Die Kunst der Großzügigkeit (eBook)

Geschichten einer leidenschaftlichen Schenkerin
eBook Download: EPUB
2020
256 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26877-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kunst der Großzügigkeit - Susanne Kippenberger
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Geben macht glücklich. Susanne Kippenberger schreibt über das Schenken als Kommunikationsform: eine Sprache, die man lernen kann.
Überraschung, Erwartung, Glück, Enttäuschung, Kränkung - warum reagieren wir so emotional auf Geschenke - unabhängig von jedem materiellen Wert? Susanne Kippenberger, selbst eine leidenschaftliche Schenkerin, erkundet das Schenken als Universum der Gefühle und komplexe Form der Kommunikation. Mit Leichtigkeit und Eleganz fächert sie die vielfältigen Aspekte auf, geht der Frage nach, warum es vor allem Frauen sind, die sich um Geschenke kümmern, und die schönsten Präsente jene sind, die man in keinem Laden kaufen kann. Dabei erzählt sie überraschende und berührende Geschichten vom Schenken zwischen Seligkeit und Desaster. Vor allem aber zeigt sie, wie viel Freude die Kunst der Großzügigkeit bereitet.

Susanne Kippenberger, 1957 geboren, wuchs als jüngste der vier Schwestern des Künstlers Martin Kippenberger in Essen auf. Sie ist seit 1989 Redakteurin beim Berliner Tagesspiegel, und ist Autorin des gefeierten Porträts Kippenberger. Der Künstler und seine Familien (2007), das sie über ihren Bruder schrieb. 2009 erschien von ihr Am Tisch, 2014 Das rote Schaf der Familie über Jessica Mitford und ihre Schwestern.

Einführung


Ich hatte mal die Motten. Sie steckten überall, im Müsli, im Mehl, in allen Ecken, ich wurde sie einfach nicht los. In meiner Verzweiflung rief ich die Kammerjäger. »Sie backen aber gerne!«, rief der eine durchaus bewundernd aus der Speisekammer heraus. »Die Frau kauft einfach gerne ein«, erwiderte sein Kollege nüchtern.

Ich fürchte, er hat recht. Das habe ich von meiner Mutter geerbt.

Mit zwölf hatte sie den Höhepunkt ihrer sportlichen Laufbahn erreicht: Als sie beim Hochsprung die Ein-Meter-Marke knackte. Damit hatte niemand gerechnet. Die Lehrerin war so entzückt, dass sie ihr eine Tafel Schokolade schenkte. Was für ein Luxus! Seit ihre eigene, ebenso großzügige wie gastfreundliche Mutter gestorben war, wurde sie mit Präsenten nicht eben verwöhnt. Der größte Ehrgeiz der Haushälterin, die jetzt für die Kinder zuständig war, hieß sparen.

Hiermit war der sportliche Ehrgeiz meiner Mutter erschöpft. Höher, weiter, schneller, ein solcher Wettkampf interessierte sie nicht. Ihr Sport hieß fortan: schenken. Mochten andere wandern oder Tennis spielen, meine Mutter trabte los, Präsente kaufen.

Wann immer sie was Interessantes sah, ob im Schlussverkauf oder auf Reisen, schlug sie zu. Fing es in den großen Ferien in Holland an zu regnen, bekämpfte sie Anflüge von schlechter Laune mit Ausflügen zu De Bijenkorf, dem bienenkorbgleichen Kaufhaus in Amsterdam, und breitete am Abend ihre Beute selig vor uns aus. Hatte jemand Geburtstag oder war ein Dankeschön fällig, musste sie nur noch in die Geschenkekiste greifen.

So mache ich es auch. Ich bin zum Hamster geworden, nur dass ich statt der Backen die Taschen vollstopfe — ich reise grundsätzlich mit großem Gepäck. In Schubladen und Truhen horte ich dann, worüber B sich freuen könnte, was ich für I beim letzten Londonbesuch besorgt habe.

Denn Schenken braucht Aufmerksamkeit und langen Atem. Hinweise, die fallengelassen werden, müssen aufgefangen, gespeichert und rechtzeitig umgesetzt werden. Nichts ist schlimmer, als auf Kommando einzukaufen: P hat heute Geburtstag, was kann ich da zwischen Dienstschluss und Dinnerparty noch besorgen? Bestimmt nichts Persönliches.

Schenken ist Einkaufen mit gutem Gewissen. Ist ja für andere. Man muss die Fundstücke nur im passenden Moment zücken können. Auch das habe ich von meiner Mutter geerbt: Schenken war ihre Leidenschaft, Ordnung nicht ihre Stärke. Weihnachtspräsente, im Sommer erstanden, versteckte sie so gut, dass sie diese im Advent nicht mehr wiederfand. Auch ich muss dauernd suchen. Manchmal entdecke ich ein halbes Jahr zu spät, dass ich für das Geburtstagskind längst was besorgt hatte. Egal, bald ist Weihnachten.

Meine Mutter war eine fröhliche Schenkerin. Eine Christin, weniger fromm als sozial, die gerne gab. In unserer Familie ist das Schenken — mehr noch als das Beschenktwerden — eine einzige Freude, von außen betrachtet vielleicht auch ein Spleen.

Doch als ich anfing, darüber nachzudenken, merkte ich, dass es mehr als eine persönliche Macke ist. Ich entdeckte, wie viele Seiten das Schenken hat, noch eine und noch eine, es wollte gar kein Ende nehmen, und plötzlich stellte ich fest: Es gibt gar kein Ende. Jeder tut es, jeder empfängt es, und zwar sein Leben lang. Von der Geburt bis zum Tod, ja, darüber hinaus. In den USA fängt es mit der Baby Shower noch vor der Niederkunft an. Und wenn der Mensch dann gestorben ist, werden ihm zum Abschied Blumen gereicht, spendet man in seinem Sinne und Andenken Geld. Das Leben geht weiter. Das Schenken auch.

Fast scheint es ein Instinkt zu sein, schon kleinste Kinder pflücken Blumen, sammeln Muscheln und Steine auf und präsentieren sie den Großen, um ihnen eine Freude zu machen. Und natürlich: Applaus zu bekommen. Jeder wichtige Umbruch im Leben wird von Präsenten begleitet, Taufe, Einschulung, Kommunion, Konfirmation, Bar-Mizwa, Volljährigkeit, Schulabschluss, Hochzeit, runde Geburtstage, eine neue Wohnung, Rentenbeginn …

Wenn ich mit anderen darüber spreche, sprudeln sie sofort mit ihren Geschichten los. Bei einer Dinnerparty erzählt ein Künstler von einem Kindheitserlebnis in Tokio, als seine französische Mutter so überfordert war von den liebevollen, aber immer größer werdenden Präsenten der japanischen Vermieter, dass sie irgendwann nicht mehr wusste, wie sie diese Freundlichkeit erwidern konnte. Sie kapitulierte. Die Familie zog aus. Solche Gespräche habe ich viele geführt, mal zufällig, mal gezielt, in Form von Interviews wie mit dem Schriftsteller David Wagner, der über das größte Geschenk, das jemand bekommen kann, ein Organ, in seinem Fall die Leber, ein Buch geschrieben hat. Er nennt es einen Dankesbrief. Eine literarische Gabe für eine(n) unbekannte(n) Tote(n).

Dauernd gibt man dem anderen etwas von sich, so entsteht Gemeinschaft. Eine Gesellschaft ohne diesen Akt ist undenkbar. Befragt nach einem blöden Präsent, antwortete ein älterer Schauspieler: »Ich lasse mir nichts mehr schenken, ich habe alles, was ich brauche.« Der Mann hat gar nichts begriffen. Es geht hier nicht um Kochtöpfe und warme Socken. Es geht um sozialen Kitt, um Emotionen. Präsente schaffen und stärken Verbindungen, manchmal verletzen sie diese auch, zerstören sie in seltenen Fällen gar. Eine 52-Jährige erzählt von der Barbiepuppe, die sie mit zwölf bekam, von ihrer Freundin, die genau wusste, dass sie Barbiepuppen hasst. »Danach war die Freundschaft beendet.« Aber wer anderen verbietet, ihm was zu schenken, stößt sie von sich weg: Ich will nicht in deiner Schuld stehen, komme allein zurecht, vielen Dank.

Es sind so viele Gefühle involviert, Erwartungen, Enttäuschungen, Erfüllungen, Verletzungen, Demonstrationen von Machtverhältnissen, Freude, Erinnerungen. Doch im Grunde geht es immer um Liebe. Egal, wie nah man sich steht. Das liebevolle Aussuchen und Verpacken — oder das lieblose. Was sie am Schenken so mag, meint eine der von mir Befragten, ist »das Zeigen von Zuneigung«. Der symbolische Wert ist eigentlich immer wichtiger als der materielle. Wie gut kennst du mich? Oder wie schlecht. Das Gefühl, nicht gesehen, ja, verkannt zu werden, gehört zu den schlimmsten Erfahrungen, von denen Beschenkte erzählen.

Schenken ist eine soziale Tätigkeit, eine Kultur (keine Technik), eine Sprache der Gefühle. Die man lernen kann, damit es einem nicht so geht wie dem Vater einer Freundin, der seiner Frau sagte: Kauf dir was, ich geb’ dir das Geld und leg’ es dann unter den Tannenbaum. Natürlich gehört, wie bei allen Sprachen, auch eine Portion Begabung dazu. Das steckt schon im Wort Gabe, und noch deutlicher im englischen »gift«, das sowohl Präsent wie Begabung bedeutet. Weshalb man, um allen Missverständnissen vorzubeugen, auch nicht sagen kann, dass nur der gute Schenker ein guter Mensch ist.

Natürlich kaufe ich inzwischen doch mit schlechtem Gewissen ein, von wegen Umwelt und Klimawandel. Aber dieses Buch soll auch keine Anleitung zum Konsum sein. Schenken muss nicht kaufen heißen. Aufmerksamkeit, Zeit, selbstgekochte Marmelade, das Reparieren des kaputten Stuhls, ein gemeinsamer Ausflug, ein Essen — man kann sich so vieles einfallen lassen. Aber man sollte sich was einfallen lassen. Präsent hat etwas mit präsent sein zu tun. Umweltbewusstsein ist keine Ausrede für Faulheit. Nachhaltig sind Geschenke, über die man sich Gedanken gemacht hat. Was alle hassen, sind einfallslose Pflicht-Gaben. Und sowieso gilt hier, wie stets, Qualität geht über Quantität.

S zum Beispiel, gefragt, wann sie das letzte Mal richtig große Freude erlebt hat über ein Präsent, erzählte von ihrem Besuch, dem ersten, bei einer neuen Bekannten. S brachte ihr einen Herbststrauß aus dem eigenen Garten mit, Hortensie, Dahlie, kleine Beerenzweige in Pink. Drum herum goldenes Seidenpapier und eine Schleife aus schlichtem Strick. Eine solche Freude hatte sie nicht erwartet: »Sie war regelrecht umgeworfen von der Schönheit des Straußes, drehte ihn hin und her, benannte die Blumen und die Farben und betonte, wie das Zusammenspiel von Texturen und Farben so perfekt zur Geltung käme. Und dann holte sie ihren Mann und die Haushaltshilfe und begann ihr Gloria von neuem. Ich fand keine Worte.«

»Wirkliches Schenken«, schrieb Theodor Adorno, »hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten. Es heißt wählen, Zeit aufwenden, aus seinem Weg gehen, den anderen als Subjekt denken.« Adorno war pessimistisch, er glaubte, dass dazu kaum mehr einer fähig sei. »Günstigenfalls schenken sie, was sie sich selber wünschten, nur ein paar Nuancen schlechter.«

In einer Zeit, wo es alles zu kaufen gibt, könne man das Schenken für überflüssig und das Klagen über den Verfall dieser...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Am Tisch • Aufmerksamkeit • Babyshower • Briefe schreiben • Bücher • Dankbarkeit • Das rote Schaf der Familie • Do it yourself • Einpacken • Erinnerung • Geburtstag • Geld • Geschenke • Geschenkidee • Geschenkideen • Gutscheine • Hochzeit • Japanisch • Kommunikationsform • Kulturgeschichte • Kunst • leanne shapton • Lebenspraxis • lifestyle • Mitbringsel • #ohnefolie • ohnefolie • Päckchen • Präsente • Schenken • Selbstgemacht • Souvenir • Spenden • Tausch • Taz-Kolumne • Trennung • Trinkgeld • Überraschung • Weihnachten • Zeit
ISBN-10 3-446-26877-4 / 3446268774
ISBN-13 978-3-446-26877-7 / 9783446268777
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