HAG Homosexuelle Aktionsgruppe Bochum (eBook)

Beginn der homosexuellen Emanzipation im Jahr 1970

Reinhard Schmidt (Herausgeber)

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2021 | 1. Auflage
286 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-0941-2 (ISBN)

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HAG Homosexuelle Aktionsgruppe Bochum -
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Im Jahr 1969 wurde der § 175 StGB zum ersten Mal revidiert. Homosexualität zwischen Männern über 21 Jahren war nicht mehr strafbar. Dadurch war es 20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland möglich, sich als Homosexueller zu bekennen und in der Öffentlichkeit für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten einzutreten. Die HAG Bochum machte im darauf folgenden Jahr den Anfang und leitete damit die dritte Homosexuellenbewegung ein. Aus Anlass des 50sten Jahrestages dieser epochalen Leistung erscheint diese Veröffentlichung.

6 HAG-INFO 2/72


(Die Homosexuelle Aktionsgruppe Bochum bezeichnet ihre Informationspapiere als »Info« und behandelt sie als neutrales Substantiv. Dies wird hier beibehalten.)

Das HAG-info 2/72 stellt die HOMOSEXUELLE AKTIONSGRUPPE AN DER RUHRUNIVERSITÄT BOCHUM als eine der Gruppen vor, »die praktische Konsequenzen aus der Unterdrückungssituation der Homosexuellen gezogen haben. Sie will das Schwulsein in die Öffentlichkeit katapultieren«. Formuliert werden vier zentrale Feststellungen: 1. Es gibt Schwule, und sie haben das Recht, schwul zu leben. 2. Schwule werden genauso unterdrückt wie andere Gruppen der Gesellschaft, »damit es einigen wenigen auf ihre Kosten gut geht«. 3. »SCHWULE wachsen anders in die Gesellschaft hinein als die sogenannten NORMALEN. Sie lassen sich in Plüschbars, Klappen und Parks abdrängen, statt überall dort schwul zu sein, wo es ihnen paßt. Sie bekämpfen einander (weil jeder die sexuelle Konkurrenz des anderen fürchtet), statt zusammenzuarbeiten und sich gemeinsam dagegen aufzulehnen, daß man sie ins G[h]etto schickt. 4. Der Durchschnittsschwule ist UNPOLITISCH, ÜBERANGEPASST, FEIGE. Er traut sich nicht, seine Meinung zu sagen, und versucht, mit allen Mitteln die SCHANDE, daß er schwul ist, wiedergutzumachen. Er ist superbrav und hat ANGST davor, als Schwuler aufzufallen«.

Die Gesellschaft habe den Schwulen so gemacht, wie er ist, weil sie Angst vor ihm hat, denn er stelle alles in Frage, was der Gesellschaft heilig ist, z. B. die Familie, die monogame Ehe, das Kinderkriegen. Schwule konterkarierten systemgerechtes Verhalten mit ihrer Lebensweise, sie zeigten, »daß man zusammenleben kann, solange es klappt, und wenn’s nicht mehr klappt, eben auseinandergeht, daß man sich lieben kann, ohne an BABYS zu denken, daß man nicht unbedingt die männliche Rolle übernehmen muß, bloß weil man mit einem Schwanz auf die Welt gekommen ist«.

Notwendig sei, dass die Schwulen ihr Ghetto verließen, sich organisierten, sich in der Öffentlichkeit als schwul zeigten, »sich selbst akzeptieren und innerhalb von Gruppen und Kollektiven lernen, das BESCHISSENE KONKURRENZVER-HALTEN abzubauen«.

Die Schwulen gehören nach Ansicht der HAG Bochum zu den Schwächeren der Gesellschaft. Dessen müssten sie sich bewusst werden und sich deshalb gegen die Unterdrückung ihres Schwulseins kämpfen, dann gegen die »Unterdrückung überhaupt«. Es sei notwendig, dass die Schwulen politisch würden. Boykottieren sollte man »die Kryptoschwulen« [die Schrankschwulen, die »in the closet«], die sich nicht trauten, zu ihrer Homosexualität zu stehen.

Betont wird, dass die HAG keine rein studentische Gruppe sei. Man treffe sich dienstags um 20.00 Uhr in der RUB [Ruhr-Universität Bochum], sei zu erreichen unter Postfach 1106 in 463 Bochum und unter der Telefonnummer 42616.

7 Terminplanung März 1972

Der Terminkalender der HAG Bochum für März 1972 sieht eine Fülle Veranstaltungen vor. Dazu gehören fünf »Kommunikationstreffen« bei unterschiedlichen Mitgliedern der HAG; diverse Sitzungen der Projektgruppen (»PG«) »Finanzplanung«, »Öffentlichkeit«, »Politische Zielsitzung«, »Schule«, »Sprache«, »Subkulturinformation/Mitgliederwerbung«, »Weibliche Homosexualität«; die Fortsetzung der Arbeit am Zielsetzungspapier; Gespräche über die Zusammenarbeit mit den Jungdemokraten in Dortmund-Hörde über eine »Kooperation im Schulbereich« und mit der »§ 218-Gruppe« sowie mit dem »Düsseldorfer Arbeitskreis Homosexualität und Gesellschaft« über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit. Dieses Treffen fand am 21. April 1972 in Düsseldorf statt.

Ein Schwerpunkt der Aktivitäten der HAG lag auf dem Thema »Schule«. Reinhard Schmidt hat in seinem Tagebuch allein für Ende 1971 vier Termine notiert, an denen die PG Schule getagt hatte: 17. November sowie 1., 2. und 13. Dezember. Bei letzterem Termin sei es um »Briefe für die Aktion Schule« gegangen. [Mail von Reinhard Schmidt an Gottfried Lorenz, 16.8.2018]. So wollte man sich am 1. März mit den Jungdemokraten aus Dortmund-Hörde über eine Zusammenarbeit in Schulfragen verständigen, sah für den 17.3. in der Dortmunder VHS im Fritz-Henßler-Haus eine Besprechung zu einer »Schülerkampagne mit HAG« vor, plante mehrere »Schulveranstaltungen« in Bochum, Bottrop, Essen, Hattingen und Recklinghausen. Darüber hinaus habe man »den Kultusminister von NRW und das Schulkollegium Münster um Auskunft gebeten, ob unsere Veranstaltungen durch die vorgesetzten Behörden genehmigungspflichtig sind. Es ist geplant, nach Eingang der Antworten in einem neuen Rundschreiben erneut an die Schulen heranzutreten, die bisher nicht oder negativ reagiert haben«.

Eine Kopie des ursprünglichen Briefes befindet sich im HAG-Aktenkonvolut im Berliner Schwulenmuseum, eine andere im Besitz von R. Schmidt, der ihn im Namen der HAG unterzeichnet hatte. Gerichtet war er im Auftrag der »HAG Ruhr-Universität Bochum« unter dem Datum 8. Dezember 1971 an Schülervertretungen von Schulen im Ruhrgebiet. In diesem Brief stellt R. Schmidt die HAG folgendermaßen vor: »Seit etwa einem Jahr besteht an der RUB [Ruhr-Universität Bochum] eine Gruppe vorwiegend, aber nicht notwendig homosexueller Studenten, die mit ihrer organisierten Arbeit das Ziel verfolgt, einen Beitrag zur Emanzipation einer Minderheit zu leisten«. In den »Bildungsinstitutionen« werde über die Minderheit homosexueller Menschen unzureichend informiert, was deren »soziale Außenseitersituation« verschärfe und dazu führe, »daß ein einseitiges Modell homosexueller Wirklichkeit für das einzig Mögliche gehalten und kritiklos hingenommen wird«. Gemeint ist mit diesem »einseitigen Modell« die homosexuelle Subkultur mit deren Lokalen und Treffpunkten (Klappen, Bahnhöfe, Parks, Pornokinos).

Die HAG habe nun, um diesem einseitigen Bild entgegenzuwirken und über die Probleme homosexueller Menschen zu informieren, »dem Direktor Eurer Schule folgendes Angebot gemacht: Ein Vertreter der HAG kommt zu Euch (z. B. in den Gemeinschaftskundeunterricht) und hält ein Referat zum Thema ›Homosexualität und Gesellschaft‹ mit anschließender Diskussion.

Die Homosexuellen sind eine unterdrückte Minderheit. Die gesellschaftliche Abqualifizierung des Homosexuellen wird auf allen Ebenen und über alle sozialisierenden Instanzen [Familie, Freundeskreis, Kindergarten, Schule, Berufsausbildung, Universität, Beruf] überliefert. Die Ursache für die Spannungssituation ist im wesentlichen gesellschaftlicher Herkunft; die Gesellschaft zeigt jedoch kaum die Absicht, der nicht konformen Minderheit die Emanzipation zu erleichtern. Sie sorgt in vielen Instanzen (Schulen, religiösen Gemeinschaften, populärwissenschaftlichen Medien, politischen Publikationen) dafür, daß eine gegen den Homosexuellen gerichtete Einstellung überliefert wird. Für die offene oder latente Diskriminierung sind keineswegs nur unterinformierte, an die Sexualnormen angepasste Spießbürger verantwortlich zu machen. Auch ein großer Teil angepaßter Wissenschaftler (z. B. Schelsky, Bürger-Prinz u.a.) sorgen dafür, daß das pathologisierte Bild des Homosexuellen erhalten bleibt. Schuldgefühle, die der Homosexuelle anläßlich laufender Verstöße gegen die bestehenden Gesellschaftsnormen und die Sexualmoral entwickelt, werden häufig durch Überanpassung in anderen Bereichen kompensiert. Homosexualität kann auf diese Weise Untertanengeist und allgemeine Autoritätshörigkeit erzeugen helfen. Sexualunterdrückung wird in allen Bereichen als ein Mittel der Disziplinierung eingesetzt; Abwertung menschlicher Kontakte, Erzeugung von Schuldgefühlen, Zwang zu Anpassung und Verstellung zerstören systematisch Selbstwertgefühle und Aktivitätspotentiale, denen sich das Bestehende nicht ausgeliefert sehen will«.

Über eine positive Rückmeldung werde man sich freuen. Und man sei »jederzeit bereit, sowohl Euch als auch Eurer Schülerzeitung Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen (durch detailliertes schriftliches Material oder persönliches Gespräch)«.

Über diese Schulaktion berichteten die Ruhrnachrichten – Bottroper Volkszeitung am 21. Dezember 1971 unter der Überschrift Informationsangebot aus der Ruhr-Uni. Der Artikel lautet: »Zwischen Sportnotizen und Ankündigungen hängt im Schaukasten der Schülervertretung am Städtischen Jungengymnasium ein Angebot aus der Bochumer Ruhr-Universität. Darin bietet die Bochumer Homosexuelle Aktionsgruppe (HAG) ihre Hilfe an, und zwar ihre Informationshilfe. Die Bochumer Gruppe – sie bezeichnet sich als einen Zusammenschluß ›vorwiegender, aber nicht notwendig homosexueller Studenten‹ – ist der Ansicht, daß in den bestehenden Bildungsinstitutionen nur in unzureichendem...

Erscheint lt. Verlag 12.1.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Akzeptanz • emanzipierung • Gleichstellungsforderung • Homosexuellenbewegung • Menschenrechte
ISBN-10 3-7534-0941-3 / 3753409413
ISBN-13 978-3-7534-0941-2 / 9783753409412
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