Amerikas Gotteskrieger (eBook)
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01006-2 (ISBN)
Annika Brockschmidt hat Geschichte, Germanistik und War and Conflict Studies in Heidelberg, Durham und Potsdam studiert. Sie ist freie Journalistin und Autorin, hat in der Vergangenheit für das ZDF-Hauptstadtstudio gearbeitet, den «HistoPod» für die Bundeszentrale für politische Bildung produziert und ist aktuell Co-Host der Podcasts «Feminist Shelf Control» mit Rebekka Endler und «Kreuz und Flagge» mit Lukas Hermsmeier. 2022 erhielt sie ein «Transatlantic Media Fellowship» der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Artikel sind u.a. bei ZEIT Online, dem Tagesspiegel, dem Freitag, der taz und der Frankfurter Rundschau erschienen. Brockschmidt schreibt außerdem als Senior Correspondent für «Religion Dispatches». Ihr Buch «Amerikas Gotteskrieger» über die Macht der Religiösen Rechten in den USA war 2021 ein Bestseller.
Annika Brockschmidt hat Geschichte, Germanistik und War and Conflict Studies in Heidelberg, Durham und Potsdam studiert. Sie ist freie Journalistin und Autorin, hat in der Vergangenheit für das ZDF-Hauptstadtstudio gearbeitet, den «HistoPod» für die Bundeszentrale für politische Bildung produziert und ist aktuell Co-Host der Podcasts «Feminist Shelf Control» mit Rebekka Endler und «Kreuz und Flagge» mit Lukas Hermsmeier. 2022 erhielt sie ein «Transatlantic Media Fellowship» der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Artikel sind u.a. bei ZEIT Online, dem Tagesspiegel, dem Freitag, der taz und der Frankfurter Rundschau erschienen. Brockschmidt schreibt außerdem als Senior Correspondent für «Religion Dispatches». Ihr Buch «Amerikas Gotteskrieger» über die Macht der Religiösen Rechten in den USA war 2021 ein Bestseller.
Macht – in Gottes Namen
«Danke, dass du den Vereinigten Staaten erlaubt hast, wiedergeboren zu werden. Danke, dass du uns erlaubt hast, uns der Kommunisten, der Globalisten und der Verräter in unserer Regierung zu entledigen. Wir lieben dich und wir danken dir. Wir beten in Christus’ heiligem Namen.» – Jacob Chansley, ein Angreifer beim Sturm auf das Kapitol, in der Senatskammer, innehaltend zum Gebet[1]
Auf den Transparenten stand «Jesus rettet», christliche Flaggen wehten im Wind, «God, Guns and Guts made in America, let’s keep all three» lautete eine Parole. Eine Menschengruppe betete laut, versammelt um ein großes Holzkreuz, die Köpfe geneigt. Viele von ihnen gehörten zu derselben Menge, die später mit Fahnenstangen auf Polizisten einprügelte, sie mit Bärenspray angriff und die Fenster des Kapitols einwarf. Einige machten sich mit «Hängt Mike Pence!»-Rufen auf die Suche nach dem Vizepräsidenten – der Galgen stand draußen schon bereit.
In Amerika und weltweit verfolgten Menschen live vor dem Fernseher den Angriff auf das Kapitol am 6. Januar 2021, bei dem ein bewaffneter Mob, aufgestachelt vom damaligen Präsidenten Donald Trump, einigen Republikanischen Politikern und Aktivisten, die Capitol Police überwältigte und stundenlang das Kapitol besetzte, jenes Gebäude, das wie kein zweites die amerikanische Demokratie symbolisiert. Bei aller Unübersichtlichkeit der Lage fiel auf, wie häufig die Kombination christlicher Symbole mit solchen der White Supremacy-Bewegung war. Dieser Schulterschluss sorgte bei vielen Zuschauern für Verwirrung: Weshalb marschierten hier betende Menschen neben radikalen Nationalisten und Rassisten, um Politikern nach dem Leben zu trachten?
Es handelte sich hierbei nicht um Zufall, sondern um eine seit langem geschmiedete Allianz. Der Christliche Nationalismus, den man am 6. Januar beobachten konnte, tauchte nicht erst mit Donald Trump auf der politischen Bühne auf. Bei näherem Hinsehen war es auch wenig überraschend, dass Rassismus das verbindende Element zwischen der Religiösen Rechten und White Supremacists darstellte: Schon bei den Anfängen der organisierten modernen Religiösen Rechten in den 1960er Jahren war Rassismus die treibende Kraft. Dieses Buch nimmt den Einfluss der modernen Religiösen Rechten in den USA von ihrer Entstehung bis heute systematisch in den Blick und erzählt die Entwicklung einer komplexen, heterogenen Bewegung, die bereits seit Jahrzehnten Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft und Politik nimmt und die maßgeblich für die tiefe Spaltung des Landes verantwortlich ist.
Die Spur des Christlichen Nationalismus zieht sich durch die amerikanische Geschichte. So politisch einflussreich wie heute konnte er allerdings nur durch eine straff organisierte Religiöse Rechte werden. Unter dem Begriff versammelt sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppierungen. Sie erkennen die Trennung von Kirche und Staat nicht an, sondern träumen davon, Amerika für Gott «zurückzugewinnen», die christliche und amerikanische Identität sind für sie untrennbar miteinander verbunden. Anhänger der Religiösen Rechten streben eine Gesellschaftsordnung an, in der Gott nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in politischen Institutionen und Gesetzen präsent ist. Sie wollen ein Amerika, in dem konservative Christen alle säkularen Institutionen des Landes besetzen und diese nach ihrem Verständnis im Sinne Gottes leiten.[2] Es geht um die Durchdringung der Gesellschaft in all ihren Bereichen, sei es in der Politik oder im Kulturbetrieb, in der Justiz, im Bildungssystem oder in den Medien. Um ihr Ziel einer durch und durch christlichen Nation zu erreichen, baute die Religiöse Rechte in den letzten Jahrzehnten ein hocheffizientes Netzwerk aus Medienimperien, Kirchen, Organisationen und Lobbygruppen auf, dessen erfolgreiche Wählermobilisierung ihr langsam, aber sicher den Weg ins Machtzentrum von Washington ebnete.
Wer die aktuelle politische Situation in den USA verstehen will, muss die Denkmechanismen der Religiösen Rechten, das Knäuel aus Kulturkampf, Ideologie, Apokalypse-Sehnsucht, Verschwörungsdenken und Macht entwirren. Diese Verbindungen haben dazu geführt, dass es ein Kandidat wie Donald Trump ins Weiße Haus geschafft hat – und dass auch nach dessen Amtszeit eine straff organisierte Bewegung die demokratischen Grundprinzipien der Vereinigten Staaten systematisch untergräbt.
Trump war nicht das Ende. Längst besitzen die religiösen Hardliner eine landesweite politische Infrastruktur, die eingespielt ist und schnell reagieren kann. Bereits seit mehreren Jahrzehnten spielt die Religiöse Rechte das «long game», sie ist zu einem Powerplayer der amerikanischen Politik geworden, dessen hartnäckige Beständigkeit selbst amerikanische Polit-Profis überrascht zu haben scheint. Immer wieder veröffentlichten Medien Nachrufe auf die Religiöse Rechte, prophezeiten ihren Niedergang. Jedes Mal lagen sie falsch.
Der Christliche Nationalismus wie auch die Religiöse Rechte in den USA sind zutiefst politisch, mit realen Machtambitionen und dank Großspendern mit scheinbar unerschöpflichen finanziellen Mitteln gesegnet. Die moderne Religiöse Rechte hat es durch geschickte politische Themensetzung in den Kulturkämpfen geschafft, frühere Konflikte zwischen Denominationen (Konfessionen) zu überwinden und ihre Basis zu einem effektiven Wählerblock zu formieren.
Dabei bildeten sich in den letzten Jahrzehnten auch neue Allianzen, teils auf der Basis rein wirtschaftlicher Interessen: Neben den Sozial-Konservativen der Republikanischen Partei, die sich mit dem Christlichen Nationalismus identifizieren, ging die Religiöse Rechte auch ein Bündnis mit Neoliberalen ein. Die Verbindungen von Superreichen und radikalen Hardlinern waren essenziell, um das heutige, weit verzweigte Netzwerk der Religiösen Rechten aufzubauen und dadurch massiven Einfluss auf die amerikanische Politik zu nehmen. Einfluss, der schwer nachzuverfolgen ist, weil sich so viele ihrer Think Tanks und Verbände als offiziell unparteiische Wohltätigkeitsorganisationen diverser steuerlicher und gesetzlicher Vorteile erfreuen. Der Oberste Gerichtshof hat, dank der Religiösen Rechten mit einer erzkonservativen 6:3-Mehrheit, im Sommer 2021 seine Hand schützend über die Flüsse von ebenjenem Dark Money gehalten, den nicht nachverfolgbaren Großspenden. Und auch eine weitere Strategie der Religiösen Rechten, um als Minderheit noch an der Macht zu bleiben, wurde vom Obersten Gerichtshof für verfassungskonform erklärt: ein Gesetz in Arizona, das es für BPoC (Black and People of Colour) schwerer macht, wählen zu gehen. Im nächsten Term des Supreme Courts stehen zwei weitere Kernanliegen der Religiösen Rechten an: Abtreibung und Waffenrecht.
Gleichzeitig wird in den USA derzeit ein Kampf um die Deutungshoheit über die eigene Geschichte ausgefochten. Der Geschichtsrevisionismus, der es bis in staatliche Schulen geschafft hat, ist eine der wichtigsten Waffen Christlicher Nationalisten. Lange vor Filterblasen auf Twitter und Facebook hatte die Religiöse Rechte bereits begonnen, ihre eigenen Medienimperien aufzubauen. Religiöse Identität, das soll hier gezeigt werden, besteht aus viel mehr als nur Theologie. Mindestens ebenso stark wird sie geprägt durch Tradition, Politik und Gemeinschaft sowie durch Pop- und Konsumkultur wie Musik, Filme oder Bücher, durch Geschlechtervorstellungen und Definitionen davon, wer «dazugehört» und wer nicht.
In diesem Buch wird nachgezeichnet, wie die Religiöse Rechte Gewalt sakralisiert, als Werkzeug zur Verteidigung einer christlichen Gesellschaftsordnung überhöht und moralisch rechtfertigt.[3] Die Verbindung aus rechten christlichen Medien, Predigern des Wohlstandsevangeliums und gesellschaftlichen Strömungen innerhalb des Christlichen Nationalismus hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Radikalisierung des politischen Dialogs geführt.
Doch vor allem waren es die Fußsoldaten, die christlichen Wähler, die am 3. November 2016 zur Wahl gingen, auf ihrem Stimmzettel «Trump» ankreuzten und ihn ins Weiße Haus brachten. Wer die Kirchen in strategisch wichtigen Staaten mobilisiert, so der Gedanke, gewinnt Wahlen. Genau das geschah 2016: Zwischen 79 und 81 Prozent der Weißen Evangelikalen stimmten 2016 für ihn, vor allem diejenigen, die am häufigsten in die Kirche gehen.[4] Politische Beobachter und Analystinnen hatten die Koalition aus der Religiösen Rechten und der sogenannten Alt-Right, der extremen Politischen Rechten unter Führung von Steve Bannon, nicht vorhergesehen: Trumps Wahlkampf bespielte höchst effektiv die nativistischen Anwandlungen beider Bewegungen. Viele unterschätzten außerdem die bemerkenswerte Fähigkeit der amerikanischen Religiösen Rechten, Niederlagen zu ihrem eigenen Nutzen zu verwenden und ihren jahrzehntelang gehegten Plan umzusetzen, die Herrschaft einer Minderheit über die Mehrheit zu etablieren, indem sie sich Schlupflöcher im amerikanischen demokratischen System zunutze machte. Wer erwartet hatte, dass Weiße Evangelikale Trump 2020 nach vier Jahren skandalträchtiger Regierungszeit nicht mehr die Treue halten würden, wurde eines Besseren belehrt: 2020 stimmten mit 84 Prozent mehr von ihnen für Trump als noch 2016.[5] Verluste hatte er vor allem unter nicht-religiösen Amerikanern zu...
Erscheint lt. Verlag | 19.10.2021 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 1 Jahr Biden • 1 Jahr US-Wahl • Amerika • Christentum • Demokratie • Donald Trump • Evangelikale • Joe Biden • midterms • Ohne Trump • Politik • rechtsextremer Terrorismus • Rechtsextremismus • Religion • Republikaner • Staat • Supreme Court • Trump • USA • USA, Amerika, Religion, Evangelikale, Politik, Staat, Demokratie, Christentum, Weißes Haus, Trump • Wahl Virginia • Weißes Haus |
ISBN-10 | 3-644-01006-4 / 3644010064 |
ISBN-13 | 978-3-644-01006-2 / 9783644010062 |
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