Der weiße Fleck (eBook)

Eine Anleitung zu antirassistischem Denken
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99905-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der weiße Fleck -  Mohamed Amjahid
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Eines?der wichtigsten Sachbücher unserer Zeit: 'Eine Anleitung zu antirassistischem Denken'?  In 'Der weiße Fleck' zeigt Mohamed?Amjahid?die blinden Flecken unserer weißen Mehrheitsgesellschaft auf und erklärt, wie man es besser machen kann.??  Niemand möchte sich rassistisch verhalten. Viele tun es trotzdem. In 'Der weiße Fleck' deckt der Journalist Mohamed?Amjahid?die Strukturen des Alltagsrassismus in Deutschland auf. Denn Diskriminierung ist auch dort, wo man sie vielleicht nicht vermutet und gerade weiße, privilegierte Personen, erklärt?Amjahid, verhalten sich oft - ohne es zu wollen - verletzend.??  Schonungslos entlarvt?Amjahid?in seinem fesselnden Sachbuch die Strukturen einer Gesellschaft, in der Privilegien darin bestehen, dass sie für die Privilegierten nahezu unsichtbar sind, während die anderen umso mehr unter ihnen leiden. Eindringlich und überraschend humorvoll macht?Amjahid?diese blinden Flecken unserer Gesellschaft sichtbar. Mehr als bloße Anklage ist 'Der weiße Fleck' deshalb auch eine Einladung, eigene Privilegien zu hinterfragen und den eigenen Rassismus wieder zu verlernen.?  Brandaktuell und wichtig - dieses Buch sollte jeder gelesen haben??  Durch den gewaltsamen Mord an George Floyd im Sommer 2020 und die im Zuge dessen weltweit aufflammenden #BlackLivesMatter-Proteste gibt es ein neues Bewusstsein für strukturellen Rassismus in unserer Gesellschaft. 'Der weiße Fleck' ist neben den Büchern von?Tupoka?Ogette und Alice?Hasters einer der wichtigsten Beiträge zur?Antirassismusdebatte?in Deutschland.??  ?»Ein wichtiger Beitrag zur Debatte über rechtsextremes Gedankengut und strukturelle Diskriminierung« -?B5 aktuell 'Das interkulturelle Magazin'?  Statt nur aufzuzeigen, was falsch läuft, besticht Mohamed?Amjahids?Buch durch seine konstruktive Hands-on-Mentalität: 50 hilfreiche Tipps geben Anleitung für antirassistisches Denken und Handeln im Alltag. Ein ausführliches Glossar am Ende des Buches hilft beim Verständnis der Begrifflichkeiten. 

Mohamed Amjahid, 1988 in Frankfurt a. M. geboren, ist politischer Journalist, Buchautor und Moderator. Er schreibt für mehrere Medien wie ZEIT, Spiegel, taz und Süddeutsche Zeitung und wurde unter anderem mit dem Alexander-Rhomberg-Preis und dem Nannen-Preis ausgezeichnet. Amjahid ist Fellow im Thomas-Mann-House in Los Angeles. Für seine Bücher »Unter Weißen« und »Der weiße Fleck« hat Amjahid viel Aufmerksamkeit bekommen. Er lebt in Berlin.

Mohamed Amjahid, 1988 in Frankfurt a. M. geboren, ist politischer Journalist, Buchautor und Moderator. Er war Redakteur beim ZEITmagazin, wurde mit dem Alexander-Rhomberg-Preis für Nachwuchsjournalismus ausgezeichnet und war nominiert für den CNN Journalist Award. Für sein letztes Buch "Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein" hat er viel Aufmerksamkeit bekommen. Er lebt in Berlin.

1 Vorsicht, zerbrechlich


Jede Person, egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder Sozialisation, hat mit inneren Komplexen zu kämpfen, verspürt manchmal Unsicherheiten im Umgang mit dem eigenen Umfeld, fühlt sich missverstanden oder ab und zu von anderen Mitgliedern der Gesellschaft beleidigt. Die aus dieser Gefühlslage heraus resultierenden Verhaltensweisen einzelner Individuen würde ich als menschlich beschreiben: Erwachsene werden zu trotzigen Kindern, versinken in Selbstmitleid oder fangen an, wild um sich zu schlagen. Manchmal fügen sich diese und weitere Gemütszustände zu einem Wollknäuel der Gefühle zusammen. Der Mensch ist halt ein emotionales Wesen.

Das gilt natürlich auch für Weiße. Ich kann allerdings nicht immer nachvollziehen, wie die Fäden in ihrem inneren Wollknäuel bei politischen Diskussionen rund um Privilegien und Rassismus, Kolonialismus und postkoloniale Machtstrukturen, Empowerment und Wiedergutmachung zusammenlaufen. Manchmal, so habe ich den Eindruck, verheddern sich weiße Menschen innerlich wegen Kleinigkeiten, die sie eigentlich locker aushalten müssten. Derweil reicht es sogar, Realitäten nüchtern zu beschreiben oder, auf Evidenzen basierend, einen Witz zu reißen, damit einige Weiße anfangen zu heulen, sich zu beschweren oder regelrecht durchzudrehen.

Im Zuge einer deutschen Twitterdebatte erreichte mich zum Beispiel eine private Nachricht von einem jungen weißen Mann. Wir kennen uns aus Uni-Zeiten, und er hat sich mir gegenüber öfter als Verbündeter im Kampf gegen den Rassismus geoutet. So etwas freut mich immer sehr, denn es braucht mehr Alliierte aus der Mehrheitsgesellschaft, um Strukturen der Diskriminierung von verletzbaren Minderheiten gemeinsam aufbrechen zu können (siehe Kapitel 9). Bevor ich zu seiner Zuschrift komme, muss ich aber ein wenig ausholen. Kontext ist ja immer wichtig:

Zur selben Zeit tobte auf Twitter nämlich eine Diskussion, ob die urbane Wortschöpfung Alman, mit der weiße Deutsche gemeint sind, beleidigend sei oder nicht. Alman ist an das Wort Almanya aus dem Arabischen, Türkischen, Kurdischen oder Persischen angelehnt. Almanya bedeutet schlicht: Deutschland. Ich wünschte manchmal, ich hätte das Problem, dass ich mich von so einer Bezeichnung beleidigt fühle. Auf Twitter habe ich mich aber bewusst entschieden, nichts Unmittelbares zu dieser Debatte beizusteuern. Stattdessen setzte ich an diesem Tag einen Tweet zum deutschen Kolonialismus ab. Der ehemalige Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der sich als Deutschlands wichtigster Intellektueller zu jedem Thema gerne äußert, teilte im Zuge einer Friedenskonferenz für Libyen im Berliner Kanzlerinnenamt folgenden Gedanken mit seinen Follower*innen: »(…) Wir waren nicht am Libyen-Krieg beteiligt u. nie Kolonialstaat (…).« Ich entschied mich also für eine kurze, zugegeben etwas freche Antwort: »Der Sigmar kann nicht googeln.«

Könnte er es nämlich, würde Gabriel wissen, dass Deutschland Kolonialstaat war und bis heute von einer kolonialen Dividende profitiert (siehe Kapitel 7). Kurze Zeit später tauchte in meiner Timeline ein Tagesspiegel-Kommentar mit folgender Überschrift auf: »Libyen-Konferenz in Berlin: Jetzt braucht’s eine Angela Bismarck.« Zu sehen war eine ernst blickende Angela Merkel vor einer deutschen Fahne. Ich fühlte mich also wieder berufen und twitterte einen Screenshot vom Wikipedia-Artikel »Deutsche Kolonien«. Später machte ich mich über Bismarck-Fans lustig, die den historischen Fakt leugneten, dass die Berliner Konferenz zwischen dem 15. November 1884 und dem 26. Februar 1885, auch Kongo-Konferenz genannt, auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck stattfand und dort der afrikanische Kontinent unter den europäischen Kolonialmächten, darunter auch Deutschland, aufgeteilt wurde. Gegen Geschichtsklitterung hilft manchmal nur Humor.

Hunderte tief beleidigte User*innen (einer von ihnen nannte sich beispielsweise »Bismarck der Echte« und beschrieb sich auf seinem Profil mit den Worten »Mein Reichskanzler. Konservativ und Patriot. Für Gott, Vaterland und Kaiser! AfD seit 2013«) beschwerten sich, dass ich mit meiner Kritik und dem Wikipedia-Artikel ihren heiligen Bismarck, die deutsche Geschichte im Allgemeinen (!) und sowieso alle Deutschen verunglimpft hätte. Ich kann ebenfalls trotzig sein und legte einen Tag später mit einem Tweet im Social-Media-Slang nach: »Glaube ja, dass Almans in ihrer Liebe zu #Bismarck eigentlich 1 ganz anderes Gefühl zu einer mit Bismarck verbandelten Figur channeln.«

Und genau dieser Tweet trieb den jungen weißen Mann von vor drei Absätzen zur Weißglut. Er schrieb mir eine private Nachricht. Oder wie er es nannte: einen Hinweis. Meine ständige Kollektivierung und Provokation auf Twitter, so erklärte er mir, mache es Allies (also mit Minderheiten verbündeten Weißen wie ihm) schwer, nicht genervt zu sein. Er wolle mir nur Feedback geben und betonte noch mal, dass er meine Arbeit sonst sehr schätze. Seine gute Intention nahm ich ihm direkt ab, dennoch ist dieser kleine Vorfall ein passendes Beispiel, um ein auch in Deutschland weitverbreitetes Phänomen unter Weißen zu illustrieren.

 

Weiße Zerbrechlichkeit, aus dem Englischen White Fragility, bezeichnet die von Unsicherheit begleitete Interaktion von weißen Menschen in einer diversen Gesellschaft, in der immer häufiger von diskriminierten Minderheiten eine strukturelle Kritik an weißen Privilegien formuliert wird. Die US-amerikanische Autorin Robin DiAngelo beschreibt, dass Weiße meist in einem sozialen Umfeld leben, das sie vor Race-basiertem Stress schützt. Weiße sind demnach daran gewöhnt, dass ihr Weißsein gar nicht erst thematisiert wird. Sie existieren im Diskurs nicht als rassifizierte Personen, gar als homogen wahrgenommene Gruppe. Während in Medienberichten, politischen Debatten, Kunst- oder Kulturproduktionen oft von den Türken, den Arabern, den Muslimen, den Juden, den Geflüchteten und so weiter die Rede ist, existieren Weiße in der Öffentlichkeit meist nur als Individuen, als Persönlichkeiten, als Subjekte. Weiße Männer profitieren dabei mehr von dieser Darstellung als Frauen, die manchmal nicht als natürliche Personen, sondern lediglich als Ehefrauen, Partnerinnen oder schlicht Anhang von Männern wahrgenommen werden.

Angehörige der Mehrheitsgesellschaft erwarten aufgrund dieser speziellen Unsichtbarkeit (bewusst oder unbewusst), dass ihre Positionierung und ihre strukturellen Privilegien nicht Gegenstand einer Debatte sein sollten. Eine Haltung, die ihre innere Toleranz gegenüber rassismuskritischen Debatten schmälert. Viele Weiße, erklärt DiAngelo, könnten es nur schwer oder gar nicht aushalten, wenn allgemein über sie gesprochen wird. Egal, was dabei konkret gesagt wird. White Fragility beschreibt also den inneren Zustand weißer Menschen, bei dem schon ein Minimum an Racial-Stress unerträglich werden kann. Sie bauen dann eine defensive Haltung auf, wenn sie eine (egal ob harmlose, diplomatische oder humorvoll verpackte) Privilegienkritik hören.

Der junge weiße Mann konnte es augenscheinlich nicht aushalten, dass ich mit einem überspitzten Tweet darauf hinweisen wollte, dass zu viele Bismarck-Fans und weitere Deutsche Nachhilfe in europäischer Kolonialgeschichte brauchen. Er musste mir einen Hinweis geben, wie ich mich zu verhalten habe, wie ich meine Kritik verpacken solle, damit er weiter als Verbündeter zur Verfügung steht. Das nennt sich dann Tone Policing. Um als weiße Person eine Allianz mit People of Color eingehen zu können, gibt es allerdings einige Empfehlungen für Allies und solche, die es werden wollen, wie sie diese Zusammenarbeit gestalten können und was sie tunlichst lassen sollten (siehe Kapitel 9). Bedingungen an People of Color zu stellen ist in diesem Zusammenhang zumindest problematisch. Es ist dabei anscheinend schwierig, als weiße Person auf »einen Hinweis« an Nichtweiße zu verzichten. Diese unberechenbare Fragilität, selbst unter Allies, macht es für Angehörige von Minderheiten anstrengend, Rassismus überhaupt anzusprechen. Stets stellt sich für People of Color die Frage: Wie reagiert mein weißes Gegenüber, wenn ich etwas zum Thema Rassismus sage?

An dieser Stelle sei noch mal betont, dass eine differenzierte Privilegienkritik nie essenzialistisch gemeint ist. Weiße sprechen und verhalten sich also nicht per se oder qua weißer Hautfarbe rassistisch. Niemand gehört alleine aufgrund seiner oder ihrer äußeren Erscheinung in irgendwelche Schubladen. Abgesehen davon, dass die Hautfarbe (sozial konstruiert) ein wichtiger Faktor ist, wie mit einer Person, egal wo auf dieser Welt, umgegangen wird, zählen im intersektionalen Sinne auch andere Kategorien von Identität wie Gender, Einkommen, Sexualität, Alter, Bildungsstand, Wohnungssituation, Gesundheitszustand oder Passfarbe. Es kommt oft auf den Mix aus diesen Kategorien an, ob man Erfolg hat oder scheitert.

Kein Individuum kann qua Herkunft die Verantwortung für die geltenden Normen in einer Gesellschaft, aus der es stammt, übernehmen. Was zählt, ist aber: Jede Person muss zumindest mitdenken, in welchen Strukturen sie sich bewegt, aus welcher Position sie über welche Themen spricht und was sie konkret (politisch) tut. Denn Strukturen sichtbar zu machen, die bestimmte Gruppen bevorzugen und andere pauschal benachteiligen, ist ein Grundanliegen der antirassistischen Kritik. Mit dem Finger auf einzelne Personen allein aufgrund ihrer Hautfarbe zu zeigen liegt mir persönlich fern. Erst nach Betrachtung von Aussagen, Wirken und Kontext kann man einzelne Menschen für konkrete Dinge haftbar machen. Und doch musste ich mich mit den...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alice Hasters • Alltagsrassismus • Andersmachung • Antirassismus-Training • Antisemitismus • Ausgrenzung • Bin ich rassistisch • #blacklivesmatter • Black lives matter • BlackLivesMatter • Debatte • Demokratiefeindlichkeit • Diskriminierung • Eddo-Lodge • Erinnerungskultur • exit racism • Faschismus • Feminismus • George Floyd • Hautfarbe • Heimatministerium • Hengameh Yaghoobifarah • Herkunft • Identität • Identitätspolitik • Integration • Intersektionalität • Judentum • Kolonialismus • kritisches Weißsein • Macht • Migration • Multikulturalismus • n-wort • Othering • People of Color • Politik • Politisches Sachbuch • Polizeigewalt • Privilegien • Proteste • Race • Rassismusdebatte • rassismuskritisch • rassistisch • Schwarz • Sexismus • Sprachbewusstsein • struktureller Rassismus • Tupoka Ogette • Unterdrückung • Vorurteile • weiß • WHITE FRAGILITY • white privilege • white supremacy • Wiedergutmachung • Zuwanderung
ISBN-10 3-492-99905-0 / 3492999050
ISBN-13 978-3-492-99905-2 / 9783492999052
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