Die Germanen -  Tore Janson

Die Germanen (eBook)

Mythos - Geschichte - Sprachen

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
324 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-7079-2 (ISBN)
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Wer waren die Germanen? Hat Caesar die Germanen erfunden? Gab es "die" Germanen überhaupt? Sind wir heute noch Germanen? Was an den Germanen ist Mythos und was gesichertes historisches Wissen? Warum werden die Germanen manchmal mit den Deutschen gleichgesetzt? In welchem Verhältnis standen die Germanen zu den Römern? Wie haben die Germanen die Geschichte Europas beeinflusst? Was sind die germanischen Sprachen und in welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen sie zu anderen Sprachen des europäischen Kontinents? Das sind nur einige der Fragen, zu denen der emeritierte Universitätsprofessor Tore Janson in drei großen Kapiteln - Mythos, Geschichte, Sprachen - profunde Antworten liefert, die zu unterscheiden wissen zwischen Spekulation und sicheren Kenntnissen aus Textquellen, Archäologie und Sprachwissenschaft. Dabei vereint er die große Kunst, komplizierte Sachverhalte pädagogisch geschickt und allgemein verständlich dem Leser Schritt für Schritt näherzubringen. Das Buch ist somit ein souveräner Überblick über alles Wissenswerte zu Germanentum und Völkerwanderung, einer Zeit, die die Geschichte und Kultur Europas entscheidend mitgeprägt hat.

Tore Janson, geboren 1936, war Professor für Latein und später Afrikanische Sprachen an der Universität Göteborg. Als Professor emeritus ist er nun mit dem Stockholmer Institut für Sprachwissenschaft verknüpft. Tore Janson hat eine Reihe wissenschaftlicher Werke zu den Themenbereichen Lateinische Sprach- und Kulturgeschichte, Allgemeine Sprachwissenschaft, Phonetik und Afrikanische Sprachen veröffentlicht. In deutscher Übersetzung liegen vor "Eine kurze Geschichte der Sprachen" (2003 bei Spektrum Akademischer Verlag) sowie "Latein. Die Erfolgsgeschichte einer Sprache" (2006 bei Buske).

2.2. Die Deutschen als Germanen


Volk, Land, Nation

In den deutschsprachigen Landen blieb der Gedanke an die germanischen Vorfahren in den Jahrhunderten nach der Renaissance weiter lebendig. Das hing eng mit der Vorstellung zusammen, dass die Deutschen zusammengehörten und ein Volk bildeten. Deswegen waren die Germanen wieder hoch aktuell, als der deutsche Nationalismus auf dem Vormarsch war. Diese Ideologie kam unter Philosophen, Schriftstellern und anderen Intellektuellen auf, war aber auch in der öffentlichen Meinung weit verbreitet und ging Hand in Hand mit der allgemeinen politischen Entwicklung in Europa. Überall entstanden Nationalstaaten, politische Einheiten, die von einer ethnischen Gruppe mit einer Sprache geführt wurden.

Ein wichtiger Ausgangspunkt dafür waren die Ausführungen Johann Gottfried Herders Ende des 18. Jahrhunderts. Er war der Überzeugung, der zentrale Aspekt in der Menschheitsgeschichte sei, wie das Volk heranwächst und sich verändert. Jedes Volk entwickele seinen eigenen Charakter, der sich in vielfältiger Weise in seinem Temperament, seiner Literatur, seinen Mythen, seiner Kunst usw. niederschlage, und nicht zuletzt in seiner Sprache. In seiner Vorstellung waren die Völker eher Organismen, die sich zwar mit der Zeit veränderten, aber ihre grundlegenden Eigenschaften über die Zeit hinweg bewahrten. Er prägte sogar den Begriff der »Volksseele« als den gemeinsamen Nenner eines Volkes. 

Der deutsche Kulturraum hatte sich zu dieser Zeit zu einem in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht sehr wichtigen Teil Europas mit einer gemeinsamen Sprache entwickelt, doch politisch war er weiterhin in unzählige Einheiten zersplittert. Im 18. Jahrhundert gab es mit Preußen und der österreichischen Monarchie zwei starke Mächte. Der österreichische Herrscher trug zudem den Kaisertitel des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, das jedoch im Grunde nur theoretisch existierte. In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts griffen dann die Franzosen unter Napoleon den gesamten deutschen Sprachraum an. Die Folgen waren verheerend. Sowohl Preußen als auch Österreich wurden besiegt, Napoleon zwang mehrere Kleinstaaten zur Bildung des Rheinbundes, über dessen Geschicke er in Wahrheit selbst bestimmte, und der letzte römisch-deutsche Kaiser Franz musste seine Kaiserkrone ablegen. Damit verschwand das römisch-deutsche Kaisertum, nachdem es nahezu ein Jahrtausend Bestand gehabt hatte.

Das bedeutete, dass nichts mehr an einen deutschen Staat erinnerte, und das wiederum führte zu einem Erstarken nationalistischer Gefühle. Es ging darum, Deutschland zu einen und den Franzosen Widerstand zu leisten bzw. an ihnen Vergeltung zu üben. Die oben erwähnten Vorstellungen Herders von einer Volksseele, zumal einer deutschen, waren kein schlechter Ausgangspunkt dafür. Sie sollten bald große Bedeutung gewinnen. Das Volk und dessen Seele bilden sich ja irgendwann einmal aus, und es war nur natürlich, dass dies geschehen war, als die Germanen in der Geschichte auftraten. Schließlich hatten die Germanen gegen die Römer gekämpft, die von jenseits des Rheins eingefallen waren, und sie hatten sie zurückgeschlagen. Dies war ganz ohne Zweifel tief in der Volksseele eingegraben, die man zu ähnlichen Heldentaten wieder erwecken konnte.

Auf diese Weise spielten die Germanen mehrere hundert Jahre, nachdem die Deutschen sie zu ihren Vorfahren erklärt hatten, eine wichtige Rolle in Deutschland. Sie standen nicht mehr nur für eine gemeinsame Vergangenheit und für Ehrlichkeit, ungekünsteltes Leben und Ähnliches, sondern waren nunmehr nützliche Symbole für die deutsche Einheit und den Widerstand gegen die Feinde.

Diese Vorstellungen und Empfindungen überdauerten selbst dann noch, als die akute Krise nach Napoleons Siegen vorüber war. Tatsächlich wurden sie in den Jahrzehnten bis zu Deutschlands Einigung im Jahre 1871 und darüber hinaus in der anschließenden Zeit der Großmachtpolitik bis 1945 immer wichtiger.


Hermann gegen die Feinde

Der Germanenheld Arminius-Hermann taucht in der deutschen Literatur ab dem 16. Jahrhundert regelmäßig auf. Die Schriften beschäftigen sich im Großen und Ganzen mit allen denkbaren Aspekten seines Lebens. Die Liebe zwischen ihm und seiner Frau Thusnelda war ein wiederkehrender Topos, vor allem in den ersten Jahrhunderten. Selbstverständlich wurde seine Heimatverbundenheit stets genauso thematisiert wie sein Heldenmut. Es gab genug Stoff für viele Werke. Bis ins 18. Jahrhundert fand das Motiv jedenfalls eine unerhörte Verbreitung. Aus diesem Jahrhundert gibt es auch eine ganze Reihe von Opern, die sich mit Arminius beschäftigen. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts dürfte er mithin den meisten, die Deutsch lesen und verstehen konnten, ein Begriff gewesen sein.

Mit der Welle nationalistischer Literatur, Kunst und Musik, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts aufbrandete, gewann Arminius zusätzlich an Bedeutung. Zu dieser Zeit stand er für mehr als Heldenmut und Freiheit im Allgemeinen. Immerhin berief sich der Feind propagandistisch gelegentlich auf die Römer. Sich selbst hatte Napoleon in der Nachfolge der römischen Herrscher sogar zum empereur, d.h. Kaiser, ausrufen lassen. Arminius hatte sich den Römern entgegengestellt und er hatte sie besiegt. Nun wurde er zu einem herausragenden Symbol für den Widerstand gegen die Franzosen.

Unzählige deutsche Schriftsteller, Künstler und Musiker schufen Werke, die auf den Volkshelden Bezug nahmen.1 Ein frühes Beispiel dafür ist das von Heinrich von Kleist 1809 verfasste Theaterstück Die Hermannsschlacht. Die historischen Personen Arminius, Thusnelda und andere treten in einem Stück über die Geschehnisse rund um die Schlacht im Teutoburger Wald auf. Hermann (der manchmal so und manchmal Armin genannt wird) ist eine herausragende Persönlichkeit unter all jenen, die bisweilen »die Germanen«, aber öfter »die Deutschen« genannt werden. Die Römer sind heimtückische Schurken, und die Deutschen verbünden sich schließlich unter Hermanns Führung. Den Ausschlag dafür gibt, dass ein deutsches Mädchen von Römern vergewaltigt und deswegen von ihrem Vater zum - wie man heute sagen würde - Ehrenmord verurteilt wird. Hermann befiehlt dem Vater, die Leiche seiner Tochter in fünfzehn Stücke zu teilen und diese den »fünfzehn deutschen Stämmen« als Zeichen der Erhebung zu schicken.

Eine blutrünstigere Propaganda ist kaum vorstellbar. Niemand kann übersehen haben, dass die Römer für die Franzosen standen und dass es für die Deutschen darum ging, zusammenzuhalten, um sie zu vertreiben und ihnen am liebsten - wie es in der Schlussszene angedeutet wird - ein für allemal den Garaus zu machen. Solange die Franzosen Einfluss in Deutschland hatten, wurde das Drama weder gedruckt noch gespielt, aber später im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde es zu einem sehr beliebten Theaterstück.

Das war nur eine von unzähligen Motivvarianten. Stets aber symbolisierte Arminius die deutsche Einheit und den Widerstand gegen bzw. die Feindschaft mit den Franzosen. Neben Theaterstücken wurden im 19. Jahrhundert auch zahlreiche Opern geschrieben, nicht wenige Gedichte, und ein nie versiegender Strom von Romanen erschien. Fast kann man von einem Hermann-Kult sprechen, mit dem der Befreier Deutschlands gefeiert wurde.

Das sichtbarste Zeichen dafür ist das Hermannsdenkmal, eine Kolossalstatue von Arminius mit geflügeltem Helm und hoch in die Luft gerecktem Schwert. Die Skulptur steht auf einem Berg im Teutoburger Wald, in der Nähe des Ortes, wo man im 19. Jahrhundert glaubte, dass die Schlacht gegen die Römer stattgefunden hatte. Die Figur selbst ist über 25 Meter groß und steht auf einem ähnlich großen Sockel. Als die Statue 1875 fertiggestellt wurde, war sie die größte weltweit.

Für die Planung und Umsetzung des Denkmals brauchte man mehrere Jahrzehnte. Die eigentliche Errichtung begann 1838 und dauerte also 37 Jahre. In dieser langen Zeit verlor die Hermann-Gestalt nichts von ihrer Aktualität. Ganz im Gegenteil. Als die Statue eingeweiht wurde, lag die Vereinigung Deutschlands nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich vier Jahre zurück. Die Zeit war reif, die Einheit des Landes und die Stärke gegenüber dem Nachbarn unter Beweis zu stellen. Es ist alles andere als ein Zufall, dass Hermann sein langes Schwert gegen Frankreich im Westen und nicht gegen Rom im Süden richtet. Die germanischen Deutschen des 19. Jahrhunderts wussten, wo ihre Feinde waren.

Aber nicht nur in Deutschland feierte man im 19. Jahrhundert Nationalhelden, die anderswo im Übrigen ähnlich betagt waren wie Arminius. In Frankreich beschäftigte man sich nicht wenig mit Vercingetorix, der erfolglos gegen Caesar aufbegehrt hatte. Und in England gab es Boudicca, die den Widerstand gegen die Römer angeführt hatte. Ein wichtiger Unterschied bestand darin, dass die meisten anderen Länder mehrere jüngere Idealgestalten hatten wie Jeanne d’Arc und Napoleon in Frankreich oder Admiral Nelson in England. Die Schweden, die in der Antike nicht fündig geworden waren, sahen auf zu dem Freiheitshelden Engelbrekt und den Heldenkönigen Gustav II. Adolf und Karl XII. Alle diese Figuren in verschiedenen Ländern hatten ihren Heldenstatus durch ihren Kampf gegen äußere Feinde erlangt. Das Problem der Deutschen war, dass es vor 1871 keinen wirklichen deutschen Staat gegeben hatte und damit auch keinen klaren Staatsfeind. Napoleon war der erste, der so betrachtet werden konnte, aber kein deutscher Held widersetzte sich ihm. Arminius war im Grunde alles, was man aufzubieten hatte, bis schließlich die Verehrung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck Ende des Jahrhunderts Fahrt aufnahm.


Das erweiterte...

Erscheint lt. Verlag 29.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7519-7079-7 / 3751970797
ISBN-13 978-3-7519-7079-2 / 9783751970792
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