Nachhaltigkeit (eBook)

3., aktualisierte und erweiterte Auflage
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2022 | 3. Auflage
400 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44705-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nachhaltigkeit -  Armin Grunwald,  Jürgen Kopfmüller
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Nachhaltige Entwicklung ist zu einem verankerten Leitbild in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit geworden, welches die Diskussionen über die künftige Entwicklung der Menschheit bestimmt. Es geht im Kern um die Suche nach einem gerechten Zivilisations- und Wirtschaftsmodell, das der Verantwortung gegenüber allen heute und künftig lebenden Menschen gerecht wird, das mit der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen verträglich ist und das gleichzeitig Entwicklungsperspektiven offenhält. Das Buch gibt einen umfassenden und systematischen Überblick über die Hintergründe des Leitbilds »Nachhaltigkeit«, über aktuelle Konzepte zu seiner Definition, Messung und Realisierung sowie über politische und gesellschaftliche Strategien auf institutionellen Ebenen.

Prof. Dr. Armin Grunwald ist Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Jürgen Kopfmüller, Dipl.-Volksw., ist dort Koordinator der Querschnittsaktivität »Nachhaltige Entwicklung«.

Prof. Dr. Armin Grunwald ist Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Jürgen Kopfmüller, Dipl.-Volksw., ist dort Koordinator der Querschnittsaktivität »Nachhaltige Entwicklung«.

2.Entstehungsgeschichte und wesentliche Meilensteine


Die Geschichte des Begriffs nachhaltige Entwicklung kann bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden (2.1). In den 1970er Jahren setzten, teils in dieser Tradition, internationale und themenübergreifende Debatten über Umwelt und Entwicklung ein (2.2). Als das »Geburtsjahr« nachhaltiger Entwicklung im heutigen Verständnis gilt das Jahr 1987 mit der Veröffentlichung des Berichts der Kommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (Brundtland-Bericht), in dem die wesentlichen und bis heute anerkannten Definitionen und ethischen Anforderungen formuliert wurden (2.3). Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 (»Erdgipfel«), der bis heute weitere vergleichbare Konferenzen gefolgt sind, stellt den wichtigsten Meilenstein der politischen Verankerung des Nachhaltigkeitsleitbilds dar (2.4). Zentrales Ereignis der letzten Zeit war die Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (2.5).

2.1Ursprünge des Leitbilds nachhaltiger Entwicklung


Der Begriff Nachhaltigkeit tauchte erstmals Anfang des 18. Jahrhunderts in der Forstwirtschaft unter der Zielsetzung auf, ökonomische Erwägungen mit dem Faktor Natur in Einklang zu bringen (Grober 2013). Vielfach wird die Abhandlung »Sylvicultura Oeconomica« des sächsischen Oberberghauptmanns von Carlowitz aus dem Jahr 1713 als erstmalige Erwähnung genannt. Landwirtschaftliche Aktivitäten, Schiffbau sowie zunehmender Holzbedarf in Berg- und Hüttenwerken hatten in vielen Regionen zu einer Übernutzung der Wälder geführt. Angesichts der knapper werdenden Holzbestände wurde unter nachhaltiger Forstwirtschaft eine Bewirtschaftungsweise verstanden, die auf einen möglichst hohen, gleichzeitig aber dauerhaften Holzertrag der Wälder abzielte: Es sollte pro Jahr nicht mehr Holz geschlagen werden als nachwächst. Mit anderen, ökonomischen Worten bedeutet das: man soll von den Zinsen des Kapitals leben und nicht das Kapital selbst verbrauchen. Dieses ressourcenökonomische forstwirtschaftliche Prinzip kombiniert das ökonomische Ziel der maximal möglichen dauerhaften Nutzung des Waldes mit dem Erhalt der ökologischen Bedingungen seines Nachwachsens und wurde ein Vorbild für spätere Nachhaltigkeitsüberlegungen. Mit dem Konzept des maximum sustainable yield fand der Nachhaltigkeitsbegriff Anfang des 20. Jahrhunderts auch Eingang in die Fischereiwirtschaft: Das Ausmaß des Fischfangs sollte sich an der Reproduktionsfähigkeit der Fischbestände orientieren, um maximale Erträge dauerhaft erzielen zu können (Maunder 2002).

In wissenschaftlichen Ansätzen haben Überlegungen zur Beständigkeit, zur Stabilität und zu Belastungsgrenzen von Wirtschaft und Gesellschaft eine gewisse Tradition, insbesondere seit der Industriellen Revolution. In den Anfängen der Wirtschaftswissenschaften wurde dem Faktor Natur, z. B. dem Boden als Grundlage der Ernährung, eine hohe Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung beigemessen. So war John Stuart Mills (1806–1873) Idee einer »stationären« Wirtschaft bzw. Gesellschaft nicht ausschließlich von ethischen und Gerechtigkeitsaspekten, sondern auch von Überlegungen geprägt, die man heute mit dem Begriff der Ressourcenschonung beschreiben würde. Am bekanntesten wurden in diesem Kontext die Überlegungen von Robert Malthus zum Zusammenhang zwischen der Bevölkerungszahl und den zur Ernährung benötigten natürlichen Ressourcen. Malthus hatte vor dem Hintergrund des seit der Industriellen Revolution starken Bevölkerungswachstums in England ein Missverhältnis zwischen der verfügbaren Ressourcenmenge und der Bevölkerungszahl diagnostiziert. Als Folge prognostizierte er Hungersnöte, Epidemien und Kriege. Diese Arbeiten werden häufig als erste systematische Abhandlungen über die Wachstumsgrenzen in einer endlichen Welt und als eine frühe Quelle der Nachhaltigkeitsdebatte interpretiert.

In dem Maße jedoch, in dem fortschrittliche Methoden in Land- und Ernährungswirtschaft eine Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung ermöglichten und die Bevölkerungszahlen trotz steigender Konsummöglichkeiten nicht in dem vorhergesagten Maß stiegen oder konstant blieben, fand die pessimistische These von Malthus immer weniger Resonanz und galt schließlich als widerlegt. Weil der wissenschaftlich-technische Fortschritt ein unbegrenztes Wachstum zu erlauben schien, wurden natürliche Grenzen des Wachstums bis Mitte des 20. Jahrhunderts kaum thematisiert. In den Wirtschaftswissenschaften findet sich die oben genannte Idee des maximum sustainable yield erstmals in dem in den 1940er Jahren von John Hicks formulierten Einkommensbegriff (Klauer 1998): Danach ist das »Einkommen« der Teil der zur Verfügung stehenden Gütermenge, der verbraucht werden kann, ohne künftige Konsummöglichkeiten einzuschränken. Dieses Verständnis von Einkommen wurde beispielsweise bei der Berechnung des Volkseinkommens in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aufgegriffen und liegt auch dem Prinzip der »Abschreibung für Abnutzung« bei Sachgütern zugrunde. In der dominierenden neoklassischen Wirtschaftstheorie (Klepper 1999) blieb der Faktor Natur in der Analyse des Wirtschaftsprozesses allerdings weitgehend ausgeblendet oder wurde zumindest nicht seiner zentralen Funktion gemäß behandelt, insbesondere angesichts von Knappheiten und Begrenzungen (Rogall 2012, Daly 1999). Unter anderem deswegen war das Nachhaltigkeitsprinzip bis weit in das 20. Jahrhundert im Wesentlichen explizit auf die Forst- und Fischereiwirtschaft sowie implizit auf den steuerlichen Abschreibungsmechanismus begrenzt, während es auf alle anderen Bereiche des Wirtschaftens keinen nennenswerten Einfluss hatte.

2.2Internationale Debatten über Umwelt und Entwicklung


Die Abhängigkeit der Menschheit von den natürlichen Grundlagen der Erde wurde erst intensiv thematisiert, als der unbekümmerte Fortschrittsoptimismus gegen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre angesichts der negativen Folgen des technischen Fortschritts und der Produktions- und Lebensstile vor allem in den Industriestaaten infrage gestellt wurde. Die Wahrnehmung der natürlichen Umwelt änderte sich radikal: Einerseits erschien sie durch den Menschen und seine Technik und Wirtschaftsweise bedroht, zunächst häufig durch lokale Umweltverschmutzung, später auch in globaler Hinsicht. Andererseits wurde deutlich, dass gerade Technik und Wirtschaft auf eine hinreichend intakte natürliche Umwelt als Produktionsfaktor angewiesen sind. Die Erkenntnis, dass die menschliche Wirtschaftsweise die Grundlagen zu zerstören drohte, auf die sie angewiesen war, wirkte zum Teil wie ein Schock.

Wesentlich dazu beigetragen hat der Bericht »Die Grenzen des Wachstums« des Club of Rome (Meadows et al. 1973). Er kam zu dem Ergebnis, dass eine Fortschreibung der damals aktuellen Trends in Bevölkerungswachstum, Ressourcenausbeutung und Umweltverschmutzung im Laufe der nächsten hundert Jahre zu einem ökologischen Kollaps und in der Folge zu einem katastrophalen wirtschaftlichen Niedergang führen müsse. Verstärkt wurde die Wirkung des Berichts durch das – eher zufällige – zeitliche Zusammentreffen mit der ersten Ölkrise 1973. Obwohl der Bericht des Club of Rome konzeptionell und methodisch sehr angreifbar ist, bewirkte er entscheidend, dass intensiver über die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Produktions- und Lebensstilen, Wirtschaftswachstum und der Verfügbarkeit bzw. Endlichkeit von Ressourcen nachgedacht wurde. Auch der 1980 erschienene Bericht »Global 2 000« an den damaligen US-Präsidenten Carter (CEQ/U.S. State Department 1980) thematisierte die Ressourcen- und Bevölkerungsproblematik und ihre wechselseitige Verknüpfung und erlangte eine vergleichsweise große Aufmerksamkeit in der öffentlichen Debatte.

Die Zunahme von Umweltbelastungen, etwa durch Emission von Schadstoffen in die Luft und in Gewässer, trug parallel dazu bei, dass Umweltaspekten in Politik und Medien größeres Gewicht beigemessen wurde. So wurde 1972 in Stockholm auf der ersten großen Umweltkonferenz der UN das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environmental Programme, UNEP) gegründet. In der Folge wurden in zahlreichen Staaten eigenständige Umweltministerien geschaffen. Angesichts zunehmender Sensibilität für Umweltprobleme und erheblicher Schwierigkeiten bei ihrer Bewältigung wurde 1980 von der International Union for the Conservation of Nature (IUCN) in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen die »World Conservation Strategy« erarbeitet (IUCN et al. 1980). Hier taucht der Begriff des Sustainable Development erstmals in einem etwas größeren wissenschaftlichen und politischen Kontext auf....

Erscheint lt. Verlag 9.2.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Nachhaltige Entwicklung • Nachhaltigkeitskonzepte • Ökologie • Umwelt • Umweltschutz • Verantwortung
ISBN-10 3-593-44705-3 / 3593447053
ISBN-13 978-3-593-44705-6 / 9783593447056
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