Stoppt Barbarossa! -  Geert Franzenburg

Stoppt Barbarossa! (eBook)

Religionspsychologisches Arbeitsbuch zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
92 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-0840-8 (ISBN)
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80 Jahre nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, wird das Geschehen um den 22. Juni 1941 herum religionspsychologisch anhand der verwendeten Mythen, anhand von Augenzeugenberichten und der Erinnerungskultur nach 1945 beleiuchtet und für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen aufbereitet. Durch die Analyse damaliger Deutungs- und Handlungsmuster lassen sich Konsequenzen für moderne Mythologisierungen mit Gewaltpotenzial ziehen.

Dr. Geert Franzenburg (geb. 1962) befasst sich seit vielen Jahren als Historiker, Religionspsychologe und Pädagoge mit dem Verhältnis von Erinnerung, Resilienz und Versöhnung.

2. Teil: Der Überfall im Zeitzeugenbericht


Vorbemerkungen

Um das Phänomen „Unternehmen Barbarossa zu erschließen, bietet sich neben der „Entmythologisierung“ der stattgefundenen Mythenbildung die biografische Methode an, bei der nach Möglichkeit sich ergänzende Berichte über die gleichen Ereignisse miteinander verglichen aber auch in ihrem Selbstwert gewürdigt werden. Im vorliegenden Fall sind es die Berichte von Sommer und von Goebbels auf der deutschen Seite; aus russischer Sicht existieren zwei identische Fassungen des Berichts von Bereschkow In beiden Fällen wird über den 22. Juni 1941, also die Stunden vor und nach dem Überfall berichtet

Zunnächst die beiden deutschen Berichte (Anhang 17 und 18)


Sommer beschreibt die Szene aus doppelter Perspektive: als Dolmetscher, der professionell zu funktionieren hat, und zugleich als Privatmensch, der durch die Ereignisse emotional betroffen ist.  (Anhang 17)

Zur ersten Kategorie gehört das Telefonat mit seinem Vorgesetzten; der Hinweis auf einen Dienstwagen mit Chauffeur belegt seinen besonderen Status, vor allem als Neuling. Dass auch in Behörden militärische Kleidung (mit Koppel) getragen wurde, unterstreicht die Durchmilitarisierung des NS-Staates. Darüber hinaus zeigt er sich als genauer empathischer Wahrnehmer, der aus den Äußerungen seines Vorgesetzten den Subtext heraushört, und das Vibrieren in der Stimme seines erschrockenen russischen Kollegen und seine kopfkratzende Ratlosigkeit sowie die Nervosität des sowjetischen Botschafters sowie die Kaltblütigkeit von Ribbentrop registriert. Sommer erweist sich zudem als professioneller Pragmatiker, dem Kola und Kaffee zur Leistungsbereitschaft ausreichen


Zur zweiten Kategorie gehört der Besuch am Vorabend, bei dem die gemeinsamen Bedenken angesichts des bevorstehenden Angriffs geteilt wurden. Auch die gemeinsame Vorliebe für Stefan George gehört hierhin. Ebenso zeigt der kurze Dialog mit seiner Mutter mitten in der Nacht den Familienmenschen, um den seine Mutter besorgt ist. Seine Hinweise auf Kindheit und Jugend in Moskau, wo der Vater Opfer der stalinistischen Säuberungen wurde, zeigt ihn als Halbwaisen, dem man allerdings eine antibolschewistische Haltung nicht anmerkt; vielmehr sorgt er sich um die Millionen Opfern auch unter der sowjetischen Zivilbevölkerung und die Zerstörung von Kulturgut auch dort, was zudem seine kulturelle Prägung verrät.. Dass seine Mutter ihn segnet, lässt christliche Sozialisation vermuten, ihre offene Sorge vor einem langen Krieg eine regimekritische Sozialisation des Sohnes, zu der auch Geschichtsbewusstsein und politsches Bewusstsein gehörte; daher gibt es für ihn keinen „gerechten Krieg“. Daher ist er auch in der Lage, die Inszenierung des Memorandums zu durchschauen, das wie eine Gratulationscour wirken sollte, aber für ihn das Schicksal von Millionen Kriegsopfern besiegelte. Auch wenn diese Äußerungen im Rückblick und im Wissen um die Folgen – auch für die Beteiligten – aufgeschrieben wurden, lassen sie Rückschlüsse auf seine Grundhaltung zu, die sich auch in der Ironisierung der NS Propaganda vom „Triumph des Willens“ zeigt. Sommers Rhetorik und die literarischen Zitate zeigen, wie sehr er dem Theater verbunden ist und daher das Geschehen als Tragödie weltgeschichtlichen Ausmaßes charakterisiert, in der er eine Unheil verkündende Heroldrolle als die eines namenlosen Schicksalsboten zu übernehmen hat, ohne den Inhalt der noch versiegelten Botschaft zu verkünden.

Dass er Goebbels Litfassäulenplakat das über Theateranzeigen darübergeklebt war und das das gesamte Großdeutsche Reich als ein Wurmfortsatz Asiens erscheinen ließ, zum einen von Passanten sorgenvoll kommentieren lässt, zum anderen selbst mit indirekt einer Fabel (Mops bellt einen Elephanten an) und mit der unbewussten Reaktion (Umklammerung des Ehrendolches) kommentiert, verbindet beide Bereiche miteiander, den privaten Regimekritiker und den professionellen Diplomaten.


Bericht Goebbels (Anhang 18)

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch bei den Tagebuchaufzeichnungen von Goebbels machen; das betrifft vor allem den hierarchischen Blickwinkel

Auf der einen Seite wird der Zeitpunkt der Proklamation des Angriffs zwischen dem Führer und ihm festgelegt werden – auf der anderen Seite betont er seinen Mitarbeiterstab, dem er allerdings erst im letzten Moment die Wahrheit über den Angriff verkündet, obwohl die Vorbereitungen seit Juli 1940 liefen; Auf der einen Seite bewundert er Hitler für seine Tatkraft – auf der anderen Seite analysiert er ihn (tatkräftig trotz Übermüdung – wie immer nach Entscheidung vom Albdruck befreit) und macht ihm redaktionelle Vorschläge. Das Privileg, lange mit dem Führer allein zu schweigen und ihm dabei tief ins Innere zu schauen, ist Goebbels offenkundig wichtig; die beiden waren sich auch rhetorisch sehr nahe, Ähnlich wie Hitler bezeichnet auch Goebbels den Bolschewismus als Krebsgeschwür, das ausgebrannt werden müsse – vielleicht im Zusammenhang mit beider Interesse für die Krebsforschung; außerdem teilt er Hitlers Wut über den „Verrat“ von Hess, der sich nach England abgesetzt hatte, um auf eigene Faust über Frieden zu verhandeln.

Aus religionspsychologischer Sicht ist zudem interessant dass beide, Hitler und Goebbels, in dieser Situation Gott um seinen Segen für die deutschen Waffen bitten. Zu dieser religiösen Füllung des Geschehens gehört auch, dass die Verlesung der Proklamation für ihn ein feierlicher Augenblist, ist, in dem er den Atem der Geschichte wahrnehmen kann und ein neues Reich geboren wird, was ihn Freiheit erleben lässt. Wichtig erscheint auch, dass die Bezüge auf Napoeon bei Molotov und Churchill ihn zum Nachdenken bringen. Am wichtigsten ist ihm, im Volk Begeisterung und Stolz für den Feldzug zu wecken, indem er ein spezielles Russlandlied kreieren lässt.



Bericht Bereschkow (Anhang 19)
Bereschkow bestätigt, dass Moskau auch von Berlin aus Informationen über Hitlers Vorbereitungen seit April 1941 erhielt. Noch am Vorabend soote der deutschen Regierung eine Erklärung zu übermitteln, in der man eine Beratung über den Stand der sowjetisch-deutschen Beziehungen vorsclilug.

Die sowjetische Regierung gab der deutschen zu verstehen, dass ihr die Konzen1ration der deutschen Truppen an der sowjetischen Grenze bekannt sei und dass in Kriegsabenteuer gefährliche Folgen haben könne. Doch der Inhalt dieser Depesche besagte noch etwas anderes: In Moskau hoffte man immer noch, den Konflikt verhüten zu können, und ·war bereit, Verhandlungen über die entstandclene Situation zu führen. Er, Bereschkow sollte mit Ribbentrop verhandeln, aber es gelang ihm nicht. Beunruhigt war er zudem durch Artikel von Otto Dietrichs, des Pressechefs der deutschen Reigerung im Völkischen Beobachter, in denen er vor einer drohenden Gefahr aus der Sowjetunion warnte, die gebannt werden müsse, bevor das 1000jährige Reich errichtet werden könne. Auch in Moskau zeigte sich der Deutsche Botschafter Schulenburg zugeknöpft. Erst am frühen Morgen des 22. Juni bekam er Kontakt zu Ribbentrop, der ihn unverzüglich zu sich bat und dafür auch einen Wagen sandte. Ein Angehöriger der Totenkopf-Division sowie ein Beamter der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes warteten auf sie. Bereschkow schildert die Fahrt: "Er riss mit betonter Höflichkeit den Wagenschlag vor uns auf. Der Botschafter und ich -als Übersetzer -nahmen auf den Rücksitzen Platz, der Beamte setzte sich auf den Notsitz. Der Wagen jagte durch die menschenleere Straße. Rechts blieb das Brandenburger Tor zurück. Dahinter färbte die aufgehende Sonne bereits das frische Grün des Tiergartens rötlich . Alles kündigte einen klaren, sonnigen Tag an." Sie wurden von zahlreichen Reportern empfangen und zu Ribbentrop begeleitet; dessen rotes aufgedunsenes Gesicht ließ Bereschkow vermuten, Ribbentrop habe getrunken. Statt die sowjetische Anfrage anzuhören, verkündete Ribbentrop nur die deutsche Proklamation, in der er auf zahlreiche Grenzverletzungen der Gegenseite hinwies, während die Sowjets vom Gegenteil überzeugt waren. Daher, so Ribbentrop, sei Deutschland zu Verteidigungsmaßnahmen gezwungen, die er hiermit öffentlich bekannt mache. In dem Augenblick, so Bereschkow, war klar, dass bereits an der Grenze geschossen wurde.

Dem Botschafter blieb nichts als zu betonen, dass Deutschland diese Aggression büßen werde. Da ereignete sich etwas überraschendes. Ribbentrop hastete uns nach. Er flüsterte uns zu, dass er persönlich gegen diesen Entschluß des „Führers" gewesen sei. Er habe sogar versucht, Hitler den Überfall auf die Sowjetunion auszureden. Er, Ribbentrop, halte das für Wahnsinn. Aber er habe nichts ausrichten können. Hitler hätte diesen Entschluß gefaßt, er wollte auf niemanden hören. „Richten Sie in Moskau aus, dass ich gegen den Überfall gewesen bin", waren die letzten Worte, die wir vernahmen, als wir auf den Korridor hinaustraten.

Bereschkow kommentiert im Rückblick die Szene: Damals konnten. wir keine Antwort auf diese Frage finden. Jetzt aber bin ich, wenn ich an das alles zurückdenke, zu der Annahme geneigt, Ribbentrop hat in diesem verhängnisvollen Augenblick, da er einen Beschluß, der letztlich zum Untergang des Hitlerreiches führte, offiziell bekanntgab, möglicherweise eine düstere Vorahnung gehabt. War das etwa auch der Grund, weshalb er damals einen Schluck zuviel aus der Flasche genommen hatte? Inzwischen hatte die SS die sowjetische Botschaft umstellt und alle Außenkontakte zerstört.

Die sowjetischen Sender brachten zuerst Morgengymnastik, dann einen Pionierappell und schließlich die letzten Nachrichten, die wie üblich mit Mcldun •cn über die Ernte und die Leistungen...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7534-0840-9 / 3753408409
ISBN-13 978-3-7534-0840-8 / 9783753408408
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