Tatworte (eBook)

Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen
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2021 | 1. Auflage
160 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2520-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tatworte -  Michael Kraske
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Die AfD fällt immer wieder mit hetzerischen, anti-muslimischen und demokratiefeindlichen Aussagen auf. Reden vom »Bevölkerungsaustausch« oder die Verunglimpfung »alimentierter Messermänner« sind der Vorläufer von rassistischer Gewalt sowie Rechtsterrorismus. Gauland, Höcke, Weidel & Co. sind ideologische Überzeugungstäter, die Sprache ganz bewusst einsetzen, um ihre radikalen politischen Ziele durchzusetzen. Michael Kraske untersucht Zitate von AfD-Politikern, Pegida-Aktivisten und Verschwörungserzählern, die vom Vormarsch rechten Denkens und völkischer Ideologie zeugen. Verachtung und offener Hass gegen Andersdenkende, Ermächtigungsfantasien und unverhohlene Drohungen gehören für sie zum Standardrepertoire. Es ist höchste Zeit, die verbalen Brandstifter beim Wort zu nehmen und sie zu stellen.

Michael Kraske, geboren 1972, ist Journalist und Autor von Sachbüchern sowie Romanen und lebt in Leipzig. Er schreibt Reportagen und Porträts und interviewt für die ZEIT, SPON, MDR, National Geographic. Außerdem ist er Radio- und TV-Experte für WDR, MDR, Bayerischer Rundfunk, Deutschlandfunk und Phoenix.

Michael Kraske, *1972, ist Journalist und Autor von Sachbüchern sowie Romanen und lebt in Leipzig. Er schreibt Reportagen und Porträts und interviewt für die ZEIT, SPON, MDR, National Geographic. Außerdem ist er Radio- und TV-Experte für WDR, MDR, Bayerischer Rundfunk, Deutschlandfunk und Phoenix.

Verrohung der politischen Kultur und offener Hass


Alexander Gauland (AfD):»Wir werden sie jagen. Werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.«Quelle: Alexander Gauland am Abend der Bundestagswahl am 24. September 2017

Im September 2017 zog die AfD mit 12,6 Prozent der Wählerstimmen erstmals in den Bundestag ein. Am Wahlabend trat der spätere Fraktionschef Alexander Gauland vor seine Parteifreunde und kündigte eine Jagd an. Markige Worte und Triumphgetöse sind nach Wahlerfolgen durchaus normal. Auch die Selbstbeschwörung eigener Größe. Aber Gaulands Worte, mit fester Stimme und entschlossener Miene vorgetragen, klingen nach einer Drohung. Bei einer Jagd wird Beute verfolgt und letztlich erlegt. Das erzeugte Bild enthält eine latente Gewaltfantasie. Interessanterweise soll nicht nur die Bundeskanzlerin gejagt werden, sondern die AfD will »wen auch immer« jagen: Damit wird die Dimension erweitert auf alle Demokraten, die nicht ihrer Meinung sind. Aufschlussreich ist die Ankündigung, sich Land und Volk zurückholen zu wollen. Fragt sich, wem Land und Volk denn gehören? Gauland unterstellt implizit: der AfD. Eine beispiellose Anmaßung, die nicht nur in eklatantem Widerspruch zum demokratischen Prinzip des Wettbewerbs steht, sondern als antipluralistische Allmachtsfantasie verstanden werden kann. Gauland behauptet also allen Ernstes, ihm und seinen Parteifreunden gehöre das ganze Land, es stehe ihnen zu. Zurückholen kann man sich ja nur etwas, das einem zuvor weggenommen wurde: nämlich »unser Land und unser Volk«. Ganz so, als gäbe es keine unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen, sondern nur einen einheitlichen Volkswillen. Den aber gibt es nur in autokratischen, rechtsextremistischen Regimen, wenn Opposition, Abweichung und Widerspruch mit Gewalt abgeschafft worden sind und unterdrückt werden.

Alexander Gauland verlässt mit seiner drohenden Prophezeiung den Konsens der Demokraten. Die streiten, kritisieren und kämpfen um Wählerstimmen – aber sie jagen sich nicht. »Wir werden sie jagen …« Diese Worte sind rauf und runter zitiert worden, aber die Rezeption zeigt, was im Umgang mit radikaler Politrhetorik falsch läuft. Dass Jagdfantasien in der politischen Auseinandersetzung Ausdruck einer antipluralistischen Haltung und unvereinbar mit einer respektvollen politischen Kultur sind – das alles blieb außen vor. Stattdessen wurde Alexander Gauland durch die Einladung in Talkshows von ARD und ZDF geadelt. Seine Vita als langjähriges Mitglied der CDU sowie als Herausgeber der Märkischen Allgemeinen bewirken eine unverantwortliche Nachsicht gegenüber dessen Auftreten als AfD-Politiker.

Andreas Kalbitz (AfD):»Die Blockparteien haben sich unseren Staat zur Beute gemacht und die Regierung unser Land und Volk zum Schlachtfeld ideologischer Experimente überall. […] Das ist alles Unsinn, aber es ist mehr als Unsinn, es ist der Plan, der ideologisierte Plan der Deutschlandabschaffer, der Deutschlandhasser, die in diesem Parlament sitzen. Die Claudia Roths, die Volker Becks, und wie sich dieser ganze Politausschuss so schimpft. Wir erleben ein verwaltetes Elend staatlich institutionalisierter Inländerfeindlichkeit.«Quelle: Rede von Andreas Kalbitz beim Kyffhäusertreffen des Flügels am 2. September 2017

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat Andreas Kalbitz als Rechtsextremisten bezeichnet.10 Mit Kalbitz im Bundesvorstand wurde die AfD bei der Landtagswahl in Brandenburg im Jahr 2019 mit über 23 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der SPD. Und das, obwohl der in München geborene Kalbitz eine lange rechtsextremistische Vergangenheit hat.11 Er war Mitglied bei den Republikanern, schrieb für die Mitgliederzeitung »Fritz« der rechtsextremistischen Vereinigung Junge Landsmannschaft Ostpreußen und war Vorsitzender des rechtsextremistischen Vereins »Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit«, der von einem ehemaligen SS-Hauptsturmführer gegründet worden war. Im Jahr 2007 nahm Kalbitz an einem Pfingstlager der neonazistischen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) teil, die zwei Jahre später verboten wurde. Kalbitz wurde vom Bundesvorstand der AfD wegen angeblich falscher Angaben im Aufnahmeantrag mit knapper Mehrheit aus der Partei ausgeschlossen. Er soll eine frühere Mitgliedschaft bei den Republikanern nicht angegeben haben. Nach seinem Rauswurf solidarisierten sich vor allem im Osten viele aus der AfD mit ihm. Allen voran Björn Höcke, der von »Verrat« sprach. Auch Alexander Gauland machte sich für Kalbitz stark. Obwohl das Bundesschiedsgericht der AfD die Annullierung der Mitgliedschaft für rechtmäßig erklärte, blieb Kalbitz zunächst Fraktionschef in Brandenburg, bevor er das Amt erst ruhen ließ, dann abgab und zugleich vor dem Berliner Landgericht daran scheiterte, eine einstweilige Verfügung gegen seinen Rauswurf aus der AfD zu erwirken. Absurdes politisches Theater.

Seit Jahren trat Kalbitz zuvor als Scharfmacher für die AfD auf, so auch beim sogenannten Kyffhäusertreffen des Flügels im Jahr 2017. Seine Wortwahl zeugt von tiefer Verachtung der demokratischen Konkurrenz und lässt daran zweifeln, ob er demokratische Willensbildung und Prozesse überhaupt akzeptiert. Die demokratischen Parteien bezeichnet er als »Blockparteien«. Der Ausdruck bezeichnet eigentlich jene Parteien in der DDR, die zwar pro forma eigenständig waren, aber den Kurs der Staatspartei SED in einem »Demokratischen Block der Parteien und Massenorganisationen« mittrugen. Kalbitz unterstellt mit seiner Analogie damit nicht weniger als eine Art Gleichschaltung von Parteien wie CDU, SPD oder Grünen. Die derart Geschmähten hätten sich »unseren Staat zur Beute gemacht«, so Kalbitz. So beschreibt der Rechtsextremist die Arbeit von Parteien, die seit Jahrzehnten die parlamentarische Demokratie in Deutschland tragen. Das Regierungshandeln als Ergebnis gewonnener Wahlen deligitimiert der Ex-Bundeswehrsoldat Kalbitz martialisch, indem er von einem »Schlachtfeld« spricht. Politik, die ihm nicht passt, bekommt den Stempel: »ideologische Experimente«. In diesem realitätsbefreiten Horrorszenario schafft sich Kalbitz im typischen AfD-Sound seine Bösewichter: Politiker und Journalisten machen ihm zufolge also nicht bloß schlechte Arbeit, sondern sind »Deutschlandabschaffer« und »Deutschlandhasser«. Schmähvokabeln, die für einen hypersensiblen und aggressiven Nationalismus stehen, der überall Feinde wittert. Im typischen Untergangs-Sound entwirft er ein Horrorszenario vom Zustand des Landes.

Mit Volker Beck und Claudia Roth stellt er zwei Grünen-Politiker namentlich an den Pranger. Beide werden seit geraumer Zeit immer wieder Opfer von Hasskampagnen. Sie werden beleidigt und bedroht. Diese leidgeprüften Hassobjekte entmenschlicht Kalbitz geradezu, wenn er sie als »Politausschuss« bezeichnet. In der Industrie ist Ausschuss der Begriff für Fehlproduktion. Also: Schrott. In der Summe verbindet diese Tirade des damaligen AfD-Spitzenpolitikers Andreas Kalbitz Menschenverachtung mit Demokratieverachtung. Die Absichten des politischen Gegners, die als durch und durch böse dargestellt werden, dienen als Rechtfertigung für rüde verbale Angriffe, die dazu geeignet sind, Hass zu schüren, der jederzeit in Gewalt umschlagen kann.

Noch einmal: Kalbitz wurde aus der AfD rausgeworfen, weil er beim Aufnahmeantrag falsche Angaben gemacht haben soll. An seiner menschenverachtenden Ideologie hat sich die Partei hingegen nicht gestört, sondern immer wieder berauscht.

Andreas Kalbitz (AfD):»Wir werden die Politik der Deutschland-Abschaffer rückabwickeln. Das Ende der 68er, die sich auf allen Ebenen fett und fest gefressen haben in Politik, Bildung, Medien: Das Ende naht. Und wenn es Teil des AfD-Erfolgs sein soll, die 68er-Erben und Verwalter auf die politische Sondermülldeponie der Geschichte zu befördern, dann nehme ich diesen Teil unseres politischen Auftrages gerne an, denn da gehören sie nämlich hin, und ich sag’s noch mal, hab da mal ’ne Rüge dafür bekommen vom Landtagspräsidenten, wir werden auf den Gräbern tanzen.«Quelle: Rede von Andreas Kalbitz beim Kyffhäuser-Treffen des Flügels am 2. September 2017

In derselben Rede hat Andreas Kalbitz eine Tirade gegen die verhassten »68er« losgelassen. Jene Generation, die in Westdeutschland das Ende der Adenauer-Ära einleitete und die Gesellschaft nachhaltig modernisierte. Auch und vor allem dadurch, dass sie die Verantwortung für Nationalsozialismus und Holocaust offen benannte und den Bruch mit ideologischen und personellen Kontinuitäten einforderte. Die 68er sind ein Lieblings-Hassobjekt der radikalen Rechten, weil diese wichtige Grundlagen für eine pluralistische Gesellschaft legten und die Traditionslinien zum völkischen Nationalismus konsequent kappten. Spätestens mit dem grünen Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer waren Vertreter der 68er zu staatstragenden Akteuren in der Berliner Republik aufgestiegen. Diese Versöhnung einstiger Fundamentaloppositioneller mit der parlamentarischen Demokratie diskreditiert Kalbitz als geradezu korrupte Elitenmentalität. Die 68er hätten sich auf allen...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Systeme
Schlagworte AfD • Antisemitismus • Diskurs • Framing • Gewalt • Hass • Hate speech • Kritik • Nationalismus • Nationalsozialismus • Pegida • Politische Ideologien • Propaganda • Querdenken • Radikal • Rassimus • Rechtsextremismus • Reden • Rhetorik • Sammlung • Semantik • Sprachanalyse • Sprache • Sprachpolitik • Terrorismus • Zitat • Zitatsammlung
ISBN-10 3-8437-2520-9 / 3843725209
ISBN-13 978-3-8437-2520-0 / 9783843725200
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