ist bereits tot.“ In einem Kleinbus vor dem Krankenhaus sieht er mehrere Verstorbene in Leichensäcken. Sein letztes Video zeigt, wie fünf Polizisten versuchen, in seine Wohnung einzudringen. Sie wollten ihm „einige Fragen stellen“, sagen sie. Seit dem 9. Februar 2020 gibt es kein Lebenszeichen von Fang Bin mehr. Auch andere, die Videos gepostet haben, sind spurlos verschwunden, etwa der Rechtsanwalt Chen Qiushi.[xxv]
CoroNation heißt ein Dokumentarfilm des Künstlers Ai Weiwei, seine Bilder stammen von Bürgern in Wuhan, die für ihn mit Kameras unterwegs waren. Vor einem Krematorium hört man die Lautsprecherdurchsage: „Familienmitglieder der Verstorbenen mit den Personalausweis-Nummern, die mit 420111 und 420105 beginnen, bitte kommen Sie zur Tianxiao-Halle, und stellen Sie sich für die Formalitäten an.“ Dutzende Angehörige sitzen auf Plastikhockern Schlange. „Wenn die Anführer von Wuhan die Stadt früher dichtgemacht hätten, würden nicht so viele verlorene Seelen herumwandern“, klagt eine junge Frau. „Wenn ein Vater oder eine Mutter stirbt, ist das Leben der Kinder ruiniert. Sie bleiben allein zurück. Mein Schwiegervater hätte nicht sterben müssen. Das Missmanagement der Regierung hat ihn getötet. Es gibt hier viele Fälle wie unseren. Manche konnten nicht einmal getestet werden. Sie wurden vielleicht gar nicht als Opfer des Coronavirus gezählt. Sie starben einfach so. Diese qualvolle Erfahrung haben wir gemacht. Wir durften uns nicht von unseren Angehörigen verabschieden. Als wir sie zum Quarantänepunkt brachten, wussten wir nicht, dass wir sie zum letzten Mal sahen. Mein Schwiegervater muss sehr verzweifelt gewesen sein, als er starb. Für unsere Generation, die diese Pandemie erlebt hat, bleibt dies als ein Schatten, der unsere Herzen für immer verdunkeln wird.“
Vor den Augen der Angehörigen pressen Mitarbeiter des Krematoriums Säcke mit der Asche von jeweils einem Toten zusammen, sodass sie in die Urne passt, was hier ein verzierter Holzkasten ist. Um den Kasten wickelt ein Mitarbeiter ein rotes Tuch, verknotet es und übergibt die Asche so dem Angehörigen.[xxvi]
Einstiegsszene des Films ist eine Drohnenaufnahme des Hauptbahnhofs von Wuhan. Schnellzüge, viel moderner als die deutschen ICEs, sind da geparkt, weil sie wegen der Abriegelung der Stadt nicht fahren können.
Wenn man, um Ai Weiwei zu besuchen, im September 2020 von Hamburg nach London fliegt, fühlt man sich wie in einem Remake des Films. In den vorderen und hinteren Reihen der Eurowings-Maschine sitzen jeweils ein bis zwei Passagiere. Die mittleren Reihen sind ganz frei. Dann, auf dem Flughafen Heathrow gelandet, geht man durch nahezu menschenleere Gänge.
Da weicht die europäische Realität etwas vom chinesischen Film ab. Auch dort gibt es eine Flughafenszene, wie in Heathrow tragen auch hier alle Mundschutz. Doch in Wuhan ist es voll und laut. Wie bei einer Eröffnungszeremonie für die Olympischen Spiele ziehen Teams in jeweils einheitlichen Jacken ein, hinter Schildern mit dem Namen ihrer Provinz: eingeflogenes Pflegepersonal. Einheimische mit roten Armbinden stehen Spalier, klatschen und rufen im Sprechchor: „Willkommen Hebei! Danke Hebei!“ – „Willkommen Sichuan!“ – „Vorwärts Wuhan!“ Man sieht im Film auch, wie so etwas bis ins Detail geplant wird: „Haltet es einfach, redet nicht zu viel“, schwört eine junge Funktionärin das Empfangskomitee ein. „Verbreitet keine negative Energie! Die Situation mit dem Virus braucht ihr gar nicht zu erwähnen. Sagt einfach ›danke, dass ihr da seid‹. Stellt ihnen im Bus ein bisschen die Sehenswürdigkeiten vor, um sie zu beruhigen. Manche von denen besuchen noch die Krankenschwestern-Schule. Das sind noch Kinder, deshalb müsst ihr sie aufmuntern.“
Bei uns geht es nach Heathrow, um von dort mit dem Mietwagen nach Cambridge zu fahren, wo Ai Weiwei mittlerweile wohnt, nachdem er einige Jahren in Berlin gelebt hat. Cambridge, wo die gotischen Universitätsgebäude Kathedralen gleichen, scheint wie ein unwirklicher Ort für eine solche Begegnung. Doch immerhin haben am Trinity College hier auch Kim Philby, Donald Maclean, Guy Burgess, Anthony Blunt und John Cairncross studiert. Sie wurden in den 1930er-Jahren als „Cambridge Five“ vom damaligen sowjetischen Geheimdienst NKWD angeworben und brachten es in dessen Auftrag bis in die Spitzen des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5.
Das University Arms Hotel ist von außen nicht als solches zu erkennen und wirkt eher wie ein historisches Theater. „Es ist bizarr, das in dieser Umgebung zu sagen“, meint Ai Weiwei in der Bibliothek des Hotels. „Aber in meiner Jugend haben wir den Satz des Vorsitzenden Mao gelernt: Die Revolution braucht nur zwei Instrumente, das Gewehr und den Stift, also die Gehirnwäsche. Die Leute werden dir folgen, weil sie keine andere Information haben.“ Nichts anderes sei in Wuhan geschehen. „Eine Information wird erst dann zur echten Information, wenn die Partei entscheidet, sie preiszugeben.“
Erscheinungsdatum | 26.06.2021 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Maße | 138 x 220 mm |
Gewicht | 544 g |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | alleinherrschaft • Autokratie • Biografie • Biografie Bestseller Politik • biografie politiker • Bücher über xi jinping • China • China Buch • China Geschichte • China Politik • China Weltmacht • China Wirtschaft • Diktatur • Hongkong • Internationale Politik • Kommunismus • Mao Zedong • Sozialkredit • Sozialkreditpunktesystem • Taiwan • Tibet • Tienanmen • Überwachung • Überwachungsstaat • Uighuren • Volksrepublik China • Wirtschaftsmacht • Xi Jinping • Zeitreise • Zensur |
ISBN-10 | 3-492-07006-X / 349207006X |
ISBN-13 | 978-3-492-07006-5 / 9783492070065 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich