Drachentanz (eBook)
320 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76451-6 (ISBN)
Chinas Aufstieg fasziniert die Welt - und lehrt sie das Fürchten. Unter Parteichef Xi Jinping erlebt das Land einen Rückfall in die Diktatur. Gleichzeitig dehnt es seinen globalen Einfluss immer weiter aus. Nicht nur in Amerika, auch in Europa wächst das Unbehagen an der neuen Weltmacht und an ihren Methoden. Droht ein neuer kalter Krieg oder sogar ein chinesischer Triumph über den Westen? Zeit-Korrespondent Matthias Naß gibt einen spannenden Einblick in das Land, das sich anschickt, zur Führungsmacht des 21. Jahrhunderts zu werden.
Pekings Machthaber perfektionieren die Überwachung ihrer Bevölkerung und errichten ein System aus Belohnungen und Strafen, mit dem sie regimekonformes Verhalten durchsetzen. Minderheiten wie die Uiguren werden brutal verfolgt und in Lagern «umerzogen». In Hongkong soll die Opposition zum Schweigen gebracht werden, während im südchinesischen Meer Chinas militärische Präsenz zielstrebig ausgebaut wird. Mit dem Riesenprojekt der «Neuen Seidenstraße» schafft China neue Abhängigkeiten im Mittleren Osten, Afrika und in Europa. Doch es gibt auch Probleme. Manches spricht dafür, dass China diesen Expansionskurs weder ökonomisch noch politisch auf Dauer durchhalten kann. Massive Umweltprobleme kommen hinzu. Und die Corona Krise hat vielen westlichen Ländern gezeigt, dass die Abhängigkeit von China ein kritisches Ausmaß erreicht hat. Matthias Naß kennt China so gut wie nur wenige andere und zieht in diesem Buch eine ebenso sachlich fundierte wie fesselnde Bilanz.
- Der Führungsanspruch Chinas im 21. Jahrhundert und was diese Entwicklung für uns bedeutet
- Klarer Blick auf die Widersprüche in der Politik der neuen Supermacht
- Erste Brückenköpfe der «Neuen Seidenstraße» auch in Europa
- Von einem der erfahrensten China-Korrespondenten
Matthias Naß ist internationaler Korrespondent der Wochenzeitung DIE ZEIT und hat bei C.H.Beck zuletzt das Buch "Countdown in Korea" (2017) veröffentlicht.<br>
Vorwort
Vierzig goldene Jahre? Das ist natürlich übertrieben. Aber für China waren die vier Jahrzehnte von 1979 bis 2019 eine gute Zeit. Sie dürften zu den besten in der chinesischen Geschichte gehören. Kein Umsturz, kein Bürgerkrieg, keine Hungersnot. Stattdessen ein wirtschaftlicher Aufschwung, wie ihn das Land nie zuvor gesehen hatte. Die Freiheitsräume im privaten Leben der Menschen wurden größer. Das Land befreite sich aus seiner selbstgewählten Isolation. Bewundernd blickte die Welt auf das Wiedererstarken einer großen, fünftausend Jahre alten Nation.
Mit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings Ende 1978 ließ China die wirren gesellschaftlichen Experimente Mao Zedongs hinter sich, deren leidvolle Folgen die Bürger der Volksrepublik im Elend des «Großen Sprungs nach vorn» und in den Gewaltexzessen der «Großen Proletarischen Kulturrevolution» ertragen mussten. Es kehrte Ruhe ein im Leben der Menschen. Die Kinder gingen wieder zur Schule. Die Bauern durften ihr eigenes Land bewirtschaften. Privateigentum wurde nicht mehr verteufelt. Im Gegenteil, es galt nun die Devise Deng Xiaopings: «Es ist ruhmvoll, reich zu werden.» Und viele Chinesen wurden reich, einige sogar sehr reich. Sie kauften sich Wohnungen in Singapur oder Vancouver, schickten ihre Töchter und Söhne auf teure amerikanische Universitäten. Von Venedig bis Paris, überall drängten sich jetzt chinesische Touristen.
Alles andere als goldene Jahre waren es für jene, die politisch anderer Meinung waren als die Machthaber. Sie wurden ausgespäht, verfolgt und mundtot gemacht. Dennoch meldeten sie sich immer wieder zu Wort: auf Wandzeitungen, in literarischen Zeitschriften, bei Demonstrationen. 1989 erfasste eine Demokratiebewegung das ganze Land. Die Menschen versammelten sich friedlich, bis die Armee den Protest in der Nacht zum 4. Juni am Pekinger Platz des Himmlischen Friedens mit einem Blutbad beendete. Ein Trauma, das bis heute nicht weicht.
Schon in den Jahren, die auf das Tiananmen-Massaker folgten, wurde die Überwachung der Bevölkerung immer ausgeklügelter. Die «große chinesische Firewall» schottete die Bürger vom freien Zugang zum Internet ab. Die Zensur erstickte jede Kritik am Regime. Zwischen der kleinen Freiheit im Privaten und der großen Freiheit in der Politik verlief eine tiefrote Linie. Nur sehr Mutige überschritten sie und zahlten dafür einen hohen Preis.
Und doch, das Leben der vielen, die sich von der Politik fernhielten, besserte sich. Dies war ja der Deal, den die Kommunistische Partei den Bürgern anbot: Haltet den Mund, dann lassen wir euch in Ruhe Geld verdienen. Eine stille Übereinkunft, auf die sich die meisten einließen. Kritik aus dem Ausland fand das Regime zwar lästig, maß ihr aber keine große Bedeutung zu. Die Wirtschaftsführer im Westen, die mit China Geschäfte machen wollten, schauten ohnehin nicht so genau hin. Kein Markt der Welt war verführerischer, alle wollten dabei sein. Den Diebstahl geistigen Eigentums, den erzwungenen Technologietransfer, die Joint Ventures wider Willen nahmen sie hin. Sie konnten es sich nicht leisten, die chinesische Bonanza zu verpassen.
Im vierten Jahrzehnt nach Beginn der Reformen kippte die Stimmung. Der Unmut wuchs über ein China, das die Chancen des liberalen Weltwirtschaftssystems nutzte, aber weiterhin nach den eigenen Regeln spielen wollte. Das sich weigerte, der erhoffte «responsible stakeholder» zu werden – ein verlässlicher und verantwortungsvoller Mitgestalter der internationalen Ordnung. Diese Kritik war in Europa genauso zu hören wie in Amerika. Aber es brauchte die Skrupellosigkeit eines Donald Trump, um China wegen seiner Regelverstöße gleich den Handelskrieg zu erklären. Mit dem Spürsinn eines Raubtiers sah er die Schwächen des Rivalen und trieb die Volksrepublik vor sich her. Trump drohte mit einer «Entkopplung» der beiden größten Volkswirtschaften der Welt und tat alles, um ein Vorzeigeunternehmen wie den Technologiekonzern Huawei in den Ruin zu treiben.
Die Europäer waren sich in ihrer Haltung der Volksrepublik gegenüber nicht einig, jedes Land trachtete nach dem eigenen Vorteil. Und die Führung in Peking tat das Ihre, um Europa zu spalten. Zugleich einte sie die Europäer mit ihrem Verhalten wieder. Bei einigen Regierungen waren es Pekings leere finanzielle Versprechen, die zu einem Umdenken führten, bei anderen die aggressiven Einkaufstouren chinesischer Investoren, bei fast allen die entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen. Dies alles summierte sich nach Jahren der China-Euphorie zu einer tiefen Desillusionierung.
Als Xi Jinping seine Ämter als Parteichef (2012) und als Staatspräsident (2013) antrat, galt er als Reformer. Welch ein Irrtum. Unter Xi legte Chinas Politik ideologisch den Rückwärtsgang ein. Die KP startete eine Kampagne gegen «westliche Werte», verschärfte noch einmal die Zensur, stärkte die Staatsbetriebe auf Kosten der Privatunternehmen, unterdrückte die muslimischen Minderheiten, setzte Hongkongs vertraglich zugesicherte Autonomie außer Kraft und drohte Taiwan mit gewaltsamer Wiedervereinigung.
Dann trat von Wuhan aus das Coronavirus seinen tödlichen Weg um die Welt an. Peking bekämpfte, nach anfänglichem Vertuschen, die Pandemie mit rücksichtsloser Härte – und war damit erfolgreich. Kaum war das Schlimmste überstanden, erklärte die Regierungspropaganda, der Sieg über das Virus beweise die Überlegenheit des chinesischen Systems. Nur wollte die Welt vom «Modell China» nichts wissen. Sie fühlte sich vielmehr abgestoßen vom herrischen Auftreten der chinesischen Diplomaten, die sich unter dem Beifall der chauvinistischen Presse daheim in «Wolfskrieger» verwandelt hatten.
Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sanken auf einen Tiefpunkt. Washingtons Außenminister rief den Westen zu einer «Allianz der Demokratien» gegen China auf. Daran mochte sich Europa nicht beteiligen. Überhaupt wollte es sich nicht in die Rivalität der beiden Giganten hineinziehen lassen. Von einer wirtschaftlichen «Entkopplung» hielten die Europäer auch nichts, es wuchs bei ihnen aber der Wunsch, sich aus der allzu großen Abhängigkeit von China zu lösen, nicht nur bei Schutzmasken und Medikamenten.
China wiederum schien den Streit regelrecht zu suchen. Ausgerechnet im Jahr der Coronakrise legte sich die Volksrepublik mit der halben Welt an. Die Führung in Peking erpresste Australien mit Embargodrohungen, nahm zwei kanadische Bürger in eine Art Geiselhaft, beschimpfte die Regierungen Schwedens, Tschechiens sowie Großbritanniens, lieferte sich zu allem Überfluss ein Grenzscharmützel mit Indien.
Und wunderte sich, als sich Widerstand regte. Australien, Indien, Japan und die Vereinigten Staaten intensivierten ihre Kooperation in der «Quad», jenem lockeren Verbund, der vor allem eines verhindern will: eine Vorherrschaft Chinas im Indo-Pazifischen Raum. Japan überlegte, ob es den «Five Eyes» beitreten sollte, jenem Zusammenschluss fünf angelsächsischer Länder (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland), die ihre nachrichtendienstlichen Erkenntnisse untereinander austauschen. Sogar die Nato begann sich mit China zu beschäftigen. In Berlin legte die Bundesregierung «Indo-Pazifik-Leitlinien» vor; die Große Koalition sah in Chinas wachsender Macht eine Gefahr für die Stabilität der Region und plädierte für eine engere Zusammenarbeit mit traditionellen Partnern wie Japan, Indien und Australien.
Es war eine eindrucksvolle Phalanx von Ländern, die Peking gegen sich aufgebracht hatte. Aber die Machthaber in der Volksrepublik blieben gelassen, sie mussten schon ganz andere Herausforderungen bestehen. Und doch waren sie irritiert. Denn in der weltweiten Kritik offenbarte sich Chinas vielleicht größte Schwäche: der Mangel an politischer Anziehungskraft, an Soft Power. Die Volksrepublik hat wenig Freunde und keine Verbündeten von Gewicht. Wenn China zur zweiten ebenbürtigen Supermacht neben den USA aufsteigen will, dann wird das Land auf diesem Weg ziemlich einsam sein.
Aber hat China diesen Ehrgeiz überhaupt? Will es zu den Vereinigten Staaten aufschließen, gar an ihre Stelle treten? Will es die weltpolitische Verantwortung einer Supermacht tragen? Blickt man auf die Geschichte des Landes, spricht wenig für solche Ambitionen. Nichts lag China in der Vergangenheit ferner, als seine Ordnung anderen Ländern aufzuzwingen oder in fremden Weltgegenden Streit zu schlichten. Das ist heute nicht viel anders. In der friedlichen Entwicklung des eigenen Landes zu auskömmlichem Wohlstand sieht Pekings Führung ihren wichtigsten Beitrag zur internationalen Stabilität.
In Asien und im Westpazifik allerdings soll keine andere Macht den Ton angeben. Hier tritt...
Erscheint lt. Verlag | 22.2.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Aufstieg • China • Corona-Krise • Diktatur • expansionskurs • Geschichte • Hongkong • Kommunismus • Kommunistische Partei • Minderheiten • Neuen Seidenstraße • Politik • Regionalwissenschaft • Totaliarismus • Überwachung • Uiguren • Umweltprobleme • Unterdrückung • Volksrepublik • Weltmacht • Xi Jinping |
ISBN-10 | 3-406-76451-7 / 3406764517 |
ISBN-13 | 978-3-406-76451-6 / 9783406764516 |
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