Wer hat Angst vorm Feminismus (eBook)
192 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-77077-7 (ISBN)
Offener Frauenhass ist in unserer Gesellschaft mittlerweile weitgehend geächtet. Aber auch nach über fünfzehn Jahren mit einer Frau an der Regierungsspitze sind wir noch längst nicht in der Gleichberechtigung angekommen. Im Gegenteil: Weiterhin strukturiert Sexismus geschlechtsspezifische Alltagserfahrungen, bis hinein in unsere Intimbeziehungen, wo die Grenzen zwischen Lust und sexueller Gewalt schnell verschwimmen.
Die Philosophin und Schriftstellerin Hilkje Hänel deckt die Mechanismen sexueller Objektifizierung und männlichen Anspruchsdenkens auf. Sie zeigt, wie Frauen oft in die sexistischen Alltagsstrukturen verstrickt sind, an denen auch viele Männer leiden. Ihr zugängliches Buch ist das Plädoyer für einen Feminismus, von dem alle etwas haben.
Hilkje Hänel ist feministische Philosophin und Schriftstellerin.
Vorwort
«I embrace the label of bad feminist because I am human. I am messy. I’m not trying to be an example. I am not trying to be perfect. I am not trying to say I have all the answers.»[1]
Roxane Gay
Als ich jünger war, dachte ich, Frauen seien die besseren Menschen; Frauen seien einfühlsamer, schlauer und eigentlich auch stärker – schließlich überstehen Frauen Geburten, wohingegen Männer schon beim Durchtrennen der Nabelschnur fast in Ohnmacht fallen. Eigentlich war es also ganz einfach: Mit Frauen an der Macht wäre alles besser. Dann wurde ich ein bisschen älter und hing lieber mit Jungs rum. Die waren nicht unbedingt besser, aber auch nicht schlechter. Und irgendwie cooler. Dann wurde ich noch ein bisschen älter und plötzlich waren (zumindest ein paar wenige) Frauen an der Macht, aber die gesellschaftlichen Zustände wurden trotzdem nicht wirklich besser. Außerdem stellte ich fest, dass es gar nicht so sehr um Frauen und Männer geht. Oder darum, wer nun die besseren Menschen sind. Sondern um das große Ganze. Um die Regieanweisung im Hintergrund, die festlegt, welche Rollen wir in welchem Stück spielen. Ich stellte fest, dass es noch viel mehr gibt als nur Frauen und Männer. Oder andersherum: dass es Frauen und Männer so eigentlich gar nicht gibt. Dass wir alle nur so tun. Wir spielen unsere angedachten Rollen in einem Stück.
Darum geht es in diesem Buch: Es geht um die Regieanweisung für die Darsteller*innen und das Bühnenbild, in dem sie agieren. Diese Regieanweisung ist nichts anderes als die sexistische Ideologie, in der wir leben. Wir werden feststellen, dass wir alle durch diese Ideologie – in unseren Erfahrungen, unseren Möglichkeiten, unseren Interessen – eingeschränkt sind. Was wir wie denken und tun, hat damit zu tun, welche soziale Rolle wir spielen und welcher Platz uns im Machtgefüge zugeschrieben ist. Je mehr Macht, desto mehr Möglichkeiten haben wir. Je weniger Macht, desto weniger Möglichkeiten. Aber, und das ist wichtig, auch mit ganz viel Macht stehen uns noch lange nicht alle Möglichkeiten offen. Wir werden auch feststellen, dass die sozialen Rollen und die Plätze, die wir im Machtgefüge einnehmen können, viel damit zu tun haben, welches Geschlecht wir haben und/oder welches Geschlecht uns andere zuschreiben. Das liegt an der Regieanweisung, daran, dass wir uns in einer sexistischen Ideologie bewegen – egal ob wir das wollen oder nicht. Und nach dieser Regieanweisung sind Frauen unterdrückt und Männer haben die Macht.
Wir werden lernen: Sexismus ist strukturell und kriecht wie kalter Zigarettenrauch in unsere Wohnung, unser Bett, unsere Beziehungen. Sexismus kann nicht einfach vor der Wohnungstür abgestreift und auf dem Fußabtreter liegen gelassen werden. Oder mit dem Regenschirm neben dem Eingang zum Trocknen in die Ecke gestellt werden. Sexismus hängt an uns dran. In unseren Klamotten, unseren Haaren, unter den Fingernägeln, in jeder Pore und jeder Faser. Aber wir werden auch sehen: Feminismus ist eine Alternative zu der ganzen sexistischen Kackscheiße (Achtung: feministischer Slang!), mit der wir täglich konfrontiert werden. Feminismus eröffnet uns neue und vor allem mehr Möglichkeiten! Und um Feminismus geht es in diesem Buch.
Sojourner Truth wurde um 1797 in New York in die Sklaverei hineingeboren. Truth wurde später Frauenrechtlerin und Abolitionistin und kämpfte gegen schwarze Männer, die Frauen kein Wahlrecht einräumen wollten. Und gegen weiße Frauen, die ehemaligen Sklavinnen kein Wahlrecht geben wollten. Sojourner Truth lebte das, was später als intersektionaler Feminismus bekannt wurde. Auf einer Tagung für Frauenrechte in Ohio im Jahr 1851 hielt sie die mittlerweile weltbekannte Rede «Ain’t I a woman?»[2] und forderte einen Feminismus für (ehemals) versklavte Frauen.
Clara Zetkin wurde 1857 in Wiederau bei Rochlitz geboren. Im Jahr 1900 beschwerte sich Zetkin auf der sozialdemokratischen Reichsfrauenkonferenz über die Bevormundung durch männliche Genossen. Gleichberechtigung, so Zetkin, ende nicht mit dem Frauenwahlrecht. Das Frauenwahlrecht ändere nichts an der ökonomischen Unfreiheit der Frauen im kapitalistischen System, es ändere nichts an den vorherrschenden Klassenunterschieden und der ungleichen Verteilung von Rechten und Ressourcen. Zetkin forderte die Möglichkeit der Beteiligung an gewerkschaftlichen Organisationen auch für Arbeiterinnen, die vom bürgerlichen Feminismus viel zu oft vergessen wurden.
Emmeline Pankhurst lebte von 1858 bis 1928 in England. Sie war politische Aktivistin und ging als eine der bedeutendsten Suffragetten in die Geschichte ein. Es ist ihr und anderen militanten Frauen zu verdanken, dass Frauen das Wahlrecht erhielten.
Hedwig Dohm, geboren 1831 in Berlin, war deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Sie war eine der ersten Feministinnen, die darauf hinwies, dass geschlechtsspezifische Verhaltensweisen auf kulturelle Prägung und nicht auf biologische Gegebenheiten zurückzuführen sind.
Simone de Beauvoir wurde 1908 in Paris geboren. De Beauvoir war Philosophin und Schriftstellerin. Sie schrieb 1949 Das andere Geschlecht, ein Buch, das den Feminismus bis heute prägt.[3] Sie analysierte die Frau als «die Andere», zeigte deren Verstrickung in der eigenen Unterdrückung, dekonstruierte biologische Annahmen und den Abdruck der Machtverhältnisse in unserer Sprache.
Audre Lorde wurde 1934 in New York City geboren. «Schwarz, lesbisch, Feministin, Mutter, Kämpferin, Dichterin» – so hat sich Lorde selbst beschrieben. Sie gilt als eine der wichtigsten Figuren der afroamerikanischen und, nach ihrer Zeit als Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin von 1984 bis 1992, auch der afrodeutschen Frauenbewegung und verkörperte schwarzen Feminismus in allen Bereichen ihres Lebens.
Was sagen uns die Biografien dieser Frauen? Dass Frauen schon immer gekämpft haben und schon immer kämpfen mussten? Aber auch: Dass Feminismus vielfältig ist. Dass es nicht den einen Feminismus gibt. Dass immer wieder Frauen vergessen wurden. Dass immer wieder Personen übergangen wurden. Dass bestimmte Erfahrungen und Interessen über die Erfahrungen und Interessen anderer gestellt wurden. Dass manche mehr kämpfen mussten als andere. Dass manche Kämpfe gefährlicher waren. Dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Und auch darum geht es in diesem Buch. Darum, was es bedeutet, Frau zu sein. Und welchen Feminismus wir eigentlich brauchen.
Trinh Thi Minh Hà wurde 1952 in Hanoi geboren. Minh Hà ist Komponistin, Filmemacherin und lehrt Gender Studies an der Universität von Berkeley, Kalifornien. Sie untersucht die Auswirkung unserer Herrschaftsverhältnisse auf Kultur, Gesellschaft und Wissen. Und fordert die Durchbrechung der westlich-männlichen Kultur- und Identitätsverständnisse.
Kimberlé Crenshaw wurde 1959 in Ohio, USA, geboren. Crenshaw ist Juristin und Professorin und gilt als Begründerin des intersektionalen Feminismus. Crenshaw fordert nichts weniger als ein Umdenken von Feminismus und eine rechtliche Anerkennung intersektionaler Diskriminierung, damit der überwiegend weiße Feminismus eben nicht mehr so viele Frauen vergisst und nicht mehr ausblenden kann, dass Sexismus nicht die einzige Diskriminierungserfahrung ist, die Frauen machen.
1968 warf Helke Sander, Sprecherin des Aktionsrats zur Befreiung der Frau, auf dem Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) den Männern vor, in ihrer Gesellschaftskritik die Unterdrückung von Frauen zu vergessen. Sigrid Damm-Rüger unterstrich die Kritik und schmiss Tomaten in Richtung der führenden SDS-Männer. Der Aktionsrat zur Befreiung der Frau forderte eine feministische Debatte über die Ausbeutungsverhältnisse von Frauen sowie praktische Lösungen zur Kinderbetreuung, um mehr Frauen ein Hochschulstudium zu ermöglichen. Der Tomatenwurf wurde in Deutschland zum Startsignal der zweiten Welle des Feminismus.
Demet Demir wurde 1961 in der Türkei geboren. Demir kämpft auf der Straße und vor Gericht für die Rechte von Sexarbeiter*innen, trans Personen und queeren Aktivist*innen. Sie riskiert ihr Leben, um die Welt für die, die immer noch viel zu wenig Hilfe bekommen, ein bisschen besser zu machen.
Marielle Franco wurde 1979 in Brasilien geboren. Sie war schwarz, queer und Politikerin. Sie wuchs in den Favelas auf und kämpfte für die Rechte von Frauen und trans Frauen – ein Kampf, der sie das...
Erscheint lt. Verlag | 18.3.2021 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback | Beck Paperback |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Alltag • Feminismus • Frauen • Gender • Gesellschaft • Gewalt • Intimbeziehung • Lust • Männer • #metoo • metoo • Objektifizierung • Plädoyer • Sachbuch • Sex • Sexismus |
ISBN-10 | 3-406-77077-0 / 3406770770 |
ISBN-13 | 978-3-406-77077-7 / 9783406770777 |
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