Als ich einmal in den Canal Grande fiel (eBook)

Vom Leben in Venedig | Das ungeschönte Porträt der schönsten Stadt der Welt

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46100-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als ich einmal in den Canal Grande fiel -  Petra Reski
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»Petra Reski verdanke ich meine grenzenlose Begeisterung für Venedig. Ihr Blick auf die Stadt ist kenntnisreich, leidenschaftlich, kritisch, humorvoll. Niemand hätte mir dieses Wunder besser näherbringen können als sie.« Joachim Król »Ihr Buch macht Lust auf einen Aufenthalt und eben nicht bloß auf eine Stippvisite; und es sensibilisiert einen zugleich dafür, welchen Einfluss man als Tourist hat.« Süddeutsche Zeitung Ein authentischer Erfahrungsbericht aus dem Sehnsuchtsort Venedig für alle Liebhaberinnen und Liebhaber der Lagunenstadt In ihrem Sachbuch wirft Petra Reski einen wehmütigen Blick hinter die Kulissen Venedigs und erzählt, wie es ist, in einer Stadt zu leben, die von aller Welt zu Tode geliebt wird. Petra Reski, die seit den Neunzigern in Venedig lebt und die Stadt kennt wie keine Zweite, erzählt so atmosphärisch wie schonungslos vom Leben in Venedig. Einst hat sie ihr Herz an einen Venezianer verloren - längst hat sie sich in dessen Heimat-Stadt verliebt. Doch Kreuzfahrt-Tourismus, Immobilien-Spekulation und gewissenlose Bürgermeister setzen der Stadt zu.  Petra Reski kennt sie noch, die alten Venezianer und die Geheimnisse dieser Stadt: den Fischer, der Opern-Arien schmettert. Den Conte, der gegen Gondel-Serenaden kämpft. Den Gemüse­-Händler, der inmitten von Touristen-Strömen um seine Existenz bangt. Sie zeichnet ein wehmütiges Bild von Venedig, des­sen Ausverkauf an den reinen Kommerz beschlossene Sache zu sein scheint. Ihr Buch ist ein leidenschaftlicher Erfahrungsbericht aus dem Sehnsuchtsort Venedig - der faszinierendsten Stadt der Welt. Petra Reski wurde im Ruhrgebiet geboren. Nach dem Studium besuchte sie die Henri-Nannen-Schule und arbeitete als Redakteurin beim Stern, bevor sie in Venedig ihr Herz verlor. Seit 1991 schreibt sie von dort aus Romane, Sachbücher und Reportagen. 

Petra Reski wurde im Ruhrgebiet geboren. Nach dem Studium besuchte sie die Henri-Nannen-Schule und arbeitete als Redakteurin beim Stern, bevor sie in Venedig ihr Herz verlor. Seit 1991 schreibt sie von dort aus für Zeitschriften wie GEO, DIE ZEIT, Merian und Brigitte, sowie für den Rundfunk. Bei Droemer erschienen von ihr zuletzt Als ich einmal in den Canal Grande fiel (2020) und Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern (2008). 2021 wurde sie mit dem Ricarda-Huch-Preis ausgezeichnet. Petra Reski lebt mit ihrem Mann in Vendig. www.petrareski.com

Petra Reski wurde im Ruhrgebiet geboren. Nach dem Studium besuchte sie die Henri-Nannen-Schule und arbeitete als Redakteurin beim Stern, bevor sie in Venedig ihr Herz verlor. Seit 1991 schreibt sie von dort aus für Zeitschriften wie GEO, DIE ZEIT, Merian und Brigitte, sowie für den Rundfunk. Bei Droemer erschienen von ihr zuletzt Als ich einmal in den Canal Grande fiel (2020) und Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern (2008). 2021 wurde sie mit dem Ricarda-Huch-Preis ausgezeichnet. Petra Reski lebt mit ihrem Mann in Vendig. www.petrareski.com

San Piero


Als ich mit meinem Boot durch den Kanal von San Pietro fahre, rufe ich ihn mal wieder an, weil ich eine kleine Runde mit ihm machen will.

Alberto ist Fischer, er lebt auf San Pietro di Castello, genauer gesagt auf San Piero, so heißt es in Venedig, wo man es liebt, die Konsonanten zu verschleifen. San Piero ist diese kleine Insel, die man erreicht, wenn man die Via Garibaldi bis zum Ende läuft und dann die Holzbrücke überquert. Oder, wie ich heute sagen würde: An San Piero kommt man vorbei, wenn man vom Markusbecken kurz vor Sant’Elena in den Rio dei Giardini einbiegt und dann nach dem Rio di Quintavalle geradeaus weiterfährt.

Seitdem ich Boot fahre, una topetta, eine kleine Ratte, wie man das typisch venezianische Fischerboot hier nennt, treibt mich die Geltungssucht eines Kindes, das gerade gelernt hat, Fahrrad zu fahren: Ich platze vor Stolz und vor Mitteilungsdrang. Nachdem ich mein Leben in Venedig bis vor Kurzem in dem würdelosen Zustand einer Fußgängerin verbringen musste, bin ich endlich in der venezianischen Evolutionsleiter aufgestiegen. Seit dem ersten Tag am Steuer meiner topetta ist mein Leben ein anderes: Ich muss nicht mehr permesso, permesso! flehen, um mir den Weg durch die millionste Reisegruppe zu bahnen; ich fahre an ihr vorbei.

Deshalb kann ich es kaum erwarten, Alberto sein Ciao amore schmettern zu hören, um mich als eine darzustellen, die sich am Steuerhebel ihres kleinen Fischerboots furchtlos nicht nur den Gezeiten und dem Wellengang entgegenwirft, sondern auch Autofähren, Vaporetti und Kreuzfahrtschiffen von der Größe eines Wohnblocks.

Wer wenn nicht Alberto könnte verstehen, dass ich zu meinem Boot eine Beziehung entwickelt habe wie Männer zu ihren Autos? Ich wienere daran herum, bis ich mich vor mir selbst erschrecke. Und fühle mich schuldig, wenn ich Venedig verlasse, und sei es nur für ein Wochenende: Wenn ich am Anleger stehe, auf das Vaporetto warte und mein Boot vor mir liegen sehe, allein, irgendwie im Stich gelassen, habe ich das Gefühl, als würde es mir einen traurigen Blick zuwerfen, so wie ein Hund, den man beim Dogsitter abliefert.

Alberto wäre auch der Einzige, der nachvollziehen könnte, wie ich mich neulich gefühlt habe, als ich aus der Lagune zurückkehrte und bei spiegelglatt daliegendem Wasser wie von unsichtbarer Hand gezogen kurz vor San Piero fast gegen die Mauer des Arsenale geknallt wäre, weil sich eine unheimliche Unterströmung meiner bemächtigt hatte. Er würde auch verstehen, dass ich unweit der Giardini versucht habe, um die Ecke zu biegen und gleichzeitig meiner Reinigungsfrau zuzuwinken, die auf dem Ufer neben dem Kanal vorbeilief. Woraufhin ich etwas unelegant an den im Kanal angelegten Booten entlanggeschrappt bin.

Normalerweise ist die Rollenverteilung zwischen Alberto und mir umgekehrt: Er ist es, der am Steuerhebel sitzt und mich mitnimmt. Alberto hat sein halbes Leben auf der Lagune verbracht, wo er sich ohne Kompass zurechtfindet, weil er die Richtung aus den Wellen und dem Wind liest. Je nachdem, ob die Wellen kurz und gerollt oder lang und gerade sind, ob er den Wind hinter den Ohren hat oder ob er ihm vor der Stirn steht, weiß Alberto, ob es die Bora aus Nordosten ist oder der Garbin aus Südwesten, der den Nebel bringt.

Ich lerne Alberto an einem Tag kennen, an dem ich mit einem Fotografen durch Venedig laufe, den ich nicht leiden kann. Als wir San Piero betreten, bleibe ich wie erstarrt stehen: Im Schatten vor dem Campanile sitzt ein Mann und flickt seine Netze. Ich traue meinen Augen nicht und denke: Das kann nicht wahr sein. Die Lagune ist doch nur eine Dekoration, hier fischt doch keiner mehr in echt. Die Fische kommen aus dem Atlantik und vom Fischmarkt in Chioggia.

Das Stühlchen, auf dem der Mann sitzt, verschwindet fast komplett unter seinen Hinterbacken, sein Netz hat er wie einen glitzernden Umhang auf einen vor ihm stehenden Stuhl drapiert. Neben ihm ein verrosteter, vom Salzwasser verkrusteter Einkaufswagen und ein Gettoblaster, aus dem Opernarien ertönen.

Ich blicke zu dem Fotografen, er macht sich mit einem Wildledertuch an seinen Linsen zu schaffen und sieht nichts.

Als ich mich nähere, fragt der Mann: Wie heißt du?, so wie Kinder, wenn sie sich kennenlernen.

Mi chiamo Alberto, sagt er, reicht mir die Hand, ruft: Manon!, deutet auf den Gettoblaster und sagt: Manon von Massenet! Nicht zu verwechseln mit Manon Lescaut von Puccini! Und dann singt er mit, auf Französisch, und der Campanile zittert ein bisschen, weil sein Gesang so gewaltig ist wie seine Hinterbacken.

Ich singe nur lyrischen Tenor!, sagt Alberto und gibt noch etwas Donizetti als Zugabe, bevor er sein Stühlchen und das Netz auf dem Einkaufswagen verkeilt und zurück nach Hause schiebt, während ich mich mit dem Fotografen zanke, weil er Alberto übersehen hat.

Alberto ist tatsächlich einer der letzten Fischer Venedigs. Er lebt mit seiner Frau in einem Kloster aus dem 15. Jahrhundert. Es wurde unter Napoleon in eine Kaserne verwandelt, an die militärische Vergangenheit erinnert noch eine verblasste faschistische Inschrift über dem Klostergang: Credere, obbedire, combattere – Glauben, gehorchen, kämpfen.

Nach den Faschisten kam die englische Kavallerie, danach kamen die Flüchtlinge aus Istrien und schließlich Alberto und seine Frau: Ihre Wohnung besteht im Wesentlichen aus einem langen, schmalen Flur mit winzigen Zimmern, ehemalige Mönchszellen, aus denen die Wände herausgebrochen wurden. Zwanzig Familien wohnen hier, aber es ist so, als würde nur Alberto in diesem Kloster leben. Im Refektorium hat er seine Netze und Reusen und Bojen gelagert, ein Horror Vacui aus aufgerollten Trossen und Schleppleinen, aus bunten Schnüren, Ankern und algengrünen Fischernetzen, aus Korkschwimmern und verrosteten Netzgewichten – im Klosterkapitel liegen Teile seines alten Fischerboots: ein Lagerraum, der jederzeit als Installation der Biennale durchgehen könnte.

Dass sich seine Sozialwohnung in einem entweihten venezianischen Kloster befindet, betrachtet Alberto einerseits als Fügung, andererseits als himmlische Hinterhältigkeit, weil es ihn an einen schweren Schicksalsschlag erinnert: Nach dem Tod seines Vaters entschied sich Albertos Mutter für die radikale Hinwendung zu Gott und trat in ein Klausurkloster ein. Erst zwanzig Jahre nach ihrem Klostereintritt durfte Alberto sie zum ersten Mal besuchen. Er weinte, weil er sie nicht umarmen durfte und auch ihr Gesicht nicht sah, weil sie hinter den Gittern des Besuchszimmers saß. Sie war nicht mehr seine Mutter, sie hieß jetzt Suor Camilla. Wenn er darüber spricht, weint er noch heute.

Ja, alles etwas hinfällig hier, sagt Alberto immer, meine Kinder wollen in solchen Wohnungen nicht mehr leben, meine Tochter ist nach Mestre gezogen und mein Sohn auf den Lido. Sie wollen modern sein, mit dem Auto vor der Haustür.

Für Alberto und mich ist unsere Begegnung im Schatten des Campanile der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Mit ihm lerne ich die Lagune kennen, er sitzt am Heck seines Boots, gewaltig und tätowiert, und schreit gegen den Wind und die Wellen an. Und lobt mich mit einem Brava!, wenn ich die Inseln schon von Weitem an ihrer Form erkenne. Wenn Sardinenschwärme silbrig glitzernd aus dem Wasser springen, ruft er: Das hier ist der Bauch von Venedig!, und wenn Motorboote in James-Bond-Manier an uns vorbeirasen und ihre gewaltigen Bugwellen sein Boot fast zum Kentern bringen, brüllt Alberto ihnen nach: Geld, Geld, Geld!, weil die Inseln der venezianischen Lagune inzwischen auch zu Spekulationsobjekten verkommen sind.

Dank Alberto weiß ich, dass die Seebarsche zum überwintern an die kroatische Küste wandern, weil die Lagune dann zu kalt ist. Dank ihm weiß ich, dass auf Sant’Erasmo früher vor allem die Glasbläser von Murano wohnten, die sich auf ihren Artischockenfeldern von der Arbeit in dem Höllenschlund erholten: Männer, die es immer in den Knien hatten, so wie sein Freund Renato, zwischen dessen Gemüsefeldern wir uns von den Mücken zerstechen lassen und Prosecco trinken. Prosecco, der leicht nach Salz schmeckt, wie alles, das auf Sant’Erasmo angebaut wird.

Dank Alberto weiß ich, dass es auf der Insel Vignole früher eine vollbusige Wirtin gab, die ihrem Mann unendlich viele Hörner aufgesetzt hat. Mit Alberto stolpere ich auf Certosa zwischen Ziegen, Verschanzungen und Mordgruben durch die kriegerische Vergangenheit der Insel, mit Alberto fahre ich auf Inseln für Pestkranke, für Seeleute mit Syphilis und für Verrückte und weiß, dass in seiner breiten Brust ein sentimentales Herz schlägt.

Alberto wäre gerne lyrischer Tenor geworden, wenn ihn seine Gesangslehrerin auf der Giudecca nicht nach der ersten Stunde wieder hinausgeworfen hätte. Er ist ein Mann, der den Barockkomponisten Albinoni verehrt, wegen der Melancholie, des größten aller Gefühle, wie er meint. Denn ungeachtet seiner Statur ist Alberto ein sensibler Mensch, der das Meer und Kafka liebt und Sätze sagt wie: Seitdem ich Der Prozess gelesen habe, fehlt mir in der Literatur das Salz. Gegen Kafka sind alle anderen Schriftsteller wie tiefgekühlter Fisch!

Alberto, der es gewohnt ist, gegen das Meer anzubrüllen, singt im Boot auch schon mal die Kriegshymne von San Marco: Le glorie del nostro leon – am liebsten, wenn wir durch den Kanal neben dem Arsenale fahren, wo es schön hallt, wenn sein Gesang gegen die Mauer fällt.

Alberto singt auch auf Festen, nie aber bei Gondelserenaden: Serenadensänger sind wie Nutten, sagt er. Je früher du sie aus der Gondel wirfst, desto besser.

Er hat auch auf meinen Geburtstagsfesten gesungen und bei unserer...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
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ISBN-10 3-426-46100-5 / 3426461005
ISBN-13 978-3-426-46100-6 / 9783426461006
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