Die letzten Männer des Westens (eBook)

Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats. Mit einem Vorwort von Günter Wallraff
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00706-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die letzten Männer des Westens -  Tobias Ginsburg
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«Der westliche Mann wird unterdrückt, diskriminiert und verweiblicht, er ist vom Aussterben bedroht.» So lautet das Mantra eingefleischter Männerbünde, von Burschenschaftlern und antifeministischen Maskulisten bis zu neurechten Frauenhassern und Neonazis. Tobias Ginsburg hat sich ihnen undercover angeschlossen, um herauszufinden, woher diese tiefen Ängste rühren und was diese Gruppen umtreibt. Er geht dem Zorn testosteronverklebter Sexisten ebenso nach wie den seltsamen verbissenen Männerrechtlern, lässt sich zum «wahren Mann-Sein» anleiten und begleitet rechtsextreme Neonazis bei der kulturellen Penetration des Ostens. Eine gefährliche Reise in fremde Welten mitten unter uns, in die die meisten Männer und Frauen nie vordringen können. «Ein leidenschaftlicher Aufklärer.» MDR Sachsenspiegel

Tobias Ginsburg, Jahrgang 1986, ist Autor und Regisseur. Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie. 2016 war er Fellow des Hanse-Wissenschaftskollegs, 2020 erhielt er das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung. 

Tobias Ginsburg, Jahrgang 1986, ist Autor und Regisseur. Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie. 2016 war er Fellow des Hanse-Wissenschaftskollegs, 2020 erhielt er das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung. 

Antifeminismus und der Einstieg in die Welt des Hassens


Ein Albtraum


Der dicke Junge hasst Frauen.

Vielleicht ist dick nicht das richtige Wort, er ist eher pummelig. Ein weiches Kind, noch keine zwanzig Jahre alt. Aufgeregt hält er sich am schweren Bierkrug fest, schaut mit unsicherem Blick durchs Brillenglas, dann verkündet er, dass er Frauen hasst. Anfangs glaube ich noch, der dicke Junge sei nur betrunken oder frustriert vom Dicke-Jungen-Dasein oder agitiert von dem ganzen langen Abend aus Geschrei und Grausamkeit. Aber je länger er spricht, desto klarer wird, dass er es auch wirklich so meint. Er hat sich Gedanken über das Thema gemacht, hat dazu Texte gelesen und Statistiken studiert, seinen Hass unterfüttert. Der dicke Junge hasst Frauen aus Überzeugung. Und der Kerl neben ihm, ein breiter Bursche mit vernarbtem Gesicht und akkurater Frisur, lacht lang und laut und schlägt dem Jungen mit der flachen Hand so fest auf den weichen Rücken, dass der fast vornüberfällt: «So sieht’s aus, Kamerad», dröhnt der Vernarbte, «du hast es begriffen!»

Die Tirade des Jungen war bei weitem nicht das Schlimmste, was ich an diesem Abend zu hören und zu sehen bekam. Aber das Bedrückendste. Es gab mir den Rest. Ich war in eine albtraumhafte Welt aus Hass und Alkohol geraten, und beides war ich in diesen rauen Mengen nicht gewohnt. Und vor allem hatte ich vorher nie diese Qualität von Hass erlebt. Sicher, man muss nicht in eine rechtsextreme Studentenverbindung gehen, um Rassismus und Frauenverachtung, Judenhass und Homophobie zu erfahren. Das findet man zur Genüge auch anderswo, das grassiert in der ganzen Gesellschaft. Aber dieser Hass hier war mir neu: eiskalt, rationalisiert und studiert. Ein Hass, der die Frauenverachtung des dicken Jungen absorbieren und befeuern konnte. Ein Hass, den ich immer noch in meinen Knochen spüre. Auch nach zehn Jahren noch.

Es war das erste Mal, dass ich mich bei Menschen einschlich, von denen man sich tunlichst fernhalten sollte. Mein erster Besuch bei wirklichen Faschisten, und schon begegneten mir ein entfesselter Männlichkeitswahn und Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit. Kein Wunder, denn diese Dinge gehören zusammen. Sie sind integrale Bestandteile rechtsextremer Ideologie, unauflösbar miteinander verknüpft. Aber das begriff ich erst sehr viel später. Und leider gibt es noch immer sehr viele Menschen, die es nicht begreifen.

«Silentium!»

Das Kommando wird in den lärmenden Saal geschleudert, ein Säbel schmettert krachend auf den Tisch. Auf den Schlag verstummen die vierzig oder fünfzig Männer (in meiner Erinnerung sind es mehr), und diese vielen hundert Mann stellen ihre tausend Bierkrüge ab und erheben sich. Sie haben Studentenmützen auf dem Kopf und Narben im Gesicht, tragen dunkle Anzüge und Couleur, die Bänder in Verbindungsfarben quer über die Brust: Weiß-Lindgrün-Rosenrot. Sie stehen stramm und schauen bedeutsam. Es ist der Oktober 2009, und in ihrer Prunkvilla im Münchner Nobelviertel Bogenhausen feiert die Burschenschaft Danubia ihre Semesterantrittskneipe. Es ist eine ernste Angelegenheit, ein altes Ritual von Gehorsam, Gebrüll und Alkoholismus.

Der «Chargierte», ein weichgesichtiger Lehramtsstudent mit Segelohren, leitet mit Befehlston und Säbelhieben durch den ersten, den offiziellen Teil des Abends. Wie albern waren er und die beiden anderen Vorsitzenden mir eben noch vorgekommen, verkleidet in ihren Vollwichs, dieser nostalgiedurchtränkten Aufmachung: goldverzierte Uniformröcke und Stulpenstiefel und buschige Federn, die halberigiert von den Mützen ragten. Die Narben in ihren Gesichtern, die Spuren des gemeinsamen Fechtens und Blutens hätte man auch für schlecht verheilte Akne halten können. Aber jetzt stehen sie vor den zigtausend Männern, ihre bescheuerten Schwerter in den Fäusten, und die Männer gehorchen ihnen. Der Chargierte lässt seine Brüder und Gäste aufstehen und hinsetzen, sprechen und schweigen, prosten und saufen, singen und grölen. «Müller an die Bierorgel!», befiehlt er, und Bursche Müller hetzt zum Klavier, haut in die Tasten, nicht gut, dafür laut, und das alte Liedgut ertönt. Verse von blutiger Treue und geschlagenen Schlachten und von Deutschland, von Deutschland über allem. Halb wird gesungen, halb gebrüllt, die Fäuste trommeln auf die Tische, dass die Bierkrüge tanzen. Dann eine Ansprache, pathetische Parolen über Kameraden, Ehre und Volk. Darauf ein Prosit und auf das Bier einen Schnaps, dann wieder von vorne. Und auch in den Pausen, im Colloquium, wenn das freie Gespräch gestattet ist, trinken sie noch gierig weiter.

Das ist eben traditionelle Männlichkeit: durstig, gierig, diszipliniert. Und hierarchisch strukturiert bis in die Sitzordnung! Auf der einen Seite die alten Herren, die ihre Studentenzeit schon hinter sich haben und ihren aktiven Brüdern das Leben in der Villa finanzieren. Auf der anderen Seite die Füchse, die Neuzugänge, die herumkommandiert werden, bevor sie endgültig in den lebenslangen Männerbund aufgenommen werden. Und ganz am äußeren Tischende, da kauern nervös die Anwärter, die Spefüchse. Rohes Männermaterial, das gründlich auf seine Tauglichkeit geprüft wird – politisch, menschlich, ethnisch. Heute sind zwei Kandidaten geladen: der dicke Junge, der Frauen hasst, und ich, Tobias Günzburg. Mir war am Telefon auf die Schnelle kein besserer Name eingefallen.

Im Grunde war ich bloß zufällig, während der Recherche zu einem Theaterstück, auf diese Burschen gestoßen – auf sie und auf ein ganzes Netzwerk rechtsextremer Burschenschaften, Organisationen und Strukturen. Auf Menschen, die mir und meinen Freund*innen das Existenzrecht absprechen. Unheimlich das alles, aber mich packte die Neugierde. Ich rief einfach mal an, auf gut Glück. Dass man mich einladen würde, damit hatte ich nicht wirklich gerechnet … Hat man aber. Ich bin nun mal ein Mann und ich bin weiß – und das reicht. Ich kann auch Orte betreten, an die man keinen Fuß setzen sollte. Für mich gibt es kaum No-go-Areas, und als deutscher Jude bin ich es sowieso gewohnt, mich zu assimilieren. Mit anderen Worten: Ich kann das, was mir Angst macht, aus nächster Nähe betrachten.

«Wo kommt denn der interessante Nachname her? Woher die Familie? Aha, und die Großeltern? Und politisch?» Während der Pausen werde ich von den Burschen belagert und ausgehorcht, aber meine Antworten scheinen zu gefallen. Nur von den Fotografien an den holzvertäfelten Wänden blicken die Danuben vergangener Zeiten grimmig auf mich herab. Ganz so, als hätten sie mich durchschaut.

Und dann ist da der Bursche aus Aachen. Ein Gast aus einer befreundeten Verbindung, ein riesiger Kerl, in meiner Erinnerung zwei Meter oder noch größer, vielleicht sogar zweieinhalb – nein das kann nicht sein … Die Details verschwimmen nach all den Jahren, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen. Aber was er sagte, das habe ich noch immer ganz genau im Ohr: «Meine Herren, wir haben heute Abend einen Juden unter uns!»

Ich will an meiner Zigarette ziehen, aber kriege keine Luft. Das war’s, denk ich mir. Hier komm ich nicht mehr raus. Aus. Vorbei. Kaputtgehauen in einer Naziburschenschaft … Aber der Aachener Riese fletscht die Zähne zu einem breiten Grinsen und deutet auf den Chargierten: «Also, wenn das mal keine Judenohren sind, was?»

In meinem ganzen Leben habe ich nie wieder so sehr über einen Witz gelacht. Hoffentlich werde ich es auch nie mehr tun. Was für ein wunderbarer Witz! Judenohren! Ohren, so groß wie die von einem Juden! Spefuchs Günzburg ist entzückt – und die Burschen von ihm. Wir haben offenbar denselben Sinn für Humor. Darauf einen schönen Schluck Bier, und da schmettert auch schon der Säbel des Chargierten auf den Tisch – Silentium! Diszipliniert geht es weiter, Bier und Schnaps strömen in die Burschen hinein, Liedgut und Parolen gurgeln aus ihnen heraus.

Irgendwann ist der offizielle Teil überstanden, nach anderthalb oder zwei oder zwanzig Stunden, was weiß ich. Und nun begann das ungezwungene Beisammensein, nun quoll die wahre Gesinnung aus der kostümierten Burschenherrlichkeit. Erst sind es vereinzelte Widerlichkeiten. Ätzende Kommentare und pointenlose Witze über Schwarze Bundesligaspieler und Homosexuelle und den Islam, bald wird über die Geburtenraten von Migrant*innen gefeixt, dann auch schon der Holocaust geleugnet. Man hat sich jede Zurückhaltung weggesoffen. Ein gedrungener Bursche setzt sich neben mich und erklärt mir, dass es da draußen doch ohnehin bergab ginge. «Diese ganze bundesrepublikanische Gesellschaft ist längst verweichlicht», tönt er und raunt vom Kreuzzug des Kulturmarxismus.

Dieser Begriff und sein Kreuzzug sind mir neu, aber der Gedrungene klärt mich gerne auf. Er berichtet mir von einem Komplott: «Im Grunde ist das der neue Kommunismus, aber auf Umwegen!» Die globale Linke wolle Nationen und Sitten auslöschen, die Werte von Familie und Männlichkeit. Und genau deswegen werde der Westen auch mit dieser ganzen linken Propaganda geflutet: Mit politischer Korrektheit und «Homolobby» und Feminismus. «In Wahrheit ist das alles nur Kulturmarxismus, ein Krieg gegen den Mann, die Familie, das Volk!» Auch daher sei die Burschenschaft, der wehrhafte Männerbund, eine der letzten Bastionen des Widerstands, erklärt er, und da wird auch schon das Gästebuch voll...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alltagsrassismus • Antifeminismus • Antifeministen • Debatte • Demokratie • Diversität • Feminismus • Frauenhass • Frauenhasser • Genderismus • Gender Studies • Gesellschaft • Hate speech • Kultur • Männerbünde • Männerrechtsbewegung • Männlichkeit • Maskulinismus • Maskulismus • Maskulist • Nazi-Rapper • Neonazis • Neue Rechte • Politik • Rassismus • Rechtsextremismus • Sachbuch • Sexismus • Verschwörungstheorien
ISBN-10 3-644-00706-3 / 3644007063
ISBN-13 978-3-644-00706-2 / 9783644007062
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