Bad Company (eBook)

Meine denkwürdige Karriere bei der Wirecard AG

(Autor)

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2021
Penguin Verlag
978-3-641-27659-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bad Company - Jörn Leogrande
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Eine einzigartige Geschichte von Geld, Gier und Größenwahn - »Großes Kino.« Süddeutsche Zeitung
Eine spektakuläre Innenansicht der Wirecard AG und damit auch des größten Börsenskandals des Jahrzehnts, geschrieben von einem langjährige Mitarbeiter in leitender Position: Im Sommer des Jahres 2020 kollabiert das einstige DAX-Unternehmen und Fintech-Wunderkind Wirecard, nachdem Milliardenbeträge verschwunden sind und unauffindbar bleiben. Mitglieder des Vorstands sowie leitende Manager werden verhaftet. Schicht um Schicht enthüllt sich die Geschichte eines gigantischen Kriminalfalls. Wie gelang es dem Unternehmen über so viele Jahre, die Politik, die Börse und die Öffentlichkeit zu blenden? Jörn Leogrande berichtet über die Strukturen, die Arbeitsweisen und die schillernden Persönlichkeiten und zeichnet den Weg der Wirecard AG vom technologischen Vorzeigeunternehmen zum insolventen mutmaßlichen Betrugsfall nach.

Jörn Leogrande, geboren 1963, hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München Germanistik studiert. Seit den frühen 90er Jahren ist er zunächst als freier Journalist und später als Werbetexter und Marketingspezialist tätig. 2005 tritt Leogrande eine Stelle im Marketing der Wirecard AG an und wird in kurzer Zeit Head of Marketing. Nach weiteren Top-Positionen in der Produktentwicklung avanciert er 2017 zum Chef der globalen Innovationsabteilung von Wirecard. Im Laufe seiner Karriere berichtet er direkt an CEO Markus Braun und arbeitet über Jahre eng mit COO Jan Marsalek zusammen. Er ist bis zum August 2020 bei der Wirecard AG tätig. Zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern lebt Jörn Leogrande in der Umgebung von München.

Intro 
I see rainbows

18. 06. 2020
7.25 Uhr

Um kurz nach 7 Uhr an diesem Donnerstagmorgen bin ich mit meiner Kollegin Marie verabredet. Digital – im Chat des Messengers Telegram.

Telegram ist der Backbone der Kommunikation im Wirecard-Konzern. Denn der Chief Operating Officer, Jan Marsalek, liebt Telegram so sehr, dass er als wahrscheinlich einziger Mensch auf der Welt über seine eigene Sticker-Kollektion für den Messenger verfügt. Und was Jan liebt, das lieben auch wir – seine Führungskräfte. Und so geht es Top-down weiter, bis jeder im Konzern immer und überall diesen Kommunikationsweg nutzt.

Ich habe mich mit Marie verabredet, um die Entwicklungen rund um die für heute geplante Veröffentlichung des Wirecard-Jahresberichts 2019 auf Twitter live zu verfolgen. Big business binge watching.

Bei solchen Jahresberichten veröffentlicht das Unternehmen normalerweise seine Zahlen und Reports um 7.30 Uhr. Es ist jetzt 7.25. Im Forum des Börsenportals Wallstreet:Online schreibt ein Nutzer mit dem Namen »Banane50«: »Ist die Rakete beladen und startbereit? Der Countdown läuft.«

Der Kurs steigt tatsächlich vorbörslich. 101, 104, 107, 109. Das ist ein gutes Zeichen. Der Markt rechnet nicht mit einer Katastrophe – der Markt rechnet mit der Statistik. Und die besagt, dass dieser DAX-Konzern noch jede Krise überlebt hat in den letzten 20 Jahren.

Noch am Montag, also grade mal drei Tage zuvor, saß ich in meinem Reporting-Meeting bei Susanne Steidl, als Wirecard-Vorständin für die Produktentwicklung verantwortlich. Die Sache sieht gut aus, sagte Susanne. Es dürfte im Testat, das Ernst & Young für den Geschäftsbericht liefert, kleinere Ansatzpunkte für eine Verbesserung im Reporting geben. Hickups nannte sie das – minimale Durchhänger, nichts Ernstes. Aber das wird es dann gewesen sein. Bei einem uneingeschränkten Testat sind wir komplett reingewaschen, sagte Susanne und lächelte voller Optimismus.

Komplett reingewaschen – ein neuer Anfang. Genau darum geht es hier. Seit dem Jahr 2008 steht die Bilanz der Wirecard im Kreuzfeuer der Kritik. Am Ende gewinnen jedoch immer wir. Wir steigern den Umsatz jedes Quartal um 30 Prozent. Unsere Wachstumsentwicklung sieht aus, als wäre sie mit einem verdammten Lineal gezogen. Wir steigen in den DAX auf. Wir gehören zu den wertvollsten Unternehmen Deutschlands. Doch das verstehen die Neider und Hater aus den Blogs und der Wirtschaftspresse nicht, die mit den Shortsellern zusammenarbeiten, die von fallenden Kursen profitieren.

Um ein für alle Male Klarheit in die Bilanz zu bringen, hat der Aufsichtsrat der Wirecard die Beratungsgesellschaft KPMG damit beauftragt, die Umsätze zu prüfen. Doch die Consultants können in ihrem Bericht, der vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde, die größten Geldströme von Wirecard weder bestätigen noch ausschließen. Wirecard-CEO Markus Braun – unsere österreichische Eiche im dunklen Rollkragenpulli – nennt das lapidar ein Kommunikationsproblem. In Wirklichkeit ist es jedoch das Setting für den größten Showdown der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Es ist das Endspiel der Business-Bundesliga – live übertragen auf Twitter. So etwas hat es noch nie gegeben.

Doch alles ist neu in der wunderbaren Welt unseres jungen Tech-Konzerns. Die Commerzbank flog aus dem DAX – Wirecard zog mit großem Getöse in die Gruppe der 30 größten deutschen Unternehmen ein. Ein neuer Name, eine neue Technologie, ein neues Spiel: Endlich ein Konzern aus Deutschland, der das Potential hat, mit den milliardenschweren Start-ups aus den USA und China mitzuhalten. Das ist die Storyline. Hier und heute stellt sich nun ultimativ die Frage nach dem dazugehörigen Geschäftsmodell.

7.30 Uhr Die Bilanz müsste jetzt veröffentlicht werden. Ich refreshe Twitter inzwischen alle vier oder fünf Sekunden. Twitter ist der genaueste Seismograf der Wirecard-Entwicklung. Jedes Gerücht, jede News, ja jede banale Einschätzung – alles schlägt immer hier als Erstes ein.

»Früh aufstehen ist der erste Schritt in die falsche Richtung«, schreibt ein User namens »Einverstanden« unter #wirecard. Could not agree more.

Und Marie auf Telegram: »Ich seh’ noch nichts.«

7.35 Uhr Auf Twitter reden erste User ironisch von »Upload-Problemen bei Wirecard.« Einer schreibt: »Ich brauche heute eine halbe Blutdrucktablette mehr.« Superwitzig.

Schneller Check auf den Investor-Relations-Seiten: Ja, der Bericht ist weiterhin für heute angekündigt. Bilanzpressekonferenz ist dann auf 14 Uhr terminiert. Sogar mit Livestream.

Bin ich nervös? Ja und nein. Ich bin Executive Vice President Innovation – der »Mad Professor of Payments« auf den Keynote-Bühnen der Welt. Seit Jahren arbeite ich nun in vielen Bereichen mit Jan, mit Markus und Susanne zusammen. Totgesagt waren wir in der Vergangenheit bereits häufiger. Aber immer wieder kamen wir noch größer und noch selbstbewusster zurück. Pures Tech-Teflon – alles perlt an uns ab. So wird es auch heute sein. Natürlich. Aber wenn ich ganz tief in mich reinhöre, dann weiß ich, dass es irgendwann vorbei sein muss. Das ist mein Problem, dass ich immer etwas zu sehr auf die eigenen Zweifel fokussiert bin. Jan Marsalek hat mir das immer wieder vorgeworfen. Du musst super-aggressiv sein und alles andere ausblenden, auch wenn du weißt, dass es schiefgeht. So lautet sein Erfolgskonzept. Nun, er muss es wissen. Er ist schließlich Vorstand bei der Wirecard.

8.55 Uhr Kurz vor Beginn des Börsenhandels – noch immer keine News zum Report. Das ist ungewöhnlich: Börsennotierte Unternehmen veröffentlichen ihre Meldungen normalerweise nicht mitten in der Handelszeit. »Wirecard verunsichert seine Aktionäre«, titelt finanztreff.de. Der Kurs läuft jetzt in breiten Wellen auf- und wieder abwärts. Verunsicherung macht sich breit.

9.30 Uhr Es tut sich rein gar nichts auf Twitter, und auch auf Telegram stehen die Chats still. Ich beschließe, irgendetwas halbwegs Produktives zu machen und eine kurze Meldung zu meinem Innovations-Lab auf Twitter und LinkedIn zu veröffentlichen. »Wir gehen jetzt mal ins Vacuum der Wirecard-Kommunikation«, schreibe ich Marie auf Telegram. Die antwortet nur eine Sekunde später: »#norisknofun«.

Dieser Post ist eine schlechte Idee, das will Marie mir damit sagen. Aber ich höre schon lange nicht mehr richtig zu. Ich möchte relevant sein. Darum ist es mir im Grunde immer gegangen. Ich will Teil einer Erfolgsgeschichte sein. Nicht nur in der zweiten Reihe sitzen und abwarten. Deswegen drücke ich auf »Send« und jage über LinkedIn und Twitter meine völlig überflüssige Nachricht ins Internet.

10.40 Uhr Ich sitze jetzt seit 7 Uhr morgens vor dem Rechner und drücke Refresh auf Twitter. Keine Nachricht über den Geschäftsbericht, das Testat oder die Bilanz. Kein Like oder Comment auf meinen Post. Fuck. Nichts passiert. Deswegen beschließe ich, laufen zu gehen. Es ist die Post-Lockdown-Zeit: Es ist von allem Ungesunden viel zu viel gewesen in den letzten Monaten. Viel zu viele Team-Meetings, zu viel Zeit vorm Rechner und vor allem viel zu viel Alkohol.

Wieder einmal habe ich vor wenigen Tagen beschlossen, mein Leben zu ändern. Kein Alkohol für die nächsten drei Monate. Auf einem Kalender streiche ich mit einem neongelben Textmarker die Tage durch. Vier Kreuze stehen da am Donnerstag, den 18.06. Und die Zahl 100,9. Mein Gewicht. Ich habe Großes vor in diesen ersten Sommertagen im Jahr 2020. Doch ich habe eigentlich immer viel vor – und am Ende bleibt das meiste leider ziemlich konstant, wie es ist. Das ist mein Leben, und so läuft auch meine Karriere seit nunmehr anderthalb Jahrzehnten.

10.41 Uhr Also laufen. Ich ziehe meine Sportsachen an, als ich aus den Augenwinkeln auf meinem iPhone sehe, wie der Kurs der Wirecard implodiert. Minus 30 Prozent. Minus 40 Prozent. Minus 47 Prozent.

»Stürzt komplett ab«, schreibt Marie. »Es wird immer schlimmer.«

Um genau 10.43 Uhr beginnt der Anfang vom Ende. Der Veröffentlichungstermin für den Jahres- und Konzernabschluss 2019 wird offiziell erneut verschoben – zum vierten Mal in Folge. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young konnten keine ausreichenden Prüfnachweise über Bankguthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro erlangen. Kreditlinien in Höhe von 2 Milliarden Euro können nun fällig gestellt werden. Das wäre das Ende der Wirecard. Der Kurs stürzt ins Bodenlose. Das Armageddon hat begonnen.

Marie macht sich Sorgen. Sie ist noch nicht lange bei Wirecard. Seitdem geht es ständig hin und her wegen der Bilanz. Jetzt sind wir richtig down. Was werden ihre Freunde dazu sagen? Was sagt ihre Familie?

Ich antworte Marie, dass ich mir über so etwas keine Gedanken mache. Meine Mutter liest weder Handelsblatt noch Manager Magazin und schon gar keine Aktiennews im Internet. Für sie ist nur relevant, was auf der Startseite von Bild.de passiert und was am Abend in den Tagesthemen kommt. Zur Sicherheit öffne ich die Internetseite von Bild. Die erste News, der ganze verdammte Aufmacher, die halbe Page schreit »Wirecard«.

Es ist jetzt kurz vor Mittag. Ich habe immer noch meine beschissenen Laufsachen an. Alkohol wäre jetzt eine wirklich sehr gute Idee. Kein neongelbes Kreuz in meinem Kalender heute. Und kein neongelbes Kreuz in der nahen Zukunft. Dann klingelt...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alexander von Knoop • Aschheim • Asia Pacific • BaFin • Bestseller • Bilanzfälschung • Bilanzskandal • Börsengang • CLICK2PAY • Contigua • Dan McCrum • DAX • DAX-30-Unternehmen • eBooks • Enron • Ernst & Young • Financial Times • Finanzaufsicht • Finanzskandal • FinTech • Jan Marsalek • Marktmanipulation • Markus Braun • Panama Papers • Shortselling • Start-up • Third Party Business • true crime germany • Unternehemenspleite • Wirtschaft • Wirtschaftskriminalität
ISBN-10 3-641-27659-4 / 3641276594
ISBN-13 978-3-641-27659-1 / 9783641276591
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