Kartoffelbrei mit Stäbchen (eBook)

Drei Chinesen, fünf Länder, sieben Tage - Auf Europareise mit meiner chinesischen Familie
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-27026-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kartoffelbrei mit Stäbchen -  Thomas Derksen
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Zum Verlieben komisch! Wenn zum Honeymoon die gesamte chinesische Verwandtschaft mitreist
Chinesen auf Europatrip - ein Phänomen, das Thomas Derksen bisher nur aus sicherer Entfernung kannte: Busladungen von Touristen, die mit ihren Selfie-Sticks wie aus dem Nichts vor Sehenswürdigkeiten auftauchen und anschließend fröhlich schnatternd in Einkaufsmeilen und All-you-can-eat-Restaurants einfallen.

Aber jetzt, wo der Rheinländer seiner Liping das Ja-Wort gegeben hat, wollen die chinesischen Schwiegereltern zusammen mit dem jungen Paar einen Kurztrip durch halb Europa machen: 5 Länder in 7 Tagen - ein perfektes Angebot. Ungemein liebenswert und unterhaltsam berichtet Derksen, wie er sich durch Mode-Outlets und Designerläden quält, seine chinesische Sippschaft mit Rindsrouladen und anderen kulinarischen Eigenarten traktiert und überhaupt so mancherlei Aha-Erlebnisse hat, wenn sich die eigene Heimat, durch die chinesische Brille betrachtet, plötzlich so wahnsinnig fremd anfühlt. Und die Frage auftaucht: Kann man solche Flitterwochen überstehen und trotzdem ein Liebespaar bleiben? - Da hilft nur eins: ganz viel Humor. Zum Glück ist Derksens zweiter Name »Afu«, der glückliche Thomas...

Thomas Derksen, geb. 1988 im rheinländischen Gummersbach, hat nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert und anschließend in Bochum und Shanghai Wirtschaft und Politik Ostasiens sowie Chinesisch studiert. Inzwischen lebt er als Vlogger und Influencer in Shanghai und betreibt zusammen mit seiner Frau Liping einen sehr erfolgreichen Social-Media-Kanal, auf dem er regelmäßig von seinem Leben als Deutscher in China berichtet.

»5 Länder in 7 Tagen! Erleben Sie Europas schönste Städte in entspannter Atmosphäre. Maximale Gruppengröße: 88 Teilnehmer.«

Das ist die perfekte Reisegruppe für meine Schwiegereltern. Meine Schwiegereltern sind Shanghaier Geschäftsleute und meine Frau Liping, so wie fast alle in ihrer Generation, Einzelkind. Vor einiger Zeit haben wir in China sehr traditionell in Rot mit Löwentanz und allem, was sonst noch zu einer klassischen chinesischen Hochzeit gehört, geheiratet. In wenigen Monaten werden wir noch mal in Deutschland Hochzeit feiern, diesmal nach den Traditionen bei mir zu Hause. In der Kirche, in Weiß und in Anwesenheit aller rheinischen Freunde und Nachbarn.

Im Anschluss daran werden wir meine Schwiegereltern in Köln in einen Reisebus mit chinesischsprachiger Reiseleitung setzen, während Liping und ich in den Flieger Richtung Flitterwochen steigen. Endlich einmal echte Zweisamkeit! In den letzten zwei Jahren haben wir zeitweise mit meinen Schwiegereltern zusammengelebt und selbst jetzt, wo wir eine eigene Wohnung mieten, schlagen sie beinahe täglich bei uns auf. Primär, um sich zu erkundigen, wie fortgeschritten unsere Pläne bezüglich des von ihnen heiß ersehnten Nachwuchses sind. Das wird ihnen unmöglich sein, wenn Liping und ich ungestört und hoffentlich ohne Handyempfang am Strand liegen und Dinge tun, die frischvermählte Ehepaare nun mal so tun. Dann geht auch ohne ihr Zutun vielleicht in nächster Zeit ihr Wunsch, Großeltern zu werden, in Erfüllung.

Noch sitzen wir aber in einem der unzähligen Wohntürme Shanghais und vor uns vieren steht jeweils eine Schüssel mit dampfendem, duftenden Klebereis. Mit den Holzstäbchen befördere ich etwas von der sautierten Aubergine und eine zartrosa Garnele in meine Schüssel.

»Die vier Kilo, die ich nach der Hochzeit zugelegt habe, gehen alle auf dein Konto, Mama«, lobe ich meine Schwiegermutter für ihre Kochkünste.

Bescheiden streicht sie sich eine Strähne aus der Stirn und lächelt zufrieden.

»Greif zu, wenn’s dir schmeckt.«

Das scheint der richtige Zeitpunkt zu sein, um mit meiner Überraschung herauszurücken. Mit dem linken Zeigefingerrücken reibe ich mir drei Mal über die Nase, krame aus meiner Jackentasche die Reisebestätigung hervor und halte diese meinem suppeschlürfenden Schwiegervater hin.

»Schau mal, das ist für euch!«

Er lässt seinen Blick auf das Papier fallen, auf dem groß in gelben chinesischen Zeichen mit roter Umrandung steht: »Die Jodel-Troubadoure – Eine musikalische Reise durch Europa.« Troubadour. Wo der Reiseveranstalter dieses Wort wohl ausgegraben hat? Wahrscheinlich ein Asterix-Fan. Wie dem auch sei, es ist die perfekte Reisegruppe.

Mein Schwiegervater, den seine Freunde alle nur respektvoll Alter Zhu nennen, singt für sein Leben gern. Überhaupt singen fast alle Chinesen gern. Wenn man durch die Straßen Shanghais flaniert, ist es keine Seltenheit, dass ein Essensbote, den neuesten Gassenhauer schmetternd, gebratene Nudeln und Milchtee ausliefert. Und niemand außer Ausländern wie mir würde ihn auch nur eines Blickes würdigen. Denn wenn er Liebeskummer hat, dann muss es eben raus. Liebeskummer und Herzschmerz – darum geht es sowieso in 99 Prozent aller chinesischen Lieder. Ich denke da nur an die bekannten Schmonzetten »Der Fremde, der mir so nah ist« oder »Das Mädchen mit den Flügeln«. Der Herzschmerz ist hier wahrscheinlich deshalb eine verbreitete Krankheit, weil man viele Ehen in China im weitesten Sinne noch als arrangiert bezeichnen kann. Auch wenn es in den meisten Fällen nicht mehr so ist, dass das Brautpaar sich am Hochzeitstag zum ersten Mal sieht, so spielen Gefühle doch häufig eine untergeordnete Rolle. Oft werden junge Leute einander von älteren Verwandten vorgestellt, weil man »ja so gut zueinanderpasst«. Die Kriterien hierbei sind meist Immobilienbesitz, Einkommen und Alter. In genau dieser Reihenfolge. Und dann wacht man plötzlich jeden Morgen nicht neben dem Mädchen mit den Flügeln auf, sondern neben der Fremden, die einem so nah ist.

In dieser Hinsicht bilden meine Schwiegereltern eine Ausnahme. Sie waren Klassenkameraden in der Grundschule und dazu auch noch Tischnachbarn. Das lag nicht daran, dass sie sich von Anfang an sonderlich sympathisch waren, sondern daran, dass meine Schwiegermutter die Klassenbeste war und mein Schwiegervater im Englischunterricht nicht einmal ein E von einem F unterscheiden konnte und die rote Laterne der Klasse jahrelang gepachtet hatte. Die Klassenlehrerin dachte, es wäre eine gute Idee, den Kleinen Zhu neben die Kleine Wang zu setzen, damit er sich von der fleißigen Schülerin inspirieren ließe. Doch der Kleine Zhu interessierte sich nicht im Geringsten für englische Vokabeln und Grammatik, sondern verbrachte seine Zeit lieber damit, die roten Haarbänder seiner strebsamen Tischnachbarin in das Tintenfass zu tunken und mittags ihren Mantou, das gedämpfte Weizenbrot, zu stehlen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Englischkenntnisse meiner Schwiegermutter sich über die Jahrzehnte auf den Satz We study English for the revolution reduziert haben. Mittlerweile wird sie nicht mehr Kleine Wang, sondern aufgrund ihrer Tätigkeit als Fahrschullehrerin Lehrerin Wang genannt, oft auch von uns Familienmitgliedern. Trotz oder vielleicht gerade wegen des ganzen jungenhaften Schabernacks hatte sie sich als Jugendliche den Avancen des jungen Zhu ergeben. Dieser trug mittlerweile eine adrette Polizeiuniform und mit Anfang 20 heirateten die beiden. Auch auf Hochzeiten in China wird viel gesungen – damals wie heute. Alle paar Monate holt der Alte Zhu die altmodische VHS-Kassette aus der Schublade und schaut sich an, wie er im schicken Anzug das Lied »Der weinende Ozean« (»Der Abschiedsschmerz ist so tief wie der Meeresboden«) zum Besten gibt. Für meinen Geschmack schaut er dabei auffällig oft zur Brautjungfer neben ihm, aber diese Beobachtung habe ich noch nie laut ausgesprochen.

Das ist nun mittlerweile mehr als 30 Jahre her und ich bin mir sicher, dass eine musikalische Reise durch Europa die ideale Abwechslung zum Shanghaier Alltagstrott für die beiden ist. Währenddessen werden Liping und ich uns in Griechenland die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Mir kribbelt es schon auf der Haut, wenn ich daran denke, wie nach den stressigen Monaten voller Hochzeitsvorbereitungen gutes Wetter, frische Meeresfrüchte und eine fantastische Landschaft auf Liping und mich warten.

»Hier ist die Buchungsbestätigung. Ich habe alles schon erledigt. Nach unserer Hochzeit werdet ihr am Kölner Hauptbahnhof abgeholt und könnt eine Woche lang Europa genießen.«

Mein Schwiegervater schaut mich fragend an. Als ich in die Runde blicke, sehe ich, dass Liping und ihre Mutter das gleiche Gesicht aufgesetzt haben. Das geschäftige Klappern der Porzellanlöffel und Holzstäbchen ist verstummt und ich stehe wie so oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ich laufe leicht rot an und frage mich, was ich wohl schon wieder falsch gemacht habe. Von klein auf war das eine meiner größten Ängste: etwas falsch zu machen und damit andere Leuten vor den Kopf zu stoßen. Und ausgerechnet ich bin in einer deutsch-chinesischen Familie gelandet. Hier reiht sich ein badewannengroßes Fettnäpfchen hinter das andere und ich versuche auf Stelzen unbeschadet drum herum zu manövrieren. Abgesehen davon gibt es noch zwei Kräfte, denen ich mich nicht gewachsen fühle. Zum einen ist da mein chinesischer Schwiegervater. Ich bin ein so ganz anderer Schwiegersohn als Lipings Vater es sich erhofft hat. Ich bemühe mich, ihm dennoch irgendwie zu gefallen, ohne mich komplett zu verbiegen. Und dann sind da die wöchentlichen Anrufe meiner eigenen Mutter, in denen ich sie regelmäßig beschwichtigen muss, dass ich immer noch ihr liebster jüngster Sohn bin und sie im fernen China ganz bestimmt nicht vergessen habe. Dabei hat sie noch fünf andere Kinder, die alle im Umkreis von 5 Kilometern von ihr leben. Für meine Mutter bin ich der ins Ausland weggelaufene verlorene Sohn und für Lipings Vater ein aus dem Ausland dahergelaufener Schwiegersohn.

»Was meinst du damit, dass meine Eltern am Bahnhof abgeholt werden? Was ist denn mit uns?«

»Na, wir fahren in die Flitterwochen.«

Liping studiert eingehend das Papier in ihrer Hand.

»Ja, schon klar. Aber hier auf der Buchungsbestätigung stehen nur die Namen meiner Eltern.«

Jetzt juckt mir nicht nur die Nase, sondern auch die gesamte Kopfhaut. Ich unterdrücke ein Kratzen und versuche, Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Langsam bewege ich meine Essstäbchen in Richtung Garnelen, wähle eine besonders große aus und beginne, bedächtig auf ihr herumzukauen. Das ist wieder so ein Moment in unserer deutsch-chinesischen Ehe, in dem wir für den Betrachter zwar barrierefrei miteinander kommunizieren, ich aber das Gefühl habe, dass meine Frau einem Rind etwas auf der Harfe vorspielt, wie die Chinesen so schön sagen. In diesem Fall bin ich das Rind. Was sollen die komischen Fragen? Liping steht auf und winkt mich ins Wohnzimmer. Ich folge ihr, während meine Schwiegereltern sich wieder schlürfend ihrer Schweinshaut-Wintermelonen-Suppe widmen.

»Du hast also eine Reise für meine Eltern gebucht. Und was machen wir?«

»Wir fliegen nach Griechenland.«

»Aber wieso denn? Wenn meine Eltern eine Europareise machen, dann fahren wir doch mit? Das ist doch viel praktischer und außerdem viel interessanter. Zu zweit werden wir uns zu Tode langweilen.«

Sie sagt es mit so einer Selbstverständlichkeit, dass sogar ich einen...

Erscheint lt. Verlag 12.7.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abenteuer & Reiseberichte • Chinesen im Ausland • Chinesische Kultur und Gesellschaft • chinesische Politik und Gesellschaft • chinesische Touristen in Deutschland, Österreich und der Schweiz • eBooks • Geschäftliche & Internationale Beziehungen • humorvoll, unterhaltsam und witzig • Knigge & Benehmen • lustig • lustige • Schlitzaugen und Langnasen • Shanghai entdecken • YouTuber Der glückliche Thomas • YouTube-Star Afu Thomas
ISBN-10 3-641-27026-X / 364127026X
ISBN-13 978-3-641-27026-1 / 9783641270261
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