Zusammen ist man weniger alt (eBook)
384 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-27446-7 (ISBN)
Lorenz Wagner zieht mit Frau und Tochter in ein besonderes Haus: vier Generationen unter einem Dach. Erst knirscht es zwischen Jung und Alt, dann entfaltet ihr Zusammenleben seinen Zauber. In dem Haus, in der sich die Jüngste auf das Leben und der Älteste auf den Tod vorbereitet, ist das Altern ein ständiger Mitbewohner - mal lächelnd, mal bedrückend, aber immer gegenwärtig. Und so wächst im Laufe der Zeit in Wagner eine Sehnsucht: wie die Urgroßeltern noch viele Jahre mit seinen Lieben zu teilen, aber ohne die Leiden, die das Alter mit sich bringt. Eines Tages lernt er den Harvard-Professor David Sinclair kennen, der Atemberaubendes berichtet: Erstmals seien wir in der Lage, das Altern zu bremsen, sogar umzukehren. Erleben wir eine medizinische Revolution? Wagner beschafft sich geheimnisvolle Moleküle und spricht mit weltbekannten Altersforschern. Seine wichtigste Einsicht aber gewinnt er im eigenen Heim.
Zusammen ist man weniger alt, das neue Werk des internationalen Bestsellerautors, verbindet eine berührende Familiengeschichte mit einer faszinierenden Wissensreise. Aufwändig recherchiert, mit bahnbrechenden und fundierten Erkenntnissen aus Medizin, Genetik und Altersforschung.
Lorenz Wagner, jahrelang Chefreporter der Financial Times Deutschland, heute Autor des Süddeutsche Zeitung Magazins, gehört zu Deutschlands renommiertesten Journalisten. Er schrieb exklusive Nahaufnahmen von Susanne Klatten, Melinda Gates und Jeff Bezos und wurde vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem Deutschen Journalistenpreis und dem Medienpreis der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der internationale Bestseller »Der Junge, der zu viel fühlte«.
1
Das Paket
»… und Professor Sinclairs Wundermoleküle«
Unbemerkt hatte ich das Paket in den ersten Stock getragen, ins Damenzimmer.
Wie ich dieses Wort mag! In ältlicher Schrift hat es der Architekt im Jahr 1908 in den Grundriss geschrieben, der seit einigen Wochen ausgebreitet auf einem alten Ahorntisch im Erker liegt. Umrahmt von staubigen Kladden, vergilbten Fotos und hölzernen Kisten, in denen sich Dokumente verstecken, die ich noch nicht gesichtet habe: mein Recherchetisch.
Vor hundert Jahren diente das Damenzimmer der Frau eines weltbekannten Forschers als Rückzugsort, als ihr Boudoir, in dem sie sich ankleidete, vor ihrer Poudreuse saß, und, so wurde mir zumindest erzählt, Briefe las und Tagebuch schrieb. Kinder hatte das Paar keine. Und als der Forscher vor mehr als einem halben Jahrhundert starb, ließ die Frau die Skulpturen, für die sie Modell gestanden hatte, aus dem Garten bringen und verkaufte ihr Haus an Franziskas Großeltern, Willi und Helga. Diese ließen, da sie fünf Kinder hatten, eine Eckbank und den Ahorntisch in den Erker zimmern und machten aus dem Boudoir ihr Esszimmer, das heute nur noch an Weihnachten genutzt wird. Dann, wenn Willi seine Festtagshose anzieht und Helga für die ganze große Familie ihr berühmtes Rehragout schmort. Fünfundachtzig und fünfundneunzig Jahre sind die einst jungen Eltern nun alt.
Das Damenzimmer ist der ruhigste Fleck im Haus, versteckt hinter der Bücherstube, die Tür stets verschlossen. Und so habe ich eine Tischplatte zwischen Heizung und Fenstersims geklemmt, das Hundebett daruntergeschoben und diesen vergessenen Ort zu meinem Arbeitszimmer gemacht. Auf dem Erkertisch lagern meine Recherchen, die, seit ich an diesem Buch schreibe, der Decke entgegenwachsen.
Vor drei Tagen hatte ich das Paket hinaufgetragen und hinter die Stapel geschoben, zu den beiden anderen Paketen, die ich dort schon länger versteckte. Seitdem blieben sie unberührt.
Nun ist Sonntagabend, eine ungewöhnliche Ruhe liegt über dem Haus, vier Generationen leben unter diesem löchrigen Dach: Franziska und ich. Unsere Tochter Sophia. Franziskas Mutter Susanna. Und Franziskas Großeltern, Willi und Helga. Es mag sie geben, die Augenblicke, in denen in dem Haus gerade keiner spricht, ruft, läuft, lacht, weint, hopst, tanzt, niest, schnarcht, hustet, Staub saugt, musiziert oder – zwei Hunde sind auch dabei – bellt. Aber erlebt habe ich sie noch nicht, auch jetzt, wo ich die Ruhe genieße, höre ich Helga mit dem Geschirr klappern, das sie mal wieder lieber von Hand abwäscht, als in den Geschirrspüler zu räumen, der dieses Werk einfach nicht so gut wie sie zu verrichten vermag. Und aus Willis Räumen, die im selben Stockwerk wie das Damenzimmer liegen, klingt leise Filmmusik, das Thema aus Der Pate. Ennio Morricone, ihr Komponist, ist gestorben, Jahrgang 1928, drei Jahre jünger als Willi. »Nun auch schon tot«, hat er trocken zu mir gesagt, »ein netter Mensch.« Neben Spiel mir das Lied vom Tod ist Der Pate Willis Lieblingsfilm. Hunderte Male hatte er ihn gesehen, erstmals 1972, den Rohschnitt, als Willi Freund und rechte Hand von Charlie Bluhdorn war, dem Gründer des legendären Firmenverbunds Gulf & Western und damit auch Besitzer des Filmstudios Paramount, das den Film produzierte.
150 Unternehmen zählten zu Charlies Reich: Stoßstangen und Sportstätten, Zink und Zucker, Pferde und Rinder, Filme und Bücher, Madison Square Garden und der ehrwürdige Verlag Simon & Schuster. Charlies unternehmerisches Meisterstück war das Geschäft in der Dominikanischen Republik, wo er Land gekauft hatte. Es fühlte sich an, als gehöre die ganze Insel Gulf & Western, der Besitz war so groß, dass sie ihn mit dem Hubschrauber abfliegen mussten, wenn sie an einem Tag alles sehen wollten: Wälder und Berge, Buchten und Strände, Weiden und Plantagen. 90 000 Morgen Land, das nach dem Kauf in nur zehn Jahren seinen Wert verfünffacht hatte, nach heutiger Kaufkraft ein Gewinn von zwei Milliarden US-Dollar. Dazu kamen die Erlöse aus der Zucht von Rindern und Polopferden, dem Anbau von Tabak und Zuckerrohr, aus den Hotels und Resorts. Charlie hatte das Land dem Tourismus geöffnet, den Reichen und Mächtigen, den Kennedys, Fords, Brynners und Sinatras. Eine Idee nach der anderen sprang aus Charlies Kopf, wenn er in seinem Haus am Strand saß und nachdachte, was als Nächstes kommen müsse: eine eigene Landebahn, eine Baufirma, ein Zementwerk. Dann sagte er: »Willi, take care of it.« Und Willi kümmerte sich, suchte Bauland, schuf Lagerflächen, empfahl einen Konsul, ja, und nebenbei half er im Filmgeschäft mit, verkehrte mit Kirk Douglas, Romy Schneider und Robert Redford; er bereitete Filme vor und trat selbst als Produzent auf. Was war der Pate für ein wichtiger Film, zusammen mit Blockbustern wie Love Story und Saturday Night Fever erhob es sie – in den Kinokartenverkäufen – von der Nummer neun zur Nummer eins unter den Filmstudios. Bevor Charlie sein Okay gab, hatte Willi in Neapel den Autor Mario Puzo getroffen, um zu schauen, ob das Buch was taugt. Hatte mit dem Regisseur durchgespielt, wie solch ein Film aussehen könnte, Mafia-Filme galten zu der Zeit als altbacken. Hatte Schauspieler beurteilt, ob sie für die Rolle passen. Einen der Kandidaten mochte Charlie erst mal überhaupt nicht: Marlon Brando. Zu teuer! Abgehalftert! Und überhaupt: Der ließ sich doch von keinem Regisseur was sagen. Und für diesen Film hatten sie Francis Ford Coppola verpflichtet, schüchterne zweiunddreißig Jahre alt. Wie sollte das gehen?
»Charlie, give him a chance«, hatte Willi geraten. Gerade hatte er Coppola in Venedig gesehen, und der hatte ihm mit erfreuten Augen erzählt, welche Ideen Brando hätte. Er wollte sich Stoff in die Wangen stecken, um seine Aussprache zu verfremden. »Coppola«, sagte Willi zu Charlie, »weiß von Anfang an, dass Brando mitreden will. Und der steht darüber, der ist anders als die altmodischen Regisseure, die etwas vorgeben und sagen: ›Das ist das Gebet.‹«
Ich lausche der Tür zwischen unseren Räumen entgegen, ob Brandos Stimme hindurchklingt. Nein, leider nicht.
Das ersehnte Paket! Fett prangt ein Stempel drauf. Sechs Wochen hatte es im Frankfurter Zollamt gelegen. Die Beamten hatten gezögert, es ins Land zu lassen. Her mit der Schere, es aufgeschnitten: fünf kleine weiße Dosen, eingeschweißt. Die Folie nestele ich weg und schraube die Dosen auf: ein weißes Pulver, pludrig und kristallin zugleich. Ich feuchte meinen Finger an, tauche ihn ein. Schmeckt sauer-bitter, mein Mund zieht sich zusammen, ich muss niesen:
Professor Sinclairs Wundermolekül.
***
David Sinclair habe ich vor einem guten Jahr in der Schweiz kennengelernt, auf einem Kongress in Montreux, wo sich Wissenschaftler und Investoren begegneten, darunter Nobelpreisträger und Milliardäre. Und der Professor hat wie kein Zweiter die Blicke auf sich gezogen. Sein Aussehen hat etwas Rätselhaftes, es passt nicht zu Geburtsdatum und Lebenslauf: Er ist um die fünfzig Jahre alt; aber er wirkt jünger, fast jungenhaft. Kein Graustich im Haar, keine Falten im Gesicht, und es sieht nicht so aus, als helfe er mit Farbe oder Botox nach.
»Kennst du David?«, hatte mich Kamila gefragt, eine Freundin, Hirnforscherin und Unternehmerin, die neben mir stand und wusste, dass ich, seit ich in einem Haus mit vier Generationen wohnte, viel über das Altern nachdachte. »Ich muss ihn dir unbedingt vorstellen.« Sie zwinkerte: »Er hat eine Pille erfunden, die dich jünger macht.«
Eine Traube Menschen stand um Sinclair herum. Niemand müsse sich in sein Alter fügen, sagte er gerade in die Runde, genetisch, nach einem Bluttest, sei er 31,4 Jahre alt. Alles habe sich in den letzten fünf Jahren in der Altersforschung verändert. Er jedenfalls habe vor, hundert zu werden, gesund hundert – und dann mal sehen. Ich lauschte erstaunt. Was war das für eine Gaukelei? Aber niemand widersprach, auch Kamila begegnete ihm mit großem Ernst. Nach einer Weile stellten wir beide uns ein wenig abseits und tauschten ein paar Worte. Und schon musste er los, ein Investor warte auf ihn und danach sein Vortrag … – Ja natürlich, was ist denn das Thema? – Die Lebensuhr zurückdrehen. – Wie? Verjüngen? – Ja, genau. Lassen Sie uns später sprechen. Er reichte mir seine Karte, seine wichtigen Daten waren:
DAVID A. SINCLAIR
Lehrstuhl für Genetik
Co-Direktor des Zentrums für die Biologie des Alters
Harvard Medical School
Während der Investor ihn mit wichtiger Miene wegführte, setzte ich mich auf eine Treppe im Foyer und las, was im Netz so über Professor Sinclair zu finden war. Seit fünfundzwanzig Jahren, sein halbes Leben lang, erforscht und bekämpft er das Altern. Seine Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet, das Time Magazine hatte ihn in die Top 100 der einflussreichsten Personen der Welt aufgenommen, und der Präsident der Nationalen Akademie der Medizin nannte Sinclairs Buch Das Ende des Alterns »meisterhaft«. Auf acht Faktoren des Alterns hat sich die Medizin verständigt. Zu jedem dieser Faktoren entwickelt Sinclair Medikamente. Sie sollen das Altern nicht nur bremsen, sie sollen uns verjüngen. Sinclairs erste Testperson: er selbst.
***
Lange hatten Sinclair und ich nach seinem Vortrag über seine Erkenntnisse gesprochen.
Ich hörte ihn sagen, das Leben ließe sich wie Musik betrachten. Wie Musik altere das Erbgut nicht. Es sei in der DNA niedergeschrieben. Unsere Gene seien...
Erscheint lt. Verlag | 10.5.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Altersforschung • Bestsellerautor • Das Ende des Alterns • David Sinclair • Der Junge, der zu viel fühlte • Die Altersrevolution • eBooks • Einsamkeit • Ende des Altersleidens • Gesundheit • gesund im Alter • Glücklich im Alter • Mehrgenerationenhaus • Metformin • Nicotinamid-Mononukleotid • Nina Ruge • Pro-Age • Resveratrol • Süddeutsche Zeitung Magazin • Zukunft des Zusammenlebens |
ISBN-10 | 3-641-27446-X / 364127446X |
ISBN-13 | 978-3-641-27446-7 / 9783641274467 |
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